Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2015Die Temperatur der Gefühle
Was für ein hinreißendes Paar: Cate Blanchett und Rooney Mara glühen in Todd Haynes' Liebesmelodram "Carol"
Alles sieht aus wie beim ersten Mal, und doch ist alles anders. Derselbe Ort, dieselben Personen, dasselbe Licht, dieselbe Musik im Hintergrund. Zwei Frauen sitzen im Café an einem Tisch. Sie reden miteinander. Die eine ist älter und sehr damenhaft, die andere jünger und mädchenhaft. Worüber sie sprechen, ist nicht zu hören. Auch beim zweiten Mal nicht. Doch da weiß jeder, der die beiden beobachtet, was zwischen ihnen ist, wie ihr Verhalten zu deuten, ihre Situation zu verstehen ist.
Die beiden Szenen, die sich lediglich durch eine ganz leicht veränderte Kameraposition voneinander unterscheiden, stehen am Anfang und kurz vorm Ende von Todd Haynes' wunderbarem Film "Carol". Durch diese Anordnung wird die Erzählung direkt nach dem Auftakt zu einer großen Rückblende, bis sie diesen Anfang eingeholt und dadurch zugleich dessen Wahrnehmung verändert hat. Dazwischen liegt eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen, zwischen der älteren, verheirateten Carol und der jungen Therese. Cate Blanchett und Rooney Mara spielen die beiden, und es fällt, so wenig sie einander ähneln, schwer zu sagen, wer hier stärker, hinreißender, faszinierender ist. Sie sind ein Glücksfall für den Film, und ihr Zusammenspiel hat eine Intensität, wie man sie zuletzt bei Juliette Binoche und Kristen Stewart in den "Wolken von Sils Maria" erleben konnte.
"Carol" beruht auf dem autobiographisch gefärbten Roman "The Price of Salt" (zu deutsch: "Salz und sein Preis") von Patricia Highsmith, den sie 1952 unter dem Pseudonym Claire Morgan veröffentlichte und für den sie einen anderen Verleger suchen musste, weil ihr etatmäßiger Verlag das Manuskript abgelehnt hatte. Für die Geschichte einer lesbischen Liebe empfahl sich das wohl zu einer Zeit, in der Homosexualität noch als Krankheit galt, was auch Carol erfahren muss, wenn sie sich zu einer kurzzeitigen Therapie überreden lässt, damit man ihr nicht das Sorgerecht für ihre Tochter entzieht.
Todd Haynes, der schon 2002 in "Dem Himmel so fern" wie ein teilnehmender Historiker ganz tief eingetaucht war in die Leiden und verbotenen Leidenschaften der fünfziger Jahre, hat zum Glück nicht versucht, die Geschichte in irgendeiner Weise zu aktualisieren. Dafür ist er ein viel zu kluger, historisch bewusster Regisseur. Es ist eher so, als habe er alles daran gesetzt, diese Zeit noch bis ins kleinste Detail zu rekonstruieren, wie er es bereits in "Dem Himmel so fern" gemacht hatte.
Nicht nur die Kleider, die Cate Blanchett trägt, auch die Möbel und Accessoires in den Wohnungen, Motelzimmern oder öffentlichen Räumen, die großen, sanft dahingleitenden Autos, das gesamte Produktionsdesign ist auf eine Art und Weise in Farben, Formen und Materialien genau, dass es fast schon einen unwirklichen Effekt erzeugt: so akkurat, dass kaum vorstellbar ist, wie in dieser makellosen Welt verbotene Dinge geschehen können. Und das Licht, in dem Kameramann Ed Lachman vor allem die Gesichter der beiden Frauen erscheinen lässt, verstärkt diesen merkwürdigen Zauber: ein leichtes Glühen, unwirklich, aber auch wie ein Abglanz verborgener Gefühle.
Es ist dieser paradoxe Effekt von Verfremdung durch extreme Genauigkeit, der Haynes' Film seine ganz besondere Signatur verleiht. Er ist als period piece mitten in dieser Zeit, zugleich lässt er uns spüren, dass wir von heute aus auf sie schauen, statt in ihr zu versinken. Er entfaltet einen grandiosen Reigen der Blicke und Blickwechsel, indem die Kamera nicht wie ein scheinbar neutraler Erzähler registriert, was sich vor ihr abspielt; immer wieder sind es Blicke, die Carol und Therese aufeinanderrichten, Blicke, die aufgeladen sind mit Staunen, Begehren, Sehnsucht, Fassungslosigkeit. Haynes zeigt auch nicht einfach etwas; seine Art zu erzählen ist immer auch eine diskrete Reflexion über den Prozess des Sehens. Mal ist die Sicht getrübt, Fenster sind beschlagen, Scheiben verschmutzt, dann täuschen Spiegeleffekte beim Blick von außen nach innen und vice versa; Türrahmen, Möbelkanten, Vorsprünge verstellen den Blick und geben jeweils nur einen Teil des beobachteten Objekts oder der Person frei.
Und das Großartige an diesem Stilwillen, an dieser konzentrierten Inszenierung ist, dass die Temperatur der Gefühle überhaupt nicht beeinträchtigt wird. Welche Hitze und Glut hinter den schönen, blanken Oberflächen liegen, das wird schon bei der ersten Begegnung von Carol und Therese spürbar, als würde man Zeuge eines Blitzschlags. Wie eine Erscheinung betritt Cate Blanchett im langen Nerzmantel, mit perfekter gestylter Frisur und Make-up die Spielzeugabteilung eines Kaufhauses. Zwischen den gedeckten Farben des Interieurs ist das Korallenrot ihrer lackierten Fingernägel ein Warnsignal. Wie eine Schlafwandlerin bewegt sie sich an den Vitrinen vorbei, betätigt versehentlich den Mechanismus, der die elektrische Eisenbahn abschaltet, und wenn wir sie sehen, sehen wir sie schon mit den Augen der unscheinbaren Verkäuferin Therese, die zu allem Überfluss auch noch eine lächerliche Nikolausmütze tragen muss, wie das gesamte Personal.
Therese ist von diesem Anblick gebannt, geschockt, getroffen, sie agiert wie in Trance, während sie durch das Verkaufsgespräch mit der unnahbar und blasiert wirkenden Dame stolpert. Hier ist ohne ein Wort, ohne eine nennenswerte Tat etwas passiert, hinter das es kein Zurück mehr gibt. Und es ist nur die Frage, ob diese Reaktion eine wechselseitige ist oder asymmetrisch bleiben wird. Einen solchen Moment, eine solche kleine säkulare Epiphanie, glaubte man keiner zeitgenössischen Filmstory mehr, man würde sie eher belächeln - hier ist es einfach nur evident, weil Haynes diese raffinierte Balance zwischen Ferne und Nähe gelingt. Und zum Glück, das hat das Drehbuch von Phyllis Nagy hinzuerfunden, es steht nicht im Roman, vergisst Carol ihre Handschuhe im Kaufhaus.
So kommt die Geschichte in Bewegung, und ziemlich schnell wird klar, dass Carol dabei ist, sich von ihrem Langweiler-Versorger-Gatten Harge (Kyle Chandler) scheiden zu lassen; dass dieser mal verzweifelte, mal hilflose, mal aggressive Mann weiß, dass sie schon einmal eine Affäre hatte, mit Abby (Sarah Paulson), die als beste Freundin im gutbürgerlichen Vorstadtleben hat bleiben dürfen. Es ist anfangs nicht leicht zu ahnen, wie die scheue Therese und die kühle Carol zueinander finden sollen, da die Ältere sich fast ganz hinter der Maske der glamourösen, leicht gönnerhaften Dame verbirgt. Und gelegentlich fragt man sich auch schon mal, ob Todd Haynes nicht das Gefälle des Klassenunterschieds zwischen den beiden Frauen etwas zu leicht genommen hat.
Man geht jedoch darüber hinweg, weil man einfach gerne zusieht, wie sie umeinander werben, wie verhaltene Gesten ein wachsendes Begehren eindämmen; wie Therese Carol eine Schallplatte schenkt und Carol Therese, die Fotografin sein möchte, eine teure Kamera; wie Therese sich ihren begriffsstutzigen Verehrer Richard vom Leib hält und wie Carol um ihre Tochter kämpft, die ihr Mann und dessen Eltern von ihr fernhalten wollen. Man kann gar nicht oft genug dieser dunklen, sanften und doch leicht distanziert klingenden Stimme von Cate Blanchett zuhören, wenn sie zum Beispiel sagt: "What a strange girl you are. Flung out of space"; und dabei Rooney Mara ansehen, die der Älteren ja auch wie eine Außerirdische erscheinen muss, weil eine wie sie in Carols gesellschaftlichem Umfeld nicht vorkommt, allenfalls als Bedienstete, aber nicht als Geliebte.
Und auf einmal, mitten im Prozess ihrer Annäherung, wie ein Befreiungsschlag, verwandelt sich das Kammerspiel in ein Roadmovie. Die beiden gehen auf Reisen, in diesem fabelhaften grauen Packard von Carol - wenn man dann an "Thelma und Louise" denkt, an den türkisfarbenen Thunderbird, dann scheinen Frauen, die zu einem Abenteuer aufbrechen, mehr Geschmack bei der Wahl ihres Fahrzeugs zu entwickeln. Sie übernachten in Motels und Präsidentensuiten, sie schlafen zum ersten Mal miteinander, in einer fragilen Mischung aus Leidenschaft und Erschütterung, die beide erfasst, auch wenn Carol die aktivere, die tonangebende bleibt. Todd Haynes hat eine sehr souveräne, zärtliche Art, das zu zeigen, mit einer Selbstverständlichkeit, die lautlos, aber genau kalkuliert auf das Ambiente der Fünfziger prallt.
Natürlich bleiben die melodramatischen Verwicklungen nicht aus, schließlich befinden wir uns in jener Welt und Zeit, welche auch die Hollywood-Melodramen des von Haynes (wie auch schon von Fassbinder) bewunderten Douglas Sirk hervorgebracht hat. Sie waren die historische Ausdrucksform, von den Gefahren, den Hindernissen, den unerfüllten Sehnsüchten der Liebe zu sprechen. Haynes hat sich genau deshalb dieser Form bedient - aber nicht, ohne sie zu brechen, wobei ihm die Anlage von Highsmiths Roman sehr entgegenkommt.
Ein Detektiv hat den Liebenden in Harges Auftrag nachgespürt und sie vom Nachbarzimmer aus abgehört. Die Pistole, die Carol im Gepäck hat, kommt allerdings trotz der Wut und Empörung nicht zum Einsatz. Der Druck der Familie und der Kampf um die Tochter treiben Carol in eine Therapie. Und Therese, das traurige Mädchen, das den Männern desto besser gefällt, je weniger es sich für sie interessiert, bekommt den ersehnten Job als Fotografin bei der "New York Times".
Aber das ist, und darin lag auch das Bemerkenswerte von Patricia Highsmiths Roman, eben nicht alles, es geht nicht nur um die erwartbare Zerstörung einer verbotenen Liebe, die ohnmächtige Kapitulation vor Verhältnissen, die erstickend wirken, um Versagung, Einverständnis und Verdrängung. Es geht auch um Selbstermächtigung, um ein Stück Freiheit. Und da sind, wenn sie einander wiedersehen und Abstoßung und Anziehung einander zunächst die Waage halten, zwei Momente und zwei Blicke, von Therese auf Carol, von Carol auf Therese, die man gesehen, die man erlebt haben muss. Für solche Blicke geht man ins Kino, noch immer, denn sie schauen ja von dort oben auf der Leinwand niemand anderen an als uns.
PETER KÖRTE
Ab Donnerstag im Kino
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was für ein hinreißendes Paar: Cate Blanchett und Rooney Mara glühen in Todd Haynes' Liebesmelodram "Carol"
Alles sieht aus wie beim ersten Mal, und doch ist alles anders. Derselbe Ort, dieselben Personen, dasselbe Licht, dieselbe Musik im Hintergrund. Zwei Frauen sitzen im Café an einem Tisch. Sie reden miteinander. Die eine ist älter und sehr damenhaft, die andere jünger und mädchenhaft. Worüber sie sprechen, ist nicht zu hören. Auch beim zweiten Mal nicht. Doch da weiß jeder, der die beiden beobachtet, was zwischen ihnen ist, wie ihr Verhalten zu deuten, ihre Situation zu verstehen ist.
Die beiden Szenen, die sich lediglich durch eine ganz leicht veränderte Kameraposition voneinander unterscheiden, stehen am Anfang und kurz vorm Ende von Todd Haynes' wunderbarem Film "Carol". Durch diese Anordnung wird die Erzählung direkt nach dem Auftakt zu einer großen Rückblende, bis sie diesen Anfang eingeholt und dadurch zugleich dessen Wahrnehmung verändert hat. Dazwischen liegt eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen, zwischen der älteren, verheirateten Carol und der jungen Therese. Cate Blanchett und Rooney Mara spielen die beiden, und es fällt, so wenig sie einander ähneln, schwer zu sagen, wer hier stärker, hinreißender, faszinierender ist. Sie sind ein Glücksfall für den Film, und ihr Zusammenspiel hat eine Intensität, wie man sie zuletzt bei Juliette Binoche und Kristen Stewart in den "Wolken von Sils Maria" erleben konnte.
"Carol" beruht auf dem autobiographisch gefärbten Roman "The Price of Salt" (zu deutsch: "Salz und sein Preis") von Patricia Highsmith, den sie 1952 unter dem Pseudonym Claire Morgan veröffentlichte und für den sie einen anderen Verleger suchen musste, weil ihr etatmäßiger Verlag das Manuskript abgelehnt hatte. Für die Geschichte einer lesbischen Liebe empfahl sich das wohl zu einer Zeit, in der Homosexualität noch als Krankheit galt, was auch Carol erfahren muss, wenn sie sich zu einer kurzzeitigen Therapie überreden lässt, damit man ihr nicht das Sorgerecht für ihre Tochter entzieht.
Todd Haynes, der schon 2002 in "Dem Himmel so fern" wie ein teilnehmender Historiker ganz tief eingetaucht war in die Leiden und verbotenen Leidenschaften der fünfziger Jahre, hat zum Glück nicht versucht, die Geschichte in irgendeiner Weise zu aktualisieren. Dafür ist er ein viel zu kluger, historisch bewusster Regisseur. Es ist eher so, als habe er alles daran gesetzt, diese Zeit noch bis ins kleinste Detail zu rekonstruieren, wie er es bereits in "Dem Himmel so fern" gemacht hatte.
Nicht nur die Kleider, die Cate Blanchett trägt, auch die Möbel und Accessoires in den Wohnungen, Motelzimmern oder öffentlichen Räumen, die großen, sanft dahingleitenden Autos, das gesamte Produktionsdesign ist auf eine Art und Weise in Farben, Formen und Materialien genau, dass es fast schon einen unwirklichen Effekt erzeugt: so akkurat, dass kaum vorstellbar ist, wie in dieser makellosen Welt verbotene Dinge geschehen können. Und das Licht, in dem Kameramann Ed Lachman vor allem die Gesichter der beiden Frauen erscheinen lässt, verstärkt diesen merkwürdigen Zauber: ein leichtes Glühen, unwirklich, aber auch wie ein Abglanz verborgener Gefühle.
Es ist dieser paradoxe Effekt von Verfremdung durch extreme Genauigkeit, der Haynes' Film seine ganz besondere Signatur verleiht. Er ist als period piece mitten in dieser Zeit, zugleich lässt er uns spüren, dass wir von heute aus auf sie schauen, statt in ihr zu versinken. Er entfaltet einen grandiosen Reigen der Blicke und Blickwechsel, indem die Kamera nicht wie ein scheinbar neutraler Erzähler registriert, was sich vor ihr abspielt; immer wieder sind es Blicke, die Carol und Therese aufeinanderrichten, Blicke, die aufgeladen sind mit Staunen, Begehren, Sehnsucht, Fassungslosigkeit. Haynes zeigt auch nicht einfach etwas; seine Art zu erzählen ist immer auch eine diskrete Reflexion über den Prozess des Sehens. Mal ist die Sicht getrübt, Fenster sind beschlagen, Scheiben verschmutzt, dann täuschen Spiegeleffekte beim Blick von außen nach innen und vice versa; Türrahmen, Möbelkanten, Vorsprünge verstellen den Blick und geben jeweils nur einen Teil des beobachteten Objekts oder der Person frei.
Und das Großartige an diesem Stilwillen, an dieser konzentrierten Inszenierung ist, dass die Temperatur der Gefühle überhaupt nicht beeinträchtigt wird. Welche Hitze und Glut hinter den schönen, blanken Oberflächen liegen, das wird schon bei der ersten Begegnung von Carol und Therese spürbar, als würde man Zeuge eines Blitzschlags. Wie eine Erscheinung betritt Cate Blanchett im langen Nerzmantel, mit perfekter gestylter Frisur und Make-up die Spielzeugabteilung eines Kaufhauses. Zwischen den gedeckten Farben des Interieurs ist das Korallenrot ihrer lackierten Fingernägel ein Warnsignal. Wie eine Schlafwandlerin bewegt sie sich an den Vitrinen vorbei, betätigt versehentlich den Mechanismus, der die elektrische Eisenbahn abschaltet, und wenn wir sie sehen, sehen wir sie schon mit den Augen der unscheinbaren Verkäuferin Therese, die zu allem Überfluss auch noch eine lächerliche Nikolausmütze tragen muss, wie das gesamte Personal.
Therese ist von diesem Anblick gebannt, geschockt, getroffen, sie agiert wie in Trance, während sie durch das Verkaufsgespräch mit der unnahbar und blasiert wirkenden Dame stolpert. Hier ist ohne ein Wort, ohne eine nennenswerte Tat etwas passiert, hinter das es kein Zurück mehr gibt. Und es ist nur die Frage, ob diese Reaktion eine wechselseitige ist oder asymmetrisch bleiben wird. Einen solchen Moment, eine solche kleine säkulare Epiphanie, glaubte man keiner zeitgenössischen Filmstory mehr, man würde sie eher belächeln - hier ist es einfach nur evident, weil Haynes diese raffinierte Balance zwischen Ferne und Nähe gelingt. Und zum Glück, das hat das Drehbuch von Phyllis Nagy hinzuerfunden, es steht nicht im Roman, vergisst Carol ihre Handschuhe im Kaufhaus.
So kommt die Geschichte in Bewegung, und ziemlich schnell wird klar, dass Carol dabei ist, sich von ihrem Langweiler-Versorger-Gatten Harge (Kyle Chandler) scheiden zu lassen; dass dieser mal verzweifelte, mal hilflose, mal aggressive Mann weiß, dass sie schon einmal eine Affäre hatte, mit Abby (Sarah Paulson), die als beste Freundin im gutbürgerlichen Vorstadtleben hat bleiben dürfen. Es ist anfangs nicht leicht zu ahnen, wie die scheue Therese und die kühle Carol zueinander finden sollen, da die Ältere sich fast ganz hinter der Maske der glamourösen, leicht gönnerhaften Dame verbirgt. Und gelegentlich fragt man sich auch schon mal, ob Todd Haynes nicht das Gefälle des Klassenunterschieds zwischen den beiden Frauen etwas zu leicht genommen hat.
Man geht jedoch darüber hinweg, weil man einfach gerne zusieht, wie sie umeinander werben, wie verhaltene Gesten ein wachsendes Begehren eindämmen; wie Therese Carol eine Schallplatte schenkt und Carol Therese, die Fotografin sein möchte, eine teure Kamera; wie Therese sich ihren begriffsstutzigen Verehrer Richard vom Leib hält und wie Carol um ihre Tochter kämpft, die ihr Mann und dessen Eltern von ihr fernhalten wollen. Man kann gar nicht oft genug dieser dunklen, sanften und doch leicht distanziert klingenden Stimme von Cate Blanchett zuhören, wenn sie zum Beispiel sagt: "What a strange girl you are. Flung out of space"; und dabei Rooney Mara ansehen, die der Älteren ja auch wie eine Außerirdische erscheinen muss, weil eine wie sie in Carols gesellschaftlichem Umfeld nicht vorkommt, allenfalls als Bedienstete, aber nicht als Geliebte.
Und auf einmal, mitten im Prozess ihrer Annäherung, wie ein Befreiungsschlag, verwandelt sich das Kammerspiel in ein Roadmovie. Die beiden gehen auf Reisen, in diesem fabelhaften grauen Packard von Carol - wenn man dann an "Thelma und Louise" denkt, an den türkisfarbenen Thunderbird, dann scheinen Frauen, die zu einem Abenteuer aufbrechen, mehr Geschmack bei der Wahl ihres Fahrzeugs zu entwickeln. Sie übernachten in Motels und Präsidentensuiten, sie schlafen zum ersten Mal miteinander, in einer fragilen Mischung aus Leidenschaft und Erschütterung, die beide erfasst, auch wenn Carol die aktivere, die tonangebende bleibt. Todd Haynes hat eine sehr souveräne, zärtliche Art, das zu zeigen, mit einer Selbstverständlichkeit, die lautlos, aber genau kalkuliert auf das Ambiente der Fünfziger prallt.
Natürlich bleiben die melodramatischen Verwicklungen nicht aus, schließlich befinden wir uns in jener Welt und Zeit, welche auch die Hollywood-Melodramen des von Haynes (wie auch schon von Fassbinder) bewunderten Douglas Sirk hervorgebracht hat. Sie waren die historische Ausdrucksform, von den Gefahren, den Hindernissen, den unerfüllten Sehnsüchten der Liebe zu sprechen. Haynes hat sich genau deshalb dieser Form bedient - aber nicht, ohne sie zu brechen, wobei ihm die Anlage von Highsmiths Roman sehr entgegenkommt.
Ein Detektiv hat den Liebenden in Harges Auftrag nachgespürt und sie vom Nachbarzimmer aus abgehört. Die Pistole, die Carol im Gepäck hat, kommt allerdings trotz der Wut und Empörung nicht zum Einsatz. Der Druck der Familie und der Kampf um die Tochter treiben Carol in eine Therapie. Und Therese, das traurige Mädchen, das den Männern desto besser gefällt, je weniger es sich für sie interessiert, bekommt den ersehnten Job als Fotografin bei der "New York Times".
Aber das ist, und darin lag auch das Bemerkenswerte von Patricia Highsmiths Roman, eben nicht alles, es geht nicht nur um die erwartbare Zerstörung einer verbotenen Liebe, die ohnmächtige Kapitulation vor Verhältnissen, die erstickend wirken, um Versagung, Einverständnis und Verdrängung. Es geht auch um Selbstermächtigung, um ein Stück Freiheit. Und da sind, wenn sie einander wiedersehen und Abstoßung und Anziehung einander zunächst die Waage halten, zwei Momente und zwei Blicke, von Therese auf Carol, von Carol auf Therese, die man gesehen, die man erlebt haben muss. Für solche Blicke geht man ins Kino, noch immer, denn sie schauen ja von dort oben auf der Leinwand niemand anderen an als uns.
PETER KÖRTE
Ab Donnerstag im Kino
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main