John Ferguson (James Stewart) muss wegen seiner extremen Höhenangst den Polizeidienst in San Francisco quittieren. Für einen alten Freund wird er aber noch einmal aktiv und beschattet die mysteriöse Madeleine (Kim Novak), in die er sich nach und nach verliebt. Als sie sich aber vor seinen Augen in den Tod stürzt, bricht für John eine Welt zusammen - bis er Jahre später Judy Barton kennenlernt, die der toten Madeleine zum Verwechseln ähnelt. Besessen vom Wunsch, die Tote wieder zum Leben zu erwecken, gestaltet John die ahnungslose Judy zu Madeleines Ebenbild um, womit er eine schreckliche Katastrophe auslöst ...
Bonusmaterial
- Besessen von Vertigo: Hitchcocks Meisterwerk zu neuem Leben erweckt - Die Komplizen: Hitchcocks Mitarbeiter - Hitchcock/Truffaut - Filmende für das Ausland - Die Archive von Vertigo - Filmkommentar mit Regisseur William Friedkin - Original-Kinotrailer - Restaurierter Original-KinotrailerFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.1999Boy meets girl
Mörder oder Ehemann: Wie und wo Hitchcocks Paare sich kennen lernen
Alfred Hitchcock als Anekdotenerzähler: Er habe, berichtete der Regisseur, des Nachts im Traum die besten Einfälle für Filmplots. Also legt er sich vor dem Einschlafen Papier und Stift ans Bett. Und siehe, mitten in der Nacht erwacht er und hat einen famosen Einfall gehabt. Schnell notiert er die Szene und fällt sofort in tiefen Schlaf zurück. Als er am Morgen aufwacht, sieht er auf dem Nachttisch einen Zettel liegen. Darauf steht: "Boy meets girl - they fall in love."
Wie Hitchcocks Paare ihre gemeinsame Zukunft beginnen, das weiß jeder. Da zieht Cary Grant die künftige Mrs. Thornhill aus dem Abgrund zu sich empor. Da schießt der Zug in den Tunnel hinein. Aber wer könnte sich daran erinnern, wie der Anfang vom Happyend aussieht?
Hitchcock scheute das Klischee, und für die Begegnung zwischen Mann und Frau gibt es nun einmal eine endliche Zahl Varianten, eingebettet in die dramaturgischen Milieus von Fügung, Missgeschick, Gefahr, der gemeinsamen Mission, gemeinsamer Arbeit und koketter Kabbelei. Letztere war Hitchcocks Vorliebe, tatsächlich hat er die erste Begegnung aber besonders dann ausgearbeitet, wenn er den Zuschauer damit aufs Kreuz legen und ihn über das wahre Ziel der Handlung täuschen konnte.
Typischer Fall sind "Die Vögel". Da entspinnt sich anfangs im Vogelgeschäft ein kiebiger Wettstreit zwischen Rod Taylor und Tippi Hedren, wer den anderen besser foppen kann. Taylor tut, als halte er Tippi Hedren für eine Verkäuferin, und die tut, als sei sie eine. Als die Frau schließlich merkt, dass sie nicht die Einzige ist, die da einen Schabernack treibt, ist sie entzückt empört: "Sie sind ein Scheusal." - "Angenehm."
Der charmante Austausch hat sich um das Schnäbeln und das Leben im Käfig gedreht. Scheinbar ist es nur darum gegangen, wie der Herr von Format mit einer kapriziösen Frau anbandelt. Dabei wird der Fortgang der Geschichte angekündigt. "Ist das nicht ein scheußliches Gefühl", fragt der Mann die vermeintliche Verkäuferin, "dauernd diese armen eingesperrten Geschöpfe um sich zu haben?" Später dann sperren die furchtsamen Menschen sich in ihre Häuser wie in Käfige ein, derweil die Vögel Herrschaft über die Freiheit haben.
Auch in "Vertigo" wird das Publikum an der Nase herumgeführt: James Stewart, der aus alter Freundschaft eingewilligt hat, die schöne und angeblich psychisch labile Kim Novak zu beschatten, erblickt sie zum ersten Mal in einem Restaurant - und zwar nach dem Zuschauer, der das Privileg hat, eine Kamerafahrt durch die Tische hindurch zu erleben, deren Perspektive Stewart nicht teilen kann. Dann kommt ein Schnitt, und nun sehen die Zuschauer, wie Stewart vom Antlitz, vom Profil und von der Frisur der Frau gefangen wird - von der aufgedrehten Schnecke, die von all dem Schwindel kündet, dem der arme Expolizist dann ausgesetzt wird. Dass diese Schnecke mehr herausstellt als einen schönen Hinterkopf, weiß zunächst keiner, Stewart nicht und nicht das Publikum.
Weil die Liebe ein Begleitumstand in Hitchcocks Welt und an sich nicht interessant ist, gibt es nur wenige Initialbegegnungen, die diesen Ausdruck verdienen. Tatsächlich sind Mann und Frau einander sehr oft schon bekannt, wenn nicht gar miteinander verheiratet. Und wenn Hitchcocks Frauen jemanden treffen, dann kann es mal ein Ehemann sein und mal ihr Mörder - wissen können sie das im Vorhinein nicht. Aber wer das Ende kennt, kann es im Anfang schon wiederfinden. So bringt "Psycho" den irren Norman Bates und sein Opfer im Regen zusammen - auch nichts anderes als eine Dusche.
FRANZISKA AUGSTEIN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mörder oder Ehemann: Wie und wo Hitchcocks Paare sich kennen lernen
Alfred Hitchcock als Anekdotenerzähler: Er habe, berichtete der Regisseur, des Nachts im Traum die besten Einfälle für Filmplots. Also legt er sich vor dem Einschlafen Papier und Stift ans Bett. Und siehe, mitten in der Nacht erwacht er und hat einen famosen Einfall gehabt. Schnell notiert er die Szene und fällt sofort in tiefen Schlaf zurück. Als er am Morgen aufwacht, sieht er auf dem Nachttisch einen Zettel liegen. Darauf steht: "Boy meets girl - they fall in love."
Wie Hitchcocks Paare ihre gemeinsame Zukunft beginnen, das weiß jeder. Da zieht Cary Grant die künftige Mrs. Thornhill aus dem Abgrund zu sich empor. Da schießt der Zug in den Tunnel hinein. Aber wer könnte sich daran erinnern, wie der Anfang vom Happyend aussieht?
Hitchcock scheute das Klischee, und für die Begegnung zwischen Mann und Frau gibt es nun einmal eine endliche Zahl Varianten, eingebettet in die dramaturgischen Milieus von Fügung, Missgeschick, Gefahr, der gemeinsamen Mission, gemeinsamer Arbeit und koketter Kabbelei. Letztere war Hitchcocks Vorliebe, tatsächlich hat er die erste Begegnung aber besonders dann ausgearbeitet, wenn er den Zuschauer damit aufs Kreuz legen und ihn über das wahre Ziel der Handlung täuschen konnte.
Typischer Fall sind "Die Vögel". Da entspinnt sich anfangs im Vogelgeschäft ein kiebiger Wettstreit zwischen Rod Taylor und Tippi Hedren, wer den anderen besser foppen kann. Taylor tut, als halte er Tippi Hedren für eine Verkäuferin, und die tut, als sei sie eine. Als die Frau schließlich merkt, dass sie nicht die Einzige ist, die da einen Schabernack treibt, ist sie entzückt empört: "Sie sind ein Scheusal." - "Angenehm."
Der charmante Austausch hat sich um das Schnäbeln und das Leben im Käfig gedreht. Scheinbar ist es nur darum gegangen, wie der Herr von Format mit einer kapriziösen Frau anbandelt. Dabei wird der Fortgang der Geschichte angekündigt. "Ist das nicht ein scheußliches Gefühl", fragt der Mann die vermeintliche Verkäuferin, "dauernd diese armen eingesperrten Geschöpfe um sich zu haben?" Später dann sperren die furchtsamen Menschen sich in ihre Häuser wie in Käfige ein, derweil die Vögel Herrschaft über die Freiheit haben.
Auch in "Vertigo" wird das Publikum an der Nase herumgeführt: James Stewart, der aus alter Freundschaft eingewilligt hat, die schöne und angeblich psychisch labile Kim Novak zu beschatten, erblickt sie zum ersten Mal in einem Restaurant - und zwar nach dem Zuschauer, der das Privileg hat, eine Kamerafahrt durch die Tische hindurch zu erleben, deren Perspektive Stewart nicht teilen kann. Dann kommt ein Schnitt, und nun sehen die Zuschauer, wie Stewart vom Antlitz, vom Profil und von der Frisur der Frau gefangen wird - von der aufgedrehten Schnecke, die von all dem Schwindel kündet, dem der arme Expolizist dann ausgesetzt wird. Dass diese Schnecke mehr herausstellt als einen schönen Hinterkopf, weiß zunächst keiner, Stewart nicht und nicht das Publikum.
Weil die Liebe ein Begleitumstand in Hitchcocks Welt und an sich nicht interessant ist, gibt es nur wenige Initialbegegnungen, die diesen Ausdruck verdienen. Tatsächlich sind Mann und Frau einander sehr oft schon bekannt, wenn nicht gar miteinander verheiratet. Und wenn Hitchcocks Frauen jemanden treffen, dann kann es mal ein Ehemann sein und mal ihr Mörder - wissen können sie das im Vorhinein nicht. Aber wer das Ende kennt, kann es im Anfang schon wiederfinden. So bringt "Psycho" den irren Norman Bates und sein Opfer im Regen zusammen - auch nichts anderes als eine Dusche.
FRANZISKA AUGSTEIN
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