Ein verheerender Zugunfall vor den Toren von Philadelphia. 131 Tote. Nur ein Mann hat überlebt. Unverletzt. Kein Kratzer, keine Beule, keine Schramme. Hatte David Dunn (Bruce Willis) nur Glück? Oder gibt es einen tieferen Grund für sein Überleben? Ist er womöglich gar der unüberwindbare Held, für den ihn sein Sohn Jeremy (Spencer Treat Clark) hält? David Dunn hat keine Antworten auf seine Fragen. Doch dann tritt Elijah Price (Samuel L. Jackson) in David Dunns Leben. Ein Mann mit Knochen wie aus Glas, die bei der kleinsten Berührung zu brechen drohen. Er behauptet, David Dunn sei unzerbrechlich. Und er sagt, er weiß warum ...
Bonusmaterial
Zusätzliche Szenen Making of UNBREAKABLE mit Bruce Willis Comics und Superhelden Multi-Angle Feature: Bahnhofs-Sequenz M. Night Shyamalans erste KampfszeneFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2000Wo dünne Knochen sinnvoll splittern
Ende einer Zugfahrt: M. Night Shyamalans Film "Unbreakable" übt die hohe Kunst des Selbstzitats
Auf Tiefpunkten werden Helden geboren. Wenn die Schubumkehr ins Glück nicht spätestens an dieser Stelle zündet, erzählt nur noch der Leichenbestatter den Schluß. David Dunn (Bruce Willis) hat deshalb das Zeug zum Helden: Tiefer in die Kleinbürgerdepression kann niemand sinken. Die Art, wie er im Zug ins heimische Philadelphia sitzt, verspräche jedem Psychiater Dauerbeschäftigung. Die Schultern knieabwärts gesunken, die Augen stumpf wie Trauerklöße, in der Kopfhaltung schwächelnd: In dieser dünnen Haut möchte niemand stecken. Als sich eine junge Frau neben ihn setzt, flackert für einen Moment ein trübes Hoffnungslicht in ihm auf. Er zieht unauffällig seinen Ehering ab, stürzt sich mit der Unbeholfenheit des Anfängers in das ehebrecherische Geplauder, holt sich eine peinlich nachschallende Abfuhr: Einen Bund fürs Leben hat dieser David Dunn wohl nur mit dem Unglück geschlossen, das ihm in schlechten wie auch hundsmiserablen Tagen treu zur Seite steht. Ein kleines Mädchen hat ihn - stellvertretend für den Zuschauer - die ganze Zeit über zwischen den Sitzen hindurch beobachtet. Das Versagen vor Minderjährigen, scheint David zu denken, müßte polizeilich verboten werden. Die Scham treibt seine Blicke aus dem Seitenfenster. Das letzte, was man sieht, ist ein helles Licht, wie man es als Vorboten einer Zugentgleisung erwarten darf: Selbst der Zug scheint sich auf der Flucht vor David Dunns Unglück in die Büsche zu schlagen.
Es gehört zu den großen Tugenden des Films "Unbreakable", daß er die folgende Blechlawine nicht nachstellt. Von 132 Passagieren hat alleine David Dunn überlebt - unverletzt, kein Kratzer, allenfalls Knitterspuren im Hemd. Während um ihn herum im Krankenhaus - mit berückend inszenierter Stille - gestorben wird, steht er wie ein depressiver Lazarus von der Bahre auf, mit den gleichen herabgefallenen Mundwinkeln, dem unveränderten Fernblick. Bruce Willis ignoriert das Wunder seines Überlebens, wie er es in all seinen Filmen zuvor provoziert hat. Die Unsterblichkeit des Actionhelden - Bedingung seiner Serienfähigkeit und Grenze aller wirklichen Gefahr - ist hier die beiläufig entdeckte Eigenschaft eines Kleinbürgers, eines lohnabhängigen Stehaufmännchens. Die Verzweiflung über sein scheinbar mißglücktes Leben sitzt zu tief, als daß sie sich von einer solchen Entdeckung irritieren lassen würde. So setzt David seine Existenz als wandernde Schlafpille fort; die Kamera paßt sich ihm in Schleichfahrt an. Nichts dringt durch diese unendliche Langsamkeit des Seins, kein Nachdenken rammt Stützpfähle in das zerbrochene Selbstbewußtsein. David überlebt als einziger die Auslöschung, doch ein Lebenszeichen ist ihm nicht zu entlocken.
"Unbreakable" kultiviert in der ersten Hälfte die Zeitlupe, eine maßlose Zeitvernichtung. Sie ist der Lebensraum des langsam Vegetierenden, dem irgendwann der Lebensplan aus den Händen geglitten ist: Beruflich ist er gescheitert, seine Ehe steht am Abgrund. Unverändert bleiben bei ihm nur der Herzschlag und die Trostlosigkeit. Doch dann findet David eine Nachricht hinter seinem Scheibenwischer: "Wie viele Tage in Ihrem Leben waren Sie krank?" Geschrieben hat sie Elijah Price (Samuel L. Jackson), der alle liegengelassenen Eigenschaften David Dunns aufgesammelt hat: In seiner Rastlosigkeit gleicht dieser Price einem gefangenen Wiesel, bohrend in seinem Nachfragen, ein Suchender. Elijah Price birst innerlich vor Energie, doch er muß sich bezähmen: Ein falscher Tritt läßt seine Glasknochen splittern. Und dieser unheimliche Gegenzwilling kratzt mit seinen Fragen an der Vakuumverpackung, die der sedierte Kleinbürger David um sein Leben gelegt hat. Es ist Davids Sohn, der als erster die ungeheuerliche Vermutung versteht: Sein Vater, so glaubt Elijah, ist unverwundbar, die Apathie nur ein unbewußter Widerwille gegen dieses Wissen - der vollkommen zerbrechliche Körper braucht den unzerstörbaren als Widerpart. Und so wird der schmächtige Sohn zum Agenten des dunklen Propheten und seiner Comic-Ideologie, er ist ein Geburtshelfer des eigenen Vaters: Denn er richtet die Pistole auf ihn, bereit, mit einem - vielleicht - folgenlosen Schuß den Beweis seiner Unverwundbarkeit anzutreten. Dieser Jung-Ödipus nähme das Unrecht auf sich, um den Mythos zu amerikanisieren: Lege die Waffe auf deinen Vater an, damit du ihn ins Leben zurückführst - das Duell als letztmögliche Lebensform.
Im letzten Jahr hat der Regisseur M. Night Shyamalan mit seinem ersten Film eine Gattung wiederbelebt. "The Sixth Sense" war ein großartiger mystery thriller, haarscharf konstruiert am Reißbrett und doch von einer solchen Verhaltenheit in den Mitteln, daß man ihm keine Handlungskehre übelnahm. Die Täuschung war perfekt, weil sie den Zweifel erst gar nicht aufkommen ließ, die plötzliche Entdeckung des Geistergesprächs am Filmende ein Moment sokratischer Hebammenkunst: Eine solche Kraft hatte man dem Genre nicht mehr zugetraut.
Shyamalan hat nun eine variierende Wiederholung gewagt: Mit Bruce Willis hat er den gleichen Hauptdarsteller noch einmal als klugen Toren gewählt, er hat ihm wieder einen Jungen als Führer durch die Unterwelt an die Seite gestellt, und wieder läßt er den Film auf eine Pointe zulaufen, die man nicht vorwegnehmen darf. Einzelne Motive sind dem großen Mythentopf entnommen - der Moment der Erkenntnis, das angenommene Schicksal, der Kampf von Gut und Böse -, und theatralisch wirkt auch ihre Inszenierung. Vor allem die gedehnten Szenen und der Verzicht auf den ablenkenden Schnitt eröffnen einen Bühnenraum, in dem das letzte Wissen um sich schlagen kann.
Doch der Schluß wirkt nicht so heftig wie beim ersten Mal, und diese Wiederholungsschwäche trübt ein wenig die Wiedersehensfreude. Man erwartet den fünften Akt und ist gerade deshalb bei seinem Eintreten enttäuscht.
Das Drehbuch von "Unbreakable" hat nicht die Wucht, seinen Vorgänger vergessen zu machen. So zitiert Shyamalan kunstvoll sich selbst, als sei "Unbreakable" das Handbuch, mit dem der Erstling sich noch einmal analysieren ließe. Man kann über dieses Selbstzitat die Nase rümpfen, kann den wiederholten Blick in die eigene Drehbuchwerkstatt als Routine beklagen. Doch das Modell schmerzhafter Selbstfindung behält genügend Glaubwürdigkeit, weil es die Figuren nicht an den Schlußclou verrät: David Dunn erobert sich das Leben zurück und nimmt an, was vor langer Zeit einmal "Schicksal" hieß. Daß ein solches Wagnis schmerzvoller als ein Zugunglück sein kann, führt "Unbreakable" mit ruhiger Regiehand vor - in diesen effektvollen Zeiten ist soviel Konzentration selten geworden. Noch ist es zu früh, um Shyamalan seine Meisterschaft abzusprechen.
THOMAS WIRTZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ende einer Zugfahrt: M. Night Shyamalans Film "Unbreakable" übt die hohe Kunst des Selbstzitats
Auf Tiefpunkten werden Helden geboren. Wenn die Schubumkehr ins Glück nicht spätestens an dieser Stelle zündet, erzählt nur noch der Leichenbestatter den Schluß. David Dunn (Bruce Willis) hat deshalb das Zeug zum Helden: Tiefer in die Kleinbürgerdepression kann niemand sinken. Die Art, wie er im Zug ins heimische Philadelphia sitzt, verspräche jedem Psychiater Dauerbeschäftigung. Die Schultern knieabwärts gesunken, die Augen stumpf wie Trauerklöße, in der Kopfhaltung schwächelnd: In dieser dünnen Haut möchte niemand stecken. Als sich eine junge Frau neben ihn setzt, flackert für einen Moment ein trübes Hoffnungslicht in ihm auf. Er zieht unauffällig seinen Ehering ab, stürzt sich mit der Unbeholfenheit des Anfängers in das ehebrecherische Geplauder, holt sich eine peinlich nachschallende Abfuhr: Einen Bund fürs Leben hat dieser David Dunn wohl nur mit dem Unglück geschlossen, das ihm in schlechten wie auch hundsmiserablen Tagen treu zur Seite steht. Ein kleines Mädchen hat ihn - stellvertretend für den Zuschauer - die ganze Zeit über zwischen den Sitzen hindurch beobachtet. Das Versagen vor Minderjährigen, scheint David zu denken, müßte polizeilich verboten werden. Die Scham treibt seine Blicke aus dem Seitenfenster. Das letzte, was man sieht, ist ein helles Licht, wie man es als Vorboten einer Zugentgleisung erwarten darf: Selbst der Zug scheint sich auf der Flucht vor David Dunns Unglück in die Büsche zu schlagen.
Es gehört zu den großen Tugenden des Films "Unbreakable", daß er die folgende Blechlawine nicht nachstellt. Von 132 Passagieren hat alleine David Dunn überlebt - unverletzt, kein Kratzer, allenfalls Knitterspuren im Hemd. Während um ihn herum im Krankenhaus - mit berückend inszenierter Stille - gestorben wird, steht er wie ein depressiver Lazarus von der Bahre auf, mit den gleichen herabgefallenen Mundwinkeln, dem unveränderten Fernblick. Bruce Willis ignoriert das Wunder seines Überlebens, wie er es in all seinen Filmen zuvor provoziert hat. Die Unsterblichkeit des Actionhelden - Bedingung seiner Serienfähigkeit und Grenze aller wirklichen Gefahr - ist hier die beiläufig entdeckte Eigenschaft eines Kleinbürgers, eines lohnabhängigen Stehaufmännchens. Die Verzweiflung über sein scheinbar mißglücktes Leben sitzt zu tief, als daß sie sich von einer solchen Entdeckung irritieren lassen würde. So setzt David seine Existenz als wandernde Schlafpille fort; die Kamera paßt sich ihm in Schleichfahrt an. Nichts dringt durch diese unendliche Langsamkeit des Seins, kein Nachdenken rammt Stützpfähle in das zerbrochene Selbstbewußtsein. David überlebt als einziger die Auslöschung, doch ein Lebenszeichen ist ihm nicht zu entlocken.
"Unbreakable" kultiviert in der ersten Hälfte die Zeitlupe, eine maßlose Zeitvernichtung. Sie ist der Lebensraum des langsam Vegetierenden, dem irgendwann der Lebensplan aus den Händen geglitten ist: Beruflich ist er gescheitert, seine Ehe steht am Abgrund. Unverändert bleiben bei ihm nur der Herzschlag und die Trostlosigkeit. Doch dann findet David eine Nachricht hinter seinem Scheibenwischer: "Wie viele Tage in Ihrem Leben waren Sie krank?" Geschrieben hat sie Elijah Price (Samuel L. Jackson), der alle liegengelassenen Eigenschaften David Dunns aufgesammelt hat: In seiner Rastlosigkeit gleicht dieser Price einem gefangenen Wiesel, bohrend in seinem Nachfragen, ein Suchender. Elijah Price birst innerlich vor Energie, doch er muß sich bezähmen: Ein falscher Tritt läßt seine Glasknochen splittern. Und dieser unheimliche Gegenzwilling kratzt mit seinen Fragen an der Vakuumverpackung, die der sedierte Kleinbürger David um sein Leben gelegt hat. Es ist Davids Sohn, der als erster die ungeheuerliche Vermutung versteht: Sein Vater, so glaubt Elijah, ist unverwundbar, die Apathie nur ein unbewußter Widerwille gegen dieses Wissen - der vollkommen zerbrechliche Körper braucht den unzerstörbaren als Widerpart. Und so wird der schmächtige Sohn zum Agenten des dunklen Propheten und seiner Comic-Ideologie, er ist ein Geburtshelfer des eigenen Vaters: Denn er richtet die Pistole auf ihn, bereit, mit einem - vielleicht - folgenlosen Schuß den Beweis seiner Unverwundbarkeit anzutreten. Dieser Jung-Ödipus nähme das Unrecht auf sich, um den Mythos zu amerikanisieren: Lege die Waffe auf deinen Vater an, damit du ihn ins Leben zurückführst - das Duell als letztmögliche Lebensform.
Im letzten Jahr hat der Regisseur M. Night Shyamalan mit seinem ersten Film eine Gattung wiederbelebt. "The Sixth Sense" war ein großartiger mystery thriller, haarscharf konstruiert am Reißbrett und doch von einer solchen Verhaltenheit in den Mitteln, daß man ihm keine Handlungskehre übelnahm. Die Täuschung war perfekt, weil sie den Zweifel erst gar nicht aufkommen ließ, die plötzliche Entdeckung des Geistergesprächs am Filmende ein Moment sokratischer Hebammenkunst: Eine solche Kraft hatte man dem Genre nicht mehr zugetraut.
Shyamalan hat nun eine variierende Wiederholung gewagt: Mit Bruce Willis hat er den gleichen Hauptdarsteller noch einmal als klugen Toren gewählt, er hat ihm wieder einen Jungen als Führer durch die Unterwelt an die Seite gestellt, und wieder läßt er den Film auf eine Pointe zulaufen, die man nicht vorwegnehmen darf. Einzelne Motive sind dem großen Mythentopf entnommen - der Moment der Erkenntnis, das angenommene Schicksal, der Kampf von Gut und Böse -, und theatralisch wirkt auch ihre Inszenierung. Vor allem die gedehnten Szenen und der Verzicht auf den ablenkenden Schnitt eröffnen einen Bühnenraum, in dem das letzte Wissen um sich schlagen kann.
Doch der Schluß wirkt nicht so heftig wie beim ersten Mal, und diese Wiederholungsschwäche trübt ein wenig die Wiedersehensfreude. Man erwartet den fünften Akt und ist gerade deshalb bei seinem Eintreten enttäuscht.
Das Drehbuch von "Unbreakable" hat nicht die Wucht, seinen Vorgänger vergessen zu machen. So zitiert Shyamalan kunstvoll sich selbst, als sei "Unbreakable" das Handbuch, mit dem der Erstling sich noch einmal analysieren ließe. Man kann über dieses Selbstzitat die Nase rümpfen, kann den wiederholten Blick in die eigene Drehbuchwerkstatt als Routine beklagen. Doch das Modell schmerzhafter Selbstfindung behält genügend Glaubwürdigkeit, weil es die Figuren nicht an den Schlußclou verrät: David Dunn erobert sich das Leben zurück und nimmt an, was vor langer Zeit einmal "Schicksal" hieß. Daß ein solches Wagnis schmerzvoller als ein Zugunglück sein kann, führt "Unbreakable" mit ruhiger Regiehand vor - in diesen effektvollen Zeiten ist soviel Konzentration selten geworden. Noch ist es zu früh, um Shyamalan seine Meisterschaft abzusprechen.
THOMAS WIRTZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main