Zehn Jahre sind vergangen, seit die Brüder Aaron und Justin den Klauen des religiösen Kults entkommen sind, in dem sie einst aufwuchsen. Doch nun taucht ein Videoband in ihrer Post auf, dessen Botschaft die Vergangenheit wieder auferstehen lässt - und nur kurze Zeit später finden sich Aaron und Justin wieder auf dem Weg in die kärglich-mysteriöse Abgeschiedenheit ihrer einstigen Heimat im südkalifornischen Hinterland. Bei ihrer Ankunft werden sie unvermutet herzlich empfangen; doch schon wenig später mehren sich die Vorzeichen, dass an diesem Ort, an dem die Zeit scheinbar spurlos vorüberzog, so einiges ganz und gar nicht in Ordnung ist: Keiner scheint gealtert, Vögel fliegen in seltsamen Formationen und bizarre Hügel markieren ein unwirkliches Territorium. Als die Ereignisse sich zuspitzen, müssen Aaron und Justin erkennen, dass die Wahrheit selbst ihre kühnsten Vorstellungen bei weitem übertrifft...
Bonusmaterial
Futurepark mit umfangreichem Booklet; Audiokommentar; Interviews; Deleted Scenes; Hinter den Kulissen; Casting-Clips; Originaltrailer; Bildergalerien; Laufzeit Bonusmaterial ca. 146 Min.Frankfurter Allgemeine ZeitungAus unmöglichen Farben
"The Endless" ist der dritte und beste Film des Regieduos Justin Benson und Aaron Moorhead, ein Labyrinth des unwirklich Schlimmen und Schönen.
Es gibt zwei Grundsorten Kinoschrecken: Körperhorror und Kosmohorror. Körperhorror will, dass dem Publikum das Massenherz rast; Kosmohorror will, dass das Massenhirn mitrast, weil sein ganzes Welt- und Wertgefüge überspannt wird, bis es auseinanderbricht. Damit das klappt, muss Körperhorror uns bloß erschrecken, Kosmohorror aber in Bild und Ton etwas vorführen, das weder mit noch über sich reden lässt. In "Resolution" (2012), dem Spielfilmdebüt des Regieduos Justin Benson und Aaron Moorhead, ist dieses Unsagbare der Kosmohorrorfilm selbst, der sich hier um die zwei armen Kerle, die ausweglos in seinem Erzählgang zappeln, zuzieht wie eine Schlinge, während sie sich die bösesten Szenen und Standbilder ebendieses Films (und ein paar entfallene...) auf dem Computerschirm oder der Leinwand ansehen müssen, während sie wieder und wieder daran scheitern, herauszufinden, "was es will", das namenlos Schlimme, das sie in ihrer Gewalt hat, bis einer schließlich begreift, was verlangt ist: "Eine Geschichte mit einem Ende."
Das mitten im tobenden Feuer gefriergeschockte Ende von "Resolution" hat Menschen, die Kinoschrecken schätzen, als Verheißung beeindruckt: Die für dieses Schattenfest verantwortlichen jungen Filmemacher, ahnte man, würden eines Tages Kunst auf dem Niveau der Körper- wie Kosmohorrorklassik zustandebringen, Schätze wie James Whales "The Old Dark House" (1932), Jacques Tourneurs "Night of the Demon" (1975), Dario Argentos "Suspiria"(1977) oder Clive Barkers "Hellraiser" (1987).
Der nächste Film von Benson und Moorhead, "Spring" (2014), gestattete sich einen Schritt zurück aus der diese Erwartung nährenden schauerästhetischen Souveränität von "Resolution". Den beiden aufstrebenden Horrortalenten muss bewusst gewesen sein, dass ihre frappierende Begabung, ihr Stammkapital einer allseitigen, in jeder Einstellung stupendes theoretisches wie praktisches Genrewissen mobilisierenden Materialdurchdringung dann, wenn sie einfach nur tun kann, was immer sie will, schnell in sterilen Akademismus und selbstgenügsames Schnittmetzelgepuzzle führen könnte.
Deshalb wohl setzten sie "Spring" mitten im Vorkünstlerischen, scheinbar Naiven aus wie ein Waisenkind im Wald, umringt von neuen und zugleich uralten Bildern und Lauten des Unheimlichen: Spinnen beim Fliegenmord, Würmer, die Bäume zernagen, eine geliebte Frau, die ein Tier reißt und als zuckende Bacchantin dessen Blut säuft, Klaue, Stachel, Tentakelwirren, und hinter, über, unter allem das ewige Meer - Wellen als Gänsehaut der Zeit. Die finale Metamorphose, die etwas wie ein schaurig-glückliches Ende bringt, sehen wir in "Spring" nicht, aber wir hören sie knirschend am Leiblichen ziehen, um es dem Tod zu rauben. Dann brechen der Vernunft die Knochen und die Seele seufzt auf, entsetzt wie gerettet.
"The Endless" ist der dritte Film von Benson und Moorhead. Er löst ein, was die ersten beiden versprochen haben. Die Regisseure persönlich spielen hier zwei Brüder ohne Nachnamen, die mit Vornamen heißen wie sie selbst, Justin und Aaron. Der ältere Bruder ist mit dem Jüngeren vor fast zehn Jahren aus einer Landkommune in der nordamerikanischen Einöde geflohen, wohl einer Sektensiedlung.
Die Sekte oder Gruppe schickt den beiden ein Paket mit einem gefilmten Gruß, daraufhin will der Jüngere zurück, denn seine Erinnerung weicht von der des Älteren ab: Es gab dort gutes Essen, frische Luft, freundliche Menschen, meint er, von irgendeiner Kultfinsternis weiß er nichts mehr. Aus Schuldgefühl begleitet ihn sein ehemaliger Entführer. Kaum sind sie angekommen, zerbricht der Film in miteinander unversöhnliche Wirklichkeitsscherben: Man zieht an einem Tau, festgemacht im Himmel an der reinen Nacht, drei Monde stehen bald oben, und ein Sprecher der Gruppe sagt, als ihm klar wird, dass Justin glaubt, die locals planten einen Kollektivselbstmord: "Ich versichere dir, hier endet nie etwas." Genau so ist es, unfassbarerweise, und als derselbe freundlich somnambul undurchschaubare Kerl mit Namen Hal, der diese Auskunft gibt und dessen von Mehrdeutigkeit bis zum Unsinn verdrehte Sätze der Schauspieler Tate Ellington spricht, als würden sie ihm direkt vom großen kalten Nichts jenseits der Sterne souffliert, schließlich sagt, etwas sei "aus unmöglichen Farben gemacht", begreift man beim Zuschauen, dass alles, was gerade die Irrsten und Entrücktesten in "The Endless" dauernd sagen, zwar stimmt, aber weder "im wörtlichen" noch "im übertragenen Sinn", sondern irgendwo dazwischen, wo Sprache sich nicht mehr auskennt. Das klinge doch alles "like metaphor", beschwert sich Justin einmal bei Hal - er täte besser daran, sich die Stelle in der Comicserie "Lucifer" vorzunehmen, an der eine junge Frau sagt, religiöse Legenden vom Anfang der Welt seien offensichtlich Geburtsmetaphern, worauf der Teufel, der es besser weiß, erwidert: Nein, umgekehrt, Geburten sind Metaphern für den Anfang der Welt.
Zu Beginn von "The Endless" werden Justin und Aaron in therapeutischen Sitzungen "deprogrammiert", man treibt ihnen die vermeintliche Sektenspinnerei aus, aber was der Film damit vorwegnimmt, funktioniert wie Luzifers Geburtshermeneutik: Wir bekommen da einen Vorgeschmack auf unsere eigene nötige Deprogrammierung; es geht darum, uns aus einer Sekte zu locken, die "Wachbewusstsein" heißt. In mehr als einer Beziehung ist "The Endless" eine Fortsetzung von "Resolution", genauer: eine nachträgliche filmphilologische Zersetzungsattacke auf das eigene Frühwerk der Regisseure - das rote Pulver, das ein Schizo-Anthropologe ("ich studiere den Menschen, aber ich bin nicht gern bei ihm") im früheren Film pafft, geht hier abermals in Flammen auf, die Frau des glücklosen Quasihelden von "Resolution" fährt auf dem Fahrrad durch "The Endless" und sucht ihn, aber das alles ist nicht zitatbeschwipste Schlaubergerei, sondern eine ruhige Inventur der Foltergeräte, mit denen Benson und Moorhead Zusammenhänge ins Fleisch ihrer Geschichte schneiden, bis sie alles gesteht, was sie letzten Sommer und vor Tausenden von Jahren angestellt hat: Lauter Sünden ohne Worte, lauter Verstöße gegen die Selbstberuhigungsgebote menschlichen Zusammenlebens.
"The Endless" wird in deutschen Kinos nur vereinzelt gezeigt, DVD- und Blu-Ray-Veröffentlichungen sind für Ende August angekündigt. Das Juwel hätte mehr Kinodunkel verdient gehabt.
Drei poetische Einsichten, die darin freigelegt sind, werden den Ruhm seiner beiden Schöpfer aber verlässlich mehren, egal, wer wann und wo davon erfährt: Schrecken ist ein Loch in den Wolken, das Menschen durchschaut. Schrecken ist wahrer als Realismus. Vor allem aber: Schrecken ist, wie Kunst, zu schön für Sterbliche.
DIETMAR DATH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"The Endless" ist der dritte und beste Film des Regieduos Justin Benson und Aaron Moorhead, ein Labyrinth des unwirklich Schlimmen und Schönen.
Es gibt zwei Grundsorten Kinoschrecken: Körperhorror und Kosmohorror. Körperhorror will, dass dem Publikum das Massenherz rast; Kosmohorror will, dass das Massenhirn mitrast, weil sein ganzes Welt- und Wertgefüge überspannt wird, bis es auseinanderbricht. Damit das klappt, muss Körperhorror uns bloß erschrecken, Kosmohorror aber in Bild und Ton etwas vorführen, das weder mit noch über sich reden lässt. In "Resolution" (2012), dem Spielfilmdebüt des Regieduos Justin Benson und Aaron Moorhead, ist dieses Unsagbare der Kosmohorrorfilm selbst, der sich hier um die zwei armen Kerle, die ausweglos in seinem Erzählgang zappeln, zuzieht wie eine Schlinge, während sie sich die bösesten Szenen und Standbilder ebendieses Films (und ein paar entfallene...) auf dem Computerschirm oder der Leinwand ansehen müssen, während sie wieder und wieder daran scheitern, herauszufinden, "was es will", das namenlos Schlimme, das sie in ihrer Gewalt hat, bis einer schließlich begreift, was verlangt ist: "Eine Geschichte mit einem Ende."
Das mitten im tobenden Feuer gefriergeschockte Ende von "Resolution" hat Menschen, die Kinoschrecken schätzen, als Verheißung beeindruckt: Die für dieses Schattenfest verantwortlichen jungen Filmemacher, ahnte man, würden eines Tages Kunst auf dem Niveau der Körper- wie Kosmohorrorklassik zustandebringen, Schätze wie James Whales "The Old Dark House" (1932), Jacques Tourneurs "Night of the Demon" (1975), Dario Argentos "Suspiria"(1977) oder Clive Barkers "Hellraiser" (1987).
Der nächste Film von Benson und Moorhead, "Spring" (2014), gestattete sich einen Schritt zurück aus der diese Erwartung nährenden schauerästhetischen Souveränität von "Resolution". Den beiden aufstrebenden Horrortalenten muss bewusst gewesen sein, dass ihre frappierende Begabung, ihr Stammkapital einer allseitigen, in jeder Einstellung stupendes theoretisches wie praktisches Genrewissen mobilisierenden Materialdurchdringung dann, wenn sie einfach nur tun kann, was immer sie will, schnell in sterilen Akademismus und selbstgenügsames Schnittmetzelgepuzzle führen könnte.
Deshalb wohl setzten sie "Spring" mitten im Vorkünstlerischen, scheinbar Naiven aus wie ein Waisenkind im Wald, umringt von neuen und zugleich uralten Bildern und Lauten des Unheimlichen: Spinnen beim Fliegenmord, Würmer, die Bäume zernagen, eine geliebte Frau, die ein Tier reißt und als zuckende Bacchantin dessen Blut säuft, Klaue, Stachel, Tentakelwirren, und hinter, über, unter allem das ewige Meer - Wellen als Gänsehaut der Zeit. Die finale Metamorphose, die etwas wie ein schaurig-glückliches Ende bringt, sehen wir in "Spring" nicht, aber wir hören sie knirschend am Leiblichen ziehen, um es dem Tod zu rauben. Dann brechen der Vernunft die Knochen und die Seele seufzt auf, entsetzt wie gerettet.
"The Endless" ist der dritte Film von Benson und Moorhead. Er löst ein, was die ersten beiden versprochen haben. Die Regisseure persönlich spielen hier zwei Brüder ohne Nachnamen, die mit Vornamen heißen wie sie selbst, Justin und Aaron. Der ältere Bruder ist mit dem Jüngeren vor fast zehn Jahren aus einer Landkommune in der nordamerikanischen Einöde geflohen, wohl einer Sektensiedlung.
Die Sekte oder Gruppe schickt den beiden ein Paket mit einem gefilmten Gruß, daraufhin will der Jüngere zurück, denn seine Erinnerung weicht von der des Älteren ab: Es gab dort gutes Essen, frische Luft, freundliche Menschen, meint er, von irgendeiner Kultfinsternis weiß er nichts mehr. Aus Schuldgefühl begleitet ihn sein ehemaliger Entführer. Kaum sind sie angekommen, zerbricht der Film in miteinander unversöhnliche Wirklichkeitsscherben: Man zieht an einem Tau, festgemacht im Himmel an der reinen Nacht, drei Monde stehen bald oben, und ein Sprecher der Gruppe sagt, als ihm klar wird, dass Justin glaubt, die locals planten einen Kollektivselbstmord: "Ich versichere dir, hier endet nie etwas." Genau so ist es, unfassbarerweise, und als derselbe freundlich somnambul undurchschaubare Kerl mit Namen Hal, der diese Auskunft gibt und dessen von Mehrdeutigkeit bis zum Unsinn verdrehte Sätze der Schauspieler Tate Ellington spricht, als würden sie ihm direkt vom großen kalten Nichts jenseits der Sterne souffliert, schließlich sagt, etwas sei "aus unmöglichen Farben gemacht", begreift man beim Zuschauen, dass alles, was gerade die Irrsten und Entrücktesten in "The Endless" dauernd sagen, zwar stimmt, aber weder "im wörtlichen" noch "im übertragenen Sinn", sondern irgendwo dazwischen, wo Sprache sich nicht mehr auskennt. Das klinge doch alles "like metaphor", beschwert sich Justin einmal bei Hal - er täte besser daran, sich die Stelle in der Comicserie "Lucifer" vorzunehmen, an der eine junge Frau sagt, religiöse Legenden vom Anfang der Welt seien offensichtlich Geburtsmetaphern, worauf der Teufel, der es besser weiß, erwidert: Nein, umgekehrt, Geburten sind Metaphern für den Anfang der Welt.
Zu Beginn von "The Endless" werden Justin und Aaron in therapeutischen Sitzungen "deprogrammiert", man treibt ihnen die vermeintliche Sektenspinnerei aus, aber was der Film damit vorwegnimmt, funktioniert wie Luzifers Geburtshermeneutik: Wir bekommen da einen Vorgeschmack auf unsere eigene nötige Deprogrammierung; es geht darum, uns aus einer Sekte zu locken, die "Wachbewusstsein" heißt. In mehr als einer Beziehung ist "The Endless" eine Fortsetzung von "Resolution", genauer: eine nachträgliche filmphilologische Zersetzungsattacke auf das eigene Frühwerk der Regisseure - das rote Pulver, das ein Schizo-Anthropologe ("ich studiere den Menschen, aber ich bin nicht gern bei ihm") im früheren Film pafft, geht hier abermals in Flammen auf, die Frau des glücklosen Quasihelden von "Resolution" fährt auf dem Fahrrad durch "The Endless" und sucht ihn, aber das alles ist nicht zitatbeschwipste Schlaubergerei, sondern eine ruhige Inventur der Foltergeräte, mit denen Benson und Moorhead Zusammenhänge ins Fleisch ihrer Geschichte schneiden, bis sie alles gesteht, was sie letzten Sommer und vor Tausenden von Jahren angestellt hat: Lauter Sünden ohne Worte, lauter Verstöße gegen die Selbstberuhigungsgebote menschlichen Zusammenlebens.
"The Endless" wird in deutschen Kinos nur vereinzelt gezeigt, DVD- und Blu-Ray-Veröffentlichungen sind für Ende August angekündigt. Das Juwel hätte mehr Kinodunkel verdient gehabt.
Drei poetische Einsichten, die darin freigelegt sind, werden den Ruhm seiner beiden Schöpfer aber verlässlich mehren, egal, wer wann und wo davon erfährt: Schrecken ist ein Loch in den Wolken, das Menschen durchschaut. Schrecken ist wahrer als Realismus. Vor allem aber: Schrecken ist, wie Kunst, zu schön für Sterbliche.
DIETMAR DATH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main