Bestsellerautor Dr. Jeckyll fühlt sich von seiner Romanfigur Hyde seltsam bedrängt und fürchtet um seine Männlichkeit. Zusammen mit seinem Psychiater versucht er dieses Problem zu ergründen und in der Griff zu kriegen. Doch eines Morgens wacht er ohne Haare auf. Dann ohne Zähne. Und gerade als er die exzentrische Jeanny kennenlernt, verschwindet auch noch sein bestes Stück.
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DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Trailer von anderen Filmen - Biographien Crew - Kapitel- / Szenenanwahl - Hinter den Kulissen - Statements - FilmografienFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2001Dickhirns Nachtgedanken
Im Kino: Oskar Roehlers merkwürdige Jekyll-and-Hyde-Groteske "Suck my Dick"
Von jemandem wie Oskar Roehler stellt man sich vor, daß er alte Freunde hat, die in den Jahren der wüsten, erfolglosen Filme treu zu ihm hielten und nun, nach dem Erfolg von "Die Unberührbare", etwas säuerlich fragen: "Na, Oskar, wirst du jetzt kommerziell?" Man kann sie beruhigen. Roehler hat geradezu demonstrativ einen anderen Weg eingeschlagen. Wer im neuen Film einem einfühlsamen Melancholiker zu begegnen hofft, wird spätestens nach einer halben Stunde kopfschüttelnd das Kino verlassen. Wenn er es denn überhaupt betritt, denn der Titel ist Warnung genug.
In "Suck my Dick" geht es um Sex, auf sehr ironische und sozialtheoretisch überhöhte Art zwar, aber doch mit aller Drastik, die das Thema erlaubt. Man scheint in die Gedankenwelt eines Menschen einzutreten, der über Michel Houllebecqs Roman "Elementarteilchen" eingeschlafen ist und sich nun mit schrecklichen Albträumen quält. Der Film folgt dem Buch in seinem Kerngedanken: daß wir gerade da, wo wir uns am menschlichsten glauben, in der Liebe und in der Kultur, den Tieren am nächsten sind. Wir begegnen einem berühmten Schriftsteller, Dr. Jekyll, der eben auf die fünfzig zugeht. Jekyll verdankt seinen Erfolg einem Roman namens "Dr. Dickhirn", der von einem ganz triebgesteuerten Menschen handelt: Mr. Hyde. Jekyll (gespielt von Edgar Selge) ist ein abgebrühter Intellektueller, der gern den "Kollegen Houllebecq" bemüht, wenn er sein Publikum beeindrucken will. Er selbst jedoch führt ein erfülltes Leben, was die Requisite mit Hilfe eines angeklebten Riesenpenis versinnbildlicht.
Das geht, wie zu erwarten, nicht lange gut. Hyde (Ralf Richter) verläßt Jekylls Unterbewußtsein und nimmt körperliche Gestalt an. Mit Hilfe einer bösen Fee (Katja Flint) eignet er sich nach und nach an, was Jekylls Virilität ausmacht. Der, über Nacht kahlköpfig, zahnlos und entmannt, fleht seinen Psychiater (Wolfgang Joop), seine Ex-Frau (Franziska Walser) und seine Tochter (Zora Holt) um Beistand an. Doch die reagieren so ähnlich wie Familie Samsa in Kafkas "Verwandlung": weniger schockiert als peinlich berührt und fest davon überzeugt, daß der Unglückliche an seinem Schicksal selber schuld sei. Jekyll verliert den Halt; und während Hyde zum Partylöwen und Liebhaber der Fee aufsteigt, verwandelt er sich in einen dildoschwingenden, unflätig schimpfenden Irren, der nun, da ihm sein Eigentliches genommen wurde, seine Selbstzerstörung betreibt.
Zur Darstellung von Sex im seriösen Kino gibt es eine Reihe unausgesprochener Gesetze, die von den alljährlichen Skandalfilmen so andächtig übertreten werden, daß mehr Bestätigung als Hinterfragen darin liegt. Roehler, der auch das Drehbuch zu "Suck my Dick" geschrieben hat, wirft sie über den Haufen. Macht das seinen Film unseriös? Man kann es so sehen, denn der Ertrag ist, gemessen an den Mitteln, gering. Dabei fehlt es Roehler keineswegs an Ideen. Er hat sogar entschieden zu viele. Etliche Filme und Filmmotive von "Geboren am 4. Juli" bis "Ein unmoralisches Angebot" werden hier ohne erkennbaren Grund zitiert. Die Bildästhetik imitiert mal Jack Arnold, mal Russ Meyer und manches, was wohl nur Oskar Roehler kennt. Arztpraxenslapstick folgt auf rotstichige Off-Bühnen-Bilder aus Jekylls Kopf, wo Figuren mit Phantasieuniformen und Schildern auf der Brust Charakterzüge personifizieren.
Edgar Selge, der angibt, auf eine solche Rolle Jahre gewartet zu haben, müßte auch ein Schild tragen, damit man beurteilen könnte, wie gut er spielt. In seinem Part verknäulen sich alle Fäden dieser wirren Geschichte, er ist Sexbesessener, Tobsüchtiger, Schizophrener und ein ganz normaler Mann in der Midlife-Crisis. Erst gegen Ende, wenn der Zuschauer schon vom Spektakel betäubt ist, deutet sich an, was das alles soll. In den üblichen Adaptionen des Stoffes befreit sich Jekyll von seinem Doppelgänger, indem er dessen Wildheit als Teil seiner selbst annimmt. Roehlers Jekyll geht es umgekehrt: Er bekommt zurück, was ihm genommen wurde, indem er aufhört, es zu wollen.
Der Film reagiert so auf die Umwertung des Hedonimus. Mr. Hyde empfände man heute nicht mehr als Asozialen, sondern als Leitbild. Das ist die interessanteste Idee dieses Films, der ansonsten dafür eintritt, daß man solche Ideen und die pessimistischen Philosophen, denen sie entspringen, nur nicht zu ernst nehmen soll. Das ist immerhin sympathisch, und wahrscheinlich sollte man froh sein, daß Oskar Roehler nicht über Jelineks "Klavierspielerin" eingeschlafen ist.
MICHAEL ALLMAIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Kino: Oskar Roehlers merkwürdige Jekyll-and-Hyde-Groteske "Suck my Dick"
Von jemandem wie Oskar Roehler stellt man sich vor, daß er alte Freunde hat, die in den Jahren der wüsten, erfolglosen Filme treu zu ihm hielten und nun, nach dem Erfolg von "Die Unberührbare", etwas säuerlich fragen: "Na, Oskar, wirst du jetzt kommerziell?" Man kann sie beruhigen. Roehler hat geradezu demonstrativ einen anderen Weg eingeschlagen. Wer im neuen Film einem einfühlsamen Melancholiker zu begegnen hofft, wird spätestens nach einer halben Stunde kopfschüttelnd das Kino verlassen. Wenn er es denn überhaupt betritt, denn der Titel ist Warnung genug.
In "Suck my Dick" geht es um Sex, auf sehr ironische und sozialtheoretisch überhöhte Art zwar, aber doch mit aller Drastik, die das Thema erlaubt. Man scheint in die Gedankenwelt eines Menschen einzutreten, der über Michel Houllebecqs Roman "Elementarteilchen" eingeschlafen ist und sich nun mit schrecklichen Albträumen quält. Der Film folgt dem Buch in seinem Kerngedanken: daß wir gerade da, wo wir uns am menschlichsten glauben, in der Liebe und in der Kultur, den Tieren am nächsten sind. Wir begegnen einem berühmten Schriftsteller, Dr. Jekyll, der eben auf die fünfzig zugeht. Jekyll verdankt seinen Erfolg einem Roman namens "Dr. Dickhirn", der von einem ganz triebgesteuerten Menschen handelt: Mr. Hyde. Jekyll (gespielt von Edgar Selge) ist ein abgebrühter Intellektueller, der gern den "Kollegen Houllebecq" bemüht, wenn er sein Publikum beeindrucken will. Er selbst jedoch führt ein erfülltes Leben, was die Requisite mit Hilfe eines angeklebten Riesenpenis versinnbildlicht.
Das geht, wie zu erwarten, nicht lange gut. Hyde (Ralf Richter) verläßt Jekylls Unterbewußtsein und nimmt körperliche Gestalt an. Mit Hilfe einer bösen Fee (Katja Flint) eignet er sich nach und nach an, was Jekylls Virilität ausmacht. Der, über Nacht kahlköpfig, zahnlos und entmannt, fleht seinen Psychiater (Wolfgang Joop), seine Ex-Frau (Franziska Walser) und seine Tochter (Zora Holt) um Beistand an. Doch die reagieren so ähnlich wie Familie Samsa in Kafkas "Verwandlung": weniger schockiert als peinlich berührt und fest davon überzeugt, daß der Unglückliche an seinem Schicksal selber schuld sei. Jekyll verliert den Halt; und während Hyde zum Partylöwen und Liebhaber der Fee aufsteigt, verwandelt er sich in einen dildoschwingenden, unflätig schimpfenden Irren, der nun, da ihm sein Eigentliches genommen wurde, seine Selbstzerstörung betreibt.
Zur Darstellung von Sex im seriösen Kino gibt es eine Reihe unausgesprochener Gesetze, die von den alljährlichen Skandalfilmen so andächtig übertreten werden, daß mehr Bestätigung als Hinterfragen darin liegt. Roehler, der auch das Drehbuch zu "Suck my Dick" geschrieben hat, wirft sie über den Haufen. Macht das seinen Film unseriös? Man kann es so sehen, denn der Ertrag ist, gemessen an den Mitteln, gering. Dabei fehlt es Roehler keineswegs an Ideen. Er hat sogar entschieden zu viele. Etliche Filme und Filmmotive von "Geboren am 4. Juli" bis "Ein unmoralisches Angebot" werden hier ohne erkennbaren Grund zitiert. Die Bildästhetik imitiert mal Jack Arnold, mal Russ Meyer und manches, was wohl nur Oskar Roehler kennt. Arztpraxenslapstick folgt auf rotstichige Off-Bühnen-Bilder aus Jekylls Kopf, wo Figuren mit Phantasieuniformen und Schildern auf der Brust Charakterzüge personifizieren.
Edgar Selge, der angibt, auf eine solche Rolle Jahre gewartet zu haben, müßte auch ein Schild tragen, damit man beurteilen könnte, wie gut er spielt. In seinem Part verknäulen sich alle Fäden dieser wirren Geschichte, er ist Sexbesessener, Tobsüchtiger, Schizophrener und ein ganz normaler Mann in der Midlife-Crisis. Erst gegen Ende, wenn der Zuschauer schon vom Spektakel betäubt ist, deutet sich an, was das alles soll. In den üblichen Adaptionen des Stoffes befreit sich Jekyll von seinem Doppelgänger, indem er dessen Wildheit als Teil seiner selbst annimmt. Roehlers Jekyll geht es umgekehrt: Er bekommt zurück, was ihm genommen wurde, indem er aufhört, es zu wollen.
Der Film reagiert so auf die Umwertung des Hedonimus. Mr. Hyde empfände man heute nicht mehr als Asozialen, sondern als Leitbild. Das ist die interessanteste Idee dieses Films, der ansonsten dafür eintritt, daß man solche Ideen und die pessimistischen Philosophen, denen sie entspringen, nur nicht zu ernst nehmen soll. Das ist immerhin sympathisch, und wahrscheinlich sollte man froh sein, daß Oskar Roehler nicht über Jelineks "Klavierspielerin" eingeschlafen ist.
MICHAEL ALLMAIER
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