Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2010Was bleibt, wenn die Tragödie vorbei ist
Der Film "Still Walking" von Hirokazu Kore-eda schaut einer Familie beim Essen, Reden und Leben zu
Mutter und Tochter kochen, was das Zeug hält. Erst ist das Gemüse dran: Rettiche, Karotten, Kohl werden geschält, geschabt, zerkleinert, abgebrüht, geröstet, frittiert. Dann kommt das Fleisch, das glucksend vor sich hin köchelt, und der Aal. Mais wird gepult und zu Küchlein geformt, eine Spezialität des Hauses. Nur das Sushi wird nicht selbst gemacht, sondern vom Restaurant gebracht. Und all das, weil der erwachsene Sohn mit seiner neuen Frau und ihrem Kind zu Besuch kommt. Der Vater schlurft, während die Vorbereitungen laufen, schlechtgelaunt durchs Haus und mäkelt. Weniger am Essen als an dem Sohn, der gerade angekommen ist.
Das Drama in dieser Familie ist längst geschehen. Der älteste Sohn ist ertrunken - wie das passierte, erfahren wir nicht. Was der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda uns in "Still Walking" zeigt, ist das, was bleibt, wenn die Tragödie vorbei ist - Erinnerung und Bedauern, Zorn, Vergessen, Sehnsucht und Verlorenheit.
Es ist eine einfache Familie. Einfach insofern, als ihre Mitglieder einander trotz zahlreicher Kränkungen nicht verlassen und den Kontakt nicht abgebrochen haben, sondern die Verbindung zueinander akzeptieren, auch wenn sie die nicht unbedingt immer spüren; und auch wenn sie sich voneinander entfernt haben und einander fremd werden. Sie sind eben Familie, eine japanische zumal, nicht freiwillig verbunden, aber unhinterfragbar. Und dazu gehört, dass bei Tisch zwischen den Lobesworten für die Köchinnen und den Preisungen des Mais-Tempuras ungeheuerliche Sätze fallen - etwa darüber, wie schlecht es ist, sich mit Witwen einzulassen, obwohl die neue Frau des Sohns, die er gerade erstmals mit nach Hause gebracht hat, verwitwet ist -, bevor das Alltagsgequassel wieder losgeht. Später, wenn die Zeit für das abendliche Bad gekommen ist, gibt die Mutter ihrem mürrischen Mann ebenso beiläufig, wie sie beide bei Tisch taktlos waren, zu verstehen, dass sie sehr wohl über seine Affäre vor vielen Jahren Bescheid weiß - bevor sie ihm dann ein warmes Handtuch reicht und wieder über Aal und Sushi redet.
Vielleicht ist dieses Nebeneinander von Grausamkeit, Alltag und Zuwendung der Kern familiären Zusammenseins. So sieht es jedenfalls in diesem Film aus, den Kore-eda ganz unauffällig inszeniert hat, gerade so, als schaue er einfach dem Leben dabei zu, wie es sich über einen Nachmittag und Abend und den nächsten Morgen erstreckt. Dazu gehört, dass die Kinder im Garten spielen, während zwischen den Erwachsenen ein Gespräch seinen Lauf nimmt, das zwischen der Verklärung des Toten und der Entwertung der Lebenden hin- und herschaukelt, gleichmütig fast, aber dann plötzlich mit der Kraft zu verletzen. Und doch folgt aus der Verletzung nichts, es kommt zu keinem Eklat, keinem Bruch. Man verbeugt sich, schweigt, lächelt und macht weiter.
Möglicherweise ist es dieser Langmut der Figuren miteinander, der den Zuschauer so für diese einfache Geschichte einnimmt. Er braucht nicht zu werten, kein Urteil zu fällen. Der Regisseur hat es auch nicht getan.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Film "Still Walking" von Hirokazu Kore-eda schaut einer Familie beim Essen, Reden und Leben zu
Mutter und Tochter kochen, was das Zeug hält. Erst ist das Gemüse dran: Rettiche, Karotten, Kohl werden geschält, geschabt, zerkleinert, abgebrüht, geröstet, frittiert. Dann kommt das Fleisch, das glucksend vor sich hin köchelt, und der Aal. Mais wird gepult und zu Küchlein geformt, eine Spezialität des Hauses. Nur das Sushi wird nicht selbst gemacht, sondern vom Restaurant gebracht. Und all das, weil der erwachsene Sohn mit seiner neuen Frau und ihrem Kind zu Besuch kommt. Der Vater schlurft, während die Vorbereitungen laufen, schlechtgelaunt durchs Haus und mäkelt. Weniger am Essen als an dem Sohn, der gerade angekommen ist.
Das Drama in dieser Familie ist längst geschehen. Der älteste Sohn ist ertrunken - wie das passierte, erfahren wir nicht. Was der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda uns in "Still Walking" zeigt, ist das, was bleibt, wenn die Tragödie vorbei ist - Erinnerung und Bedauern, Zorn, Vergessen, Sehnsucht und Verlorenheit.
Es ist eine einfache Familie. Einfach insofern, als ihre Mitglieder einander trotz zahlreicher Kränkungen nicht verlassen und den Kontakt nicht abgebrochen haben, sondern die Verbindung zueinander akzeptieren, auch wenn sie die nicht unbedingt immer spüren; und auch wenn sie sich voneinander entfernt haben und einander fremd werden. Sie sind eben Familie, eine japanische zumal, nicht freiwillig verbunden, aber unhinterfragbar. Und dazu gehört, dass bei Tisch zwischen den Lobesworten für die Köchinnen und den Preisungen des Mais-Tempuras ungeheuerliche Sätze fallen - etwa darüber, wie schlecht es ist, sich mit Witwen einzulassen, obwohl die neue Frau des Sohns, die er gerade erstmals mit nach Hause gebracht hat, verwitwet ist -, bevor das Alltagsgequassel wieder losgeht. Später, wenn die Zeit für das abendliche Bad gekommen ist, gibt die Mutter ihrem mürrischen Mann ebenso beiläufig, wie sie beide bei Tisch taktlos waren, zu verstehen, dass sie sehr wohl über seine Affäre vor vielen Jahren Bescheid weiß - bevor sie ihm dann ein warmes Handtuch reicht und wieder über Aal und Sushi redet.
Vielleicht ist dieses Nebeneinander von Grausamkeit, Alltag und Zuwendung der Kern familiären Zusammenseins. So sieht es jedenfalls in diesem Film aus, den Kore-eda ganz unauffällig inszeniert hat, gerade so, als schaue er einfach dem Leben dabei zu, wie es sich über einen Nachmittag und Abend und den nächsten Morgen erstreckt. Dazu gehört, dass die Kinder im Garten spielen, während zwischen den Erwachsenen ein Gespräch seinen Lauf nimmt, das zwischen der Verklärung des Toten und der Entwertung der Lebenden hin- und herschaukelt, gleichmütig fast, aber dann plötzlich mit der Kraft zu verletzen. Und doch folgt aus der Verletzung nichts, es kommt zu keinem Eklat, keinem Bruch. Man verbeugt sich, schweigt, lächelt und macht weiter.
Möglicherweise ist es dieser Langmut der Figuren miteinander, der den Zuschauer so für diese einfache Geschichte einnimmt. Er braucht nicht zu werten, kein Urteil zu fällen. Der Regisseur hat es auch nicht getan.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main