Bildformat: Anamorph Widescreen (1.85:1) Sprache / Tonformate: Deutsch (Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 5.1), Französisch, Italienisch, Spanisch (Mono) Untertitel: Englisch, Französisch, Portugiesisch,Niederländisch, Norwegisch, Dänisch, Finnisch, Tschechisch, Slovenisch, Polnisch Ländercode: 2 Extras: Besessen von Vertigo, Film-Kommentar, Anmerkungen der Filmcrew, Original Kino-Trailer, Produktionsnotizen
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Kapitel- / Szenenanwahl - Besessen von Vertigo - Filmkommentar - Anmerkung der Filmcrew - ProduktionsnotizenFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.1999Himmelhoch Hades
Aus leeren Räumen schaut das Grauen: Die wahren Hauptdarsteller von Hitchcocks "Vertigo"
Schwindelgefühle: Das Symptom der Höhenangst reißt Hitchcocks "Vertigo" mitten im Wort entzwei. Schwindel, Gefühle: Was am Ende alleine nicht täuscht, ist der harte Aufschlag nach tiefem Fall. Zerschmettert auf dem Kirchendach, liegt eine Frau, die alle grammatischen Konjunktionen zwischen Eros und Thanatos erprobt hat, in den Tod verliebt, als Tote geliebt, zu Tode geliebt. Diese Nekrophilie ist gesellschaftlich nicht unverdächtig, aber für den Beruf des Suspense-Regisseurs durchaus willkommen. Für die Liebe hatte Hitchcock keine Gefühle, nur den Tod übrig. Deshalb plünderte er hemmungslos die psychoanalytische Beziehungskiste, um ein für allemal von der Motivierung des Plots entlastet zu sein. Sein eigentliches Handwerk begann erst, wenn eine Mutter irgendwo im Hintergrund das Messer gegen Sohnesseele schwang.
Die Hauptdarsteller in "Vertigo" sind die Schauplätze: weite Orte, öffentlich und doch völlig leer, erratische Gebäude, die sich hinter einer Auffahrt bedrohlich aufbauen. Die Gemäldegalerie mit dem Hunger einer Fleisch fressenden Pflanze auf Besucher, die Missionsstation, der Wald aus Redwoods, das Ufer an der Golden Gate Bridge: Der Film fegt alle diese Orte menschenleer, als bereite er vor den Figuren einen aseptisch kühlen Spielgrund. Unabgelenkt und unausweichlich müssen sie sich hier begegnen, niemand darf im Trubel verschwinden und seinem Schicksal entgehen. Belanglos ist für Hitchcock die Unwahrscheinlichkeit, wie in dieser Öde eine Beschattung unbemerkt bleiben kann. Seine theatralischen Orte setzen sich über das Realismus-Gebot hinweg und rücken so von der Kulisse zum Mitspieler in diesem Schauerdrama auf.
Eine Hauptrolle hat auch in "Vertigo" das von Zeit, Gästen und Vernunft verlassene Hotel. Mitten in San Francisco liegt das McKittrick, als sei es von einer Dornröschenhecke gegen die Zumutungen der Zivilisation geschützt. Die Untersicht, mit der Hitchcock es ins Bild rückt, vergrößert seine Feindseligkeit und vertreibt den Logierwilligen. Als wolle der Held die Kampfstärke dieses Gebäudes ermessen, gleitet sein Blick an der leblosen Vergangenheitsfassade vorbei, um plötzlich und für einen Moment die Frau zu sehen. Mit Hitchcocks Fensterblick - nur wenige Minuten später im Empire Hotel wiederholt - wird der Voyeur zum Opfer, hineingezogen in das Gebäude, um das gesehene Bild mit seinen Händen zu greifen. Zuvor aber wartet auf ihn der gefährlichste aller Orte, das Hitchcocksche Treppenhaus. In extremer Aufsicht wird es zum endlosen Hindernis, ein Aufstieg in die unbekannte Hölle. Denn während das Erdgeschoß noch die Öffentlichkeit hineinließe, sobald es sie gäbe, beginnt im ersten Stock das fassungslos Private. Zwischen beiden gibt es keine Vermittlung, nur den Hindernislauf über Treppenstufen. Jeder Schritt ist eine Übertretung, jeder gewonnene Höhenmeter der Beginn des freien Falls. Bei Hitchcock liegt der Hades himmelhoch.
Die leergefegten Räume in "Vertigo" stellen zwischen den Figuren keinen Kontakt, nur eine Konstellation her. Sie werden in ein Bild gerückt, aus dem sie sich nicht mehr befreien können. Hitchcock steigert die Künstlichkeit der Szenerie, indem er die Zufälligkeit von lokalen Farben und Tönen ausschaltet. Kein Vogel ist in seinem Wald zu hören, kein Schritt durchschneidet die Bildandacht in der Galerie. Nur einmal unterbricht Naturton die Filmmusik, als Brandungswellen über dem ersten verbotenen Kuß zusammenbrechen. Nur hier darf der Ort für einen Augenblick auch den Ton angeben, weil er sofort zu allegorischer Bedeutung erpreßt wird. Der Wellenschlag ist kein Geräusch, sondern ein prophetisches Zeichen und damit der Musik ebenbürtig.
Auch die grellen Farben tauchen alle Orte in ein Zwielicht, das aus dem barocken Drama nachleuchtet. Madeleines Unterwelt ist der Kontrast von Grün und Rot, das Kleid vor Tapete, der Mund im Neonlicht. In souveräner Übertreibung weigern sich die Signalfarben, mit Psychologie und der Wahrscheinlichkeit nachgefühlter Stimmungen irgend etwas zu tun zu haben. Hitchcock seziert Farben, nicht Gefühle, drastische Effekte, die mit dem Licht der Vernunft nichts zu tun haben. Am Ende muß Scottie in einer Art von doppeltem Kursus die Schauplätze von Liebe und Verbrechen, Schuld und Bewährung noch einmal durchlaufen. Endlich zeigt sich die Dingund Menschenleere als Gedächtnisraum, in die zerstückelte Trophäen der Erinnerung hineingehängt sind. "Vertigo" ist praktizierte Rhetorik, eine Topologie isolierter Orte und ihrer unbekümmerten Verbindung mit der Logik des Automobils. Wo aber Rhetorik herrscht, bleibt der Psychologie kein Platz. Spätestens mit der nonnenhaften Geistererscheinung auf dem Glockenturm wird dem Zuschauer deutlich, einem Trauerspiel barocker Prägung beigewohnt zu haben. Die alte Fallhöhe, die den König vom Thron ins Grab warf, darf er wörtlich nehmen. Gerichtet, nicht gerettet. Und über dem Welttheater wacht ein Regisseur, der dem vergänglichen Spiel sein Gesicht eingedrückt hat.
THOMAS WIRTZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aus leeren Räumen schaut das Grauen: Die wahren Hauptdarsteller von Hitchcocks "Vertigo"
Schwindelgefühle: Das Symptom der Höhenangst reißt Hitchcocks "Vertigo" mitten im Wort entzwei. Schwindel, Gefühle: Was am Ende alleine nicht täuscht, ist der harte Aufschlag nach tiefem Fall. Zerschmettert auf dem Kirchendach, liegt eine Frau, die alle grammatischen Konjunktionen zwischen Eros und Thanatos erprobt hat, in den Tod verliebt, als Tote geliebt, zu Tode geliebt. Diese Nekrophilie ist gesellschaftlich nicht unverdächtig, aber für den Beruf des Suspense-Regisseurs durchaus willkommen. Für die Liebe hatte Hitchcock keine Gefühle, nur den Tod übrig. Deshalb plünderte er hemmungslos die psychoanalytische Beziehungskiste, um ein für allemal von der Motivierung des Plots entlastet zu sein. Sein eigentliches Handwerk begann erst, wenn eine Mutter irgendwo im Hintergrund das Messer gegen Sohnesseele schwang.
Die Hauptdarsteller in "Vertigo" sind die Schauplätze: weite Orte, öffentlich und doch völlig leer, erratische Gebäude, die sich hinter einer Auffahrt bedrohlich aufbauen. Die Gemäldegalerie mit dem Hunger einer Fleisch fressenden Pflanze auf Besucher, die Missionsstation, der Wald aus Redwoods, das Ufer an der Golden Gate Bridge: Der Film fegt alle diese Orte menschenleer, als bereite er vor den Figuren einen aseptisch kühlen Spielgrund. Unabgelenkt und unausweichlich müssen sie sich hier begegnen, niemand darf im Trubel verschwinden und seinem Schicksal entgehen. Belanglos ist für Hitchcock die Unwahrscheinlichkeit, wie in dieser Öde eine Beschattung unbemerkt bleiben kann. Seine theatralischen Orte setzen sich über das Realismus-Gebot hinweg und rücken so von der Kulisse zum Mitspieler in diesem Schauerdrama auf.
Eine Hauptrolle hat auch in "Vertigo" das von Zeit, Gästen und Vernunft verlassene Hotel. Mitten in San Francisco liegt das McKittrick, als sei es von einer Dornröschenhecke gegen die Zumutungen der Zivilisation geschützt. Die Untersicht, mit der Hitchcock es ins Bild rückt, vergrößert seine Feindseligkeit und vertreibt den Logierwilligen. Als wolle der Held die Kampfstärke dieses Gebäudes ermessen, gleitet sein Blick an der leblosen Vergangenheitsfassade vorbei, um plötzlich und für einen Moment die Frau zu sehen. Mit Hitchcocks Fensterblick - nur wenige Minuten später im Empire Hotel wiederholt - wird der Voyeur zum Opfer, hineingezogen in das Gebäude, um das gesehene Bild mit seinen Händen zu greifen. Zuvor aber wartet auf ihn der gefährlichste aller Orte, das Hitchcocksche Treppenhaus. In extremer Aufsicht wird es zum endlosen Hindernis, ein Aufstieg in die unbekannte Hölle. Denn während das Erdgeschoß noch die Öffentlichkeit hineinließe, sobald es sie gäbe, beginnt im ersten Stock das fassungslos Private. Zwischen beiden gibt es keine Vermittlung, nur den Hindernislauf über Treppenstufen. Jeder Schritt ist eine Übertretung, jeder gewonnene Höhenmeter der Beginn des freien Falls. Bei Hitchcock liegt der Hades himmelhoch.
Die leergefegten Räume in "Vertigo" stellen zwischen den Figuren keinen Kontakt, nur eine Konstellation her. Sie werden in ein Bild gerückt, aus dem sie sich nicht mehr befreien können. Hitchcock steigert die Künstlichkeit der Szenerie, indem er die Zufälligkeit von lokalen Farben und Tönen ausschaltet. Kein Vogel ist in seinem Wald zu hören, kein Schritt durchschneidet die Bildandacht in der Galerie. Nur einmal unterbricht Naturton die Filmmusik, als Brandungswellen über dem ersten verbotenen Kuß zusammenbrechen. Nur hier darf der Ort für einen Augenblick auch den Ton angeben, weil er sofort zu allegorischer Bedeutung erpreßt wird. Der Wellenschlag ist kein Geräusch, sondern ein prophetisches Zeichen und damit der Musik ebenbürtig.
Auch die grellen Farben tauchen alle Orte in ein Zwielicht, das aus dem barocken Drama nachleuchtet. Madeleines Unterwelt ist der Kontrast von Grün und Rot, das Kleid vor Tapete, der Mund im Neonlicht. In souveräner Übertreibung weigern sich die Signalfarben, mit Psychologie und der Wahrscheinlichkeit nachgefühlter Stimmungen irgend etwas zu tun zu haben. Hitchcock seziert Farben, nicht Gefühle, drastische Effekte, die mit dem Licht der Vernunft nichts zu tun haben. Am Ende muß Scottie in einer Art von doppeltem Kursus die Schauplätze von Liebe und Verbrechen, Schuld und Bewährung noch einmal durchlaufen. Endlich zeigt sich die Dingund Menschenleere als Gedächtnisraum, in die zerstückelte Trophäen der Erinnerung hineingehängt sind. "Vertigo" ist praktizierte Rhetorik, eine Topologie isolierter Orte und ihrer unbekümmerten Verbindung mit der Logik des Automobils. Wo aber Rhetorik herrscht, bleibt der Psychologie kein Platz. Spätestens mit der nonnenhaften Geistererscheinung auf dem Glockenturm wird dem Zuschauer deutlich, einem Trauerspiel barocker Prägung beigewohnt zu haben. Die alte Fallhöhe, die den König vom Thron ins Grab warf, darf er wörtlich nehmen. Gerichtet, nicht gerettet. Und über dem Welttheater wacht ein Regisseur, der dem vergänglichen Spiel sein Gesicht eingedrückt hat.
THOMAS WIRTZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main