Carls (Vincent DOnofrio) Fantasien sind grellbunt, obszön und gewalttätig. Die Opfer des Serienkillers sind immer junge Frauen - seine Methode immer dieselbe: Zuerst sperrt er sie in eine gläserne Zelle. Dann kommt das Wasser. Und wenn sie ertrunken sind, tauchen sie in seiner Wahnvorstellung als Sexmarionetten wieder auf. Als Carl geschnappt wird, hat sein letztes Opfer nur noch wenige Stunden zu leben. Im Kampf gegen die Zeit bleibt FBI-Agent Peter Novak (Vince Vaughn) nur noch ein einziger verzweifelter Versuch: Er bittet die Psychologin Catherine (Jennifer Lopez), in das Bewusstsein des Killers einzudringen und das Versteck der jungen Frau herauszufinden. Für Catherine beginnt damit ein bizarrer Trip in eine wüste Gedankenwelt. Viel zu spät wird ihr klar, dass Carl sie in seinen Träumen schon längst erwartet...
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Trailer von anderen Filmen - Biographien Crew - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - Audio Kommentar - geschnittene Szenen - DVD-ROM Part - FilmographienFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2000Die Gehirndetektivin
"The Cell": Jennifer Lopez auf Abwegen in Tarsems reißerischem Kinoclip
Vor zwanzig Jahren, als das Musikfernsehen in Europa auf Sendung ging, war viel von der Erneuerung der Filmkunst durch den Videoclip die Rede. Die schnellere Schnittfolge und kühnere Farbgestaltung, vor allem aber die kostengünstige Montage beliebiger Bildmaterialien, welche die neue Videotechnik ermöglichte, würden, so hoffte oder befürchtete man, die alte Dame Kinematographie von Grund auf umkrempeln. Der Erfolg von Filmen wie "Flashdance" schien solche Erwartungen zu bestätigen. Aber irgendwann müssen sich die Kinos geweigert haben, sich in Diskotheken zu verwandeln, während die Diskotheken sich Videoprojektoren anschafften, um die jeweils neuesten Clips vorführen zu können. Zudem blähten sich die Budgets für bessere Popvideos so sehr auf, daß sie mit den Kosten für Spielfilme gleichzogen. Statt das Sehen zu revolutionieren, hatte die Videoästhetik nur ein weiteres Stockwerk auf den babylonischen Medienturm gesetzt. Die älteren Turmbewohner halten den Neuling auf Distanz. So bedeutet es heute nichts Gutes, wenn man von einem Film sagt, er sehe aus wie ein Videoclip, während der Satz, ein Popvideo habe filmische Qualitäten, als Kompliment gilt.
Der amerikanische Regisseur Tarsem Singh, der sich als Künstler nur Tarsem nennt, hat zwölf Jahre lang Videoclips und Werbespots inszeniert, unter anderem für Levi's, Coca-Cola, VW, Nike, Susanne Vega und REM. In der Werbebranche ist Tarsem eine Macht. Dennoch hat er nicht gezögert, ein Spielfilmprojekt zu übernehmen. Tarsems Kinodebüt, mit dem er sich aus der Enge des Fernsehbildschirms befreit, heißt nun ausgerechnet "The Cell". Der Titel sagt mehr über Tarsems Film, als ihm lieb sein kann.
Die wichtigsten Sequenzen von "The Cell" spielen in der Innenwelt eines Serienmörders. Carl Stargher (Vincent d'Onofrio) hält eine junge Frau in einer unterirdischen Todeszelle irgendwo in Arizona gefangen. Bevor die Polizei ihn fassen konnte, ist der Killer in ein Koma gefallen. Die Amateurtherapeutin Catherine Deane versucht in Starghers Unterbewußtsein einzudringen, um ihm den Aufenthaltsort seines Opfers zu entreißen, bevor es in der Höllenmaschine umkommt. Mit Hilfe eines jener phantastischen Apparate, an deren Existenz das Kino uns immer wieder glauben macht, gelangt sie ins Gehirn des Psychopathen - und die Filmkamera mit ihr.
Das Auge betritt ein Reich, das sich Dalí, Disney und Dior zusammen erträumt haben könnten. Da sind feuchte Korridore und gewaltige Türme, Treppen ins Nichts und stählerne Gewölbe, ein in Scheiben geschnittenes Pferd, dessen Herz zwischen zwei Glaswänden pulsiert, und drei Vogelweiblein, die in Ackerfurchen sitzen. In einem Folterkabinett drehen sich tote Frauen im Rhythmus von Spieluhren. Hinter einer Tür steht ein kleines Hexenhaus, in dem der Knabe Carl (Jake Thomas) von seinem Vater mißhandelt wird. Der große Carl dagegen hat den bösen Vater verinnerlicht und herrscht als grausamer Spinnenkönig über sein besseres Ich. Als es Catherine beinahe gelungen ist, ihm den Namen seiner irdischen Zwingburg zu entlocken, erleidet der Neurotransmitter, an den Deane und Stargher angeschlossen sind, eine Störung, und die Therapeutin sitzt im Seelenkerker ihres Patienten fest.
Jennifer Lopez ist Catherine Deane. In den Filmen, durch die sie bekannt wurde, Oliver Stones "U-Turn" und Steven Soderberghs "Out of Sight", hat Lopez mal die mexikanische Versuchung, mal die verführbare Polizistin gespielt. Diesmal spielt sie beides. Die enganliegenden Kleider, die sie als Gehirndetektivin im Einsatz trägt, hüllen ihre Mission in eine Aura sexueller Zweideutigkeit. Sie jagt das Biest, aber sie kitzelt es auch. Draußen vor dem Traumlabor, im Gespräch mit dem FBI-Agenten Novak (Vince Vaughn), gibt die Schöne dann wieder den züchtigen Profi. Doch das Plakatmotiv, mit dem für "The Cell" geworben wird, zeigt Jennifer Lopez in jenem Aufzug, in dem sie in Starghers Allmachtsphantasie erscheint. Der größte optische Reiz dieses Films geht von den Wahnbildern eines Schizophrenen aus. Als auch Novak sich in Starghers Bewußtsein einklinkt, um Catherine zu retten, fesselt ihn das Über-Ich des Mörders auf ein Seidenbett, schlitzt ihn auf und dreht ihm langsam die Gedärme aus dem Leib. Auch das ist eine kostbare Einstellung, erlesen ausgeleuchtet, ein Bild, zum Kotzen schön.
So manövriert sich der Film mit jeder Wendung tiefer in den Sumpf, in dem er steckt. Weil Tarsem alles, was er erzählen will, um die Innenwelt des Frauenmörders herum gebaut hat, versinkt die Geschichte schließlich darin. Das Drama gefriert vor der Kamera zu bonbonfarbenen Stilleben. Eine Bewegung, die den Eiseskitsch auftauen könnte, kommt nicht in Gang. Zwar befreit der FBI-Mann die Gefangene aus Starghers Kellerverlies, zwar bettet Jennifer Lopez als heilige Maria von Hollywood den Knaben Carl in ihren Armen zur ewigen Ruhe, doch die Träne, die aus ihrem Auge quillt, ist nur eine bunte Murmel in einem Glasperlenspiel.
Es ist eine Sache, ein paar Musikclips in einen Film aufzunehmen, wie es Lars von Trier in "Dancer in the Dark" getan hat, und eine andere, die ganze Handlung an einer Clip-Idee aufzuhängen, selbst wenn nicht gesungen wird. Die Filme, von denen "The Cell" sich inspirieren ließ, Jonathan Demmes "Schweigen der Lämmer" oder David Finchers "Seven", haben in der äußeren Welt die Zeichen eines inneren Schreckens gelesen. Tarsems Film hält sich dagegen an die Äußerlichkeiten der Innenwelt und wirkt dadurch so leblos wie seine Hauptfigur.
An Hirn aber werden wir in nächster Zeit noch viel sehen. In Thomas Harris' Roman "Hannibal", dessen Verfilmung durch Ridley Scott gerade abgedreht wurde, serviert der mordende Dandy Hannibal Lecter der FBI-Agentin Clarice Starling den Schädelinhalt seines Widersachers zum Abendessen. Hollywood, so scheint es, bringt gern Gedankenmasse auf die Leinwand. Dafür fehlt sie ihm an anderer Stelle.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"The Cell": Jennifer Lopez auf Abwegen in Tarsems reißerischem Kinoclip
Vor zwanzig Jahren, als das Musikfernsehen in Europa auf Sendung ging, war viel von der Erneuerung der Filmkunst durch den Videoclip die Rede. Die schnellere Schnittfolge und kühnere Farbgestaltung, vor allem aber die kostengünstige Montage beliebiger Bildmaterialien, welche die neue Videotechnik ermöglichte, würden, so hoffte oder befürchtete man, die alte Dame Kinematographie von Grund auf umkrempeln. Der Erfolg von Filmen wie "Flashdance" schien solche Erwartungen zu bestätigen. Aber irgendwann müssen sich die Kinos geweigert haben, sich in Diskotheken zu verwandeln, während die Diskotheken sich Videoprojektoren anschafften, um die jeweils neuesten Clips vorführen zu können. Zudem blähten sich die Budgets für bessere Popvideos so sehr auf, daß sie mit den Kosten für Spielfilme gleichzogen. Statt das Sehen zu revolutionieren, hatte die Videoästhetik nur ein weiteres Stockwerk auf den babylonischen Medienturm gesetzt. Die älteren Turmbewohner halten den Neuling auf Distanz. So bedeutet es heute nichts Gutes, wenn man von einem Film sagt, er sehe aus wie ein Videoclip, während der Satz, ein Popvideo habe filmische Qualitäten, als Kompliment gilt.
Der amerikanische Regisseur Tarsem Singh, der sich als Künstler nur Tarsem nennt, hat zwölf Jahre lang Videoclips und Werbespots inszeniert, unter anderem für Levi's, Coca-Cola, VW, Nike, Susanne Vega und REM. In der Werbebranche ist Tarsem eine Macht. Dennoch hat er nicht gezögert, ein Spielfilmprojekt zu übernehmen. Tarsems Kinodebüt, mit dem er sich aus der Enge des Fernsehbildschirms befreit, heißt nun ausgerechnet "The Cell". Der Titel sagt mehr über Tarsems Film, als ihm lieb sein kann.
Die wichtigsten Sequenzen von "The Cell" spielen in der Innenwelt eines Serienmörders. Carl Stargher (Vincent d'Onofrio) hält eine junge Frau in einer unterirdischen Todeszelle irgendwo in Arizona gefangen. Bevor die Polizei ihn fassen konnte, ist der Killer in ein Koma gefallen. Die Amateurtherapeutin Catherine Deane versucht in Starghers Unterbewußtsein einzudringen, um ihm den Aufenthaltsort seines Opfers zu entreißen, bevor es in der Höllenmaschine umkommt. Mit Hilfe eines jener phantastischen Apparate, an deren Existenz das Kino uns immer wieder glauben macht, gelangt sie ins Gehirn des Psychopathen - und die Filmkamera mit ihr.
Das Auge betritt ein Reich, das sich Dalí, Disney und Dior zusammen erträumt haben könnten. Da sind feuchte Korridore und gewaltige Türme, Treppen ins Nichts und stählerne Gewölbe, ein in Scheiben geschnittenes Pferd, dessen Herz zwischen zwei Glaswänden pulsiert, und drei Vogelweiblein, die in Ackerfurchen sitzen. In einem Folterkabinett drehen sich tote Frauen im Rhythmus von Spieluhren. Hinter einer Tür steht ein kleines Hexenhaus, in dem der Knabe Carl (Jake Thomas) von seinem Vater mißhandelt wird. Der große Carl dagegen hat den bösen Vater verinnerlicht und herrscht als grausamer Spinnenkönig über sein besseres Ich. Als es Catherine beinahe gelungen ist, ihm den Namen seiner irdischen Zwingburg zu entlocken, erleidet der Neurotransmitter, an den Deane und Stargher angeschlossen sind, eine Störung, und die Therapeutin sitzt im Seelenkerker ihres Patienten fest.
Jennifer Lopez ist Catherine Deane. In den Filmen, durch die sie bekannt wurde, Oliver Stones "U-Turn" und Steven Soderberghs "Out of Sight", hat Lopez mal die mexikanische Versuchung, mal die verführbare Polizistin gespielt. Diesmal spielt sie beides. Die enganliegenden Kleider, die sie als Gehirndetektivin im Einsatz trägt, hüllen ihre Mission in eine Aura sexueller Zweideutigkeit. Sie jagt das Biest, aber sie kitzelt es auch. Draußen vor dem Traumlabor, im Gespräch mit dem FBI-Agenten Novak (Vince Vaughn), gibt die Schöne dann wieder den züchtigen Profi. Doch das Plakatmotiv, mit dem für "The Cell" geworben wird, zeigt Jennifer Lopez in jenem Aufzug, in dem sie in Starghers Allmachtsphantasie erscheint. Der größte optische Reiz dieses Films geht von den Wahnbildern eines Schizophrenen aus. Als auch Novak sich in Starghers Bewußtsein einklinkt, um Catherine zu retten, fesselt ihn das Über-Ich des Mörders auf ein Seidenbett, schlitzt ihn auf und dreht ihm langsam die Gedärme aus dem Leib. Auch das ist eine kostbare Einstellung, erlesen ausgeleuchtet, ein Bild, zum Kotzen schön.
So manövriert sich der Film mit jeder Wendung tiefer in den Sumpf, in dem er steckt. Weil Tarsem alles, was er erzählen will, um die Innenwelt des Frauenmörders herum gebaut hat, versinkt die Geschichte schließlich darin. Das Drama gefriert vor der Kamera zu bonbonfarbenen Stilleben. Eine Bewegung, die den Eiseskitsch auftauen könnte, kommt nicht in Gang. Zwar befreit der FBI-Mann die Gefangene aus Starghers Kellerverlies, zwar bettet Jennifer Lopez als heilige Maria von Hollywood den Knaben Carl in ihren Armen zur ewigen Ruhe, doch die Träne, die aus ihrem Auge quillt, ist nur eine bunte Murmel in einem Glasperlenspiel.
Es ist eine Sache, ein paar Musikclips in einen Film aufzunehmen, wie es Lars von Trier in "Dancer in the Dark" getan hat, und eine andere, die ganze Handlung an einer Clip-Idee aufzuhängen, selbst wenn nicht gesungen wird. Die Filme, von denen "The Cell" sich inspirieren ließ, Jonathan Demmes "Schweigen der Lämmer" oder David Finchers "Seven", haben in der äußeren Welt die Zeichen eines inneren Schreckens gelesen. Tarsems Film hält sich dagegen an die Äußerlichkeiten der Innenwelt und wirkt dadurch so leblos wie seine Hauptfigur.
An Hirn aber werden wir in nächster Zeit noch viel sehen. In Thomas Harris' Roman "Hannibal", dessen Verfilmung durch Ridley Scott gerade abgedreht wurde, serviert der mordende Dandy Hannibal Lecter der FBI-Agentin Clarice Starling den Schädelinhalt seines Widersachers zum Abendessen. Hollywood, so scheint es, bringt gern Gedankenmasse auf die Leinwand. Dafür fehlt sie ihm an anderer Stelle.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main