Adam Kay ist Gynäkologe an einer NHS-Klinik. Als stellvertretender Oberarzt ist er gerade so weit unten in der Hackordnung, dass er nichts zu sagen hat, dafür aber die volle Verantwortung trägt. Als eine Patientin aufgrund einer unter Stress erfolgten Fehldiagnose eine Frühgeburt erleidet, wird er
angezeigt, gerät in die Mühlen der Bürokratie und wird gleichzeitig Opfer der Hierarchie. Auch zu…mehrAdam Kay ist Gynäkologe an einer NHS-Klinik. Als stellvertretender Oberarzt ist er gerade so weit unten in der Hackordnung, dass er nichts zu sagen hat, dafür aber die volle Verantwortung trägt. Als eine Patientin aufgrund einer unter Stress erfolgten Fehldiagnose eine Frühgeburt erleidet, wird er angezeigt, gerät in die Mühlen der Bürokratie und wird gleichzeitig Opfer der Hierarchie. Auch zu Hause läuft nicht alles rund: Er lebt zwar seit über zwei Jahren mit seinem liebevollen Freund zusammen, hat sich gegenüber seiner Familie aber noch nicht geoutet, aus Angst vor der Reaktion seiner Mutter, die ihn ständig zu verkuppeln sucht. Unlösbare Probleme, wohin er auch schaut.
Das klingt nach richtig schwerer Kost und das ist es im Prinzip auch - wenn nicht Adam Kay das Drehbuch geschrieben hätte. Der echte Adam Kay hat vor 10 Jahren seinen Beruf als Gynäkologe an den Nagel gehängt, ist heute ein bekannter Autor und Comedian und seine pointensicheren Dialoge, die vor Witz und Geist nur so sprühen, sind atemberaubend rasant, genauso wie sein Gespür für Timing und originelle Einfälle. Sie prasseln manchmal auf den Zuschauer wie ein Hagelsturm, mit einer Gagdichte und Präzision, dass man sich am Ende einer Episode wie nach einem Vollwaschgang fühlt. Die absurden Situationen, die den NHS (wir erinnern uns: Das ist das hochgelobte britische Gesundheitssystem, dem wir den Brexit verdanken) zu einem organisatorischen Tollhaus machen, ziehen sich als Running Gag durch alle Episoden. Wo die Chefärzte im Sportwagen vorfahren und Adam im schrottreifen Mini nach einer Dreifachschicht am Lenker einschläft. Die Serie findet immer die richtige Balance zwischen Tragik und Komik, es wird nie trivial oder auch nur respektlos. Die arbeitende Belegschaft ist körperlich und seelisch am Limit, ständig übermüdet, ständig überfordert und dazu von den Vorgesetzten gemobbt, dass es trotz der unterhaltsamen Schlagfertigkeit oft schwer erträglich ist. Wäre da nicht Adams hingebungsvoller Partner Harry, würde sich Adam wohl irgendwann an den nächsten Baum hängen. Ich kann hier nicht mehr verraten, aber die Situation wird zunehmend dramatisch.
Ben Whishaw spielt den physisch und psychisch ausgelaugten Adam so einfühlsam, dass man ihn gerne in den Arm nehmen und damit trösten möchte, dass es schlimmer kommen könnte. Nur leider kommt es schlimmer. Es ist ein ständiges Wechselbad der Gefühle: Adam ist zerrissen zwischen dem Anspruch an seine Beziehung, der Vorstellung der Patienten von einem übermenschlichen, ständig verfügbaren und fehlerlosen Arzt auf der einen und der systematischen Fehlallokation von Mitteln im NHS-System (der Woke-Sprech-Kurs für alle Mitarbeiter*innen ist natürlich viel wichtiger als den defekten Computer zu ersetzen), den rückgradlosen Vorgesetzten und seinem langsam leerlaufenden Lebensakku auf der anderen Seite.
Das ist richtig gutes Fernsehen, wie es deutsche Sender schon lange nicht mehr produzieren. Dramatisch, rasant und politisch unkorrekt, wo die Political Correctness ins Absurde abdriftet (und dadurch genau das wird, was sie selber bekämpfen will: rassistisch, diskriminierend, verschleiernd und gesellschaftlich spaltend). Außerdem romantisch, witzig, originell, und im Drehbuch genial umgesetzt. Die Schauspieler sind wunderbar besetzt, bis in die letzte Nebenrolle hinein. Der Autor hat leider angekündigt, dass er keine zweite Staffel schreiben will, weil ihn die Arbeit Jahre seines Lebens gekostet hat und er nichts Halbgares auf die Zuschauer loslassen möchte. Das ist schade, aber zum Glück hat die Serie ein eigenständiges Ende.
Wenn es sechs Sterne zu vergeben gäbe, „This is going to hurt“ würde sie von mir bekommen. Das ist Premium-Fernsehen, das die Zeiten überdauern wird.
(Diese DVD wurde mir von Polyband kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)