1995 - Oscar:
Bestes Drehbuch nach einer Vorlage
England um 1800. Die Dashwoods sind eine reiche, angesehene Familie. Als das Familienoberhaupt stirbt, vererbt er den gesamten Besitz an seinen Sohn John. Seine zweite Frau und die gemeinsamen Töchter Elinor, Marianne und Margaret müssen sich mit einer mageren jährlichen Pension begnügen. Obendrein haben Elinor und Marianne auch noch Pech in der Liebe. Nach kurzem Glück verlieren sie die Auserwählten ihres Herzens an andere Frauen - zumindest scheint es so. In der Krise finden die beiden Kraft für einen neuen Anfang.
Bestes Drehbuch nach einer Vorlage
England um 1800. Die Dashwoods sind eine reiche, angesehene Familie. Als das Familienoberhaupt stirbt, vererbt er den gesamten Besitz an seinen Sohn John. Seine zweite Frau und die gemeinsamen Töchter Elinor, Marianne und Margaret müssen sich mit einer mageren jährlichen Pension begnügen. Obendrein haben Elinor und Marianne auch noch Pech in der Liebe. Nach kurzem Glück verlieren sie die Auserwählten ihres Herzens an andere Frauen - zumindest scheint es so. In der Krise finden die beiden Kraft für einen neuen Anfang.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Trailer von anderen Filmen - Kapitel- / Szenenanwahl - Filmkommentare: Regisseur / Produzent / Co-Produzent / Emma Thompson - Entfallene Szenen - Interview: Emma Thompson (Golden Globe Verleihung)Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.1996Liebe auf den zweiten Blick
"Sense and Sensibility": Ang Lees Film nach Jane Austen eröffnet heute die Berlinale
Nie war eine alte Jungfer so begehrt wie Jane Austen in dieser Saison. Die BBC machte eine Serie aus "Stolz und Vorurteil", und Englands emanzipierte Töchter erlagen wie ihre Ahnin Elizabeth Bennet dem arroganten Charme von Mr. Darcy. Amy Heckerling schickte die jugendliche Kupplerin Emma Woodhouse, schön, schlau und reich, in "Clueless - Was sonst" auf eine kalifornische Highschool, versetzte sie in die Spätphase jenes Kapitalismus, dessen Frühform die soziologische Basis für die Psychologie des Egoismus in "Emma" bildet. Roger Michell überzeugte mit "Überredung" die amerikanischen Filmkritiker. Und Ang Lee sammelt für "Sinn und Sinnlichkeit" Auszeichnungen und Nominierungen wie ein schmucker Seeoffizier Medaillen. Emma Thompson spielt nicht nur eine Hauptrolle, sondern hat auch das Drehbuch für diesen Film geschrieben, der heute abend den Reigen der Berlinale eröffnet: Gespannt erwartet der Hof die Debütantin.
Keine Mode ohne Muffel. Wer vom modernen Kino zerstückelte Leichen und zerhackte Drehbücher fordert, verachtet den Kostümfilm mit gutem Ausgang. Jane Austens Figuren sind keine natural born killers, aber geborene Intriganten und Spekulanten, Philister und Phantasten. Die kleine Welt ihrer Landsitze ist unwirtlicher als die große Stadt. Nicht nur im Inhaltlichen, auch im Formalen kann von gefälligen Strickmustern nicht die Rede sein. Es liegt etwas Aberwitziges in dem Unternehmen, Austens Elfenbeinmalerei auf die breite Leinwand zu übertragen. Die kluge Haushälterin beherrschte die Kunst der Auslassung. Der Film ist ein Verschwender; er muß alles zeigen.
Der visuelle Sinn, für den man Jane Austen gelobt hat, ist ein intellektuelles Vermögen, das ohne sinnliche Anschauung auskommt. Die Autorin spielt mit den Perspektiven der Figuren, ihren konkurrierenden Wahrnehmungen, die in der Realität nie die Korrektur, nur die Bestätigung suchen. Der Leser wird in dieses Spiegelkabinett hineingezogen; er verliert sein Erbrecht des privilegierten Standpunkts. Austens Engländer sind ein pragmatisches, zupackendes, weltbeherrschendes Geschlecht; zwei ihrer Brüder wurden Admiräle. Aber auf die Beschreibung der Außenwelt verzichtet sie; sie charakterisiert ihre Figuren durch den Dialog.
Bisweilen meint man ein Drehbuch zu lesen. Doch es ist ein Drehbuch, das die wichtigsten Szenen ausläßt. Regelmäßig sieht die Protokollantin davon ab, Liebesschwüre und Heiratsanträge im Wortlaut festzuhalten. Das Privateste bleibt dem Publikum verborgen. Diesen Takt scheint der romantische Glaube zu leiten, daß das Individuelle unaussprechlich ist. Doch vielleicht darf man hier eher die unsentimentale Anthropologie der ledigen Tante erkennen, die aus naher Beobachtung weiß, daß wir uns am konventionellsten ausdrücken, wenn wir das Persönlichste zu sagen haben. Um Emma Thompsons Leistung als Drehbuchautorin zu beurteilen, sollte man sich vor Augen halten, daß sie nicht nur Szenen weglassen, sondern auch Szenen hinzuschreiben mußte.
"Sense and Sensibility" erschien 1811, der erste Roman, den Jane Austen veröffentlichen konnte. Er erzählt von zwei Schwestern, die von ihrem Stiefbruder aus dem Haus des Vaters verwiesen werden und nach vielen Wirrungen Ehemänner und damit neue Häuser gewinnen. Ellinor, die ältere, spart ihr Herz für Edward Ferrars, den spröden Bruder ihrer Schwägerin; eine vernünftige Investition, die allerdings zunächst keine Zinsen abwirft, da Edward sich in jugendlicher Unvernunft an Lucy Steel, die Nichte seines Lehrers, gebunden hat. Marianne, die jüngere, schenkt ihr Herz dem feschen Willoughby, dem Retter, der sie auf Händen getragen hat, als sie beim Lustwandeln in der freien Natur gestürzt war. Sie fragt nach keiner Gegenleistung und setzt sie doch voraus. Die Liebende glaubt, daß der Geliebte mit den Gefühlen so verschwenderisch ist wie sie. Aber Willoughby macht eine gute Partie und blamiert Marianne vor den Augen der Londoner Gesellschaft.
Ellinor kann Edward erst heiraten, als Lucy Edwards Bruder Robert vorzieht. Edward und Lucy beweisen beide den Segen der zweiten Wahl, den Sieg des Verstands, der zweimal nachdenkt; über das Gefühl, das ein für allemal sicher ist. Auch Marianne lernt, ihre Zuneigung auf ein würdigeres Objekt zu übertragen: Sie heiratet den melancholischen Colonel Brandon, der seinerseits bei ihr das Glück findet, das ihm bei einer früheren Verbindung verwehrt war. Der Roman operiert mit Oppositionen und Parallelismen; niemand tritt alleine auf, jeder hat einen Doppelgänger. Die Interpreten streiten sich, wie schematisch der Gegensatz des Titels zu verstehen ist. Ist die Moral der Geschichte so schlicht, daß jede leidenschaftliche Marianne dieser Welt sich zu einer rationalen Ellinor läutern soll? Oder verweisen die Spiegelverhältnisse der Handlung auf jene dialektische Beziehung der Titelbegriffe, die die Etymologie nahelegt? Sinn und Sinnlichkeit setzen einander wechselseitig voraus.
Emma Thompson streicht einige Nebenfiguren und zerstört einige Paare. Aber sie zeigt, daß sie die dualistische Logik verstanden hat, indem sie eine Rettung Mariannes durch Brandon erfindet, die die Rettung durch Willoughby genau wiederholt. Noch einmal ruht die entkräftete Marianne in den Armen des starken Mannes. Paradoxerweise bedeutet die Verdoppelung dieser Szene eine Stärkung Mariannes gegenüber dem Buch: Die Sinnlichkeit, die sie der Evidenz des schützenden Griffs vertrauen ließ, hat sie nicht einfach getrogen. Viele Kritiker haben im Roman eine Diskrepanz entdeckt zwischen der Sympathie für die leidende Marianne und der Verurteilung der Leidenschaft. Der Film bringt nun Sinn und Sinnlichkeit in ein Gleichgewicht, das der taiwanesische Regisseur mit asiatischen Weisheitslehren rechtfertigt. Nicht nur Ellinor belehrt Marianne, auch Marianne erzieht Ellinor.
Marylin Butler hat Austens Romane als Betrachtungen über die Revolution in Frankreich gelesen: Mit den konservativen Sitten verteidigte sie die traditionelle Sozialordnung; die jakobinische Drohung war die Emanzipation der Sinnlichkeit. Thompson und Lee plazieren Austen dagegen an der Seite jener Feministinnen, die für ein Wahlrecht der Frau in Liebesdingen plädierten, in dem Vernunft und Gefühl zusammenkommen sollten. Austen wird für einen Radikalismus reklamiert, der die konventionelle Moral unserer Tage geworden ist.
Im übrigen darf man den Geschmack der Ergänzungen loben. Was Willoughby bei seinem ersten Besuch bei Marianne nach der Retttung sagte, hat Austen nicht überliefert. Thompson läßt sie sich darüber wundern, daß er ihren Namen herausgefunden hat, und ihn erklären, die Nachbarschaft wimmle von seinen Spionen. Der Spion ist ein Motiv jener Schauerliteratur, die Austen etwa in "Northanger Abbey" ironisiert. Willoughby macht sich mit Marianne über jene romantischen Täuschungen lustig, denen Marianne gerade erliegt. So verbirgt er, daß er wie ein Geheimagent tatsächlich Hinterabsichten verfolgt. In soziologischer Betrachtung aber wimmelt die Nachbarschaft wirklich von Spionen.
Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, daß ein unverheiratetes Mädchen ohne Vermögen auf der Suche nach einem Mann sein muß. Alle Mütter und Männer ihrer Umgebung wollen ihre Absichten herausfinden. Immer wieder spricht Austen gerade in diesem Roman von der Augen ihrer Figuren; sie leben in einer tyrannischen Gesellschaft, in der sie permanenter Beobachtung ausgesetzt sind. Mit großer Sorgfalt hat Lee diese Dramaturgie der Blicke umgesetzt, namentlich bei dem Londoner Ball, auf dem es zu der fatalen Begegnung zwischen Marianne und Willoughby kommt.
Die Äußerlichkeit der sozialen Konventionen zeigt sich bei Jane Austen in den Stereotypen der Konversation. Da Worte konventionell sind, muß das Neue mit Augen und Gesten gesagt werden. Neben dem taxierenden Blick des Verführers oder der Konkurrentin gibt es den bewundernden Blick des Liebenden. Lee stellt die Liebenden gerne in Türrahmen, schneidet das Blickfeld aus, aus dem sich eine Figur heraushebt. Der Liebende betrachtet die Geliebte, wenn sie sich unbeobachtet glaubt, ein Spion, der keine Nebenabsicht verfolgt, weil seine Absicht ihm ins Gesicht geschrieben steht. In der Liebe auf den zweiten Blick sind Wahrnehmung und Erkenntnis eins. Den beiden Männern, mit denen die Schwestern am Ende glücklich werden sollen, fällt es schwer, sich sprachlich zu artikulieren: Edward Ferrers ist schüchtern, Colonel Brandon ist schweigsam. Generationen von Leserinnen haben die Gattinnen dieser Langweiler bedauert. Den Zauber der Sprachlosigkeit, den das sprachliche Kunstwerk nur beschwört, kann der Film wirksam machen.
Hugh Grant als Edward überrascht, indem er sich nicht in den Mittelpukt spielt. Vor allem aber gibt Alan Rickman Colonel Brandon düstere Größe. Willoughby (Greg Wise) ist dagegen ein Geck. Hier schlägt es dem Film wiederum zum Nachteil aus, daß er das Gesicht zeigen muß, das der Leser sich ausmalt, der Mariannes Ideal nicht an der Realität überprüfen kann. Die schauspielerischen Leistungen sind durchweg herausragend, vor allem bei den Nebenfiguren, die Karikaturen sind und doch nie als solche wirken dürfen. Robert Hardy und Elizabeth Spriggs sind umwerfend komisch als Sir John Middleton und Mrs. Jennings, Schwiegersohn und Schwiegermutter, deren Lebenssinn die Vermählung aller Unvermählten ist. Man glaubt Kate Winslets Marianne, daß sie Vernunft und Gefühl vermählen kann. Und Emma Thompson nimmt als Schauspielerin den Überschwang zurück, dem sie sich als Drehbuchautorin in seltenen Momenten hingibt. So zähmt zum glücklichen Ende also doch der Sinn die Sinnlichkeit. PATRICK BAHNERS
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"Sense and Sensibility": Ang Lees Film nach Jane Austen eröffnet heute die Berlinale
Nie war eine alte Jungfer so begehrt wie Jane Austen in dieser Saison. Die BBC machte eine Serie aus "Stolz und Vorurteil", und Englands emanzipierte Töchter erlagen wie ihre Ahnin Elizabeth Bennet dem arroganten Charme von Mr. Darcy. Amy Heckerling schickte die jugendliche Kupplerin Emma Woodhouse, schön, schlau und reich, in "Clueless - Was sonst" auf eine kalifornische Highschool, versetzte sie in die Spätphase jenes Kapitalismus, dessen Frühform die soziologische Basis für die Psychologie des Egoismus in "Emma" bildet. Roger Michell überzeugte mit "Überredung" die amerikanischen Filmkritiker. Und Ang Lee sammelt für "Sinn und Sinnlichkeit" Auszeichnungen und Nominierungen wie ein schmucker Seeoffizier Medaillen. Emma Thompson spielt nicht nur eine Hauptrolle, sondern hat auch das Drehbuch für diesen Film geschrieben, der heute abend den Reigen der Berlinale eröffnet: Gespannt erwartet der Hof die Debütantin.
Keine Mode ohne Muffel. Wer vom modernen Kino zerstückelte Leichen und zerhackte Drehbücher fordert, verachtet den Kostümfilm mit gutem Ausgang. Jane Austens Figuren sind keine natural born killers, aber geborene Intriganten und Spekulanten, Philister und Phantasten. Die kleine Welt ihrer Landsitze ist unwirtlicher als die große Stadt. Nicht nur im Inhaltlichen, auch im Formalen kann von gefälligen Strickmustern nicht die Rede sein. Es liegt etwas Aberwitziges in dem Unternehmen, Austens Elfenbeinmalerei auf die breite Leinwand zu übertragen. Die kluge Haushälterin beherrschte die Kunst der Auslassung. Der Film ist ein Verschwender; er muß alles zeigen.
Der visuelle Sinn, für den man Jane Austen gelobt hat, ist ein intellektuelles Vermögen, das ohne sinnliche Anschauung auskommt. Die Autorin spielt mit den Perspektiven der Figuren, ihren konkurrierenden Wahrnehmungen, die in der Realität nie die Korrektur, nur die Bestätigung suchen. Der Leser wird in dieses Spiegelkabinett hineingezogen; er verliert sein Erbrecht des privilegierten Standpunkts. Austens Engländer sind ein pragmatisches, zupackendes, weltbeherrschendes Geschlecht; zwei ihrer Brüder wurden Admiräle. Aber auf die Beschreibung der Außenwelt verzichtet sie; sie charakterisiert ihre Figuren durch den Dialog.
Bisweilen meint man ein Drehbuch zu lesen. Doch es ist ein Drehbuch, das die wichtigsten Szenen ausläßt. Regelmäßig sieht die Protokollantin davon ab, Liebesschwüre und Heiratsanträge im Wortlaut festzuhalten. Das Privateste bleibt dem Publikum verborgen. Diesen Takt scheint der romantische Glaube zu leiten, daß das Individuelle unaussprechlich ist. Doch vielleicht darf man hier eher die unsentimentale Anthropologie der ledigen Tante erkennen, die aus naher Beobachtung weiß, daß wir uns am konventionellsten ausdrücken, wenn wir das Persönlichste zu sagen haben. Um Emma Thompsons Leistung als Drehbuchautorin zu beurteilen, sollte man sich vor Augen halten, daß sie nicht nur Szenen weglassen, sondern auch Szenen hinzuschreiben mußte.
"Sense and Sensibility" erschien 1811, der erste Roman, den Jane Austen veröffentlichen konnte. Er erzählt von zwei Schwestern, die von ihrem Stiefbruder aus dem Haus des Vaters verwiesen werden und nach vielen Wirrungen Ehemänner und damit neue Häuser gewinnen. Ellinor, die ältere, spart ihr Herz für Edward Ferrars, den spröden Bruder ihrer Schwägerin; eine vernünftige Investition, die allerdings zunächst keine Zinsen abwirft, da Edward sich in jugendlicher Unvernunft an Lucy Steel, die Nichte seines Lehrers, gebunden hat. Marianne, die jüngere, schenkt ihr Herz dem feschen Willoughby, dem Retter, der sie auf Händen getragen hat, als sie beim Lustwandeln in der freien Natur gestürzt war. Sie fragt nach keiner Gegenleistung und setzt sie doch voraus. Die Liebende glaubt, daß der Geliebte mit den Gefühlen so verschwenderisch ist wie sie. Aber Willoughby macht eine gute Partie und blamiert Marianne vor den Augen der Londoner Gesellschaft.
Ellinor kann Edward erst heiraten, als Lucy Edwards Bruder Robert vorzieht. Edward und Lucy beweisen beide den Segen der zweiten Wahl, den Sieg des Verstands, der zweimal nachdenkt; über das Gefühl, das ein für allemal sicher ist. Auch Marianne lernt, ihre Zuneigung auf ein würdigeres Objekt zu übertragen: Sie heiratet den melancholischen Colonel Brandon, der seinerseits bei ihr das Glück findet, das ihm bei einer früheren Verbindung verwehrt war. Der Roman operiert mit Oppositionen und Parallelismen; niemand tritt alleine auf, jeder hat einen Doppelgänger. Die Interpreten streiten sich, wie schematisch der Gegensatz des Titels zu verstehen ist. Ist die Moral der Geschichte so schlicht, daß jede leidenschaftliche Marianne dieser Welt sich zu einer rationalen Ellinor läutern soll? Oder verweisen die Spiegelverhältnisse der Handlung auf jene dialektische Beziehung der Titelbegriffe, die die Etymologie nahelegt? Sinn und Sinnlichkeit setzen einander wechselseitig voraus.
Emma Thompson streicht einige Nebenfiguren und zerstört einige Paare. Aber sie zeigt, daß sie die dualistische Logik verstanden hat, indem sie eine Rettung Mariannes durch Brandon erfindet, die die Rettung durch Willoughby genau wiederholt. Noch einmal ruht die entkräftete Marianne in den Armen des starken Mannes. Paradoxerweise bedeutet die Verdoppelung dieser Szene eine Stärkung Mariannes gegenüber dem Buch: Die Sinnlichkeit, die sie der Evidenz des schützenden Griffs vertrauen ließ, hat sie nicht einfach getrogen. Viele Kritiker haben im Roman eine Diskrepanz entdeckt zwischen der Sympathie für die leidende Marianne und der Verurteilung der Leidenschaft. Der Film bringt nun Sinn und Sinnlichkeit in ein Gleichgewicht, das der taiwanesische Regisseur mit asiatischen Weisheitslehren rechtfertigt. Nicht nur Ellinor belehrt Marianne, auch Marianne erzieht Ellinor.
Marylin Butler hat Austens Romane als Betrachtungen über die Revolution in Frankreich gelesen: Mit den konservativen Sitten verteidigte sie die traditionelle Sozialordnung; die jakobinische Drohung war die Emanzipation der Sinnlichkeit. Thompson und Lee plazieren Austen dagegen an der Seite jener Feministinnen, die für ein Wahlrecht der Frau in Liebesdingen plädierten, in dem Vernunft und Gefühl zusammenkommen sollten. Austen wird für einen Radikalismus reklamiert, der die konventionelle Moral unserer Tage geworden ist.
Im übrigen darf man den Geschmack der Ergänzungen loben. Was Willoughby bei seinem ersten Besuch bei Marianne nach der Retttung sagte, hat Austen nicht überliefert. Thompson läßt sie sich darüber wundern, daß er ihren Namen herausgefunden hat, und ihn erklären, die Nachbarschaft wimmle von seinen Spionen. Der Spion ist ein Motiv jener Schauerliteratur, die Austen etwa in "Northanger Abbey" ironisiert. Willoughby macht sich mit Marianne über jene romantischen Täuschungen lustig, denen Marianne gerade erliegt. So verbirgt er, daß er wie ein Geheimagent tatsächlich Hinterabsichten verfolgt. In soziologischer Betrachtung aber wimmelt die Nachbarschaft wirklich von Spionen.
Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, daß ein unverheiratetes Mädchen ohne Vermögen auf der Suche nach einem Mann sein muß. Alle Mütter und Männer ihrer Umgebung wollen ihre Absichten herausfinden. Immer wieder spricht Austen gerade in diesem Roman von der Augen ihrer Figuren; sie leben in einer tyrannischen Gesellschaft, in der sie permanenter Beobachtung ausgesetzt sind. Mit großer Sorgfalt hat Lee diese Dramaturgie der Blicke umgesetzt, namentlich bei dem Londoner Ball, auf dem es zu der fatalen Begegnung zwischen Marianne und Willoughby kommt.
Die Äußerlichkeit der sozialen Konventionen zeigt sich bei Jane Austen in den Stereotypen der Konversation. Da Worte konventionell sind, muß das Neue mit Augen und Gesten gesagt werden. Neben dem taxierenden Blick des Verführers oder der Konkurrentin gibt es den bewundernden Blick des Liebenden. Lee stellt die Liebenden gerne in Türrahmen, schneidet das Blickfeld aus, aus dem sich eine Figur heraushebt. Der Liebende betrachtet die Geliebte, wenn sie sich unbeobachtet glaubt, ein Spion, der keine Nebenabsicht verfolgt, weil seine Absicht ihm ins Gesicht geschrieben steht. In der Liebe auf den zweiten Blick sind Wahrnehmung und Erkenntnis eins. Den beiden Männern, mit denen die Schwestern am Ende glücklich werden sollen, fällt es schwer, sich sprachlich zu artikulieren: Edward Ferrers ist schüchtern, Colonel Brandon ist schweigsam. Generationen von Leserinnen haben die Gattinnen dieser Langweiler bedauert. Den Zauber der Sprachlosigkeit, den das sprachliche Kunstwerk nur beschwört, kann der Film wirksam machen.
Hugh Grant als Edward überrascht, indem er sich nicht in den Mittelpukt spielt. Vor allem aber gibt Alan Rickman Colonel Brandon düstere Größe. Willoughby (Greg Wise) ist dagegen ein Geck. Hier schlägt es dem Film wiederum zum Nachteil aus, daß er das Gesicht zeigen muß, das der Leser sich ausmalt, der Mariannes Ideal nicht an der Realität überprüfen kann. Die schauspielerischen Leistungen sind durchweg herausragend, vor allem bei den Nebenfiguren, die Karikaturen sind und doch nie als solche wirken dürfen. Robert Hardy und Elizabeth Spriggs sind umwerfend komisch als Sir John Middleton und Mrs. Jennings, Schwiegersohn und Schwiegermutter, deren Lebenssinn die Vermählung aller Unvermählten ist. Man glaubt Kate Winslets Marianne, daß sie Vernunft und Gefühl vermählen kann. Und Emma Thompson nimmt als Schauspielerin den Überschwang zurück, dem sie sich als Drehbuchautorin in seltenen Momenten hingibt. So zähmt zum glücklichen Ende also doch der Sinn die Sinnlichkeit. PATRICK BAHNERS
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