"Der wahre Kriegsruhm besteht darin, am Leben zu bleiben." hat Samuel Fuller gesagt. Fuller verdiente sich seine Orden im Zweiten Weltkrieg als Frontkämpfer der berühmten U.S. First Infantry. Und überlebte. Seinem 1980 entstandenen Film war dieses Schicksal allerdings bisher nicht vergönnt. Doch nun hat der Kritiker / Filmemacher Richard Schickel die noch vorhandenen 21.000 Meter originales Filmmaterial ausgewertet und sich dabei an Fullers letzte Drehbuchfassung gehalten: So verwandelt er den verstümmelten, wenn auch immer schon allseits bewunderten Kriegsfilm in ein um 40 Minuten erweitertes episches Meisterwerk. Jetzt erst zeigt sich, dass Lee Marvin mit seiner äußerst nuancierten Darstellung eine seiner besten Leistungen lieferte. Er spielt den Sergeant einer Einheit von milchgesichtigen Schützen, die an der Front in Nordafrika, in der Normandie und den übrigen europäischen Kriegsschauplätzen eingesetzt werden. Der Film ist das Tagebuch der Fronteinsätze dieser Einheit: Kampf, Schweiß, Blut und, manchmal, Überleben.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - DVD-Menü mit Soundeffekten - Alternative Szenen - Audiokommentar von Richard Schickel - Dokumentationen: "The Fighting First" / "The Men Who Made Sam Fuller" / "The Real Glory: Reconstructing 'The Big Red One'"Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2005Wege zum Ruhm
Sam Fullers "The Big Red One" in einer restaurierten Fassung
Samuel Fuller: "The Big Red One".
Warner. Special Edition, 2 DVDs. Audiokommentar von Richard Schickel, vierzig zusätzliche Minuten, Dokumentation zur Rekonstruktion und weitere Extras. 163 Minuten.
Ob der Krieg nun der Vater aller Dinge ist, ob es gerechte Kriege geben kann, solche Fragen hätten Sam Fuller nicht sonderlich interessiert, der selber im Zweiten Weltkrieg war, der eine ganze Reihe Kriegsfilme gedreht und der das Kino in Godards "Pierrot le fou" bekanntlich mit einem Schlachtfeld verglichen hat. Fuller hat jedoch sehr genau gewußt, wie schwer es ist, den Krieg im Kino darzustellen, und in seiner typischen Art hat er erklärt, man könne weder in Filmen noch in Büchern ein realistisches Bild erreichen: "Man kann nur einen sehr, sehr kleinen Aspekt einfangen. Um Kinozuschauern begreiflich zu machen, was eine reale Schlacht ist, müßte man dauernd von beiden Seiten der Leinwand auf sie schießen. Die Opfer im Saal wären schlecht fürs Geschäft." Wobei man hinzufügen muß, daß Fullers beste Filme einer solchen Schockerfahrung bisweilen so nahe kommen, wie das im Kino möglich ist.
Als Fuller "The Big Red One" 1979 endlich realisieren konnte, ein Projekt, dessen Ursprünge bis in die späten fünfziger Jahre zurückreichen, ging er auf die Siebzig zu, war vital wie eh und je und von seinen eigenen Kriegserfahrungen noch immer so geprägt, daß der Film zugleich ein Stück Autobiographie wurde. Es sind Episoden aus dem Zweiten Weltkrieg, in lockerer Folge montiert. "The Big Red One", das erste Infanterieregiment, zieht von Nordafrika nach Sizilien, landet am D-Day in der Normandie, kommt nach Deutschland und in die Tschechoslowakei, wo die Soldaten ein Todeslager befreien. Ein lakonischer Off-Kommentar begleitet den Sergeanten (Lee Marvin) und seine vier Männer, die man "die vier Reiter der Apokalypse" nennt, weil sie wie durch ein Wunder überleben. Es ist ein langer Film über das Sterben, der in dem Satz kulminiert, der einzige Ruhm, den man im Krieg gewinnen könne, sei das Überleben.
Fuller drehte mit einem winzigen Budget in Kalifornien, Israel und Irland, und inmitten der Vietnam-Filme sah "The Big Red One" damals wie ein Veteran der Studiozeit aus. Ein Vierteljahrhundert später hat der Film sich paradoxerweise verjüngt, nachdem in Spielbergs "Der Soldat James Ryan" oder Terrence Malicks "Der schmale Grat" der Zweite Weltkrieg wieder zum Kinosujet wurde. Das Studio nahm Fuller den Film damals weg, weil es mit seiner Version nicht einverstanden war; dennoch soll er schließlich sein Einverständnis zu der 113-Minuten-Version gegeben haben, die 1980 ins Kino kam.
Der amerikanische Filmkritiker Richard Schickel hat nach Fullers Tod im Jahre 1997 die Spur wiederaufgenommen. In mühevoller Recherche hat er in den Archiven ungefähr vierzig zusätzliche Minuten ausgegraben. Schickel hat sich um die minutiöse Restaurierung des Films nach Fullers erhaltenem Shooting Script gekümmert, er hat dafür gekämpft, daß man nun eine Fassung von 156 Minuten sehen kann, und er hat einen kompetenten und angenehm unprätentiösen Audiokommentar abgeliefert, wie er das schon bei Sergio Leones "Es war einmal in Amerika" getan hat.
Lee Marvin als namenloser Sergeant war nie besser, und es ist eine Wohltat, Mark Hamill einmal nicht als Luke Skywalker zu sehen. Fullers Berserkertum fegt auch die beliebte Gutmenschenfrage nach dem Antikriegsfilm einfach beiseite, indem er zeigt, wie es ist, Todesangst zu haben, zu sterben und manchmal auch davonzukommen. Unsentimental, brachial und direkt, folgt er den Fuller-Regeln, daß Männer in Kriegsfilmen nicht rasiert sein, daß sie nicht kurz vorm Sterben noch einen Blick aufs Bild der Braut werfen und nicht allzuviel schauspielern sollen. Und in seinen expressiven Skizzen, die natürlich auch mit dem geringen Budget zu tun haben, entfaltet "The Big Red One" noch immer mehr Wucht als der gewaltig instrumentierte Naturalismus von "Der Soldat James Ryan".
Wie eine Klammer fassen den Film zwei Szenen ein. Anfangs ersticht der Sergeant im Ersten Weltkrieg vier Stunden nach Kriegsende noch einen Deutschen, weil er nicht weiß, daß alles vorbei ist; die Szene wiederholt sich 1945, doch dieses Mal ist der Deutsche nicht tot, und der Sergeant sagt: "Du bleibst am Leben, und wenn ich dich dafür erschießen muß." Das ist Fullers Diktion, das ist seine Weltsicht, und sie ist in ihrer Mitleidlosigkeit und Brutalität humaner als die Attitüde jedes Antikriegsfilms, der sich beständig als solcher ausweisen möchte, weil Fuller zumal in der erweiterten Fassung mehr über die Menschen erzählt und damit auch begreiflich macht, warum Männer, die im Zweiten Weltkrieg waren, noch nach Jahrzehnten kaum beschreiben können, was sie erlebt haben.
Und wenn man sich die verschiedenen Bonusmaterialien ansieht, darunter auch den sorgfältigen Vergleich zwischen Szenen vor und nach der Restaurierung oder Schickels sehenswertes Fuller-Porträt, dann kann man auf dieser DVD ein großartiges Beispiel dafür entdecken, wie sich mit einem Speichermedium aktiv Filmgeschichte betreiben läßt.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sam Fullers "The Big Red One" in einer restaurierten Fassung
Samuel Fuller: "The Big Red One".
Warner. Special Edition, 2 DVDs. Audiokommentar von Richard Schickel, vierzig zusätzliche Minuten, Dokumentation zur Rekonstruktion und weitere Extras. 163 Minuten.
Ob der Krieg nun der Vater aller Dinge ist, ob es gerechte Kriege geben kann, solche Fragen hätten Sam Fuller nicht sonderlich interessiert, der selber im Zweiten Weltkrieg war, der eine ganze Reihe Kriegsfilme gedreht und der das Kino in Godards "Pierrot le fou" bekanntlich mit einem Schlachtfeld verglichen hat. Fuller hat jedoch sehr genau gewußt, wie schwer es ist, den Krieg im Kino darzustellen, und in seiner typischen Art hat er erklärt, man könne weder in Filmen noch in Büchern ein realistisches Bild erreichen: "Man kann nur einen sehr, sehr kleinen Aspekt einfangen. Um Kinozuschauern begreiflich zu machen, was eine reale Schlacht ist, müßte man dauernd von beiden Seiten der Leinwand auf sie schießen. Die Opfer im Saal wären schlecht fürs Geschäft." Wobei man hinzufügen muß, daß Fullers beste Filme einer solchen Schockerfahrung bisweilen so nahe kommen, wie das im Kino möglich ist.
Als Fuller "The Big Red One" 1979 endlich realisieren konnte, ein Projekt, dessen Ursprünge bis in die späten fünfziger Jahre zurückreichen, ging er auf die Siebzig zu, war vital wie eh und je und von seinen eigenen Kriegserfahrungen noch immer so geprägt, daß der Film zugleich ein Stück Autobiographie wurde. Es sind Episoden aus dem Zweiten Weltkrieg, in lockerer Folge montiert. "The Big Red One", das erste Infanterieregiment, zieht von Nordafrika nach Sizilien, landet am D-Day in der Normandie, kommt nach Deutschland und in die Tschechoslowakei, wo die Soldaten ein Todeslager befreien. Ein lakonischer Off-Kommentar begleitet den Sergeanten (Lee Marvin) und seine vier Männer, die man "die vier Reiter der Apokalypse" nennt, weil sie wie durch ein Wunder überleben. Es ist ein langer Film über das Sterben, der in dem Satz kulminiert, der einzige Ruhm, den man im Krieg gewinnen könne, sei das Überleben.
Fuller drehte mit einem winzigen Budget in Kalifornien, Israel und Irland, und inmitten der Vietnam-Filme sah "The Big Red One" damals wie ein Veteran der Studiozeit aus. Ein Vierteljahrhundert später hat der Film sich paradoxerweise verjüngt, nachdem in Spielbergs "Der Soldat James Ryan" oder Terrence Malicks "Der schmale Grat" der Zweite Weltkrieg wieder zum Kinosujet wurde. Das Studio nahm Fuller den Film damals weg, weil es mit seiner Version nicht einverstanden war; dennoch soll er schließlich sein Einverständnis zu der 113-Minuten-Version gegeben haben, die 1980 ins Kino kam.
Der amerikanische Filmkritiker Richard Schickel hat nach Fullers Tod im Jahre 1997 die Spur wiederaufgenommen. In mühevoller Recherche hat er in den Archiven ungefähr vierzig zusätzliche Minuten ausgegraben. Schickel hat sich um die minutiöse Restaurierung des Films nach Fullers erhaltenem Shooting Script gekümmert, er hat dafür gekämpft, daß man nun eine Fassung von 156 Minuten sehen kann, und er hat einen kompetenten und angenehm unprätentiösen Audiokommentar abgeliefert, wie er das schon bei Sergio Leones "Es war einmal in Amerika" getan hat.
Lee Marvin als namenloser Sergeant war nie besser, und es ist eine Wohltat, Mark Hamill einmal nicht als Luke Skywalker zu sehen. Fullers Berserkertum fegt auch die beliebte Gutmenschenfrage nach dem Antikriegsfilm einfach beiseite, indem er zeigt, wie es ist, Todesangst zu haben, zu sterben und manchmal auch davonzukommen. Unsentimental, brachial und direkt, folgt er den Fuller-Regeln, daß Männer in Kriegsfilmen nicht rasiert sein, daß sie nicht kurz vorm Sterben noch einen Blick aufs Bild der Braut werfen und nicht allzuviel schauspielern sollen. Und in seinen expressiven Skizzen, die natürlich auch mit dem geringen Budget zu tun haben, entfaltet "The Big Red One" noch immer mehr Wucht als der gewaltig instrumentierte Naturalismus von "Der Soldat James Ryan".
Wie eine Klammer fassen den Film zwei Szenen ein. Anfangs ersticht der Sergeant im Ersten Weltkrieg vier Stunden nach Kriegsende noch einen Deutschen, weil er nicht weiß, daß alles vorbei ist; die Szene wiederholt sich 1945, doch dieses Mal ist der Deutsche nicht tot, und der Sergeant sagt: "Du bleibst am Leben, und wenn ich dich dafür erschießen muß." Das ist Fullers Diktion, das ist seine Weltsicht, und sie ist in ihrer Mitleidlosigkeit und Brutalität humaner als die Attitüde jedes Antikriegsfilms, der sich beständig als solcher ausweisen möchte, weil Fuller zumal in der erweiterten Fassung mehr über die Menschen erzählt und damit auch begreiflich macht, warum Männer, die im Zweiten Weltkrieg waren, noch nach Jahrzehnten kaum beschreiben können, was sie erlebt haben.
Und wenn man sich die verschiedenen Bonusmaterialien ansieht, darunter auch den sorgfältigen Vergleich zwischen Szenen vor und nach der Restaurierung oder Schickels sehenswertes Fuller-Porträt, dann kann man auf dieser DVD ein großartiges Beispiel dafür entdecken, wie sich mit einem Speichermedium aktiv Filmgeschichte betreiben läßt.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main