"Die Schwester der Königin" erzählt die Geschichte der schönen Geschwister Anne und Mary Boleyn, zu einer Zeit, in der in Europa Geschichte geschrieben wurde. Getrieben vom blinden Streben ihrer Familie, kämpfen die Schwestern um die Liebe zum attraktiven wie leidenschaftlichen König Henry VIII. Während sich letztlich beide das Bett des Königs teilen, kann nur eine den Thron erklimmen. Für eine stürmische Regentschaft, die schon nach kurzer Zeit ihr tragisches Ende nimmt ... durch das Schwert des Henkers.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2008Chiffon und Charakter
Ein Kostümfilm als Turnier zwischen Blond und Brünett: Justin Chadwicks "Die Schwester der Königin"
Zwei kleine Mädchen rennen über eine Wiese. Zwischen ihnen ein Junge. Das eine Mädchen will das Rennen gewinnen, das andere lässt sich mitziehen, der Junge läuft hinterdrein. Sie purzeln übereinander, ein Knäuel aus Haaren, Armen und Beinen im Gras. Es ist die erste Szene des Films und seine beste. Noch weiß man nicht, wann und wo die Balgerei spielt, in welchem Jahrhundert, in welchem Land. Einen Augenblick lang ist die Geschichte frei und rein, bevor sie in der nächsten Einstellung in ihre Kleider schlüpft. Sie wird sie nicht mehr los.
Der Traum der Kostümfilme ist es, aus den Kostümen herauszukommen. Den offenen, weiten Raum zu gewinnen, den Raum der Worte und Emotionen. Der Traum bleibt unerfüllbar, denn Kostümkino verkauft sich ja gerade über die Verkleidung, die Maskerade. Aber im Untergrund der besseren historischen Filme wühlt stets die Sehnsucht nach Demaskierung, dem Fallen der Schleier. Daher die Neigung des Kinos zu Nonnen und Heiligen, deren Gewänder seit Olims Zeiten gleich geblieben sind. Oder zu Römern, die nur die Tunika ablegen müssen, um Zeitgenossen zu sein. Am schwersten gelingt die Einfühlung in die Prunkwelten von Renaissance bis Rokoko, wo Roben und Hauben wie Orchideen blühen. Jene Zeiten waren auf Verhüllung aus, unsere verlangt das Gegenteil. Ein ganzer Zweig des modernen Kinos, von Kubricks "Barry Lyndon" bis Peter Greenaway und Stephen Frears, spielt mit diesem Widerspruch. Diese Filme benutzen das Kostüm als Mittel der Entblößung. Die Maske spricht den Text der Seele, dahinter ist nichts.
So nihilistisch aber will das populäre Kostümdrama nicht sein, es glaubt noch an den Unterschied zwischen Chiffon und Charakter. Den Preis für dieses Menschenbild zahlt die Kostümabteilung. Sie muss den Darstellern Prachtkleider auf den Leib schneidern, mit denen diese doch nie ganz verschmelzen. Sie wickelt die Geschichte in Goldbrokat, doch die Geschichte selbst erzählt davon, dass der Brokat ganz unwichtig ist, ein Spielzeug zweier kleiner Mädchen, die einem Mann hinterherlaufen, der die Siegerin des Rennens in die Arme schließt.
England im sechzehnten Jahrhundert. Sir Thomas Boleyn sucht eine gute Partie für seine Töchter Mary und Anne. Als der König zu Besuch kommt, soll Anne ihm schöntun, doch der Monarch, durch einen Jagdunfall gelähmt, entscheidet sich für Mary. Er bestellt die Schwestern an seinen Hof, macht Mary zu seiner Geliebten, wird ihrer überdrüssig, wendet sich Anne zu, heiratet und krönt sie, verliert auch an ihr die Lust, treibt sie in einen Inzestversuch, bringt sie vor Gericht und lässt sie köpfen. Marys Bitte um das Leben ihrer Schwester bleibt erfolglos.
Tatsächlich war Anne Boleyn die zweite Ehefrau Heinrichs VIII. Sie löste den Streit mit dem Papst aus, der zur Gründung der anglikanischen Kirche und zur Hinrichtung von Thomas Morus führte, sie starb nach dreijähriger Ehe durch das Schwert des Henkers, und sie hatte eine Schwester, Mary, welche ebenfalls das Bett des Königs teilte. Justin Chadwicks Film nach einem Drehbuch von Peter Morgan, das auf einem 2002 erschienenen Bestsellerroman beruht, modelt die Fakten teilweise um, er macht aus der älteren Schwester, Mary, die jüngere und aus der siebenjährigen Liaison von Heinrich und Anne eine Sache von Wochen, doch das ist nicht das Entscheidende.
Entscheidend ist, dass Chadwick seine beiden Heldinnen mit Scarlett Johansson und Natalie Portman besetzt hat, einer Hollywoodblondine und einer Hollywoodbrünetten. Die Charakterzeichnung folgt dieser Optik. Auf zeitgenössischen Porträts gleichen sich Anne und Mary wie eine Schwester der anderen; bei Chadwick sind sie wie Tag und Nacht. Die eine reitet, flucht und trinkt, die andere schmachtet, bangt und heult. Dabei verlangt das Skript, dass die beiden wie beim Bäumchen-wechsle-dich ständig die Rollen tauschen, je nachdem, wie es der launische Herrscher befiehlt. Deshalb versichern sich Anne und Mary alle naselang, wie ähnlich sie einander seien, obwohl wir sehen, dass das nicht stimmt.
In Wahrheit ist "Die Schwester der Königin" ein filmisches Turnier zwischen Natalie Portman und Scarlett Johansson, ein zweistündiges Duell zwischen Blond und Brünett. Es endet mit einem Punktsieg für Portman, die sich nicht nur auf ihr Aussehen verlässt, und einer Apotheose der Schlösser und Abteien von Somerset, Cornwall und Kent. Denn so amerikanisch sich der Film, eine Koproduktion der BBC, in seiner Starbesetzung auch gibt - Eric Bana, der den König spielt, bringt mindestens fünfzig Kilo zu wenig auf die Waage -, so europäisch ist er im Kern. Auf die Wandelgänge, Bankettsäle und Apsiden, die er zeigt, verschwendet er mehr als einen Seitenblick, und vielleicht liegt gerade in dieser Behäbigkeit eine Würde, die Historiendramen aus Hollywood oft fehlt.
Am Ende saust, wie es die Geschichte verlangt, das Schwert des Scharfrichters durch die Luft. Vierundzwanzig Pfund Silber musste Heinrich VIII. damals dem Henker von Calais zahlen, der eigens angereist kam, um die Königin zu enthaupten. Heute bekommt man das Spektakel für weniger als zehn Euro. Aber das Wichtigste sieht man ja nicht. Der Kostümfilm kostümiert, was er zeigt. Auch das gehört zu seinen Lastern.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Kostümfilm als Turnier zwischen Blond und Brünett: Justin Chadwicks "Die Schwester der Königin"
Zwei kleine Mädchen rennen über eine Wiese. Zwischen ihnen ein Junge. Das eine Mädchen will das Rennen gewinnen, das andere lässt sich mitziehen, der Junge läuft hinterdrein. Sie purzeln übereinander, ein Knäuel aus Haaren, Armen und Beinen im Gras. Es ist die erste Szene des Films und seine beste. Noch weiß man nicht, wann und wo die Balgerei spielt, in welchem Jahrhundert, in welchem Land. Einen Augenblick lang ist die Geschichte frei und rein, bevor sie in der nächsten Einstellung in ihre Kleider schlüpft. Sie wird sie nicht mehr los.
Der Traum der Kostümfilme ist es, aus den Kostümen herauszukommen. Den offenen, weiten Raum zu gewinnen, den Raum der Worte und Emotionen. Der Traum bleibt unerfüllbar, denn Kostümkino verkauft sich ja gerade über die Verkleidung, die Maskerade. Aber im Untergrund der besseren historischen Filme wühlt stets die Sehnsucht nach Demaskierung, dem Fallen der Schleier. Daher die Neigung des Kinos zu Nonnen und Heiligen, deren Gewänder seit Olims Zeiten gleich geblieben sind. Oder zu Römern, die nur die Tunika ablegen müssen, um Zeitgenossen zu sein. Am schwersten gelingt die Einfühlung in die Prunkwelten von Renaissance bis Rokoko, wo Roben und Hauben wie Orchideen blühen. Jene Zeiten waren auf Verhüllung aus, unsere verlangt das Gegenteil. Ein ganzer Zweig des modernen Kinos, von Kubricks "Barry Lyndon" bis Peter Greenaway und Stephen Frears, spielt mit diesem Widerspruch. Diese Filme benutzen das Kostüm als Mittel der Entblößung. Die Maske spricht den Text der Seele, dahinter ist nichts.
So nihilistisch aber will das populäre Kostümdrama nicht sein, es glaubt noch an den Unterschied zwischen Chiffon und Charakter. Den Preis für dieses Menschenbild zahlt die Kostümabteilung. Sie muss den Darstellern Prachtkleider auf den Leib schneidern, mit denen diese doch nie ganz verschmelzen. Sie wickelt die Geschichte in Goldbrokat, doch die Geschichte selbst erzählt davon, dass der Brokat ganz unwichtig ist, ein Spielzeug zweier kleiner Mädchen, die einem Mann hinterherlaufen, der die Siegerin des Rennens in die Arme schließt.
England im sechzehnten Jahrhundert. Sir Thomas Boleyn sucht eine gute Partie für seine Töchter Mary und Anne. Als der König zu Besuch kommt, soll Anne ihm schöntun, doch der Monarch, durch einen Jagdunfall gelähmt, entscheidet sich für Mary. Er bestellt die Schwestern an seinen Hof, macht Mary zu seiner Geliebten, wird ihrer überdrüssig, wendet sich Anne zu, heiratet und krönt sie, verliert auch an ihr die Lust, treibt sie in einen Inzestversuch, bringt sie vor Gericht und lässt sie köpfen. Marys Bitte um das Leben ihrer Schwester bleibt erfolglos.
Tatsächlich war Anne Boleyn die zweite Ehefrau Heinrichs VIII. Sie löste den Streit mit dem Papst aus, der zur Gründung der anglikanischen Kirche und zur Hinrichtung von Thomas Morus führte, sie starb nach dreijähriger Ehe durch das Schwert des Henkers, und sie hatte eine Schwester, Mary, welche ebenfalls das Bett des Königs teilte. Justin Chadwicks Film nach einem Drehbuch von Peter Morgan, das auf einem 2002 erschienenen Bestsellerroman beruht, modelt die Fakten teilweise um, er macht aus der älteren Schwester, Mary, die jüngere und aus der siebenjährigen Liaison von Heinrich und Anne eine Sache von Wochen, doch das ist nicht das Entscheidende.
Entscheidend ist, dass Chadwick seine beiden Heldinnen mit Scarlett Johansson und Natalie Portman besetzt hat, einer Hollywoodblondine und einer Hollywoodbrünetten. Die Charakterzeichnung folgt dieser Optik. Auf zeitgenössischen Porträts gleichen sich Anne und Mary wie eine Schwester der anderen; bei Chadwick sind sie wie Tag und Nacht. Die eine reitet, flucht und trinkt, die andere schmachtet, bangt und heult. Dabei verlangt das Skript, dass die beiden wie beim Bäumchen-wechsle-dich ständig die Rollen tauschen, je nachdem, wie es der launische Herrscher befiehlt. Deshalb versichern sich Anne und Mary alle naselang, wie ähnlich sie einander seien, obwohl wir sehen, dass das nicht stimmt.
In Wahrheit ist "Die Schwester der Königin" ein filmisches Turnier zwischen Natalie Portman und Scarlett Johansson, ein zweistündiges Duell zwischen Blond und Brünett. Es endet mit einem Punktsieg für Portman, die sich nicht nur auf ihr Aussehen verlässt, und einer Apotheose der Schlösser und Abteien von Somerset, Cornwall und Kent. Denn so amerikanisch sich der Film, eine Koproduktion der BBC, in seiner Starbesetzung auch gibt - Eric Bana, der den König spielt, bringt mindestens fünfzig Kilo zu wenig auf die Waage -, so europäisch ist er im Kern. Auf die Wandelgänge, Bankettsäle und Apsiden, die er zeigt, verschwendet er mehr als einen Seitenblick, und vielleicht liegt gerade in dieser Behäbigkeit eine Würde, die Historiendramen aus Hollywood oft fehlt.
Am Ende saust, wie es die Geschichte verlangt, das Schwert des Scharfrichters durch die Luft. Vierundzwanzig Pfund Silber musste Heinrich VIII. damals dem Henker von Calais zahlen, der eigens angereist kam, um die Königin zu enthaupten. Heute bekommt man das Spektakel für weniger als zehn Euro. Aber das Wichtigste sieht man ja nicht. Der Kostümfilm kostümiert, was er zeigt. Auch das gehört zu seinen Lastern.
ANDREAS KILB
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