Anne (Olivia Colman) ist in großer Sorge um ihren Vater Anthony (Anthony Hopkins). Als lebenserfahrener stolzer Mann, lehnt er trotz seines hohen Alters jede Unterstützung durch eine Pflegekraft ab und weigert sich standhaft, seine komfortable Londoner Wohnung zu verlassen. Obwohl ihn sein Gedächtnis immer häufiger im Stich lässt, ist er davon überzeugt, auch weiterhin allein zurechtzukommen. Doch als Anne ihm plötzlich eröffnet, dass sie zu ihrem neuen Freund nach Paris ziehen wird, ist er verwirrt. Wer ist dann dieser Fremde in seinem Wohnzimmer, der vorgibt, seit über zehn Jahren mit Anne verheiratet zu sein? Und warum behauptet dieser Mann, dass Anthony als Gast in ihrer Wohnung lebt und gar nicht in seinem eigenen Apartment? Anthony versucht, die sich permanent verändernden Umstände zu begreifen und beginnt mehr und mehr zu zweifeln: an seinen Liebsten, an seinem Verstand und schließlich auch an seiner eigenen Wahrnehmung.
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Trailer Interviews (OV) B-Roll Making Of BildergalerieFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2021Der Mann, der früher Doktor Lecter war
Das Filmdrama "The Father": Anthony Hopkins spielt einen Anthony, der ihm sehr ähnlich und doch dement ist
Wenn dieser Film, nach all seinen narrativen Winkelzügen, all den Tricks und Täuschungsmanövern, die man oft durchschaut und manchmal auch verabscheut hat, so langsam zu Ende geht, weil sein Held am Ende ist, so traurig, einsam, demoralisiert, dass er, ein Mann in seinen Achtzigern, nur noch nach seiner Mutter schreien kann - wenn "The Father" also zu Ende geht, ist man doch hereingefallen auf den Film. Und fühlt sich, wenn man nicht sehr hartgesotten ist, erschüttert, vielleicht sogar gerührt.
Was vor allem an Anthony Hopkins liegt, der hier einen Anthony ohne Nachnamen spielt, einen Mann, der mit Hopkins sogar das Geburtsdatum gemeinsam hat. Früher, sagt seine Tochter, war er Ingenieur. Früher, erzählt er einer Pflegerin, war er Stepptänzer. Und demonstriert sein Können gar nicht mal so schlecht. Später wird er behaupten, er sei als junger Mann beim Zirkus gewesen. Seine Erinnerungen sind ihm durcheinandergeraten, aber als Zuschauer glaubte man ihm auch, wenn er behaupten würde, er sei früher Doktor Lecter gewesen. Oder Coleman Silk, Professor van Helsing, Lieutenant William Bligh, Richard Nixon, Pablo Picasso. Er ist Anthony, geboren am 31. Dezember 1937, wie das Drehbuch und Wikipedia wissen.
Jetzt ist er König Lear, nur dass er kein Reich zu vererben hat, nur eine schöne, große Wohnung im teuren London. Seine Lieblingstochter Lucy scheint tot zu sein, wovon Anthony aber nichts wissen will. Seine Tochter Anne, die ihn anscheinend liebt, sich um ihn kümmert, ihn betreut, wird nicht besonders gut behandelt von ihm. Und manchmal regelrecht gequält.
Anthony sei dement, heißt es; und die Inszenierung, immer bemüht, symbolischen Mehrwert zu generieren, lässt ihn ständig seine Uhr verlegen, verlieren, vermissen, womit sein größtes Problem schon angezeigt ist. Wenn der Film beginnt, sitzt Anthony in einem Sessel, hat Kopfhörer auf, hört Henry Purcell - und als er Anne entdeckt, schnauzt er sie an: was sie wolle, wie sie hereingekommen sei.
Anthony und Anne (die von der großartigen Olivia Colman gespielt wird): das ist die Liebesgeschichte dieses Films. Sie duldet, kümmert sich, bleibt ruhig, vernachlässigt ihren Mann für den Vater. Er schimpft, jammert, schmeichelt, flüstert, schreit, hält große Reden. Auch als Zuschauer ist man verführt, ihn zu lieben, zu hassen, zu verachten dafür, und einmal, nach einem besonders bösartigen Auftritt, bescheinigt ihm auch die Tochter, wie virtuos er in der Rolle war: Als er erschöpft im Bett liegt, ist sie versucht, ihn zu ersticken. Anthony Hopkins hat für die Rolle einen Oscar gewonnen - und genau diese amtlich bescheinigte Brillanz ist das erste Paradoxon dieses Films. Die großen Schauspielsuperkönner mit ihrer verschärften Mimikry, ihrem totalen Als-ob verweisen ja immer viel stärker auf sich selbst, als wenn einer, um einen Polizisten zu spielen, sich eine Mütze aufsetzt und seine Sätze herunterrattert. Und Anthony Hopkins, der deshalb mehr echter Hopkins als fiktionaler Anthony ist, wenn er hoch konzentriert, kraftvoll, mit verführerischer Präsenz den verwirrten alten Mann spielt, dementiert mit diesem Spiel zugleich die Diagnose.
Was möglicherweise intendiert ist von Florian Zeller, dem französischen Schriftsteller und Regisseur, der "The Father" inszeniert und, zusammen mit Christopher Hampton, auch geschrieben hat. Vorlage war "Le Père", Zellers extrem erfolgreiches Theaterstück aus dem Jahr 2012 - und die Herkunft aus der Welt der Kulissen, Drehbühnen und der Monologe, die man auch in der hintersten Reihe noch verstehen soll, versucht der Film gar nicht erst zu verschleiern.
Sehr schöne Wohnung, denkt man sich, wenn alles anfängt: viele Bücher, teure Möbel, dezente Farben an den Wänden. In der nächsten Szene sitzt ein Mann im Sessel und behauptet, es sei seine Wohnung und er sei Annes Mann. Später wird es ein anderer Mann sein, und die Farben wechseln, die Bilder hängen nicht mehr an denselben Stellen, und Anne sagt, das sei ihre Wohnung und sie habe den Vater nur zu sich genommen, weil er die Pflegerin vergrault habe und allein nicht mehr für sich sorgen könne.
Der Grundriss der Wohnung ist zugleich der Bauplan fürs Stück, selbst als Anthony ein einziges Mal die Wohnung verlässt und eine Ärztin aufsucht, scheint die Praxis genau wie die Wohnung geschnitten zu sein; und die bunten Arne-Jacobsen-Stühle aus der Praxis stehen später im Flur der Wohnung, deren Einrichtung sich schon wieder verändert hat.
Als Theatertrick mag diese Kulissenschieberei fast schon genial sein - man schaut ja eh auf eine Bühne; und wenn einem die Inszenierung suggeriert, dass Anthony durch diese wechselnden Dekorationen irrt wie einer, der zwischen diesen unbestimmten Kulissen die Bruchstücke seiner Erinnerungen, die Fragmente seines Bewusstseins nicht mehr zusammenfügen kann - dann ist es das Mindeste, was Theaterbesucher hinzunehmen bereit sind. Und irgendwann, so stellt man sich das auf dem Theater vor, wird alles in sich zusammenkrachen. Das Kino tut sich schwerer mit solchen Symbolen der Subjektivität: Es ist das Medium der Evidenz; die Dinge sind da, deswegen kann die Kamera sie filmen. Wenn das Publikum glauben soll, dass es einem Traum, einer Vision oder dem Irrsinn zuschaue, dann hilft es, riesige visuelle Anführungszeichen zu setzen: Filter, Nebel, Unschärfe und solche Tricks. Was nicht daran liegt, dass Kinogänger bornierter wären; es liegt im Wesen der Kinobilder. Noch die extravagantesten Außerirdischen in einem Star-Wars-Film zeugen vom Willen der Schöpfer, ihnen zumindest für zwei Kinostunden den Status des Wirklichen zu geben.
In "The Father", wo jede Szene behauptet, dass die vorangegangene ein Irrtum, eine Fälschung, ein Trugschluss gewesen sei, wird damit nicht bloß dem Publikum, sondern vor allem dem Helden der Boden unter den Füßen weggezogen - allerdings ohne dass darunter etwas anderes als die Bretter des Theaters sichtbar würden. Anthony geht der Wirklichkeit immer wieder verloren; dafür erschließen ihm seine Monologe und Einbildungen einen Raum des Möglichen. Der Film verschließt aber diesen Raum gleich wieder, indem seine Kulissen die Unmöglichkeit dessen, was sie zeigen, behaupten. So macht "The Father" den Dementen zum Deppen, den er dann bedauern kann. Einmal formuliert Anthony den ungeheuren Verdacht, dass nicht ihm die Welt verloren gehe. Sondern dass seine Tochter und deren Mann sie ihm absichtlich raubten und das ganze Verwirrspiel nur dazu gut sei, dass er verrückt werde, ins Heim gehe und den beiden die schöne Wohnung überlasse.
Es entspricht sicher nicht den Intentionen der Schöpfer, es liegt aber in der Logik der Inszenierung, dass er womöglich recht hat. CLAUDIUS SEIDL
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Das Filmdrama "The Father": Anthony Hopkins spielt einen Anthony, der ihm sehr ähnlich und doch dement ist
Wenn dieser Film, nach all seinen narrativen Winkelzügen, all den Tricks und Täuschungsmanövern, die man oft durchschaut und manchmal auch verabscheut hat, so langsam zu Ende geht, weil sein Held am Ende ist, so traurig, einsam, demoralisiert, dass er, ein Mann in seinen Achtzigern, nur noch nach seiner Mutter schreien kann - wenn "The Father" also zu Ende geht, ist man doch hereingefallen auf den Film. Und fühlt sich, wenn man nicht sehr hartgesotten ist, erschüttert, vielleicht sogar gerührt.
Was vor allem an Anthony Hopkins liegt, der hier einen Anthony ohne Nachnamen spielt, einen Mann, der mit Hopkins sogar das Geburtsdatum gemeinsam hat. Früher, sagt seine Tochter, war er Ingenieur. Früher, erzählt er einer Pflegerin, war er Stepptänzer. Und demonstriert sein Können gar nicht mal so schlecht. Später wird er behaupten, er sei als junger Mann beim Zirkus gewesen. Seine Erinnerungen sind ihm durcheinandergeraten, aber als Zuschauer glaubte man ihm auch, wenn er behaupten würde, er sei früher Doktor Lecter gewesen. Oder Coleman Silk, Professor van Helsing, Lieutenant William Bligh, Richard Nixon, Pablo Picasso. Er ist Anthony, geboren am 31. Dezember 1937, wie das Drehbuch und Wikipedia wissen.
Jetzt ist er König Lear, nur dass er kein Reich zu vererben hat, nur eine schöne, große Wohnung im teuren London. Seine Lieblingstochter Lucy scheint tot zu sein, wovon Anthony aber nichts wissen will. Seine Tochter Anne, die ihn anscheinend liebt, sich um ihn kümmert, ihn betreut, wird nicht besonders gut behandelt von ihm. Und manchmal regelrecht gequält.
Anthony sei dement, heißt es; und die Inszenierung, immer bemüht, symbolischen Mehrwert zu generieren, lässt ihn ständig seine Uhr verlegen, verlieren, vermissen, womit sein größtes Problem schon angezeigt ist. Wenn der Film beginnt, sitzt Anthony in einem Sessel, hat Kopfhörer auf, hört Henry Purcell - und als er Anne entdeckt, schnauzt er sie an: was sie wolle, wie sie hereingekommen sei.
Anthony und Anne (die von der großartigen Olivia Colman gespielt wird): das ist die Liebesgeschichte dieses Films. Sie duldet, kümmert sich, bleibt ruhig, vernachlässigt ihren Mann für den Vater. Er schimpft, jammert, schmeichelt, flüstert, schreit, hält große Reden. Auch als Zuschauer ist man verführt, ihn zu lieben, zu hassen, zu verachten dafür, und einmal, nach einem besonders bösartigen Auftritt, bescheinigt ihm auch die Tochter, wie virtuos er in der Rolle war: Als er erschöpft im Bett liegt, ist sie versucht, ihn zu ersticken. Anthony Hopkins hat für die Rolle einen Oscar gewonnen - und genau diese amtlich bescheinigte Brillanz ist das erste Paradoxon dieses Films. Die großen Schauspielsuperkönner mit ihrer verschärften Mimikry, ihrem totalen Als-ob verweisen ja immer viel stärker auf sich selbst, als wenn einer, um einen Polizisten zu spielen, sich eine Mütze aufsetzt und seine Sätze herunterrattert. Und Anthony Hopkins, der deshalb mehr echter Hopkins als fiktionaler Anthony ist, wenn er hoch konzentriert, kraftvoll, mit verführerischer Präsenz den verwirrten alten Mann spielt, dementiert mit diesem Spiel zugleich die Diagnose.
Was möglicherweise intendiert ist von Florian Zeller, dem französischen Schriftsteller und Regisseur, der "The Father" inszeniert und, zusammen mit Christopher Hampton, auch geschrieben hat. Vorlage war "Le Père", Zellers extrem erfolgreiches Theaterstück aus dem Jahr 2012 - und die Herkunft aus der Welt der Kulissen, Drehbühnen und der Monologe, die man auch in der hintersten Reihe noch verstehen soll, versucht der Film gar nicht erst zu verschleiern.
Sehr schöne Wohnung, denkt man sich, wenn alles anfängt: viele Bücher, teure Möbel, dezente Farben an den Wänden. In der nächsten Szene sitzt ein Mann im Sessel und behauptet, es sei seine Wohnung und er sei Annes Mann. Später wird es ein anderer Mann sein, und die Farben wechseln, die Bilder hängen nicht mehr an denselben Stellen, und Anne sagt, das sei ihre Wohnung und sie habe den Vater nur zu sich genommen, weil er die Pflegerin vergrault habe und allein nicht mehr für sich sorgen könne.
Der Grundriss der Wohnung ist zugleich der Bauplan fürs Stück, selbst als Anthony ein einziges Mal die Wohnung verlässt und eine Ärztin aufsucht, scheint die Praxis genau wie die Wohnung geschnitten zu sein; und die bunten Arne-Jacobsen-Stühle aus der Praxis stehen später im Flur der Wohnung, deren Einrichtung sich schon wieder verändert hat.
Als Theatertrick mag diese Kulissenschieberei fast schon genial sein - man schaut ja eh auf eine Bühne; und wenn einem die Inszenierung suggeriert, dass Anthony durch diese wechselnden Dekorationen irrt wie einer, der zwischen diesen unbestimmten Kulissen die Bruchstücke seiner Erinnerungen, die Fragmente seines Bewusstseins nicht mehr zusammenfügen kann - dann ist es das Mindeste, was Theaterbesucher hinzunehmen bereit sind. Und irgendwann, so stellt man sich das auf dem Theater vor, wird alles in sich zusammenkrachen. Das Kino tut sich schwerer mit solchen Symbolen der Subjektivität: Es ist das Medium der Evidenz; die Dinge sind da, deswegen kann die Kamera sie filmen. Wenn das Publikum glauben soll, dass es einem Traum, einer Vision oder dem Irrsinn zuschaue, dann hilft es, riesige visuelle Anführungszeichen zu setzen: Filter, Nebel, Unschärfe und solche Tricks. Was nicht daran liegt, dass Kinogänger bornierter wären; es liegt im Wesen der Kinobilder. Noch die extravagantesten Außerirdischen in einem Star-Wars-Film zeugen vom Willen der Schöpfer, ihnen zumindest für zwei Kinostunden den Status des Wirklichen zu geben.
In "The Father", wo jede Szene behauptet, dass die vorangegangene ein Irrtum, eine Fälschung, ein Trugschluss gewesen sei, wird damit nicht bloß dem Publikum, sondern vor allem dem Helden der Boden unter den Füßen weggezogen - allerdings ohne dass darunter etwas anderes als die Bretter des Theaters sichtbar würden. Anthony geht der Wirklichkeit immer wieder verloren; dafür erschließen ihm seine Monologe und Einbildungen einen Raum des Möglichen. Der Film verschließt aber diesen Raum gleich wieder, indem seine Kulissen die Unmöglichkeit dessen, was sie zeigen, behaupten. So macht "The Father" den Dementen zum Deppen, den er dann bedauern kann. Einmal formuliert Anthony den ungeheuren Verdacht, dass nicht ihm die Welt verloren gehe. Sondern dass seine Tochter und deren Mann sie ihm absichtlich raubten und das ganze Verwirrspiel nur dazu gut sei, dass er verrückt werde, ins Heim gehe und den beiden die schöne Wohnung überlasse.
Es entspricht sicher nicht den Intentionen der Schöpfer, es liegt aber in der Logik der Inszenierung, dass er womöglich recht hat. CLAUDIUS SEIDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main