Die Jungs in der Nachbarschaft in einem amerikanischen Vorort während der 70er Jahre haben es schwer. Sie leben Tür an Tür mit den schönsten Mädchen, die sie sich vorstellen können. Aber die tief religiöse Mutter und der introvertierte Vater schirmen die Töchter völlig ab, um sie vor den Gefahren der Pubertät zu schützen. Nachdem die 13-jährige Cecilia Selbstmord begangen hat, wird das Gefängnis für die Schwestern noch enger. Als der Herzensbrecher Trip Fontaine (Josh Hartnett) die Eltern dazu überreden kann, die Mädchen mit auf ein Schulfest gehen zu lassen, scheint sich die Situation zu verbessern. Doch als Lux (Kirsten Dunst) nach einer Liebesnacht mit Trip erst am nächsten Morgen nach Hause kommt, trifft die Mutter eine verhängnisvolle Entscheidung. Die Ereignisse eskalieren...
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Kinotrailer Kapitel- / Szenenanwahl Making Of Animiertes DVD-Menü DVD-Menü mit Soundeffekten Musikvideo von Air: "Playground Love" Soundtrack-Highlights FotogalerieFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.2000Das Unerklärliche zieht uns hinan
Erstickte Jugend: Sofia Coppolas Film "The Virgin Suicides" nach dem Roman des Amerikaners Jeffrey Eugenides
Der Fall ist offensichtlich. Nachdem sich das jüngste der Lisbon-Mädchen aus dem Fenster gestürzt hatte, aufgespießt von den Pfeilspitzen des Gartenzauns rund um den akkurat gepflegten Vorgarten, nahmen sich binnen Jahresfrist auch die vier Schwestern gemeinsam das Leben. Der Fall ist aber undurchschaubar zugleich. Wie in Trance, von einer unwiderstehlichen Macht gelenkt, gingen die halbwüchsigen Mädchen in den Tod, Cecilia Lisbon mit dreizehn, Lux mit vierzehn, Bonnie mit fünfzehn, Mary mit sechzehn und Therese mit siebzehn Jahren, ein Kollektiv scheinbar fühlloser Wesen, die aber nicht länger sich zu ducken bereit waren und stillzuhalten unter fast unbeschreiblicher Repression.
Drangsaliert von einer engherzigen Mutter, deren Fürsorge nur Würgemale hinterlassen konnte, und im Stich gelassen von einem willensschwachen Vater, gegängelt und bevormundet, eingeengt und schließlich geradezu ausgesperrt vom Leben, mußten die Mädchen eine unbestimmte Todessehnsucht züchten, deren Zwang sie sich willfährig ergaben. Man glaubt zu verstehen, was in den Selbstmord-Schwestern vorging - und doch bleibt vieles unbegreiflich und unbegriffen. Wer versuchen wollte, den dumpfen Schmerz der Mädchen genau zu bestimmen, muß scheitern.
Das Unerklärliche und dessen magischer Sog sind die zentralen Motive des Debütromans "The Virgin Suicides" von Jeffrey Eugenides, 1993 erschienen und alsbald über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus ein Bestseller. Sein Puzzle aus Beobachtungen und Mutmaßungen setzt ein Bild des Verfalls zusammen, einer Implosion des amerikanischen Mittelstands in seinen puritanischen Bindungen - und doch bleiben entscheidende Lücken, die allein die Wahrhaftigkeit der Vorlage bezeugen. Aus gemessenem Abstand verfolgt der Kreis jugendlich-männlicher Verehrer, was im Haus der Lisbons vorgehen mag, aber keines der Beweisstücke, die peinlich gesammelt werden, beweist wirklich schlüssig und unangreifbar im Befund eine Theorie, geschweige denn eine Diagnose. Die Beobachter von ferne, ebenso ins Kollektiv gebannt wie die Mädchen, mögen sogar versteckte Signale mit ihnen tauschen und sich in Befreiungsphantasien versteigen - tatsächlich auf Hilfe sinnen können sie keinen Augenblick.
Sofia Coppola, die Tochter des namhaften amerikanischen Regisseurs Francis Ford Coppola, hat den Roman von Eugenides für ihr Regiedebüt erwählt und sich, obwohl der Film der virtuos vielschichtigen Vorlage keineswegs sklavisch folgen kann, die somnambule Stimmung und den Atem der todessüchtigen Geschichte aus den frühen siebziger Jahren auf eine staunenswert einfühlsame und gleichzeitig selbstbewußte Weise zu eigen gemacht. Aus dem Erzähler-Wir des Romans, vergleichbar dem Chor in der griechischen Tragödie, wird in Sofia Coppolas Drehbuch ein sogar mit Namen versehenes Erzähler-Ich, doch der den Roman charakteristisch prägende fortdauernde Wechsel zwischen dem gleichsam erwachsenen Wissen des Rückblicks und der Perspektive aus gleichaltrigem Blickwinkel bleibt vollständig gewahrt.
Der Film skizziert die Handlungselemente des Romans gleichfalls lose: wie Cecilias Selbstmord die Gewißheit von Mrs. Lisbon für Momente erschüttert, die dunkleren Triebe heranwachsender Menschen ließen sich eindämmen, indem man sie staut; wie die Mädchen, die einzig zum Schulbesuch und beim Kirchgang aus dem Haus kommen, erstmals gemeinsam von älteren Jungen zu einem Schulfest ausgeführt werden dürfen; wie Lux nächtlicherweise über die Stränge schlägt und damit schlimmere Unterdrückung aller Schwestern provoziert als je zuvor. Das Sterben der Ulmen vor dem Haus wird ebenso beiläufig registriert wie dessen Verwahrlosung. Doch entscheidend dafür, daß der Film "The Virgin Suicides" sich adäquat neben dem Roman behaupten kann, ist das Vermögen der jungen Regisseurin, für die seltsame Sogwirkung des Geschehens, für den atmosphärischen Druck, der die Familie Lisbon vernichtet, einen bildlichen Ausdruck zu finden, der in der Schwebe zu lassen vermag, was sich der Konkretisierung entzieht.
Für sie, sagt Sofia Coppola, seien die Selbstmorde immer eine Metapher für den Verlust gewesen, den man in diesem Alter erleidet: "Der Roman liefert keine Erklärung dafür, warum die Lisbon-Schwestern sich umbringen, und gerade dieses Unerklärliche hat eine enorme Wirkung. Im Grunde geht es darum, daß es Dinge im Leben gibt, für die man einfach keine Erklärung findet, wie sehr man sich auch bemüht, sie zu verstehen - sei es die erste Liebe oder die erste Erfahrung mit dem Tod." Daß er dieses Geheimnis bewahrt, ist die unbedingte Stärke des Films wie des Romans.
Mrs. Lisbon, wie Kathleen Turner sie mit selbstlosem Mut zur Unansehnlichkeit grandios verkörpert, ist kein Monster, sondern der Inbegriff des schuldlos in der eigenen Moral gefangenen Menschen. James Woods als Mr. Lisbon macht aus dem Wissen, nur Werkzeug der Verirrungen seiner Frau zu sein, kein Drama des versäumten Widerstands, sondern ein Zeugnis der Schwäche als Überlebensmaxime. Und die fünf Mädchen, eine wie die andere langhaarig blond und mehr als ansehnlich, sind im Grunde genau jener Individualität entkleidet, nach der es sie intensiv verlangt. "Sie waren klein, mit runden Pos unter den Jeans und runden Wangen, die die Weichheit der rückwärtigen Partien in Erinnerung riefen", heißt es im Roman: "Wenn wir sie sahen, wirkten ihre Gesichter auf uns stets unanständig entkleidet, so als wären wir es gewohnt, nur verschleierte Frauen zu sehen."
Es wird sich so rasch kaum wieder ein Film finden lassen, in dem die Bilder ohne jede Unterstützung wörtlicher Rede dermaßen mit dem Ausdruck von Zitaten der literarischen Vorlage imprägniert scheinen: "Wir alle gingen nicht zur Kirche", könnte eine solche Bildbeschreibung lauten, "und hatten daher viel Zeit, sie zu beobachten: die beiden Eltern, farblos wie Negative, und dann die fünf funkelnden Töchter, deren schwellendes Fleisch die selbstgeschneiderten Kleider voller Spitzen und Rüschen zu sprengen drohte." Nach dem Tod Cecilias verschattet sich das Bild der Mädchen, als mache nicht allein ihr Kummer sie ratlos: "Ihrer Schönheit war jetzt ein neues mysteriöses Leiden beigegeben, ein völlig stilles Leiden, das sich in den bläulichen Schwellungen unter ihren Augen zeigte oder in der Art, wie sie manchmal mitten im Schritt innehielten, zu Boden blickten und den Kopf schüttelten, als seien sie mit dem Leben nicht einverstanden."
Der Leidensdruck ist ungeheuerlich. Von Klagen, Zetern, Umsichschlagen aber keine Spur. Als schickten sie sich in die Entführungs- und Rettungsphantasien ihrer Verehrer, geben sich die Mädchen den Anschein, sie wüßten einen Weg, den Widerstand der Eltern zu brechen. Dabei sehen sie längst nur einen Ausweg: den Tod. Und mit der nämlichen lakonischen Kühle, die den Leser des Buchs umfängt, setzt auch der Film am Ende den Betrachter ins Bild: "Höchstwahrscheinlich starb Bonnie, während wir im Wohnzimmer saßen und von weiten Landstraßen träumten. Mary steckte kurz danach ihren Kopf ins Backrohr des Herdes, als sie hörte, wie Bonnie den Koffer unter sich wegstieß . . . Therese, mit Schlaftabletten vollgestopft, die sie mit Gin hinuntergespült hatte, war um die Zeit, als wir das Haus betraten, schon so gut wie tot. Lux war die letzte, die starb, zwanzig oder dreißig Minuten, nachdem wir gegangen waren."
HANS-DIETER SEIDEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erstickte Jugend: Sofia Coppolas Film "The Virgin Suicides" nach dem Roman des Amerikaners Jeffrey Eugenides
Der Fall ist offensichtlich. Nachdem sich das jüngste der Lisbon-Mädchen aus dem Fenster gestürzt hatte, aufgespießt von den Pfeilspitzen des Gartenzauns rund um den akkurat gepflegten Vorgarten, nahmen sich binnen Jahresfrist auch die vier Schwestern gemeinsam das Leben. Der Fall ist aber undurchschaubar zugleich. Wie in Trance, von einer unwiderstehlichen Macht gelenkt, gingen die halbwüchsigen Mädchen in den Tod, Cecilia Lisbon mit dreizehn, Lux mit vierzehn, Bonnie mit fünfzehn, Mary mit sechzehn und Therese mit siebzehn Jahren, ein Kollektiv scheinbar fühlloser Wesen, die aber nicht länger sich zu ducken bereit waren und stillzuhalten unter fast unbeschreiblicher Repression.
Drangsaliert von einer engherzigen Mutter, deren Fürsorge nur Würgemale hinterlassen konnte, und im Stich gelassen von einem willensschwachen Vater, gegängelt und bevormundet, eingeengt und schließlich geradezu ausgesperrt vom Leben, mußten die Mädchen eine unbestimmte Todessehnsucht züchten, deren Zwang sie sich willfährig ergaben. Man glaubt zu verstehen, was in den Selbstmord-Schwestern vorging - und doch bleibt vieles unbegreiflich und unbegriffen. Wer versuchen wollte, den dumpfen Schmerz der Mädchen genau zu bestimmen, muß scheitern.
Das Unerklärliche und dessen magischer Sog sind die zentralen Motive des Debütromans "The Virgin Suicides" von Jeffrey Eugenides, 1993 erschienen und alsbald über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus ein Bestseller. Sein Puzzle aus Beobachtungen und Mutmaßungen setzt ein Bild des Verfalls zusammen, einer Implosion des amerikanischen Mittelstands in seinen puritanischen Bindungen - und doch bleiben entscheidende Lücken, die allein die Wahrhaftigkeit der Vorlage bezeugen. Aus gemessenem Abstand verfolgt der Kreis jugendlich-männlicher Verehrer, was im Haus der Lisbons vorgehen mag, aber keines der Beweisstücke, die peinlich gesammelt werden, beweist wirklich schlüssig und unangreifbar im Befund eine Theorie, geschweige denn eine Diagnose. Die Beobachter von ferne, ebenso ins Kollektiv gebannt wie die Mädchen, mögen sogar versteckte Signale mit ihnen tauschen und sich in Befreiungsphantasien versteigen - tatsächlich auf Hilfe sinnen können sie keinen Augenblick.
Sofia Coppola, die Tochter des namhaften amerikanischen Regisseurs Francis Ford Coppola, hat den Roman von Eugenides für ihr Regiedebüt erwählt und sich, obwohl der Film der virtuos vielschichtigen Vorlage keineswegs sklavisch folgen kann, die somnambule Stimmung und den Atem der todessüchtigen Geschichte aus den frühen siebziger Jahren auf eine staunenswert einfühlsame und gleichzeitig selbstbewußte Weise zu eigen gemacht. Aus dem Erzähler-Wir des Romans, vergleichbar dem Chor in der griechischen Tragödie, wird in Sofia Coppolas Drehbuch ein sogar mit Namen versehenes Erzähler-Ich, doch der den Roman charakteristisch prägende fortdauernde Wechsel zwischen dem gleichsam erwachsenen Wissen des Rückblicks und der Perspektive aus gleichaltrigem Blickwinkel bleibt vollständig gewahrt.
Der Film skizziert die Handlungselemente des Romans gleichfalls lose: wie Cecilias Selbstmord die Gewißheit von Mrs. Lisbon für Momente erschüttert, die dunkleren Triebe heranwachsender Menschen ließen sich eindämmen, indem man sie staut; wie die Mädchen, die einzig zum Schulbesuch und beim Kirchgang aus dem Haus kommen, erstmals gemeinsam von älteren Jungen zu einem Schulfest ausgeführt werden dürfen; wie Lux nächtlicherweise über die Stränge schlägt und damit schlimmere Unterdrückung aller Schwestern provoziert als je zuvor. Das Sterben der Ulmen vor dem Haus wird ebenso beiläufig registriert wie dessen Verwahrlosung. Doch entscheidend dafür, daß der Film "The Virgin Suicides" sich adäquat neben dem Roman behaupten kann, ist das Vermögen der jungen Regisseurin, für die seltsame Sogwirkung des Geschehens, für den atmosphärischen Druck, der die Familie Lisbon vernichtet, einen bildlichen Ausdruck zu finden, der in der Schwebe zu lassen vermag, was sich der Konkretisierung entzieht.
Für sie, sagt Sofia Coppola, seien die Selbstmorde immer eine Metapher für den Verlust gewesen, den man in diesem Alter erleidet: "Der Roman liefert keine Erklärung dafür, warum die Lisbon-Schwestern sich umbringen, und gerade dieses Unerklärliche hat eine enorme Wirkung. Im Grunde geht es darum, daß es Dinge im Leben gibt, für die man einfach keine Erklärung findet, wie sehr man sich auch bemüht, sie zu verstehen - sei es die erste Liebe oder die erste Erfahrung mit dem Tod." Daß er dieses Geheimnis bewahrt, ist die unbedingte Stärke des Films wie des Romans.
Mrs. Lisbon, wie Kathleen Turner sie mit selbstlosem Mut zur Unansehnlichkeit grandios verkörpert, ist kein Monster, sondern der Inbegriff des schuldlos in der eigenen Moral gefangenen Menschen. James Woods als Mr. Lisbon macht aus dem Wissen, nur Werkzeug der Verirrungen seiner Frau zu sein, kein Drama des versäumten Widerstands, sondern ein Zeugnis der Schwäche als Überlebensmaxime. Und die fünf Mädchen, eine wie die andere langhaarig blond und mehr als ansehnlich, sind im Grunde genau jener Individualität entkleidet, nach der es sie intensiv verlangt. "Sie waren klein, mit runden Pos unter den Jeans und runden Wangen, die die Weichheit der rückwärtigen Partien in Erinnerung riefen", heißt es im Roman: "Wenn wir sie sahen, wirkten ihre Gesichter auf uns stets unanständig entkleidet, so als wären wir es gewohnt, nur verschleierte Frauen zu sehen."
Es wird sich so rasch kaum wieder ein Film finden lassen, in dem die Bilder ohne jede Unterstützung wörtlicher Rede dermaßen mit dem Ausdruck von Zitaten der literarischen Vorlage imprägniert scheinen: "Wir alle gingen nicht zur Kirche", könnte eine solche Bildbeschreibung lauten, "und hatten daher viel Zeit, sie zu beobachten: die beiden Eltern, farblos wie Negative, und dann die fünf funkelnden Töchter, deren schwellendes Fleisch die selbstgeschneiderten Kleider voller Spitzen und Rüschen zu sprengen drohte." Nach dem Tod Cecilias verschattet sich das Bild der Mädchen, als mache nicht allein ihr Kummer sie ratlos: "Ihrer Schönheit war jetzt ein neues mysteriöses Leiden beigegeben, ein völlig stilles Leiden, das sich in den bläulichen Schwellungen unter ihren Augen zeigte oder in der Art, wie sie manchmal mitten im Schritt innehielten, zu Boden blickten und den Kopf schüttelten, als seien sie mit dem Leben nicht einverstanden."
Der Leidensdruck ist ungeheuerlich. Von Klagen, Zetern, Umsichschlagen aber keine Spur. Als schickten sie sich in die Entführungs- und Rettungsphantasien ihrer Verehrer, geben sich die Mädchen den Anschein, sie wüßten einen Weg, den Widerstand der Eltern zu brechen. Dabei sehen sie längst nur einen Ausweg: den Tod. Und mit der nämlichen lakonischen Kühle, die den Leser des Buchs umfängt, setzt auch der Film am Ende den Betrachter ins Bild: "Höchstwahrscheinlich starb Bonnie, während wir im Wohnzimmer saßen und von weiten Landstraßen träumten. Mary steckte kurz danach ihren Kopf ins Backrohr des Herdes, als sie hörte, wie Bonnie den Koffer unter sich wegstieß . . . Therese, mit Schlaftabletten vollgestopft, die sie mit Gin hinuntergespült hatte, war um die Zeit, als wir das Haus betraten, schon so gut wie tot. Lux war die letzte, die starb, zwanzig oder dreißig Minuten, nachdem wir gegangen waren."
HANS-DIETER SEIDEL
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