Als Ziehvater und Vordenker des späteren Kaisers Nero ist Seneca maßgeblich am Aufstieg des selbstgefälligen jungen Tyrannen beteiligt. Der Philosoph, bekannt für seine großen Reden über Verzicht und Milde, gehört selbst zu den reichsten Männern im alten Rom. Doch als eines Tages der Schüler seines Lehrers überdrüssig wird, befehligt Nero Seneca, sich selbst zu töten. Ist dieser bereit für einen ehrenhaften Freitod oder bleibt noch etwas Zeit für ein paar philosophische Ausschweifungen und spitzzüngige Lektionen?
Bonusmaterial
Hörfilmfassung für Sehbehinderte Making of Trailer WendecoverFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2023Der Einflüsterer der Dekadenz
Die Parallelen zwischen Gegenwart und römischer Antike, die der Film "Seneca" an seinem Antihelden entwickelt, waren dem Regisseur Robert Schwentke wohl wichtig - viel besser sind aber andere Eigenheiten des merkwürdigen Kinodramas.
Unter den Errungen- und Hinterlassenschaften des alten Roms ist die Alliteration nicht die geringste. Wer heute rhetorisch etwas auf sich hält, vom Fußballkommentator bis zum Büttenredner, wird die Laute ab und zu so in Paradeformation bringen, dass sich ein verführerischer Gleichklang einstellt. Zum Exempel: "Seneca was a Senator." Das sind die ersten Worte des Films "Seneca - Oder: Über die Geburt von Erdbeben" von Robert Schwentke. Man könnte auch sagen: Seneca war ein Vorderbänkler im römischen Senat, aber das wäre schon ein bisschen weitschweifig, es hätte nicht die Klarheit, die in der Gleichsetzung der beiden Begriffe mitschwingt.
Andererseits führt die identitätslogische Suggestion, die "Seneca was a Senator" transportiert, auch in eine falsche Richtung. Denn Seneca, die historische Persönlichkeit (1 vor bis 65 nach Christus) und die Filmfigur, waren und sind ja viel mehr als ein römischer Senator. Theaterdichter, Nobelhöfling, Redenschreiber, ein Lebenslehrer ("life coach"), der den Stoizismus auf Vordermann brachte. Robert Schwentke hat Seneca nun wohl ein für alle Mal das Gesicht des amerikanischen Schauspielers John Malkovich übergestülpt, der den antiken Antihelden in eine Gegenwart holt, für die man ein weiteres Modewort aus dem Imperium Romanum bemühen muss: Dekadenz. Die Vergegenwärtigung war wohl die Idee, die Robert Schwentke überhaupt dazu brachte, einen Film über diese historische Gestalt zu machen. Im deutschen und im internationalen Kino ist Schwentke ein origineller Außenseiter, er hat schon mit Jodie Foster gearbeitet (bei "Flightplan", 2005), kommerzielle Actionfilme sind ein wichtiger Teil seines Portfolios. Er macht aber zwischendurch eigenwillige Autorenfilme, zum Beispiel 2017 "Der Hauptmann", in dem er eine Sicht auf den Zweiten Weltkrieg erkennen ließ, die Kunst und Moral sehr produktiv in Widersprüche verwickelte.
"Seneca - Or: On the Creation of Earthquakes" ist nun sein "pièce de résistance", ein Film, der quer zu allem liegt und steht, was heute das Kino ausmacht. Ein höchst rhetorischer Film auf allen Ebenen. Die Sache mit den Sprachen ist dabei schon einmal grundlegend: Seneca sprach Latein, bei Schwentke spricht er Englisch, wegen Malkovich, aber auch deswegen, weil das Englische quasi die Nachfolge des Lateinischen angetreten hat, nicht nur in seiner pragmatischen Funktion als Weltsprache, sondern auch in seiner hyperbolischen Funktion als Spektakelinstrument für einen hohen Ton, neben dem selbst ein Evelyn Waugh ("Helena"!) sich wie ein Gassenplauderer anhört. "You fancy yourself a Socrates", heißt es einmal über Seneca, du hältst dich wohl für einen neuen Sokrates, aber dieses Wort "fancy" ist schon wieder ein kleiner Kosmos in sich. Und, ja, das ist Schwentkes "Seneca" eben auch: ein "fancy", eine Schrulle, eine Einbildung, eine Heraufbeschwörung.
Gedreht wurde in Marokko, in einer Landschaft, die nach Pasolini und "Star Wars" zugleich aussieht, aber auch nach den "Tausendundein Nächten" des synkretistischen Europäers Miguel Gomes. Rom ist immer allen alles, bei Schwentke auch so etwas wie eine Chiffre für eine entfesselt infantilisierte Macht, wie sie sich in einem amerikanischen Präsidenten kürzlich verkörperte. Die Figur des Einflüsterers ist aber so alt wie die Erinnerung der Menschheit an Potentaten und Peiniger. Schwentke geht mit seiner politischen Allegorik ein wenig hausieren, eines der letzten Worte in seinem Film ist "civilization", zu sehen ist in diesem Moment eine Müllkippe.
Man muss deswegen aber nicht gleich denken, es wäre der Stoizismus gewesen, der uns in diese unwirtliche Lage gebracht hat. Zweifellos will "Seneca" ernst genommen werden, vermutlich sogar auf eine Weise, die dem Film nicht guttun würde.
Dann müsste man wahrscheinlich in Biographien nachschlagen, was Schwentke sich so angelesen hat, und bei diversen Gegenwartszeichen die Stirn runzeln vor Besorgnis darüber, dass die Welt jetzt schon seit bald zweitausend Jahren untergeht: Rom "fiel" nicht, sondern "it slipped away", sagt Schwentkes Erzähler, es entglitt (sich? uns?). "Seneca" wird in die Filmgeschichte eingehen nicht als Menetekel, sondern als eine der besten Übungen in hohem Camp, die es seit Alejandro Jodorowsky oder Werner Herzog gab. Man muss nur einmal den Blick über die Riege der aus Deutschland an den steinigen Set gebrachten Schauspieler werfen: Louis Hofmann, Alexander Fehling, Samuel Finzi, Lilith Stangenberg, in Togen oder mit Kostümwurstfingern, eine seltsame, versprengte Gruppe inmitten von internationalen Gaststars (Geraldine Chaplin, Julian Sands).
Solche Gemengelagen brachte zuletzt Tinto Brass bei seinem pornographischen "Caligula" (1979) zustande. Ausschweifend ist diesmal nur das Gerede von Seneca, wie John Malkovich es in eine Energiequelle sui generis verwandelt. Der Mann tut sich schwer mit dem Sterben, weil damit Schweigen einhergeht. Ist es wirklich so, dass "we, of all generations", dass also ausgerechnet wir (zuerst einmal das deutsche Kinopublikum, das hier offensichtlich als Mischung aus Bildungsbürgertum und Radikalschabernackisten gedacht wird) lernen müssen, mit "Seneca" "den Tod und die Korruption zu lieben"? Nein, zu lieben ist hier eine Macht eines Kinos, das sich noch einmal so richtig an den Mythos ranschmeißt, als die höchste popkulturelle Form diesseits der großen Wörter, die Robert Schwentke so grandios in die Wüste schickt. BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Parallelen zwischen Gegenwart und römischer Antike, die der Film "Seneca" an seinem Antihelden entwickelt, waren dem Regisseur Robert Schwentke wohl wichtig - viel besser sind aber andere Eigenheiten des merkwürdigen Kinodramas.
Unter den Errungen- und Hinterlassenschaften des alten Roms ist die Alliteration nicht die geringste. Wer heute rhetorisch etwas auf sich hält, vom Fußballkommentator bis zum Büttenredner, wird die Laute ab und zu so in Paradeformation bringen, dass sich ein verführerischer Gleichklang einstellt. Zum Exempel: "Seneca was a Senator." Das sind die ersten Worte des Films "Seneca - Oder: Über die Geburt von Erdbeben" von Robert Schwentke. Man könnte auch sagen: Seneca war ein Vorderbänkler im römischen Senat, aber das wäre schon ein bisschen weitschweifig, es hätte nicht die Klarheit, die in der Gleichsetzung der beiden Begriffe mitschwingt.
Andererseits führt die identitätslogische Suggestion, die "Seneca was a Senator" transportiert, auch in eine falsche Richtung. Denn Seneca, die historische Persönlichkeit (1 vor bis 65 nach Christus) und die Filmfigur, waren und sind ja viel mehr als ein römischer Senator. Theaterdichter, Nobelhöfling, Redenschreiber, ein Lebenslehrer ("life coach"), der den Stoizismus auf Vordermann brachte. Robert Schwentke hat Seneca nun wohl ein für alle Mal das Gesicht des amerikanischen Schauspielers John Malkovich übergestülpt, der den antiken Antihelden in eine Gegenwart holt, für die man ein weiteres Modewort aus dem Imperium Romanum bemühen muss: Dekadenz. Die Vergegenwärtigung war wohl die Idee, die Robert Schwentke überhaupt dazu brachte, einen Film über diese historische Gestalt zu machen. Im deutschen und im internationalen Kino ist Schwentke ein origineller Außenseiter, er hat schon mit Jodie Foster gearbeitet (bei "Flightplan", 2005), kommerzielle Actionfilme sind ein wichtiger Teil seines Portfolios. Er macht aber zwischendurch eigenwillige Autorenfilme, zum Beispiel 2017 "Der Hauptmann", in dem er eine Sicht auf den Zweiten Weltkrieg erkennen ließ, die Kunst und Moral sehr produktiv in Widersprüche verwickelte.
"Seneca - Or: On the Creation of Earthquakes" ist nun sein "pièce de résistance", ein Film, der quer zu allem liegt und steht, was heute das Kino ausmacht. Ein höchst rhetorischer Film auf allen Ebenen. Die Sache mit den Sprachen ist dabei schon einmal grundlegend: Seneca sprach Latein, bei Schwentke spricht er Englisch, wegen Malkovich, aber auch deswegen, weil das Englische quasi die Nachfolge des Lateinischen angetreten hat, nicht nur in seiner pragmatischen Funktion als Weltsprache, sondern auch in seiner hyperbolischen Funktion als Spektakelinstrument für einen hohen Ton, neben dem selbst ein Evelyn Waugh ("Helena"!) sich wie ein Gassenplauderer anhört. "You fancy yourself a Socrates", heißt es einmal über Seneca, du hältst dich wohl für einen neuen Sokrates, aber dieses Wort "fancy" ist schon wieder ein kleiner Kosmos in sich. Und, ja, das ist Schwentkes "Seneca" eben auch: ein "fancy", eine Schrulle, eine Einbildung, eine Heraufbeschwörung.
Gedreht wurde in Marokko, in einer Landschaft, die nach Pasolini und "Star Wars" zugleich aussieht, aber auch nach den "Tausendundein Nächten" des synkretistischen Europäers Miguel Gomes. Rom ist immer allen alles, bei Schwentke auch so etwas wie eine Chiffre für eine entfesselt infantilisierte Macht, wie sie sich in einem amerikanischen Präsidenten kürzlich verkörperte. Die Figur des Einflüsterers ist aber so alt wie die Erinnerung der Menschheit an Potentaten und Peiniger. Schwentke geht mit seiner politischen Allegorik ein wenig hausieren, eines der letzten Worte in seinem Film ist "civilization", zu sehen ist in diesem Moment eine Müllkippe.
Man muss deswegen aber nicht gleich denken, es wäre der Stoizismus gewesen, der uns in diese unwirtliche Lage gebracht hat. Zweifellos will "Seneca" ernst genommen werden, vermutlich sogar auf eine Weise, die dem Film nicht guttun würde.
Dann müsste man wahrscheinlich in Biographien nachschlagen, was Schwentke sich so angelesen hat, und bei diversen Gegenwartszeichen die Stirn runzeln vor Besorgnis darüber, dass die Welt jetzt schon seit bald zweitausend Jahren untergeht: Rom "fiel" nicht, sondern "it slipped away", sagt Schwentkes Erzähler, es entglitt (sich? uns?). "Seneca" wird in die Filmgeschichte eingehen nicht als Menetekel, sondern als eine der besten Übungen in hohem Camp, die es seit Alejandro Jodorowsky oder Werner Herzog gab. Man muss nur einmal den Blick über die Riege der aus Deutschland an den steinigen Set gebrachten Schauspieler werfen: Louis Hofmann, Alexander Fehling, Samuel Finzi, Lilith Stangenberg, in Togen oder mit Kostümwurstfingern, eine seltsame, versprengte Gruppe inmitten von internationalen Gaststars (Geraldine Chaplin, Julian Sands).
Solche Gemengelagen brachte zuletzt Tinto Brass bei seinem pornographischen "Caligula" (1979) zustande. Ausschweifend ist diesmal nur das Gerede von Seneca, wie John Malkovich es in eine Energiequelle sui generis verwandelt. Der Mann tut sich schwer mit dem Sterben, weil damit Schweigen einhergeht. Ist es wirklich so, dass "we, of all generations", dass also ausgerechnet wir (zuerst einmal das deutsche Kinopublikum, das hier offensichtlich als Mischung aus Bildungsbürgertum und Radikalschabernackisten gedacht wird) lernen müssen, mit "Seneca" "den Tod und die Korruption zu lieben"? Nein, zu lieben ist hier eine Macht eines Kinos, das sich noch einmal so richtig an den Mythos ranschmeißt, als die höchste popkulturelle Form diesseits der großen Wörter, die Robert Schwentke so grandios in die Wüste schickt. BERT REBHANDL
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