Frankfurter Allgemeine ZeitungSanto subito in Brooklyn
Scheinheiliges Erfolgsrezept: Theodore Melfis Film "St. Vincent" mit Bill Murray
Irgendjemand muss Theodore Melfi verraten haben, dass ein Filmprojekt umso erfolgversprechender wird, je grantig-goldherziger sich darin ein großer alter Star gibt. Nennen wir es nach dem bisher schönsten Beispiel dafür das Gran-Torino-Rezept. Ein großes Geheimnis ist es nicht. Derzeit kann man im Kino Tommy Lee Jones in "The Homesman" oder Dieter Hallervorden in "Honig im Kopf" als dessen jüngste - welch ein Paradox! - Verkörperungen betrachten. Und seit dieser Woche auch noch Bill Murray in "St. Vincent". Das ist das Werk, bei dem Melfi für Drehbuch wie Regie verantwortlich zeichnet. Es ist sein zweiter eigener Spielfilm, der erste liegt anderthalb Jahrzehnte zurück, dazwischen hat er fleißig produziert. Und überlegt, wie er seine ungewöhnliche Lebensgeschichte auf die Leinwand bringen kann. Bis er auf das Gran-Torino-Prinzip stieß.
Das muss man bedauern, wenn man von einigen wenigen witzigen und ein paar noch rareren bewegenden Momenten absieht. Sie verdanken sich natürlich ausschließlich Murray, der seit "Lost in Translation" immer konsequenter den Stoizismus zu seinem wichtigsten Ausdrucksmittel macht. Und ein alter Misanthrop, der scheinbar unbeeindruckt durch alle Widrigkeiten eines gescheiterten amerikanischen Lebens geht - keine Freunde, kein Geld, demente Gattin im Pflegeheim, Alkoholproblem, potthässliche Katze -, ist selbstverständlich ein Garant für einen Publikumsrenner. Zumindest bei dem Kinopublikum, das dem Hauptdarsteller altersmäßig nähersteht als dem wichtigsten Nebendarsteller.
Der heißt Jaeden Lieberher und ist als Darsteller eines etwa Zehnjährigen die obligatorische Entdeckung bei einer solchen Rollenverteilung. Nur haben die wenigsten der zahlreichen minderjährigen Debütanten, die in den letzten Jahren ähnliche Lobeshymnen erhielten, sich je wieder sehen lassen, und Lieberhers Problem ist, dass auch er vor allem stoisch zu agieren hat. Das sieht man sich bei einem Kind einmal gern an, danach würde es schon zur Masche. Den Alten auf der Leinwand sieht man mehr nach.
Zur Geschichte (die nach Melfis Aussage weitgehend die seiner selbst ist): Die Eltern des jungen Oliver haben sich getrennt, und die Mutter zieht mit ihm nach Brooklyn, wo sie einen neuen Job für sich und eine gute katholische Schule für den Jungen gefunden hat. Deren Unterricht aber währt nicht so lange wie die Arbeitszeit von Mrs Bronstein, also bittet sie den Nachbarn um Beaufsichtigung. Dieser Nachbar Vincent ist Bill Murray.
Viel mehr sei gar nicht gesagt, man kann sich denken, wie es weitergeht. Und weil es auch genauso geschieht, verzichtet Melfi auf vielversprechende Ansätze wie etwa den anfangs schön zynisch angelegten Religionslehrer, der seiner konfessionell bunt zusammengewürfelten Klasse das Prinzip von Heiligkeit erklären will. Er ist aber genauso zum guten Menschen von Brooklyn bestimmt wie alle anderen - santo subito. Dieser Film taugt zur Demonstration des Prinzips von Scheinheiligkeit.
Bleibt noch etwas? Ja, Naomi Watts, die sich zur wandlungsfähigsten Schauspielerin Hollywoods - nun ja - wandelt. Diesmal spielt sie eine russische Nachtclubtänzerin, und das tut sie mit so viel Akzent und Mut zum Trash, dass sich dafür fast das Eintrittsgeld lohnte. Aber nur fast. Die DVD von "Gran Torino" ist für weniger als den Preis einer Kinokarte erhältlich.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Scheinheiliges Erfolgsrezept: Theodore Melfis Film "St. Vincent" mit Bill Murray
Irgendjemand muss Theodore Melfi verraten haben, dass ein Filmprojekt umso erfolgversprechender wird, je grantig-goldherziger sich darin ein großer alter Star gibt. Nennen wir es nach dem bisher schönsten Beispiel dafür das Gran-Torino-Rezept. Ein großes Geheimnis ist es nicht. Derzeit kann man im Kino Tommy Lee Jones in "The Homesman" oder Dieter Hallervorden in "Honig im Kopf" als dessen jüngste - welch ein Paradox! - Verkörperungen betrachten. Und seit dieser Woche auch noch Bill Murray in "St. Vincent". Das ist das Werk, bei dem Melfi für Drehbuch wie Regie verantwortlich zeichnet. Es ist sein zweiter eigener Spielfilm, der erste liegt anderthalb Jahrzehnte zurück, dazwischen hat er fleißig produziert. Und überlegt, wie er seine ungewöhnliche Lebensgeschichte auf die Leinwand bringen kann. Bis er auf das Gran-Torino-Prinzip stieß.
Das muss man bedauern, wenn man von einigen wenigen witzigen und ein paar noch rareren bewegenden Momenten absieht. Sie verdanken sich natürlich ausschließlich Murray, der seit "Lost in Translation" immer konsequenter den Stoizismus zu seinem wichtigsten Ausdrucksmittel macht. Und ein alter Misanthrop, der scheinbar unbeeindruckt durch alle Widrigkeiten eines gescheiterten amerikanischen Lebens geht - keine Freunde, kein Geld, demente Gattin im Pflegeheim, Alkoholproblem, potthässliche Katze -, ist selbstverständlich ein Garant für einen Publikumsrenner. Zumindest bei dem Kinopublikum, das dem Hauptdarsteller altersmäßig nähersteht als dem wichtigsten Nebendarsteller.
Der heißt Jaeden Lieberher und ist als Darsteller eines etwa Zehnjährigen die obligatorische Entdeckung bei einer solchen Rollenverteilung. Nur haben die wenigsten der zahlreichen minderjährigen Debütanten, die in den letzten Jahren ähnliche Lobeshymnen erhielten, sich je wieder sehen lassen, und Lieberhers Problem ist, dass auch er vor allem stoisch zu agieren hat. Das sieht man sich bei einem Kind einmal gern an, danach würde es schon zur Masche. Den Alten auf der Leinwand sieht man mehr nach.
Zur Geschichte (die nach Melfis Aussage weitgehend die seiner selbst ist): Die Eltern des jungen Oliver haben sich getrennt, und die Mutter zieht mit ihm nach Brooklyn, wo sie einen neuen Job für sich und eine gute katholische Schule für den Jungen gefunden hat. Deren Unterricht aber währt nicht so lange wie die Arbeitszeit von Mrs Bronstein, also bittet sie den Nachbarn um Beaufsichtigung. Dieser Nachbar Vincent ist Bill Murray.
Viel mehr sei gar nicht gesagt, man kann sich denken, wie es weitergeht. Und weil es auch genauso geschieht, verzichtet Melfi auf vielversprechende Ansätze wie etwa den anfangs schön zynisch angelegten Religionslehrer, der seiner konfessionell bunt zusammengewürfelten Klasse das Prinzip von Heiligkeit erklären will. Er ist aber genauso zum guten Menschen von Brooklyn bestimmt wie alle anderen - santo subito. Dieser Film taugt zur Demonstration des Prinzips von Scheinheiligkeit.
Bleibt noch etwas? Ja, Naomi Watts, die sich zur wandlungsfähigsten Schauspielerin Hollywoods - nun ja - wandelt. Diesmal spielt sie eine russische Nachtclubtänzerin, und das tut sie mit so viel Akzent und Mut zum Trash, dass sich dafür fast das Eintrittsgeld lohnte. Aber nur fast. Die DVD von "Gran Torino" ist für weniger als den Preis einer Kinokarte erhältlich.
ANDREAS PLATTHAUS
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