Los Angeles. Obwohl die Miete für sein Apartment überfällig ist, hegt Sam keinerlei Ambitionen, einen Job zu finden. Lieber hängt er auf seinem Balkon herum, liest Comics und beobachtet die Nachbarinnen durchs Fernglas. Als ihn die umwerfend schöne Sarah eines Abends zu sich einlädt, kann er sein Glück kaum fassen. Doch am nächsten Morgen ist sie spurlos verschwunden. Sam wittert eine globale Verschwörung, die Millionäre, Celebrities, Hundemörder und urbane Mythen involviert. Seine Suche nach Sarah mutiert zur rauschhaften Odyssee durch den undurchsichtigen Dschungel der Großstadt.
Bonusmaterial
Trailer, WendecoverFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2018Hipster mit Verschwörerschwips
Phantastik ohne Kraft und Grusel: Der Film "Under the Silver Lake" enttäuscht
Sam ist nicht sympathisch, das wird gleich am Anfang klar. Da liegt er auf seinem Balkon in Los Angeles und beobachtet als Stalker die halbnackte Nachbarin mit einem Fernglas. Sam wohnt zur Miete, kann sie aber nicht bezahlen. Auch sein schwarzer Sportwagen wird abgeschleppt, weil er mit den Kreditraten nicht hinterherkommt. Er hat keinen Job, aber auch keine Ambitionen. Würde Andrew Garfield Sams ungewaschener Kifferschluffigkeit nicht irgendwie einen Hauch Sympathiewerbung mitgeben, man hätte gar keine Lust, dieser passiven Gestalt, die sich fast schon traumwandlerisch durch Los Angeles bewegt, zwei Stunden zuzusehen. Immerhin bleibt sie nicht die ganze Zeit so passiv: Obwohl Sam genug echte Probleme hat, muss er sich erst künstlich neue schaffen, um aus der Lethargie auszubrechen. Die tauchen in Gestalt der Blondine Sarah (Elvis-Enkelin Riley Keough im weißen Marylin-Monroe-Bikini) am Pool auf. Sam beobachtet sie erst per Fernglas und verbringt dann den Abend bei ihr. Sie kiffen und schauen "Wie angelt man sich einen Millionär" (damit auch dem letzten Zuschauer die Monroe-Anspielung klar wird). Am nächsten Morgen ist Sarah fort, ihre Wohnung leer, und Sam begibt sich auf die Suche nach ihr, wobei er immer tiefer in ein Geflecht aus Verschwörungstheorien, geheimen Botschaften, Morden und mystischen Wesen rund um die Hollywood Hills und den titelgebenden Silver Lake verstrickt wird.
Wer bei der Fernglas-Szene an Hitchcocks "Fenster zum Hof" denken muss, der hat diesen Film bereits zur Hälfte durchschaut. David Robert Mitchell ist einer jener Regisseure, die ihr gesammeltes Filmwissen in ihr Werk packen müssen. Bei seinem letzten Erfolg, dem gefeierten Indie-Horrorfilm "It Follows", nahm er die großen Horrorerfolge der siebziger und achtziger Jahre in den Blick. Nur setzte er seine Anspielungen da subtiler, ohne dass sich sein Auskennertum permanent als klebriges Metaabziehbild über die Filmhandlung gelegt hätte. Hier aber spielt man Schach an einem Pool, der jenem gleicht, in dem bei Billy Wilders "Sunset Boulevard" noch eine Leiche schwamm, und feiert eine Party in einer Villa, die jener aus David Lynchs "Mulholland Drive" ähnelt, inklusive brünetter Millionärstochter als Laura-Harring-Lookalike. Selbst Patrick Fischler hat Mitchell für seinen Film gecastet. Bei Lynch erzählte er in einer der gruseligsten Szenen der Filmgeschichte von einem Monster hinter einem Diner, nach dessen Anblick man nächtelang nicht schlafen konnte. In "Under the Silver Lake" gibt Fischler einen wirren Comic-Zeichner, der seiner eigenen Phantasie erliegt. Wenn Sam mit ihm redet, erinnert auch das an die Diner-Szene bei Lynch. Hat aber weder deren Kraft noch deren Grusel. Alles bleibt Verweis.
Problematisch ist das, weil bei einem Pastiche, das alle paar Minuten zwischen Hommagen an Hitchcook, Lynch, Wilder, Wells, Polanski und vielen anderen hin und her springt, kein eigener Stil herauskommen kann. Manchmal wähnt man sich in einem schlechten Tarantino-Film (oder einem, der entstanden wäre, hätte Quentin Tarantino in seiner Jugend die "Cahiers du Cinema" abonniert). Nur manchmal ergeben sich aus all den Anspielungen tatsächlich interessante Querverweise. Da ist zum Beispiel Janet Gaynor, deren Name immer wieder auftaucht - wenn Sam seiner Mutter am Telefon vorlügt, dass er wahnsinnig viel zu tun habe, dann plappert sie von dieser Schauspielerin, die sie bewundert. Janet Gaynor war eine der wenigen Darstellerinnen, die den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm schafften. Sie spielte 1937 in der ersten Verfilmung von "A star is born" jene Rolle, die derzeit Lady Gaga verkörpert, und war so erfolgreich, dass sie sich mit 33 Jahren zur Ruhe setzte, aus dem Filmgeschäft zurückzog und später als Malerin eine zweite erfolgreiche Karriere hatte.
Eigentlich könnte sie als krasser Gegenentwurf zu Sam und seinen Hipster-Freunden dienen, die vor ihren Problemen fliehen, statt irgendetwas mit ihrem Leben anzufangen. Nur kommen all diese Details zu Gaynor nie zur Sprache. Ihr Name geistert einfach durch den Film, bleibt bloße Referenz auf das Kopfarchiv des Regisseurs.
Wirklich gut wird der Film, wenn es tatsächlich um etwas geht, wenn Mitchell durchblicken lässt, dass unter der abgeklärten Metamaschine doch Emotionen stecken. Etwa wenn Sams Freund Fred das Problem seiner Generation so erklärt: "Wir sehnen uns nach einem Geheimnis, da es keine Geheimnisse mehr gibt", dabei aber biertrinkend von einem Hügel aus eine Drohne startet, um einer jungen Schauspielerin durch das Fenster ihres Apartments beim Ausziehen zuzuschauen. Wie kann man sich nach Geheimnissen sehnen, wenn man sie so respektlos lüftet, und gleichzeitig jede Verantwortung für dieses Lüften ablehnen, da man ja nur die Mittel nutzt, die einem die moderne Technik zur Verfügung stellt? Mitchell zeichnet Sam und dessen Hipstergesellschaft als konsequente Weiterentwicklung jenes Typs Mann, der in Woody-Allen-Filmen als sympathischer Neurotiker dargestellt wurde und hier nun als das ankommt, was er eigentlich ist: ein schusseliger Loser, der unfähig ist, eine Beziehung zu Frauen aufzubauen, und, statt eines seiner Probleme in Angriff zu nehmen, lieber Verschwörungstheorien und Gespenstern hinterherjagt und anderen die Schuld an seinem Zustand gibt.
Schwierig wird das am Ende, weil der Film sich dann selbst in seiner Verschwörungstheorie verliert, wie ein Kind, dem beim Schreiben einer Geschichte die Phantasie durchgegangen ist, und so eine Lösung anbietet, die die Passivität und Unmündigkeit der Hauptfigur doch legitimiert. "Under the Silver Lake" ist erst der dritte Spielfilm von David Robert Mitchell. Vielleicht gelingt es ihm beim nächsten, die Tarantino-Angeberei sein zu lassen und zu seinem eigenen Stil zurückzufinden.
MARIA WIESNER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Phantastik ohne Kraft und Grusel: Der Film "Under the Silver Lake" enttäuscht
Sam ist nicht sympathisch, das wird gleich am Anfang klar. Da liegt er auf seinem Balkon in Los Angeles und beobachtet als Stalker die halbnackte Nachbarin mit einem Fernglas. Sam wohnt zur Miete, kann sie aber nicht bezahlen. Auch sein schwarzer Sportwagen wird abgeschleppt, weil er mit den Kreditraten nicht hinterherkommt. Er hat keinen Job, aber auch keine Ambitionen. Würde Andrew Garfield Sams ungewaschener Kifferschluffigkeit nicht irgendwie einen Hauch Sympathiewerbung mitgeben, man hätte gar keine Lust, dieser passiven Gestalt, die sich fast schon traumwandlerisch durch Los Angeles bewegt, zwei Stunden zuzusehen. Immerhin bleibt sie nicht die ganze Zeit so passiv: Obwohl Sam genug echte Probleme hat, muss er sich erst künstlich neue schaffen, um aus der Lethargie auszubrechen. Die tauchen in Gestalt der Blondine Sarah (Elvis-Enkelin Riley Keough im weißen Marylin-Monroe-Bikini) am Pool auf. Sam beobachtet sie erst per Fernglas und verbringt dann den Abend bei ihr. Sie kiffen und schauen "Wie angelt man sich einen Millionär" (damit auch dem letzten Zuschauer die Monroe-Anspielung klar wird). Am nächsten Morgen ist Sarah fort, ihre Wohnung leer, und Sam begibt sich auf die Suche nach ihr, wobei er immer tiefer in ein Geflecht aus Verschwörungstheorien, geheimen Botschaften, Morden und mystischen Wesen rund um die Hollywood Hills und den titelgebenden Silver Lake verstrickt wird.
Wer bei der Fernglas-Szene an Hitchcocks "Fenster zum Hof" denken muss, der hat diesen Film bereits zur Hälfte durchschaut. David Robert Mitchell ist einer jener Regisseure, die ihr gesammeltes Filmwissen in ihr Werk packen müssen. Bei seinem letzten Erfolg, dem gefeierten Indie-Horrorfilm "It Follows", nahm er die großen Horrorerfolge der siebziger und achtziger Jahre in den Blick. Nur setzte er seine Anspielungen da subtiler, ohne dass sich sein Auskennertum permanent als klebriges Metaabziehbild über die Filmhandlung gelegt hätte. Hier aber spielt man Schach an einem Pool, der jenem gleicht, in dem bei Billy Wilders "Sunset Boulevard" noch eine Leiche schwamm, und feiert eine Party in einer Villa, die jener aus David Lynchs "Mulholland Drive" ähnelt, inklusive brünetter Millionärstochter als Laura-Harring-Lookalike. Selbst Patrick Fischler hat Mitchell für seinen Film gecastet. Bei Lynch erzählte er in einer der gruseligsten Szenen der Filmgeschichte von einem Monster hinter einem Diner, nach dessen Anblick man nächtelang nicht schlafen konnte. In "Under the Silver Lake" gibt Fischler einen wirren Comic-Zeichner, der seiner eigenen Phantasie erliegt. Wenn Sam mit ihm redet, erinnert auch das an die Diner-Szene bei Lynch. Hat aber weder deren Kraft noch deren Grusel. Alles bleibt Verweis.
Problematisch ist das, weil bei einem Pastiche, das alle paar Minuten zwischen Hommagen an Hitchcook, Lynch, Wilder, Wells, Polanski und vielen anderen hin und her springt, kein eigener Stil herauskommen kann. Manchmal wähnt man sich in einem schlechten Tarantino-Film (oder einem, der entstanden wäre, hätte Quentin Tarantino in seiner Jugend die "Cahiers du Cinema" abonniert). Nur manchmal ergeben sich aus all den Anspielungen tatsächlich interessante Querverweise. Da ist zum Beispiel Janet Gaynor, deren Name immer wieder auftaucht - wenn Sam seiner Mutter am Telefon vorlügt, dass er wahnsinnig viel zu tun habe, dann plappert sie von dieser Schauspielerin, die sie bewundert. Janet Gaynor war eine der wenigen Darstellerinnen, die den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm schafften. Sie spielte 1937 in der ersten Verfilmung von "A star is born" jene Rolle, die derzeit Lady Gaga verkörpert, und war so erfolgreich, dass sie sich mit 33 Jahren zur Ruhe setzte, aus dem Filmgeschäft zurückzog und später als Malerin eine zweite erfolgreiche Karriere hatte.
Eigentlich könnte sie als krasser Gegenentwurf zu Sam und seinen Hipster-Freunden dienen, die vor ihren Problemen fliehen, statt irgendetwas mit ihrem Leben anzufangen. Nur kommen all diese Details zu Gaynor nie zur Sprache. Ihr Name geistert einfach durch den Film, bleibt bloße Referenz auf das Kopfarchiv des Regisseurs.
Wirklich gut wird der Film, wenn es tatsächlich um etwas geht, wenn Mitchell durchblicken lässt, dass unter der abgeklärten Metamaschine doch Emotionen stecken. Etwa wenn Sams Freund Fred das Problem seiner Generation so erklärt: "Wir sehnen uns nach einem Geheimnis, da es keine Geheimnisse mehr gibt", dabei aber biertrinkend von einem Hügel aus eine Drohne startet, um einer jungen Schauspielerin durch das Fenster ihres Apartments beim Ausziehen zuzuschauen. Wie kann man sich nach Geheimnissen sehnen, wenn man sie so respektlos lüftet, und gleichzeitig jede Verantwortung für dieses Lüften ablehnen, da man ja nur die Mittel nutzt, die einem die moderne Technik zur Verfügung stellt? Mitchell zeichnet Sam und dessen Hipstergesellschaft als konsequente Weiterentwicklung jenes Typs Mann, der in Woody-Allen-Filmen als sympathischer Neurotiker dargestellt wurde und hier nun als das ankommt, was er eigentlich ist: ein schusseliger Loser, der unfähig ist, eine Beziehung zu Frauen aufzubauen, und, statt eines seiner Probleme in Angriff zu nehmen, lieber Verschwörungstheorien und Gespenstern hinterherjagt und anderen die Schuld an seinem Zustand gibt.
Schwierig wird das am Ende, weil der Film sich dann selbst in seiner Verschwörungstheorie verliert, wie ein Kind, dem beim Schreiben einer Geschichte die Phantasie durchgegangen ist, und so eine Lösung anbietet, die die Passivität und Unmündigkeit der Hauptfigur doch legitimiert. "Under the Silver Lake" ist erst der dritte Spielfilm von David Robert Mitchell. Vielleicht gelingt es ihm beim nächsten, die Tarantino-Angeberei sein zu lassen und zu seinem eigenen Stil zurückzufinden.
MARIA WIESNER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main