Es ist Liebe auf den allerersten Blick, zumindest bei Georges, der der fantasievollen und spontanen Camille sofort verfällt. Doch so schnell wie sie ihm erschienen ist, so schnell ist Camille auch wieder verschwunden. Georges muss Camille erst zu dieser Liebe überreden, aber dann tauchen sie gemeinsam ein in ein leidenschaftliches Leben fernab aller Konventionen im Frankreich der 50er Jahre. Jede Nacht wird zum überschwänglichen Fest, auf dem sie zu Mr. Bojangles tanzen und ihre Freunde mit verrückten Geschichten unterhalten. Nach der Geburt ihres Sohnes Gary gehört auch er ganz selbstverständlich zu dieser exzentrischen Welt dazu. Doch sie kennen beide auch die dunkle Seite von Camille, die bittere Wahrheit, die ihr Leben zunehmend zu zerstören droht... Kurzerhand trifft Georges eine tiefgreifende Entscheidung in der Hoffnung, seine große Liebe und seine Familie ein letztes Mal zu retten.
Bonusmaterial
Casting Rolle Gary Simon - Ein Kurzfilm von Regisseur Régis Roinsard Kinotrailer 1 Kinotrailer 2Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2022Tragödie eines lächerlichen Paares
Régis Roinsards Film "Warten auf Bojangles" erzählt von Liebe, Familienglück und Wahnsinn. Großes französisches Kino der Gefühle? Leider nein.
Den klassischen Film über eine Frau, die sich mitten im scheinbaren Ehe- und Familienglück ihres Alltags selbst zu zerstören beginnt und aus dem Wohnzimmer in die Psychiatrie gelangt, hat John Cassavetes vor fünfzig Jahren gedreht: "Eine Frau unter Einfluss". Der Titel wurde sprichwörtlich, der Film - mit Cassavetes' Ehefrau Gena Rowlands in der Hauptrolle - eine feste Bezugsgröße in feministischen, antibürgerlichen und konsumkritischen Diskursen. Kein Wunder also, dass die Schauspielerin Virginie Efira beim Lesen des Drehbuchs zu Régis Roinsards Film "Warten auf Bojangles" an Gena Rowlands dachte. Aber Roinsard, ihr Regisseur, "wollte, dass ich nicht an sie denke", wie Efira in einem Interview erzählt. Dieses Denkverbot hatte Folgen, für Efiras Rolle wie für den ganzen Film.
"Warten auf Bojangles" ist das Drama einer Frau, die sich selbst zerstört. Camilles Glück mit dem Anwalt Georges und ihrem Sohn Gary ist vollkommen, ihre finanzielle Lage prächtig, und doch neigt sie immer öfter zu brütendem Trübsinn und Schreianfällen, bis sie schließlich ihre Wohnung anzündet und in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses landet. Diese Geschichte, erzählt aus der Perspektive des kleinen Gary und des Tagebuch schreibenden Ehemanns und in Romanform gebracht von dem Nachwuchs-Autor Olivier Bourdeaut, war vor sechs Jahren der Überraschungserfolg des französischen Buchmarkts: Mehr als zweihunderttausend Exemplare wurden im Frühjahr 2016 von "En attendant Bojangles" verkauft. Eine Verfilmung - nach der Comic-Version, die bereits im Folgejahr, und einer Theater-Adaption, die ein weiteres Jahr später herauskam - war unausweichlich, und man durfte annehmen, dass sie so nah wie möglich an der bittersüßen, zugleich bonbonbunt und düster gefärbten Erzählfolie des Erfolgsromans bleiben würde.
Aber Régis Roinsard (dessen Regiedebüt "Madame Populaire" vor zehn Jahren in den deutschen Kinos lief) hatte eine andere Idee. Sie bestand darin, dass er die Handlung aus den Achtzigerjahren in die Sechziger und ihre Protagonisten aus der oberen in die untere Mittelschicht verlegte, indem er aus dem Anwalt, der nebenbei Bücher schreibt, einen Werkstattbesitzer machte. Roinsard wollte in die Welt von "Bonjour Tristesse" und "Jules und Jim" zurück, nur ohne die dunklen Untertöne der Filme von damals; ihn reizten die Sixties als ästhetische Oberfläche. Um diese Wendung plausibel zu machen, strich er die Erzählerstimmen des Jungen und seines Vaters und erfand Szenen, die nicht im Roman standen. Er praktizierte, anders gesagt, genau das, was sein Vorbild François Truffaut in einer berühmten Polemik als Unart und Anmaßung des französischen Kinos angeprangert hat: "ein ständiges Bemühen um Untreue gegenüber dem Geist wie dem Buchstaben" literarischer Vorlagen. So stand es 1954 in den "Cahiers du cinéma", und so gilt es in Frankreich heute noch.
Es ist diese Mischung aus visuellem Auftrumpfen und erzählerischer Armut, die "Warten auf Bojangles" zu einer so traurigen Kinoerfahrung macht. Man spürt, dass Virginie Efira und Romain Duris, die Darsteller des Ehepaars, zu einer ganz anderen Intensität fähig gewesen wären, wenn ihr Regisseur sie mehr an Cassavetes statt an die richtigen Tanzschritte für ihre Figuren hätte denken lassen; aber offensichtlich war Roinsard so sehr in seine mondänen Schauplätze an der Côte d'Azur und in einem Pariser Studio verliebt, dass er alles ausblendete, was die ekstatische Künstlichkeit dieser Kulissenwelt gestört hätte. Typischerweise geht dem Design des Films die Luft aus, sobald die Partys vorbei sind und Camille dem Apparat des französischen Gesundheitswesens ausgeliefert ist. Hier hätte der Film mit der Geschichte Ernst machen können; doch er mogelt sich mit ein paar Alibi-Einstellungen um das Grauen herum, das der Romanvorlage den Resonanzboden gibt. Selbst den Country-Klassiker von Jerry Jeff Walker, der in Bourdeauts Roman in der Interpretation von Nina Simone zur Erkennungsmelodie der Heldin wird, hat Roinsard neu einspielen lassen. In "Warten auf Bojangles" sind eben auch die Töne aus zweiter Hand. ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Régis Roinsards Film "Warten auf Bojangles" erzählt von Liebe, Familienglück und Wahnsinn. Großes französisches Kino der Gefühle? Leider nein.
Den klassischen Film über eine Frau, die sich mitten im scheinbaren Ehe- und Familienglück ihres Alltags selbst zu zerstören beginnt und aus dem Wohnzimmer in die Psychiatrie gelangt, hat John Cassavetes vor fünfzig Jahren gedreht: "Eine Frau unter Einfluss". Der Titel wurde sprichwörtlich, der Film - mit Cassavetes' Ehefrau Gena Rowlands in der Hauptrolle - eine feste Bezugsgröße in feministischen, antibürgerlichen und konsumkritischen Diskursen. Kein Wunder also, dass die Schauspielerin Virginie Efira beim Lesen des Drehbuchs zu Régis Roinsards Film "Warten auf Bojangles" an Gena Rowlands dachte. Aber Roinsard, ihr Regisseur, "wollte, dass ich nicht an sie denke", wie Efira in einem Interview erzählt. Dieses Denkverbot hatte Folgen, für Efiras Rolle wie für den ganzen Film.
"Warten auf Bojangles" ist das Drama einer Frau, die sich selbst zerstört. Camilles Glück mit dem Anwalt Georges und ihrem Sohn Gary ist vollkommen, ihre finanzielle Lage prächtig, und doch neigt sie immer öfter zu brütendem Trübsinn und Schreianfällen, bis sie schließlich ihre Wohnung anzündet und in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses landet. Diese Geschichte, erzählt aus der Perspektive des kleinen Gary und des Tagebuch schreibenden Ehemanns und in Romanform gebracht von dem Nachwuchs-Autor Olivier Bourdeaut, war vor sechs Jahren der Überraschungserfolg des französischen Buchmarkts: Mehr als zweihunderttausend Exemplare wurden im Frühjahr 2016 von "En attendant Bojangles" verkauft. Eine Verfilmung - nach der Comic-Version, die bereits im Folgejahr, und einer Theater-Adaption, die ein weiteres Jahr später herauskam - war unausweichlich, und man durfte annehmen, dass sie so nah wie möglich an der bittersüßen, zugleich bonbonbunt und düster gefärbten Erzählfolie des Erfolgsromans bleiben würde.
Aber Régis Roinsard (dessen Regiedebüt "Madame Populaire" vor zehn Jahren in den deutschen Kinos lief) hatte eine andere Idee. Sie bestand darin, dass er die Handlung aus den Achtzigerjahren in die Sechziger und ihre Protagonisten aus der oberen in die untere Mittelschicht verlegte, indem er aus dem Anwalt, der nebenbei Bücher schreibt, einen Werkstattbesitzer machte. Roinsard wollte in die Welt von "Bonjour Tristesse" und "Jules und Jim" zurück, nur ohne die dunklen Untertöne der Filme von damals; ihn reizten die Sixties als ästhetische Oberfläche. Um diese Wendung plausibel zu machen, strich er die Erzählerstimmen des Jungen und seines Vaters und erfand Szenen, die nicht im Roman standen. Er praktizierte, anders gesagt, genau das, was sein Vorbild François Truffaut in einer berühmten Polemik als Unart und Anmaßung des französischen Kinos angeprangert hat: "ein ständiges Bemühen um Untreue gegenüber dem Geist wie dem Buchstaben" literarischer Vorlagen. So stand es 1954 in den "Cahiers du cinéma", und so gilt es in Frankreich heute noch.
Es ist diese Mischung aus visuellem Auftrumpfen und erzählerischer Armut, die "Warten auf Bojangles" zu einer so traurigen Kinoerfahrung macht. Man spürt, dass Virginie Efira und Romain Duris, die Darsteller des Ehepaars, zu einer ganz anderen Intensität fähig gewesen wären, wenn ihr Regisseur sie mehr an Cassavetes statt an die richtigen Tanzschritte für ihre Figuren hätte denken lassen; aber offensichtlich war Roinsard so sehr in seine mondänen Schauplätze an der Côte d'Azur und in einem Pariser Studio verliebt, dass er alles ausblendete, was die ekstatische Künstlichkeit dieser Kulissenwelt gestört hätte. Typischerweise geht dem Design des Films die Luft aus, sobald die Partys vorbei sind und Camille dem Apparat des französischen Gesundheitswesens ausgeliefert ist. Hier hätte der Film mit der Geschichte Ernst machen können; doch er mogelt sich mit ein paar Alibi-Einstellungen um das Grauen herum, das der Romanvorlage den Resonanzboden gibt. Selbst den Country-Klassiker von Jerry Jeff Walker, der in Bourdeauts Roman in der Interpretation von Nina Simone zur Erkennungsmelodie der Heldin wird, hat Roinsard neu einspielen lassen. In "Warten auf Bojangles" sind eben auch die Töne aus zweiter Hand. ANDREAS KILB
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