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Justin (Lou Pucci) ist 17 Jahre alt und eigentlich ganz normal, sieht man davon ab, dass er immer noch Daumen lutscht. Sein kleiner Bruder findet ihn deswegen peinlich, sein Vater (Vincent D´Onofrio) streitet ständig mit seiner Mutter (Tilda Swinton) darüber, eine Freundin hat Justin auch nicht, dafür aber tief sitzende Selbstzweifel. Als ihn der Kieferorthopäde und New-Age-Hobbypsychologe Dr. Perry Lyman (Keanu Reeves) mittels Hypnose von seiner Obsession befreit, wird jedoch nichts besser. Denn der Daumen war nur ein Ventil für Justins Unsicherheit. Und sein Lehrer Mr. Geary (Vince Vaughn)…mehr

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Produktbeschreibung
Justin (Lou Pucci) ist 17 Jahre alt und eigentlich ganz normal, sieht man davon ab, dass er immer noch Daumen lutscht. Sein kleiner Bruder findet ihn deswegen peinlich, sein Vater (Vincent D´Onofrio) streitet ständig mit seiner Mutter (Tilda Swinton) darüber, eine Freundin hat Justin auch nicht, dafür aber tief sitzende Selbstzweifel. Als ihn der Kieferorthopäde und New-Age-Hobbypsychologe Dr. Perry Lyman (Keanu Reeves) mittels Hypnose von seiner Obsession befreit, wird jedoch nichts besser. Denn der Daumen war nur ein Ventil für Justins Unsicherheit. Und sein Lehrer Mr. Geary (Vince Vaughn) offenbart sich als genauso verunsichert wie Justin. Scheinbar ist es nicht leicht erwachsen zu werden - egal wie alt man ist.

Bonusmaterial

DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl - Making Of - Animiertes DVD-Menü - DVD-Menü mit Soundeffekten - Interviews - Behind the Scences
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2006

Schöner wär's, wenn's schöner war
Das einzig Gute an der Pubertät sind die Filme, die darüber gedreht werden können, wie jetzt "Thumbsucker" mal wieder zeigt

Wie jeder weiß, der schon mal in Prag war, ist die Pubertät die schlimmste Zeit des Lebens. Hordenweise schwarzgekleidete Teenager laufen da durch eine der schönsten Städte Europas, überqueren die Karlsbrücke, passieren den Wenzelsplatz und sehen aus, als sei etwas Furchtbares geschehen. Den Blick ungerührt auf den Boden gerichtet, trotten sie mißmutig hinter einem Lehrer her und lehnen alles, was die Welt ihnen zu bieten hat, erst einmal ab. Es steht ihnen ins Gesicht geschrieben, es steht auf ihren T-Shirts: Life sucks. I hate everybody. Why me. Manche von ihnen rasten früher oder später aus und bringen mit einem Gewehr Mitschüler und Schulleitung um; viele richten ihre Wut gegen sich selbst, werden magersüchtig, kratzen sich blutig oder betäuben sich mit Alkohol und Drogen; die meisten halten es einfach aus, stehen es durch und wachen eines Morgens, so Gott will, als normale Menschen auf. Justin Cobb, der 17jährige Held aus Mike Mills' Regiedebüt "Thumbsucker", versucht es mit Ritalin.

Er ist ein stiller, ernster Junge, der in einer dieser weißgepinselten amerikanischen Vorstädte aufwächst, wie wir sie aus "American Beauty" oder dem "Eissturm" kennen. Auf den ersten Blick scheint seine Welt eigentlich in Ordnung: Er hat nette Eltern, einen jüngeren Bruder, der aber nicht weiter stört, ist nicht der beste, aber auch nicht der schlechteste Schüler, und daß er noch nie ein Mädchen geküßt hat und schon gar nicht die hübsche Rebecca aus seinem Rhetorikkurs, scheint schon sein größtes Problem. Aber in ihm wütet es und tobt, die Pubertät trifft ihn mit ihrer ganzen gnadenlosen Härte, und obwohl er äußerlich gefaßt bleibt, der normale, stumme Teenager-Junge von nebenan, verrät ihn doch ein Detail: Justin lutscht noch am Daumen. Wann immer er sich unsicher fühlt, zieht er sich zurück, geht in sein Zimmer, schließt sich in der Schultoilette ein und steckt den Daumen in den Mund. Weil diese Angewohnheit, wie jedes Kind weiß, zu Überbiß führt, ist Justin öfter bei seinem Zahnarzt (Keanu Reeves) in der Praxis als andere Jungen seines Alters. Der versteht sich auch eher als Psychotherapeut: "Wir müssen herausfinden, was dahintersteckt", sagt er und fragt feierlich: "Hast du den Mut, ohne deinen Daumen zu leben?" Schließlich verschreibt er eine scheußlich schmeckende Tinktur, die allerdings nichts weiter bewirkt, als daß Justin die nächste Zeit eben an seinem scheußlich schmeckenden Daumen lutscht.

Mit der Zeit wird Justins Verhalten auffälliger, er kann sich schlecht konzentrieren, ist ständig gereizt und auf dem Weg, sich in einen unbeliebten Außenseiter zu verwandeln. Die Eltern werden in die Schulsprechstunde gebeten, irgendwann fällt das Stichwort ADHS, die Modediagnose Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom - da hellt sich Justins Miene auf, er strahlt zum ersten Mal im Film: "Was, wenn mein einziges Problem ist, daß ich hyperaktiv bin?" fragt er, erleichtert, endlich eine Erklärung zu haben, eine Entschuldigung, für alles, vor allem für sein verhaßtes Ich.

Er bekommt, wie in solchen Fällen üblich, das Medikament Ritalin verschrieben, das sich in nur drei Molekülen von Kokain unterscheidet, und von da an erzählt der Film die Geschichte einer Drogensucht. Justin verändert sich, er liest in einer Nacht den ganzen "Moby Dick" von der ersten bis zur letzten Seite, gelt sich auf einmal die Haare glatt und entwickelt eine geradezu manische Lust an Rhetorik. Sein Gang ist federnd, sein Blick herausfordernd, er entwickelt sich zum besten Schüler seines Jahrgangs und debattiert alle in Grund und Boden. Eine Weile läuft es richtig gut, alle sind glücklich, vor allem Justin, der einen Rhetorikwettbewerb nach dem anderen gewinnt - dann kippt es. Aus Selbstsicherheit wird Arroganz, seine Argumentationsketten büßen an Logik ein, er ist anmaßend, selbstherrlich, großkotzig, "ein Monster", wie sein Lehrer sagt. Irgendwann findet Justin das auch. Er setzt das Ritalin ab, und daß sein Leben dadurch nicht einfacher wird, versteht sich von selbst.

"Thumbsucker" ist ein kleiner und sehr feiner Film über ein Thema, das viele Menschen ihr ganzes Leben lang beschäftigt: Erwachsenwerden. Raten, versuchen, hoffen - das sei alles, was man tun könne, philosophiert Keanu Reeves als Zahnarzt -, das Geheimnis bestehe darin, daß das Leben ohne Antworten funktioniere. Er schickt vorsichtshalber ein dickes "Vielleicht" hinterher. Seine Auftritte sind die lustigsten im Film, und irgendwie muß er wohl doch ein guter Schauspieler sein, denn obwohl sein Charakter als einziger überzeichnet ist - ein durchgeknallter Esoteriker, der während der Wurzelbehandlung davon redet, daß man seinem persönlichen Totemtier begegnen muß -, gleitet er ihm nicht ins Absurde ab.

Mike Mills, der vorher Werbespots und Musikvideos für Bands wie Air, Pulp und The Divine Comedy gedreht hat, hat die Geschichte in minimalistischen Bildern inszeniert: ein Haus, ein Raum, jemand sitzt an einem Tisch, schon ist eine Stimmung erzählt. Er läßt seinen Schauspielern Raum für Ungesagtes, das ja oft mehr erzählt als noch soviel Text. Sein Hauptdarsteller, Lou Taylor Pucci, hübsch wie die junge Winona Ryder, spielt sehr zurückgenommen, verinnerlicht und betreibt das Daumenlutschen mit einer solchen Ernsthaftigkeit, daß alleine das schon den Silbernen Bären rechtfertigt, den er für diese Rolle bei der letztjährigen Berlinale gewonnen hat.

Außerdem treten auf: Vince Vaughn als verständnisvoller Lehrer; Benjamin Bratt in einer Nebenrolle als kokainabhängiger Star einer Fernsehserie namens "The Line"; Vincent D'Onofrio als sprachloser Vater; und die großartige Tilda Swinton, die von Film zu Film immer noch besser zu werden scheint. Sie spielt Justins Mutter, unsicher, ratlos, zärtlich, und man kann sich kaum satt sehen an ihrem echsenhaften, hohlwangigen Gesicht.

Zum Schluß, soviel sei verraten, wird es Justin etwas besser gehen. Er wird ein Mädchen geküßt haben, auch wenn es vielleicht doch besser ein anderes gewesen wäre als die hübsche Rebecca, er wird verstanden haben, daß Erwachsene auch nur versuchen, welche zu sein, und der Drang, den Daumen in den Mund zu stecken, ist vielleicht nicht mehr ganz so existentiell wie zu Beginn des Films. Und wer weiß, vielleicht ist ein glückliches Leben ja eines, bei dem man auf die Frage: Wie geht's? antworten kann: Ich bin symptomfrei.

JOHANNA ADORJÁN

Ab Donnerstag im Kino.

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