"Ursula" erzählt die dramatische Liebesgeschichte eines einfachen Bauernmädchens und des Soldaten Hansli, der in den Wirren des Reformationskrieges im Schweizer Oberland im 16. Jahrhundert auf Seiten Ulrich Zwinglis für die Reformation kämpft.
Bonusmaterial
- Booklet - Interview mit dem Regisseur Egon GüntherFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2011Ein Hauch Woodstock
Wie Gottfried Kellers "Ursula" ins Fernsehen kam
Es sollte ein unverfängliches Projekt sein, das vom Fernsehen der DDR und der Schweiz (SRG) in die Hände von Egon Günther gelegt wurde - und blieb das einzige für beide Sender sowie das letzte des Regisseurs in der DDR. Im gleichen Jahr noch verließ Günther das Land, ohne indes seinen ostdeutschen Pass abzugeben. Zähneknirschend haben beide Sendeanstalten diese freimütige und freizügige Adaption von Gottfried Kellers historischer Erzählung "Ursula" gesendet, die einen unmutig wegen des Hauchs von Woodstock, der im Film weht, die anderen stirnrunzelnd, weil sie ihren Nationalautor nicht ganz wiedererkannten. Helga Schütz, die zwei Jahre zuvor auch für Günthers ambitionierten Film "Die Schlüssel" das Buch geschrieben hatte, war zwar keinen Deut von der Vorlage des Züricher Stadtschreibers abgewichen. Sie hatte aber die Darstellung mit Funden aus dem Archiv, darunter Predigten Zwinglis, angereichert, während Günther seiner Phantasie in einer Richtung freien Lauf ließ, die nicht allen gefiel.
Es war, als ob er das Gespinst zerreißen wollte, das ihm bei der Defa immer Mäßigung auferlegt hatte. Da kamen ihm die Wiedertäufer im Züricher Oberland gerade recht, wo es hieß: "Niederknien ist abgeschafft." Ihre sexuelle Libertinage bildete nur die delikate Zugabe. Aber auch dem Zorn über das Wüten der Kriege in Vietnam und anderswo bot der Stoff - die Wirren der Reformationszeit in der Nordschweiz und die Kappeler Kriege gegen die katholischen Kantone - eine brauchbare Folie. Dazwischen eine Jugend, die bei fröhlichem Singsang ihren Tag- und Nachttraum auskostet. Leitfigur in Novelle und Film ist der brave Soldat Hansli, der 1523 auf seinen Hof und zu seiner Braut Ursula heimkehrt, sich in das "närrische Treiben" (Keller) der Wiedertäufer aber nicht hineinziehen lässt, sondern nach Zürich geht, wo er den Bildersturm in den Kirchen miterlebt und den inzwischen festgesetzten Wiedertäufern um Ursula willen die Tür vom Hungerturm öffnet. Dann zieht er in die Schlacht, bei der Zwingli 1531 in Stücke gehauen wird. Die inzwischen "vernünftig" gewordene Ursula bringt den Verwundeten nach Hause und pflegt ihn gesund. Ehestand und Familienglück besiegeln die bürgerliche Ordnung.
Aber für Günther konnte und durfte die Sache des Aufruhrs kein abgeschlossenes Kapitel sein. Immer wieder holen moderne Einsprengsel in die Gegenwart zurück, seien es die skeptischen jungen Gesichter, während Zwingli die Grundsätze der neuen Religionsherrschaft verkündet, sei es im Schlussbild über den Hochspannungsleitungen der Drachenflieger, der die ewige Weltharmonie verkündet. Wie eine Adaption eines Bildes von Werner Tübke wirkt dagegen die sorgfältig ausgepinselte Miniatur eines italienischen Condottiere, der mit seinen zwei Windspielen flüchten muss, als die grobschlächtigen Schweizer ihm sein bizarres Schloss am Comer See in Trümmer schießen. Auch Günther galt bei der Defa als feinsinniger Ästhet. Neben den Schweizern Jörg Reichlin und Suzanne Stoll als junges Paar und Matthias Habich als feuriger Zwingli vergaß er nicht, einige vertraute Schauspieler aus Ost-Berlin auf die Reise in die Schweiz (und in die Utopie) mitzunehmen, allen voran Jutta Hoffmann, die die donnernden Sprüche ihres zum Anführer gewordenen wiedertäuferischen Mannes (Wolf Kaiser) derart gläubig nachplappert, dass es wie blanker Hohn klingt. Auf dem Sprung in den Westen, unter dem Fuß noch den vertrauten Boden des realen Sozialismus, hat sich Günther mit diesem Film in eine Höhe aufgeschwungen, die er danach, ans Fernsehen gefesselt, nie wieder erreichen konnte. Es war ein Luftsprung zwischen den Welten.
HANS-JÖRG ROTHER
Egon Günther:
"Ursula"
Studio Hamburg Distribution 2011, 111 Min., Extras: Interview mit Egon Günther, Booklet
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Gottfried Kellers "Ursula" ins Fernsehen kam
Es sollte ein unverfängliches Projekt sein, das vom Fernsehen der DDR und der Schweiz (SRG) in die Hände von Egon Günther gelegt wurde - und blieb das einzige für beide Sender sowie das letzte des Regisseurs in der DDR. Im gleichen Jahr noch verließ Günther das Land, ohne indes seinen ostdeutschen Pass abzugeben. Zähneknirschend haben beide Sendeanstalten diese freimütige und freizügige Adaption von Gottfried Kellers historischer Erzählung "Ursula" gesendet, die einen unmutig wegen des Hauchs von Woodstock, der im Film weht, die anderen stirnrunzelnd, weil sie ihren Nationalautor nicht ganz wiedererkannten. Helga Schütz, die zwei Jahre zuvor auch für Günthers ambitionierten Film "Die Schlüssel" das Buch geschrieben hatte, war zwar keinen Deut von der Vorlage des Züricher Stadtschreibers abgewichen. Sie hatte aber die Darstellung mit Funden aus dem Archiv, darunter Predigten Zwinglis, angereichert, während Günther seiner Phantasie in einer Richtung freien Lauf ließ, die nicht allen gefiel.
Es war, als ob er das Gespinst zerreißen wollte, das ihm bei der Defa immer Mäßigung auferlegt hatte. Da kamen ihm die Wiedertäufer im Züricher Oberland gerade recht, wo es hieß: "Niederknien ist abgeschafft." Ihre sexuelle Libertinage bildete nur die delikate Zugabe. Aber auch dem Zorn über das Wüten der Kriege in Vietnam und anderswo bot der Stoff - die Wirren der Reformationszeit in der Nordschweiz und die Kappeler Kriege gegen die katholischen Kantone - eine brauchbare Folie. Dazwischen eine Jugend, die bei fröhlichem Singsang ihren Tag- und Nachttraum auskostet. Leitfigur in Novelle und Film ist der brave Soldat Hansli, der 1523 auf seinen Hof und zu seiner Braut Ursula heimkehrt, sich in das "närrische Treiben" (Keller) der Wiedertäufer aber nicht hineinziehen lässt, sondern nach Zürich geht, wo er den Bildersturm in den Kirchen miterlebt und den inzwischen festgesetzten Wiedertäufern um Ursula willen die Tür vom Hungerturm öffnet. Dann zieht er in die Schlacht, bei der Zwingli 1531 in Stücke gehauen wird. Die inzwischen "vernünftig" gewordene Ursula bringt den Verwundeten nach Hause und pflegt ihn gesund. Ehestand und Familienglück besiegeln die bürgerliche Ordnung.
Aber für Günther konnte und durfte die Sache des Aufruhrs kein abgeschlossenes Kapitel sein. Immer wieder holen moderne Einsprengsel in die Gegenwart zurück, seien es die skeptischen jungen Gesichter, während Zwingli die Grundsätze der neuen Religionsherrschaft verkündet, sei es im Schlussbild über den Hochspannungsleitungen der Drachenflieger, der die ewige Weltharmonie verkündet. Wie eine Adaption eines Bildes von Werner Tübke wirkt dagegen die sorgfältig ausgepinselte Miniatur eines italienischen Condottiere, der mit seinen zwei Windspielen flüchten muss, als die grobschlächtigen Schweizer ihm sein bizarres Schloss am Comer See in Trümmer schießen. Auch Günther galt bei der Defa als feinsinniger Ästhet. Neben den Schweizern Jörg Reichlin und Suzanne Stoll als junges Paar und Matthias Habich als feuriger Zwingli vergaß er nicht, einige vertraute Schauspieler aus Ost-Berlin auf die Reise in die Schweiz (und in die Utopie) mitzunehmen, allen voran Jutta Hoffmann, die die donnernden Sprüche ihres zum Anführer gewordenen wiedertäuferischen Mannes (Wolf Kaiser) derart gläubig nachplappert, dass es wie blanker Hohn klingt. Auf dem Sprung in den Westen, unter dem Fuß noch den vertrauten Boden des realen Sozialismus, hat sich Günther mit diesem Film in eine Höhe aufgeschwungen, die er danach, ans Fernsehen gefesselt, nie wieder erreichen konnte. Es war ein Luftsprung zwischen den Welten.
HANS-JÖRG ROTHER
Egon Günther:
"Ursula"
Studio Hamburg Distribution 2011, 111 Min., Extras: Interview mit Egon Günther, Booklet
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main