Roz (Robin Wright) und Lil (Naomi Watts) kennen sich von klein auf und sind durch eine starke Freundschaft sehr eng miteinander verbunden. Sie wachsen in einem idyllischen kleinen Badeort in Australien auf, gehen zusammen zur Schule, heiraten und sehen zu wie ihre Söhne Tom (James Frecheville) und Ian (Xavier Samuel) gemeinsam erwachsen werden. Ihr Leben ist geprägt von Sonne, Strand und Meer und der Unbeschwertheit des Lebens. Die tiefe Freundschaft zwischen den beiden Frauen und die enge Beziehung zu ihren Söhnen wandeln sich, als sich die Söhne zur jeweils anderen Mutter hingezogen fühlen. Grenzen werden überschritten, Tabus gebrochen und die Freundschaften drohen zu zerbrechen. Denn aus Leidenschaft wird Liebe...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2018Das Drama in ihrem Gesicht
"Am Strand" von Dominic Cooke ist die erste Verfilmung eines Romans von Ian McEwan, die mit ihrer Vorlage auf Augenhöhe umgeht. Das ist vor allem Saoirse Ronan zu verdanken
Es gibt viele Dinge, die einen Film unvergesslich machen: ein Flughafen im Nebel, eine brennende Stadt, ein Klavier im Urwald, ein Schiff, das über einen Berg gezogen wird, ein Schnitt durch ein Auge, ein abgerissenes Ohr, ein Ritt auf einem Hexenbesen, ein Zweikampf in einem Lavakrater. Lauter Momente, in denen sich das Kino zusammenzieht auf das, was es ist, kein Roman, kein Theater, kein Reisebericht mit Spielhandlung, sondern ein Bild, das alles bedeuten kann. Alles und nichts.
In Dominic Cookes Film "Am Strand" ist es ein Strand.
"On Chesil Beach" heißt der Roman von Ian McEwan, nach dem der Film entstand, und deshalb ist die Lagune von Chesil das Erste, was man sieht, ein langer Streifen Brackwasser, geschützt von einem natürlichen Kieseldamm, davor grüne Hügel mit Krüppelkiefern, dahinter das Meer. Ein erdgeschichtliches Kuriosum, Vogelschutzgebiet, Unesco-Weltnaturerbe und Teil der Juraküste von Dorset, die hier zu einer Landzunge vorspringt, vor der die Isle of Portland liegt, Schauplatz der ersten Wikingerinvasion ins Reich der Angelsachsen.
Dann eine Einblendung: "1962".
Ein junges Paar läuft den Kieselstrand entlang. Sie reden über Rockmusik, über Rhythmus und Akkorde, der Mann gibt den Ton an, aber die Frau hält dagegen, man spürt, dass es um etwas anderes geht hinter den Worten. Sie trägt ein blaues Kleid, er einen dunklen Anzug, und dann sieht man, im Gegenschnitt, ein Hotel im Hintergrund, auf das die beiden zugehen. Jetzt reden sie über die Trauung, die hinter ihnen liegt, und über ihre Familien, die sie ebenfalls hinter sich haben, und man begreift, dass dies die Hochzeitsreise der beiden ist, eine Fahrt nach Chesil Beach, in ein Hotel am Strand, an einen Ort mit grünen Hügeln und Kies. Und man fragt sich, was dabei schiefgehen soll.
"In einem kleinen Auto, das der Mutter von Florence gehörte, waren die Frischvermählten davongefahren und am frühen Abend im Hotel an der Küste von Dorset angekommen. Es regnete nicht, doch fand Florence es auch nicht warm genug, um auf der Terrasse vor dem Haus zu essen, was sie eigentlich gern getan hätten. Edward war anderer Ansicht, aber viel zu rücksichtsvoll, als dass er auch nur daran gedacht hätte, ihr zu widersprechen, schon gar nicht an diesem Abend." So hat es McEwan beschrieben, mit einer Sprache, deren Glanz - wie überall in seinen neueren Romanen seit dem Triumph von "Abbitte" - einen ganz leichten Stich ins Überhebliche hat, eine kühle Lockerheit, die sich nur eine Handbreit über ihre Figuren erhebt; aber diese Handbreit ist entscheidend. Und so würde es ein beflissener McEwan-Verehrer auch verfilmen.
Bei Dominic Cooke aber sieht man etwas ganz anderes. Man sieht, wie die Zimmerkellner, denen draußen auf dem Flur der Rotwein aus der Hand gerutscht ist, die angebrochene Flasche mit Leitungswasser auffüllen; wie Edward mit ihnen herumzackert, bis die Gardine vor dem Fenster genau die richtige Menge milchigen Lichts in den Raum hereinlässt; wie die Kellner grinsen, als er den Rotwein lobt, und auf dem Flur feixen, nachdem er sie hinausgeschickt hat; und wie der Fuß des jungen Mannes und die Knie der jungen Frau während der Vorspeise - es gibt Honigmelone, danach Roastbeef, Gemüse und Kartoffeln - unter dem Tisch leise zittern. Da beginnt man, Angst um die beiden zu haben.
Wer den Roman gelesen hat und weiß, wie die Geschichte ausgeht, kann die Leichthändigkeit genießen, mit der Cooke, der bislang nur als Theater- und Fernsehregisseur gearbeitet hat, und sein Kameramann Sean Bobitt den Bewegungen der Vorlage folgen, die satten und doch nie kataloghaften Farben, in denen sie die englische Landschaft malen, die Gelenkigkeit ihrer Bilder, das Gespür für atmosphärische Nuancen und scheinbar überflüssige Requisiten (etwa den alten Strick, der neben einem leeren Fischerboot liegt, als die Liebe dabei ist, sich selbst zu erwürgen). Aber "Am Strand" ist natürlich vor allem für diejenigen gedreht, die den Ausgang noch nicht kennen, und das macht der Film von Anfang an klar. Dabei tut er eigentlich nichts anderes als das Buch: Er erzählt in Rückblenden die Vorgeschichte der Hochzeitsnacht. Doch während das Vergangene bei McEwan von vornherein mit retrospektiver Bitterkeit getränkt ist, tauchen es Cooke und Bobitt ins volle Licht des Glücks. Sie zeigen die Liebe so, wie sie denen erscheint, die den Zweifel im Auge des anderen noch nicht gesehen haben: als Tod und Vollendung der Kindheit, als zweite Geburt. Da fährt ein Junge nach Oxford, um sein bestandenes Examen zu feiern, er trifft ein Mädchen im cremefarbenen Kleid, das seinen Blick erwidert, und von da an sind sie, wo immer sie hingehen, die einzigen im Raum. Sie sitzen händchenhaltend im Kino oder am Ufer der Themse wie alle anderen, aber sie merken es nicht. Eine Weile sieht es so aus, als könnte die Welt sie nicht mehr einholen. Aber dann passiert es doch.
Diese Welt, die vorsintflutliche, analoge, nach Kohlenstaub und Klassenunterschieden riechende Welt des Jahres 1962, betrachtet der Film mit Horror und Rührung zugleich. Da gibt es, einerseits, die ersten Stereoplayer, das New British Cinema (im Kino läuft "Bitterer Honig"), den Rock 'n'Roll, die Anti-Atom-Bewegung; andererseits den Kalten Krieg, die Arroganz der Bourgeoisie, die Verklemmtheit aller Umgangsformen. Die guten Manieren, die Hochkultur; und das, was sie verbergen. Vielleicht muss man die letzten Ausläufer dieser Vorväter-Epoche gerade noch miterlebt haben (Cooke ist zweiundfünfzig), um sie so lakonisch rekonstruieren zu können, wie dieser Film es tut. Jedenfalls ist "Am Strand" das erste Kinokostümstück seit Ewigkeiten, das seine Schauplätze nicht musealisiert. Die Nostalgie findet keinen Fetisch, an den sie sich klammern kann; die Autos, die Kneipen, die Kleider, die Kricket-Clubs, das alles ist Paradies und Hölle in einem, mit anderen Worten: Gegenwart.
Das Handicap, das jede Literaturverfilmung hat - dass es die beste Version der Geschichte, die sie erzählt, bereits gibt -, gleicht "Am Strand" dadurch aus, dass das Drehbuch von McEwan selber stammt. So konnte er seinen Roman fürs Kino passend machen, ohne auf die Eitelkeiten eines Starautors Rücksicht zu nehmen. Den Rest hat Dominic Cooke mit dem alten magischen Kinotrick der Montage erledigt. Von der Langatmigkeit, unter der Joe Wrights Adaption von "Abbitte" litt, ist in diesem Film nichts zu spüren. Es gibt drei Enden für die Geschichte, und eins ist herzzerreißender als das andere. Aber das eine, auf das es ankommt, die wirkliche Katastrophe, inszeniert Cooke mit einer Wucht, die so vielleicht nur ein Quereinsteiger aus dem Theater hinkriegt. Dazu braucht er nicht mehr als zwei Personen und ein Boot. Und die Kiesel von Chesil Beach.
Dennoch hätte alles immer noch schiefgehen können ohne Saoirse Ronan. Ihr Partner Billy Howle, der einen Part in "Dunkirk" und einen weiteren in der Julian-Barnes-Verfilmung "Vom Ende einer Geschichte" hatte, die ebenfalls nächste Woche ins Kino kommt, schlägt sich gut in seiner undankbaren Rolle als gekränkter Gatte, doch es ist Florence, die in "Am Strand" die Last des Dramas trägt. Dass sie unter all ihrer Kultiviertheit, unter ihrem Geigenspiel, ihrem makellosen Aussehen und Auftreten das Trauma eines missbrauchten Kindes verbirgt, wird in McEwans Roman nur angedeutet, und auch der Film belässt es bei einem absichtlich unscharfen Bild. Aber erst Saoirse Ronan gibt dieser Unschärfe den notwendigen Resonanzraum, sie lässt den verdrängten Schock der Erinnerung in jeder ihrer Gesten, in jedem Gesichtsausdruck mitschwingen, so dass man am Ende, als alles gesagt ist, ihre Figur rückblickend noch einmal gänzlich neu lesen kann, als blätterte man in einem Buch zum Anfang zurück. Filmemachen, das sei eine Skulptur in der Zeit, hat Andrej Tarkowski geschrieben. Er meinte die Arbeit des Regisseurs; aber auch eine Schauspielerin kann ihre Rolle formen wie eine Skulptur. Jedenfalls dann, wenn sie ihr Spiel so beherrscht wie Saoirse Ronan.
Dann sind die beiden wieder allein am Strand, und auf einmal begreift man, warum der Film in Cinemascope gedreht ist. Sie entfernt sich, er bleibt zurück, und der leere Raum zwischen ihnen füllt die gesamte Leinwand aus. Es ist das traurigste Bild, das in den letzten Jahren im Kino zu sehen war, und zugleich eines der schönsten. "Wenn er an sie dachte, staunte er, dass er das Mädchen mit der Geige hatte gehen lassen." Jetzt staunen wir über diesen Film.
ANDREAS KILB
Ab Donnerstag im Kino
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Am Strand" von Dominic Cooke ist die erste Verfilmung eines Romans von Ian McEwan, die mit ihrer Vorlage auf Augenhöhe umgeht. Das ist vor allem Saoirse Ronan zu verdanken
Es gibt viele Dinge, die einen Film unvergesslich machen: ein Flughafen im Nebel, eine brennende Stadt, ein Klavier im Urwald, ein Schiff, das über einen Berg gezogen wird, ein Schnitt durch ein Auge, ein abgerissenes Ohr, ein Ritt auf einem Hexenbesen, ein Zweikampf in einem Lavakrater. Lauter Momente, in denen sich das Kino zusammenzieht auf das, was es ist, kein Roman, kein Theater, kein Reisebericht mit Spielhandlung, sondern ein Bild, das alles bedeuten kann. Alles und nichts.
In Dominic Cookes Film "Am Strand" ist es ein Strand.
"On Chesil Beach" heißt der Roman von Ian McEwan, nach dem der Film entstand, und deshalb ist die Lagune von Chesil das Erste, was man sieht, ein langer Streifen Brackwasser, geschützt von einem natürlichen Kieseldamm, davor grüne Hügel mit Krüppelkiefern, dahinter das Meer. Ein erdgeschichtliches Kuriosum, Vogelschutzgebiet, Unesco-Weltnaturerbe und Teil der Juraküste von Dorset, die hier zu einer Landzunge vorspringt, vor der die Isle of Portland liegt, Schauplatz der ersten Wikingerinvasion ins Reich der Angelsachsen.
Dann eine Einblendung: "1962".
Ein junges Paar läuft den Kieselstrand entlang. Sie reden über Rockmusik, über Rhythmus und Akkorde, der Mann gibt den Ton an, aber die Frau hält dagegen, man spürt, dass es um etwas anderes geht hinter den Worten. Sie trägt ein blaues Kleid, er einen dunklen Anzug, und dann sieht man, im Gegenschnitt, ein Hotel im Hintergrund, auf das die beiden zugehen. Jetzt reden sie über die Trauung, die hinter ihnen liegt, und über ihre Familien, die sie ebenfalls hinter sich haben, und man begreift, dass dies die Hochzeitsreise der beiden ist, eine Fahrt nach Chesil Beach, in ein Hotel am Strand, an einen Ort mit grünen Hügeln und Kies. Und man fragt sich, was dabei schiefgehen soll.
"In einem kleinen Auto, das der Mutter von Florence gehörte, waren die Frischvermählten davongefahren und am frühen Abend im Hotel an der Küste von Dorset angekommen. Es regnete nicht, doch fand Florence es auch nicht warm genug, um auf der Terrasse vor dem Haus zu essen, was sie eigentlich gern getan hätten. Edward war anderer Ansicht, aber viel zu rücksichtsvoll, als dass er auch nur daran gedacht hätte, ihr zu widersprechen, schon gar nicht an diesem Abend." So hat es McEwan beschrieben, mit einer Sprache, deren Glanz - wie überall in seinen neueren Romanen seit dem Triumph von "Abbitte" - einen ganz leichten Stich ins Überhebliche hat, eine kühle Lockerheit, die sich nur eine Handbreit über ihre Figuren erhebt; aber diese Handbreit ist entscheidend. Und so würde es ein beflissener McEwan-Verehrer auch verfilmen.
Bei Dominic Cooke aber sieht man etwas ganz anderes. Man sieht, wie die Zimmerkellner, denen draußen auf dem Flur der Rotwein aus der Hand gerutscht ist, die angebrochene Flasche mit Leitungswasser auffüllen; wie Edward mit ihnen herumzackert, bis die Gardine vor dem Fenster genau die richtige Menge milchigen Lichts in den Raum hereinlässt; wie die Kellner grinsen, als er den Rotwein lobt, und auf dem Flur feixen, nachdem er sie hinausgeschickt hat; und wie der Fuß des jungen Mannes und die Knie der jungen Frau während der Vorspeise - es gibt Honigmelone, danach Roastbeef, Gemüse und Kartoffeln - unter dem Tisch leise zittern. Da beginnt man, Angst um die beiden zu haben.
Wer den Roman gelesen hat und weiß, wie die Geschichte ausgeht, kann die Leichthändigkeit genießen, mit der Cooke, der bislang nur als Theater- und Fernsehregisseur gearbeitet hat, und sein Kameramann Sean Bobitt den Bewegungen der Vorlage folgen, die satten und doch nie kataloghaften Farben, in denen sie die englische Landschaft malen, die Gelenkigkeit ihrer Bilder, das Gespür für atmosphärische Nuancen und scheinbar überflüssige Requisiten (etwa den alten Strick, der neben einem leeren Fischerboot liegt, als die Liebe dabei ist, sich selbst zu erwürgen). Aber "Am Strand" ist natürlich vor allem für diejenigen gedreht, die den Ausgang noch nicht kennen, und das macht der Film von Anfang an klar. Dabei tut er eigentlich nichts anderes als das Buch: Er erzählt in Rückblenden die Vorgeschichte der Hochzeitsnacht. Doch während das Vergangene bei McEwan von vornherein mit retrospektiver Bitterkeit getränkt ist, tauchen es Cooke und Bobitt ins volle Licht des Glücks. Sie zeigen die Liebe so, wie sie denen erscheint, die den Zweifel im Auge des anderen noch nicht gesehen haben: als Tod und Vollendung der Kindheit, als zweite Geburt. Da fährt ein Junge nach Oxford, um sein bestandenes Examen zu feiern, er trifft ein Mädchen im cremefarbenen Kleid, das seinen Blick erwidert, und von da an sind sie, wo immer sie hingehen, die einzigen im Raum. Sie sitzen händchenhaltend im Kino oder am Ufer der Themse wie alle anderen, aber sie merken es nicht. Eine Weile sieht es so aus, als könnte die Welt sie nicht mehr einholen. Aber dann passiert es doch.
Diese Welt, die vorsintflutliche, analoge, nach Kohlenstaub und Klassenunterschieden riechende Welt des Jahres 1962, betrachtet der Film mit Horror und Rührung zugleich. Da gibt es, einerseits, die ersten Stereoplayer, das New British Cinema (im Kino läuft "Bitterer Honig"), den Rock 'n'Roll, die Anti-Atom-Bewegung; andererseits den Kalten Krieg, die Arroganz der Bourgeoisie, die Verklemmtheit aller Umgangsformen. Die guten Manieren, die Hochkultur; und das, was sie verbergen. Vielleicht muss man die letzten Ausläufer dieser Vorväter-Epoche gerade noch miterlebt haben (Cooke ist zweiundfünfzig), um sie so lakonisch rekonstruieren zu können, wie dieser Film es tut. Jedenfalls ist "Am Strand" das erste Kinokostümstück seit Ewigkeiten, das seine Schauplätze nicht musealisiert. Die Nostalgie findet keinen Fetisch, an den sie sich klammern kann; die Autos, die Kneipen, die Kleider, die Kricket-Clubs, das alles ist Paradies und Hölle in einem, mit anderen Worten: Gegenwart.
Das Handicap, das jede Literaturverfilmung hat - dass es die beste Version der Geschichte, die sie erzählt, bereits gibt -, gleicht "Am Strand" dadurch aus, dass das Drehbuch von McEwan selber stammt. So konnte er seinen Roman fürs Kino passend machen, ohne auf die Eitelkeiten eines Starautors Rücksicht zu nehmen. Den Rest hat Dominic Cooke mit dem alten magischen Kinotrick der Montage erledigt. Von der Langatmigkeit, unter der Joe Wrights Adaption von "Abbitte" litt, ist in diesem Film nichts zu spüren. Es gibt drei Enden für die Geschichte, und eins ist herzzerreißender als das andere. Aber das eine, auf das es ankommt, die wirkliche Katastrophe, inszeniert Cooke mit einer Wucht, die so vielleicht nur ein Quereinsteiger aus dem Theater hinkriegt. Dazu braucht er nicht mehr als zwei Personen und ein Boot. Und die Kiesel von Chesil Beach.
Dennoch hätte alles immer noch schiefgehen können ohne Saoirse Ronan. Ihr Partner Billy Howle, der einen Part in "Dunkirk" und einen weiteren in der Julian-Barnes-Verfilmung "Vom Ende einer Geschichte" hatte, die ebenfalls nächste Woche ins Kino kommt, schlägt sich gut in seiner undankbaren Rolle als gekränkter Gatte, doch es ist Florence, die in "Am Strand" die Last des Dramas trägt. Dass sie unter all ihrer Kultiviertheit, unter ihrem Geigenspiel, ihrem makellosen Aussehen und Auftreten das Trauma eines missbrauchten Kindes verbirgt, wird in McEwans Roman nur angedeutet, und auch der Film belässt es bei einem absichtlich unscharfen Bild. Aber erst Saoirse Ronan gibt dieser Unschärfe den notwendigen Resonanzraum, sie lässt den verdrängten Schock der Erinnerung in jeder ihrer Gesten, in jedem Gesichtsausdruck mitschwingen, so dass man am Ende, als alles gesagt ist, ihre Figur rückblickend noch einmal gänzlich neu lesen kann, als blätterte man in einem Buch zum Anfang zurück. Filmemachen, das sei eine Skulptur in der Zeit, hat Andrej Tarkowski geschrieben. Er meinte die Arbeit des Regisseurs; aber auch eine Schauspielerin kann ihre Rolle formen wie eine Skulptur. Jedenfalls dann, wenn sie ihr Spiel so beherrscht wie Saoirse Ronan.
Dann sind die beiden wieder allein am Strand, und auf einmal begreift man, warum der Film in Cinemascope gedreht ist. Sie entfernt sich, er bleibt zurück, und der leere Raum zwischen ihnen füllt die gesamte Leinwand aus. Es ist das traurigste Bild, das in den letzten Jahren im Kino zu sehen war, und zugleich eines der schönsten. "Wenn er an sie dachte, staunte er, dass er das Mädchen mit der Geige hatte gehen lassen." Jetzt staunen wir über diesen Film.
ANDREAS KILB
Ab Donnerstag im Kino
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main