THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI ist ein schwarzhumoriges Drama von Regisseur Martin McDonagh. Nachdem Monate vergangen sind, ohne dass der Mörder ihrer Tochter ermittelt wurde, unternimmt Mildred Hayes (Frances McDormand) eine Aufsehen erregende Aktion. Sie bemalt drei Plakatwände an der Stadteinfahrt mit provozierenden Sprüchen, die an den städtischen Polizeichef, den ehrenwerten William Willoughby (Woody Harrelson), adressiert sind, um ihn zu zwingen, sich um den Fall zu kümmern. Als sich der stellvertretende Officer Dixon (Sam Rockwell), ein Muttersöhnchen mit Hang zur Gewalt, einmischt, verschärft sich der Konflikt zwischen Mildred und den Ordnungshütern des verschlafenen Städtchens nur noch weiter.
Bonusmaterial
Entfallene Szenen Six Shooter (Original Oscar-preisgekrönter Kurzfilm von Martin McDonagh) Bildergalerie Original KinotrailerFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.06.2024Abgründe der Provinz
Die Radikalität erinnert an Kleist: Martin McDonaghs Drama erzählt von wahnhafter Selbstjustiz einer Mutter.
Dieser Titel könnte auch ein Einleitungssatz sein, denn er bezeichnet exakt das, worum es in Martin McDonaghs Film geht: drei Plakatwände vor den Toren der Kleinstadt Ebbing im amerikanischen Provinzstaat Missouri, die von Mildred Hayes mit provokanten Anklagen gegen den örtlichen Polizeichef Bill Willoughby beklebt werden, nachdem sich sieben Monate nach der Vergewaltigung und Ermordung ihrer Tochter immer noch keine Ermittlungsergebnisse verzeichnen lassen. Damit treibt sie einen Spalt durch die Stadtgemeinschaft, dessen Auswüchse für den Ort beinahe epochale Maße annehmen. Frances McDormand spielt diese besessene Egomanin, die in ihrer Radikalität Erinnerungen an Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas aufkommen lässt. Mit ihrem literarischen Leidensgenossen teilt sie nicht nur das Aufbegehren gegen institutionelle Untätigkeit, sondern auch das Abdriften in die wahnhafte Selbstjustiz und den Hang zur Pyromanie.
Damit bricht diese Entwicklung mit der tradierten Darstellung der traumatisierten und dadurch uneingeschränkt bemitleidenswert gewordenen Mutter. Diese Mildred Hayes ist nicht "likeable", lethargisch oder gar unschuldig, und doch ist sie nachvollziehbar in ihrer überforderten Suche nach persönlichem Frieden. Zu Recht hat McDormand für ihr Spiel den Oscar als beste Hauptdarstellerin gewonnen, denn keine Zweite hätte diese Mutter derart kaltschnäuzig und derb, dabei aber witzig und gebrochen verkörpern können. Neben ihr spielt sich Sam Rockwell als rassistischer Polizist Jason Dixon im Verlauf der Handlung in den Vordergrund. Als versoffener Rüpel, der noch bei seiner Mutter wohnt, verkäme er beinahe zur Knallcharge, erführe man nicht beiläufig davon, dass er sich um seine Mutter kümmert, seitdem der Vater die Familie verlassen hat, und er, zermürbt von dieser Geschichte, der Armut und repressiven Männlichkeitsvorstellungen, nicht nur Täter, sondern auch Opfer der Umstände ist.
Für seine Gewaltwillkür wird er nach dem Tod Willoughbys des Amtes enthoben, besinnt sich dann aber durch dessen Abschiedsbrief doch noch unter Einsatz seines Lebens auf seine Eigenregie in den Ermittlungen des Falls. Lautstark erhoben sich 2018 bei Erscheinen des Films Stimmen, die ihm vorwarfen, mit Dixons Charakterentwicklung eine Täterfigur zu idealisieren, während seinen (schwarzen) Opfern kaum Platz eingeräumt wird. Dabei lässt sich die Beiläufigkeit, mit der der strukturelle Missstand des exekutiv praktizierten Rassismus hier gezeigt wird, nicht so sehr als Ausdruck des Desinteresses von McDonagh lesen, sondern viel mehr als ein Hervorkehren der fahrlässigen Nonchalance, mit der er von Behörden und Zivilgesellschaft tatsächlich behandelt wird. Dass mit Dixon vermeintlich aus einem Saulus ein Paulus wird, sagt dabei mehr über die Lesart der Empörten als über die Darstellung des Films aus - immerhin macht er sich gemeinsam mit seiner einstigen Erzfeindin Mildred auf, einen mutmaßlichen Vergewaltiger umzubringen. Die apotheotische Wirkmächtigkeit dieser Wendung hält sich nach der knapp zweistündigen Problematisierung von Selbstjustiz und blinder Rachsucht in Grenzen. Doch wahrscheinlich geht es Martin McDonagh genau darum: den Zuschauer mit Personen, die so unangenehm sind, dass man sie am liebsten schnellstmöglich aus seinem Sichtfeld drängen würde, in die Konfrontation zu zwingen, ebenso wie sich die verschrobenen Bewohner von Ebbing miteinander arrangieren müssen, weil man entgegen den Rachephantasien Mildreds eben doch nicht alle unliebsamen Mitmenschen umbringen kann.
Das wäre eine einzige Tour de Force, würde dieses Drama nicht all das mit unnachahmlichem Witz erzählen. Oftmals südstaatentypisch derb, bisweilen aber auch augenzwinkernd subtil und mit einem grandiosen Soundtrack unterlegt, der mit Klassikern der Countrymusik oder dem Lied der letzten Rose aus der Oper "Martha" ein eigenes Narrativ etabliert, zeigt der Film die Brutalitäten der amerikanischen Peripherie und deren Unabänderlichkeit auf, die letztlich nur Gezeichnete eines Schattenkampfs hinterlässt, in dem es nie um Gewinnen oder Verlieren, sondern bestenfalls um Schadensbegrenzung ging.
Ähnlich ernüchternd bleibt auch der Ausblick, mit dem der Film sein Publikum entlässt, denn schlussendlich hat sich nach all dem Prügeln, Taktieren und Zündeln doch nichts getan. Der Täter ist nicht gefasst, Genugtuung oder Seelenheil wurde niemandem zuteil, der gesellschaftliche Nährboden für Misogynie und Rassismus, die solche Gewaltspiralen überhaupt erst lostreten, wurde erst recht nicht umgepflügt. Die Aussicht einer sozialen Veränderung bleibt in diesem Exempelort amerikanischer Provinzialität eine von Verdrängung, Konvention und Engstirnigkeit erstickte Illusion, der notgedrungen mit Zynismus beigekommen wird. So ringt weiterhin jeder für sich und mit sich allein, während irgendwo im Hintergrund Joan Baez unermüdlich auf ihrer Gitarre schrammt. ROBIN PASSON
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Radikalität erinnert an Kleist: Martin McDonaghs Drama erzählt von wahnhafter Selbstjustiz einer Mutter.
Dieser Titel könnte auch ein Einleitungssatz sein, denn er bezeichnet exakt das, worum es in Martin McDonaghs Film geht: drei Plakatwände vor den Toren der Kleinstadt Ebbing im amerikanischen Provinzstaat Missouri, die von Mildred Hayes mit provokanten Anklagen gegen den örtlichen Polizeichef Bill Willoughby beklebt werden, nachdem sich sieben Monate nach der Vergewaltigung und Ermordung ihrer Tochter immer noch keine Ermittlungsergebnisse verzeichnen lassen. Damit treibt sie einen Spalt durch die Stadtgemeinschaft, dessen Auswüchse für den Ort beinahe epochale Maße annehmen. Frances McDormand spielt diese besessene Egomanin, die in ihrer Radikalität Erinnerungen an Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas aufkommen lässt. Mit ihrem literarischen Leidensgenossen teilt sie nicht nur das Aufbegehren gegen institutionelle Untätigkeit, sondern auch das Abdriften in die wahnhafte Selbstjustiz und den Hang zur Pyromanie.
Damit bricht diese Entwicklung mit der tradierten Darstellung der traumatisierten und dadurch uneingeschränkt bemitleidenswert gewordenen Mutter. Diese Mildred Hayes ist nicht "likeable", lethargisch oder gar unschuldig, und doch ist sie nachvollziehbar in ihrer überforderten Suche nach persönlichem Frieden. Zu Recht hat McDormand für ihr Spiel den Oscar als beste Hauptdarstellerin gewonnen, denn keine Zweite hätte diese Mutter derart kaltschnäuzig und derb, dabei aber witzig und gebrochen verkörpern können. Neben ihr spielt sich Sam Rockwell als rassistischer Polizist Jason Dixon im Verlauf der Handlung in den Vordergrund. Als versoffener Rüpel, der noch bei seiner Mutter wohnt, verkäme er beinahe zur Knallcharge, erführe man nicht beiläufig davon, dass er sich um seine Mutter kümmert, seitdem der Vater die Familie verlassen hat, und er, zermürbt von dieser Geschichte, der Armut und repressiven Männlichkeitsvorstellungen, nicht nur Täter, sondern auch Opfer der Umstände ist.
Für seine Gewaltwillkür wird er nach dem Tod Willoughbys des Amtes enthoben, besinnt sich dann aber durch dessen Abschiedsbrief doch noch unter Einsatz seines Lebens auf seine Eigenregie in den Ermittlungen des Falls. Lautstark erhoben sich 2018 bei Erscheinen des Films Stimmen, die ihm vorwarfen, mit Dixons Charakterentwicklung eine Täterfigur zu idealisieren, während seinen (schwarzen) Opfern kaum Platz eingeräumt wird. Dabei lässt sich die Beiläufigkeit, mit der der strukturelle Missstand des exekutiv praktizierten Rassismus hier gezeigt wird, nicht so sehr als Ausdruck des Desinteresses von McDonagh lesen, sondern viel mehr als ein Hervorkehren der fahrlässigen Nonchalance, mit der er von Behörden und Zivilgesellschaft tatsächlich behandelt wird. Dass mit Dixon vermeintlich aus einem Saulus ein Paulus wird, sagt dabei mehr über die Lesart der Empörten als über die Darstellung des Films aus - immerhin macht er sich gemeinsam mit seiner einstigen Erzfeindin Mildred auf, einen mutmaßlichen Vergewaltiger umzubringen. Die apotheotische Wirkmächtigkeit dieser Wendung hält sich nach der knapp zweistündigen Problematisierung von Selbstjustiz und blinder Rachsucht in Grenzen. Doch wahrscheinlich geht es Martin McDonagh genau darum: den Zuschauer mit Personen, die so unangenehm sind, dass man sie am liebsten schnellstmöglich aus seinem Sichtfeld drängen würde, in die Konfrontation zu zwingen, ebenso wie sich die verschrobenen Bewohner von Ebbing miteinander arrangieren müssen, weil man entgegen den Rachephantasien Mildreds eben doch nicht alle unliebsamen Mitmenschen umbringen kann.
Das wäre eine einzige Tour de Force, würde dieses Drama nicht all das mit unnachahmlichem Witz erzählen. Oftmals südstaatentypisch derb, bisweilen aber auch augenzwinkernd subtil und mit einem grandiosen Soundtrack unterlegt, der mit Klassikern der Countrymusik oder dem Lied der letzten Rose aus der Oper "Martha" ein eigenes Narrativ etabliert, zeigt der Film die Brutalitäten der amerikanischen Peripherie und deren Unabänderlichkeit auf, die letztlich nur Gezeichnete eines Schattenkampfs hinterlässt, in dem es nie um Gewinnen oder Verlieren, sondern bestenfalls um Schadensbegrenzung ging.
Ähnlich ernüchternd bleibt auch der Ausblick, mit dem der Film sein Publikum entlässt, denn schlussendlich hat sich nach all dem Prügeln, Taktieren und Zündeln doch nichts getan. Der Täter ist nicht gefasst, Genugtuung oder Seelenheil wurde niemandem zuteil, der gesellschaftliche Nährboden für Misogynie und Rassismus, die solche Gewaltspiralen überhaupt erst lostreten, wurde erst recht nicht umgepflügt. Die Aussicht einer sozialen Veränderung bleibt in diesem Exempelort amerikanischer Provinzialität eine von Verdrängung, Konvention und Engstirnigkeit erstickte Illusion, der notgedrungen mit Zynismus beigekommen wird. So ringt weiterhin jeder für sich und mit sich allein, während irgendwo im Hintergrund Joan Baez unermüdlich auf ihrer Gitarre schrammt. ROBIN PASSON
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