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  • FSK: ohne Alterseinschränkung gemäß §14 JuSchG
  • EAN: 4250323722509
  • Artikelnr.: 71737094

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2005

Der Roboter als Harlekin
Nicht nur Contratenöre sind Gefangene der Kunstwelt: Andrew Horns Film über den Sänger Klaus Nomi

Auf jeder schwulen Bühne gibt es mindestens einen Künstler, der Maria Callas nacheifert. Auch Klaus Nomi begann so. Doch die Bedingungslosigkeit, mit der er in den siebziger Jahren in New Yorks Underground-Clubs seine androgyne Welt sang und darstellte, sprengte die Grenzen des Gewohnten. Er schaffte es, wie einer seiner Weggefährten zu Beginn des Films "The Nomi Song" von Andrew Horn sagt, daß selbst Rockmusiker erstarrten, wenn er auftrat. Und noch heute bleibt der Blick auch Uninformierter auf den fremdartigen Cover-Fotos seiner beiden CDs haften, die als Kult zum Sortiment jedes besseren Plattengeschäfts gehören.

Seine bizarre Aufmachung hatte Nomi in den siebziger Jahren den Weg in angesagte Clubs geebnet. Wie das exzentrische roboterhafte Auftreten, das er gemeinsam mit einer Truppe aus Musikern und Tänzern bot, war sie inspiriert von den kuriosen Science-fiction-Filmen der fünfziger Jahre, gesehen durch die Brille der Warhol-Factory. Nomi, in Essen aufgewachsen und, nach einigen Monaten an Berlins Musikhochschule, in New York lebend, stilisierte und steigerte die ungelenke Phantastik dieser Filme und Andy Warhols Flirts mit dem Trash ins Surreale. Amateurfilme seiner ersten Auftritte zeigen ihn als kalkweißgeschminkten Pierrot-Roboter im Flügelgewand einer Königin der Nacht; ein Contratenor, der Opernarien und Balladen singt, als habe ein Alien sie über Funk empfangen.

Einer von Nomis späteren Agenten, ein sehr nüchterner Mensch, kommentiert prosaisch, der Künstler habe auf ihn gewirkt "wie ein Marsmensch, der sich für den Kirchgang ausstaffiert hat", er sei "die unheimlichste Tosca" gewesen, "die es je gegeben hat". Andere Freunde schildern ihn unbewußt als ihren Messias: "Wir sahen seine Herrlichkeit, und dann starb er." Andrew Horn ist diese Bemerkung wohl im Gedächtnis geblieben, als er am Ende seiner Dokumentation die Schlußsequenz eines der besagten Science-fiction-Filme einfügte, in der es bangend und hoffend zugleich heißt, die Außerirdischen hätten die Erde nur vorübergehend verlassen. "Irgendwann kommen sie zurück."

So versucht der Regisseur, die Faszination Nomis anstatt auszudeuten. Denn letzteres ist wohl unmöglich. Man sieht bannende Auftritte, erkennt, wie eine Kunstfigur entsteht, beobachtet, wie ein Stil raffinierter wird, der sich allmählich von dem, was damals New Wave hieß, zu künstlerischer Autonomie entwickelte. Den letzten Anstoß gab David Bowie, dem ein Designer für den gemeinsamen Fernsehauftritt mit Klaus Nomi Kostüme geschneidert hatte, die Tristan Tzaras Werken nachempfunden waren. Nomis Truppe übernahm Grundformen der Bowie-Kleidung und verfeinerte sie, bis sie Oskar Schlemmers Kunstfiguren des Triadischen Balletts glichen. Damit prägte Nomi sich dem allgemeinen visuellen Gedächtnis ein, so wie seine Musik, David Bowies "Major Tom" weit hinter sich lassend, einen unverwechselbaren Klang annahm, der mit Weltraumtönen, Falsett- und Tenorstimme jonglierte.

Das Konzert mit Bowie hatte nicht den erhofften Durchbruch gebracht. Ihn schaffte Klaus Nomi durch den branchenüblichen Verrat: Er unterschrieb einen kommerziell gewieften Vertrag, ließ Mitglieder seiner Truppe im Stich, holte sie, wie bei der Produktion seines zweiten Albums "Simple man", zurück, um sie dann erneut fallenzulassen. Andrew Horn urteilt nicht darüber, er überläßt den Beteiligten das Feld, läßt sie ihre einstige Wut, ihre Ratlosigkeit und ihr Unverständnis aussprechen.

Denn verstehen konnte offenkundig niemand Klaus Nomi. Er sei im Grunde ein einsamer Mensch gewesen, erzählen sie, auf der Suche nach Liebe, die er oft mit der Jagd nach Exzessen verwechselte - oder betäubte. So fiel er als erster Prominenter am Beginn der achtziger Jahre dem "Schwulenkrebs" zum Opfer, wie die damals noch weitgehend unbekannte Aidsinfektion zynisch genannt wurde. Schon die Aufnahmen seines zweiten und letzten Albums und die damit verbundenen spektakulären Konzerte und Fernsehauftritte in Europa absolvierte er todkrank, aufgeputscht mit Spritzen.

Als Klaus Nomi nach Amerika zurückkam, um die Aufzeichnung seines ersten Musikvideos zu feiern, war er ein Gezeichneter. Einer der inzwischen versöhnten frühen Freunde wagte bei dem Fest nicht, ihn anzufassen oder zu umarmen. Nomi winkte müde ab: "Das war unsere letzte Begegnung." Auch die anderen einstigen Begleiter mieden ihn. Er verbrachte seine letzten Wochen allein in einem Krankenhaus. Schonungslos zeichnet Horn die verlegenen gestammelten Erklärungen auf: Das abgedroschene "Ich wollte ihn in Erinnerung behalten, wie er war", das selbstverliebte "Ich konnte noch nie mit Sterbenden umgehen", das haarsträubend ehrliche Bekenntnis "Eigentlich war sein Tod wie das Finale einer großen tragischen Oper".

Es sind vermutlich diese erschütternden Passagen, die Horn im Jahr 2004 den Preis als bester Dokumentarfilm der Berlinale einbrachten. Sie - und jene Amateurfilme, die die ersten Auftritte Klaus Nomis überliefern. Ungeschickt gefilmt, miserabel ausgeleuchtet, zeigen gerade sie Nomis Magie - ein Wesen, das tatsächlich wie eine zerbrechliche Figur anderer Welten vor einer tobenden Masse seine sonderbaren Lieder und graziös mechanischen Bewegungen zelebriert, gefangen in einem Kokon aus Lebensangst.

DIETER BARTETZKO

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