Sechs Monate, nachdem ihr einziges Kind während der Tsunami-Katastrophe in Thailand verschwand, glaubt Jeanne, den tot geglaubten Sohn in einem Video über obdachlose Kinder in Burma wieder zu erkennen. Gemeinsam mit ihrem Mann begibt sie sich auf eine Reise fernab der Zivilisation und landet inmitten eines heimtückischen Dschungels, der von verwilderten Kindern bewohnt wird, die keine Eindringlinge dulden. Denn wenn ein Mensch einen grausamen Tod stirbt, findet seine Seele keine Ruhe und wird böse. Das nennt man "Vinyan".
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2009Traurige Tropen
Matsch, Schweiß und Tränen: Emmanuelle Béart als Übermuttertier in "Vinyan" von Fabrice du Welz
Fabrice du Welz: "Vinyan".
Koch Media. Englisch, deutsch, Untertitel. Extras: 53-minütiges Making-of, Trailer
Einer der wenigen Bereiche, auf die man sich im zeitgenössischen Kino noch wirklich verlassen kann, ist der Dschungel. "Hic sunt leones" stand früher auf den Karten, wo man die Flächen weiß ließ, weil man nicht mehr weiterwusste. Das Kino aber führt uns spätestens seit den Siebzigern, seit Herzogs "Aguirre" und Coppolas "Apocalypse Now", mitten hinein in unerforschtes Terrain und plaziert im Urwald statt der Löwen die Ängste und Obsessionen der Gegenwart, verdichtet zur Erfahrung des Taumelns in den Abgrund, einer Reise ohne Wiederkehr.
Fabrice du Welz' "Vinyan", der seine Anleihen von den genannten Filmen und vom Horror-Paranoia-Kino der siebziger Jahre nicht verleugnet, sondern ausstellt, kam zwar hierzulande nie ins Kino, ist aber dennoch ein ganz aktueller Film: Denn er handelt von einem Mittelstandsehepaar, das am Verlust eines Kindes zugrunde geht, und erstmals unter anderem auch von der großen Tsunami-Katastrophe von 2005 und ihren Folgen.
Emmanuelle Béart spielt Jeanne, eine Mutter, die überzeugt ist, dass ihr zwölfjähriger, beim Tsunami verschwundener Sohn noch lebt, und sich in Thailand auf die Suche begibt. Einige Indizien scheinen ihr recht zu geben, schließlich gibt es Geschichten über Kinder, die in den Nachwirren der Katastrophe gekidnapped wurden. Der von Rufus Sewell gespielte Vater Paul macht eher gute Miene zu dem, was er für Verwirrung hält. Aber je hoffnungsloser die Lage, um so energischer versteift sich Jeanne auf ihr Gespür, ruft Schamanen zu Hilfe und klammert sich an jedes noch so kleine Hoffnungszeichen.
Dann führt eine Spur nach Burma, und das Paar bricht auf. Regisseur Fabrice du Welz, der mit dem Horror-Schocker "Calvaire" bekannt wurde, hat hier einen vergleichsweise innerlichen Film gedreht. Die nun beginnende Reise immer weiter hinein in den Urwald kleidet er in prächtige Bilder von gelbbraunen Tropennächten und sattgrünen Naturpanoramen, die aber zunehmend einer dunkleren Palette weichen. Hinzu kommt der Dauerregen, alles wird immer abgedrehter: Dörfer sind verlassen, die eingeborenen Führer, die erwartungsgemäß nur aufs Geld der Europäer aus sind, machen sich irgendwann aus dem Staub, das Paar wandert einfach weiter ins Nirwana - mehr und mehr ähnelt alles einem Albtraum zwischen Drogentrip und Hexerei. Diese Erkundungen im Reich der Vagheit sind zugleich von kraftvoller sinnlicher Intensität: schillernde, überhitzte Bilder von Matsch, Schweiß und Tränen, deren Wirkung stark von der Vorführung abhängt - für den Start einer Blu-ray-Sammlung ist "Vinyan" daher kein schlechter Anfang.
"Spirit becomes angry, becomes Vinyan", hatte ein Schamane noch recht am Anfang bereits den Titel erklärt und den weiteren Verlauf vorweggenommen: ein ungewöhnlicher, zunehmend abdrehender Horrorfilm mit Trash-Einlagen, der trotzdem die Realität oder was wir dafür halten, nie verrät. Lange ist alles nur latent bedrohlich, man erwartet jeden Augenblick, dass Colonel Kurtz, "The horror" murmelnd, um die Ecke kommt, dann wird Jeanne Béart auf unerwartete Art endgültig zum Übermuttertier, und am Ende, so viel darf man immerhin versprechen, war auf den Dschungel einmal mehr Verlass.
RÜDIGER SUCHSLAND
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Matsch, Schweiß und Tränen: Emmanuelle Béart als Übermuttertier in "Vinyan" von Fabrice du Welz
Fabrice du Welz: "Vinyan".
Koch Media. Englisch, deutsch, Untertitel. Extras: 53-minütiges Making-of, Trailer
Einer der wenigen Bereiche, auf die man sich im zeitgenössischen Kino noch wirklich verlassen kann, ist der Dschungel. "Hic sunt leones" stand früher auf den Karten, wo man die Flächen weiß ließ, weil man nicht mehr weiterwusste. Das Kino aber führt uns spätestens seit den Siebzigern, seit Herzogs "Aguirre" und Coppolas "Apocalypse Now", mitten hinein in unerforschtes Terrain und plaziert im Urwald statt der Löwen die Ängste und Obsessionen der Gegenwart, verdichtet zur Erfahrung des Taumelns in den Abgrund, einer Reise ohne Wiederkehr.
Fabrice du Welz' "Vinyan", der seine Anleihen von den genannten Filmen und vom Horror-Paranoia-Kino der siebziger Jahre nicht verleugnet, sondern ausstellt, kam zwar hierzulande nie ins Kino, ist aber dennoch ein ganz aktueller Film: Denn er handelt von einem Mittelstandsehepaar, das am Verlust eines Kindes zugrunde geht, und erstmals unter anderem auch von der großen Tsunami-Katastrophe von 2005 und ihren Folgen.
Emmanuelle Béart spielt Jeanne, eine Mutter, die überzeugt ist, dass ihr zwölfjähriger, beim Tsunami verschwundener Sohn noch lebt, und sich in Thailand auf die Suche begibt. Einige Indizien scheinen ihr recht zu geben, schließlich gibt es Geschichten über Kinder, die in den Nachwirren der Katastrophe gekidnapped wurden. Der von Rufus Sewell gespielte Vater Paul macht eher gute Miene zu dem, was er für Verwirrung hält. Aber je hoffnungsloser die Lage, um so energischer versteift sich Jeanne auf ihr Gespür, ruft Schamanen zu Hilfe und klammert sich an jedes noch so kleine Hoffnungszeichen.
Dann führt eine Spur nach Burma, und das Paar bricht auf. Regisseur Fabrice du Welz, der mit dem Horror-Schocker "Calvaire" bekannt wurde, hat hier einen vergleichsweise innerlichen Film gedreht. Die nun beginnende Reise immer weiter hinein in den Urwald kleidet er in prächtige Bilder von gelbbraunen Tropennächten und sattgrünen Naturpanoramen, die aber zunehmend einer dunkleren Palette weichen. Hinzu kommt der Dauerregen, alles wird immer abgedrehter: Dörfer sind verlassen, die eingeborenen Führer, die erwartungsgemäß nur aufs Geld der Europäer aus sind, machen sich irgendwann aus dem Staub, das Paar wandert einfach weiter ins Nirwana - mehr und mehr ähnelt alles einem Albtraum zwischen Drogentrip und Hexerei. Diese Erkundungen im Reich der Vagheit sind zugleich von kraftvoller sinnlicher Intensität: schillernde, überhitzte Bilder von Matsch, Schweiß und Tränen, deren Wirkung stark von der Vorführung abhängt - für den Start einer Blu-ray-Sammlung ist "Vinyan" daher kein schlechter Anfang.
"Spirit becomes angry, becomes Vinyan", hatte ein Schamane noch recht am Anfang bereits den Titel erklärt und den weiteren Verlauf vorweggenommen: ein ungewöhnlicher, zunehmend abdrehender Horrorfilm mit Trash-Einlagen, der trotzdem die Realität oder was wir dafür halten, nie verrät. Lange ist alles nur latent bedrohlich, man erwartet jeden Augenblick, dass Colonel Kurtz, "The horror" murmelnd, um die Ecke kommt, dann wird Jeanne Béart auf unerwartete Art endgültig zum Übermuttertier, und am Ende, so viel darf man immerhin versprechen, war auf den Dschungel einmal mehr Verlass.
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