Marie Claire "Mika" Muller (Isabelle Huppert) - stets kontrollierte und freundliche Erbin einer Schokoladenfabrik - vermählt sich mit dem Pianisten Polonski und versucht, auch dessen Sohn eine gute Mutter zu sein. Das Familiengefüge gerät ins Wanken, als die attraktive, erfahrungshungrige Jeanne auftaucht, die düstere Erinnerungen weckt. Sieht sie doch nicht nur Polonskis verstorbener Frau ähnlich, sondern hat auch sein musisches Talent. Was auch Mika auffällt, die sich auf einmal intensiv um Jeanne zu kümmern beginnt ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2004Die göttliche Komödie des Verbrechens
Mord und Schokolade: Claude Chabrols Familienbilder in einer kleinen DVD-Edition
Eigentlich ist es ungeheuerlich: daß einer seit fünfundvierzig Jahren immer die gleiche Geschichte erzählt, in zahllosen Variationen - ohne dabei von einem "Projekt", mindestens von einer "Recherche" oder ähnlichem zu sprechen. Dante hatte seine "Göttliche Komödie", Balzac die "Comédie Humaine", und Claude Chabrol arbeitet seit 1958 an der comédie bourgeoise des Kinos, aber er hängt es nicht an die große Glocke. Er dreht einfach weiter, Jahr um Jahr, Film für Film, er betreibt sein Metier, wie ein Herrenschneider Anzüge näht und ein Architekt Häuser baut.
Diese Arbeitsweise ist typisch bürgerlich, und Chabrol weiß, daß er immer auch von sich selbst spricht, wenn er die Phantome des Hutmachers und die Begierden der Bauunternehmer und Lokalpolitiker vor die Kamera bringt, auch wenn er, wie in dem Interview mit Eckhart Schmidt, das zum Bonusmaterial der "Claude Chabrol Collection" gehört (Concorde Home Entertainment, 3 DVDs, Regionalcode 2), fast wie ein Filmkritiker über sein eigenes Kino redet. Daß er es vorzieht, die Bourgeoisie von innen heraus zu demaskieren, daß er lieber mit Stéphane Audran, seiner Ex-Ehefrau, und der Virtuosin Isabelle Huppert dreht als mit den anderen Stars des französischen Kinos, daß er die Nouvelle Vague von Anfang an unter produktionspragmatischen statt unter filmpolitischen Gesichtspunkten gesehen hat - das alles ist bekannt, nur klingt es aus Chabrols Mund eben noch ein wenig überzeugender als in den Büchern und Aufsätzen über ihn.
Erst beim Thema Nachruhm taut Chabrol auf, und man sieht, wie es in seinem Gesicht aufblitzt, wenn er erklärt, daß er den Erfolg lieber hier und heute genießen als postum seinen Enkeln vermachen will, und daß er noch für lange Zeit jedes Jahr einen Film drehen will, solange es eben geht. Da glaubt man die Figuren seiner Spielfilme reden zu hören, die ebenfalls um ihr Glück im Hier und Jetzt kämpfen, gegen die Konventionen, die sie ersticken, und auch gegen das Glück der anderen, das dem ihren entgegensteht - nur daß sie, anders als ihr Regisseur, nicht die Fähigkeit zum künstlerischen Ausdruck haben. Ihr Ausdrucksmittel ist der Mord. Verbrechen und Kunst sind bei Chabrol Geschwister, zwei Seiten derselben Lebensmedaille. Deshalb erzählt er auch nie aus der Perspektive des Kommissars. Er will seine Täter nicht überführen, sondern ihr Innenleben auf die Leinwand bringen.
"Collection" klingt ein wenig großspurig angesichts dieser Kleinbox, die gerade mal drei der jüngsten Chabrol-Werke versammelt: "Rien ne va plus" ("Das Leben ist ein Spiel", 1997), "Merci pour le chocolat" ("Süßes Gift", 2000) und "La fleur du mal" ("Die Blume des Bösen", 2004). Aber wenig ist besser als nichts, und es macht tatsächlich immer wieder Freude, dem Meister dabei zuzusehen, wie er stets aufs neue die Grundelemente seines filmischen Erzählens arrangiert und amalgamiert, wie er die Kulissen verschiebt, die Räume weitet oder verengt, die Charaktere plaziert und so ein weiteres Mal die große Geschichte vom Betrug und Selbstbetrug des Bürgertums durchspielt.
Beim Wiedersehen mit der "Blume des Bösen" wird auch klar, wie zentral gerade dieser von vielen unterschätzte Film für das Chabrolsche OEuvre ist, ungefähr auf dieselbe Art, wie es "Gruppo di famiglia in un interno" ("Gewalt und Leidenschaft") für das Kino Viscontis war. Familienbilder in einem Intérieur, das kann Claude Chabrol am allerbesten, und wenn eine Szene, wie in "Rien ne va plus", dann doch einmal ausnahmsweise in einem Skilift in den Schweizer Bergen spielt, kann man sich darauf verlassen, daß Isabelle Huppert und François Cluzet darin trotzdem so unbeschwert plaudern und intrigieren, als säßen sie zu Hause vor dem Kamin. Im Liftsessel hinter ihnen sitzt Michel Serrault, Hupperts Komplize, und wartet auf seine Chance zuzuschlagen. Und da kommt auch schon die Station.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mord und Schokolade: Claude Chabrols Familienbilder in einer kleinen DVD-Edition
Eigentlich ist es ungeheuerlich: daß einer seit fünfundvierzig Jahren immer die gleiche Geschichte erzählt, in zahllosen Variationen - ohne dabei von einem "Projekt", mindestens von einer "Recherche" oder ähnlichem zu sprechen. Dante hatte seine "Göttliche Komödie", Balzac die "Comédie Humaine", und Claude Chabrol arbeitet seit 1958 an der comédie bourgeoise des Kinos, aber er hängt es nicht an die große Glocke. Er dreht einfach weiter, Jahr um Jahr, Film für Film, er betreibt sein Metier, wie ein Herrenschneider Anzüge näht und ein Architekt Häuser baut.
Diese Arbeitsweise ist typisch bürgerlich, und Chabrol weiß, daß er immer auch von sich selbst spricht, wenn er die Phantome des Hutmachers und die Begierden der Bauunternehmer und Lokalpolitiker vor die Kamera bringt, auch wenn er, wie in dem Interview mit Eckhart Schmidt, das zum Bonusmaterial der "Claude Chabrol Collection" gehört (Concorde Home Entertainment, 3 DVDs, Regionalcode 2), fast wie ein Filmkritiker über sein eigenes Kino redet. Daß er es vorzieht, die Bourgeoisie von innen heraus zu demaskieren, daß er lieber mit Stéphane Audran, seiner Ex-Ehefrau, und der Virtuosin Isabelle Huppert dreht als mit den anderen Stars des französischen Kinos, daß er die Nouvelle Vague von Anfang an unter produktionspragmatischen statt unter filmpolitischen Gesichtspunkten gesehen hat - das alles ist bekannt, nur klingt es aus Chabrols Mund eben noch ein wenig überzeugender als in den Büchern und Aufsätzen über ihn.
Erst beim Thema Nachruhm taut Chabrol auf, und man sieht, wie es in seinem Gesicht aufblitzt, wenn er erklärt, daß er den Erfolg lieber hier und heute genießen als postum seinen Enkeln vermachen will, und daß er noch für lange Zeit jedes Jahr einen Film drehen will, solange es eben geht. Da glaubt man die Figuren seiner Spielfilme reden zu hören, die ebenfalls um ihr Glück im Hier und Jetzt kämpfen, gegen die Konventionen, die sie ersticken, und auch gegen das Glück der anderen, das dem ihren entgegensteht - nur daß sie, anders als ihr Regisseur, nicht die Fähigkeit zum künstlerischen Ausdruck haben. Ihr Ausdrucksmittel ist der Mord. Verbrechen und Kunst sind bei Chabrol Geschwister, zwei Seiten derselben Lebensmedaille. Deshalb erzählt er auch nie aus der Perspektive des Kommissars. Er will seine Täter nicht überführen, sondern ihr Innenleben auf die Leinwand bringen.
"Collection" klingt ein wenig großspurig angesichts dieser Kleinbox, die gerade mal drei der jüngsten Chabrol-Werke versammelt: "Rien ne va plus" ("Das Leben ist ein Spiel", 1997), "Merci pour le chocolat" ("Süßes Gift", 2000) und "La fleur du mal" ("Die Blume des Bösen", 2004). Aber wenig ist besser als nichts, und es macht tatsächlich immer wieder Freude, dem Meister dabei zuzusehen, wie er stets aufs neue die Grundelemente seines filmischen Erzählens arrangiert und amalgamiert, wie er die Kulissen verschiebt, die Räume weitet oder verengt, die Charaktere plaziert und so ein weiteres Mal die große Geschichte vom Betrug und Selbstbetrug des Bürgertums durchspielt.
Beim Wiedersehen mit der "Blume des Bösen" wird auch klar, wie zentral gerade dieser von vielen unterschätzte Film für das Chabrolsche OEuvre ist, ungefähr auf dieselbe Art, wie es "Gruppo di famiglia in un interno" ("Gewalt und Leidenschaft") für das Kino Viscontis war. Familienbilder in einem Intérieur, das kann Claude Chabrol am allerbesten, und wenn eine Szene, wie in "Rien ne va plus", dann doch einmal ausnahmsweise in einem Skilift in den Schweizer Bergen spielt, kann man sich darauf verlassen, daß Isabelle Huppert und François Cluzet darin trotzdem so unbeschwert plaudern und intrigieren, als säßen sie zu Hause vor dem Kamin. Im Liftsessel hinter ihnen sitzt Michel Serrault, Hupperts Komplize, und wartet auf seine Chance zuzuschlagen. Und da kommt auch schon die Station.
ANDREAS KILB
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