Sibylle Berg provoziert, irgendwie. Ihre Lebensgeschichte vom DDR-Flüchtling zur Bestsellerautorin klingt fast so, als hätte sie sie selbst erfunden. Früher suchte Sibylle Berg das Glück, heute sucht sie ein Haus. Im Portrait der großen ironischen Dramatikerin erfahren wir, wie die männliche Form von "Schriftsteller" lautet, warum diese auf Fotos meist ihren Kopf stützen, welche nützlichen Dinge (z.B. Eistauchen) man in der DDR lernen konnte, wie Pilze die Gehirne von Politikern steuern - und dass sich hinter jeder scheuen Schriftstellerin ein scheuer Mensch verbirgt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2016Geteilte Paranoia ist halbe Paranoia
Tom Tykwer verfilmt einen Roman von Dave Eggers und reist dafür mit Tom Hanks in die Wüste, Tobey Maguire tut als Bobby Fischer, was ein Mann an einem Schachbrett tun muss, und eine deutsche Schriftstellerin und Kolumnistin lässt sich porträtieren, indem sie sich mit ihren Regisseurinnen streitet - drei Filme über drei Suchende
Das Spannende an einem neuen Film mit Tom Hanks ist ja, dass Tom Hanks immer Tom Hanks bleibt. Und man sich einfach davon überraschen lassen kann, was sie diesmal so um ihn herum gebaut haben. Im Fall von Tom Tykwers Film "Ein Hologramm für den König" ist es eine Wüste in Saudi-Arabien.
Und Tom Hanks in der Wüste, das sieht genau so aus, wie man sich das vorstellt: Die Hitze befördert seine Tollpatschigkeit, der Schweiß auf der Stirn unterstreicht die unendliche Harmlosigkeit der Knollennase, die Deplatziertheit des Palästinensertuchs um seinen Hals und der unvorsichtige CIA-Witz auf der Zunge betonen die so vertrauenswürdige amerikanische Bodenständigkeit. Tom Hanks, das ist der, der niemals fremd oder furchteinflößend erscheint, ganz gleich, ob man ihn auf einer einsamen Insel aussetzt, ihm die berühmte Pralinenschachtel auf den Schoß stellt oder aber wie hier behauptet, er sei mal ein böser Vorstandsmensch gewesen. Er ist insofern die wirklich perfekte Besetzung für einen Film, der von der Fremde erzählt, ohne sich jemals auch nur eine Starbucksbechergröße vom Westen als Zentrum aller kulturellen Standards zu entfernen.
"Ein Hologramm für den König" nach dem gleichnamigen Roman von Dave Eggers, das ist auch eine Culture-Clash-Komödie. Und ein Selbstfindungsdrama. Überhaupt kommen einem bei diesem Film ständig Genrekategorien in den Kopf: eine Culture-Clash-Selbstfindungs-Wüsten-Rom-Com. Wenn man das aber mal für einen Moment ernst nimmt, statt sich einfach über all die Stereotype zu erheben, dann ist das weder uninteressant noch unrealistisch. Kennt man ja selbst, dass man auf Reisen einen anderen Blick auf etwas kriegt, irgendwas von früher klarer erkennt. Ins Vergangene reisen statt ins Ferne, so nennt Walter Benjamin das. Walter Benjamin und die Culture-Clash-Komödie, das wäre schon wieder ein eigener Culture Clash.
Es ist ja immer auch die Lust daran, sich verändern, sich verstören zu lassen, die solche Geschichten antreibt. Der Wunsch, durch das Neue etwas Altes wegzuspülen. Als Alan Clay (Tom Hanks) in Saudi-Arabien ankommt, lässt er gleich mehrere Katastrophen zurück: eine laufende Scheidung und einen verlorenen Job. Der neue Job, der ihn nun in die Wüste bringt, wird damit zu seiner gefühlt letzten Chance, noch einmal der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Und aus der Ferne wenigstens die Beziehung zu seiner Tochter zu kitten.
In Saudi-Arabien hört der Druck zwar erst mal nicht auf (auch der neue Chef droht, aus den Vereinigten Staaten telefonieren sie ihm hinterher), doch diese Fremde, in die er geworfen ist, findet eigene Mittel, ihn zum Innehalten zu zwingen. Jeden Tag verschläft er nun, er kennt sich nicht aus, treibt aber den dort verbotenen Alkohol auf und gibt seine Orientierung ganz ab an Yusef, seinen persönlichen Ersatzfahrer für den allmorgendlich verpassten Bus; seine Gesundheit legt er in die Hände von Dr. Zahra Hakem, der schönen Ärztin (gespielt von Sarita Choudhury, die man als Sauls Frau Mira aus "Homeland" kennt). Die ungewohnte Umgebung katapultiert Alan in eine Art hilflosen Säuglingszustand. Es ist, als würde er auf null gesetzt, damit der Neuanfang kommen kann, er muss sich erst von sich entfernen, um sich wiederzufinden.
Zu weit entfernen allerdings auch nicht. Gerade so fern muss die Ferne sein, dass sie das Neue anstößt, aber bitte nicht weiter als die schon für das nächste Jahr angekündigte Starbucksfiliale in der Wüste. Ein Clash ohne Kopfverletzungen. Und das ist okay, das ist menschlich, das ist Tom Hanks in der Wüste. Das ist leider ein bisschen langweilig.
"Schwaches W-Lan ist wirklich unser geringstes Problem", sagt einmal jemand zu Alan Clay. Für den Film gilt das Gegenteil: Seine emotionale Fallhöhe ist ziemlich genau ein schwacher W-Lan-Empfang.
* * *
Das Spannende an einem richtig guten Dokumentarfilm ist ja, dass er immer auch die Geschichte seiner eigenen Entstehung erzählt. Weil er nicht so tut, als wäre das, was er zeigt, sowieso schon da. Weil er die Kamera als Gegenüber, als blinden Fleck der Szene, mit ins Bild holt. Das gilt umso mehr bei Dokumentarfilmen, die Porträts sind. Das gilt erst recht bei einem Film über Sibylle Berg.
"Wer hat Angst vor Sibylle Berg?" von Wiltrud Baier und Sigrun Köhler ist nicht nur ein richtig guter Film über eine richtig gute Frau. Weil es beiden um den Konflikt zwischen Sich-zeigen- und Sich-verstecken-Wollen, zwischen Selbstbild und Fremdbild geht, ist es auch ein Film über die Grundspannung der Kunst: Scheu vs. Zeigelust. Introvertierter Exhibitionismus. Oder exhibitionistische Introvertiertheit?
Gleich am Anfang konfrontieren die beiden Filmemacherinnen die Schriftstellerin mit ihrem Außenbild, gleich am Anfang blockt sie es ab: "Die erbarmungsloseste deutsche Schriftstellerin . . ." - "Nein, nein, ganz falsch!" Die perfekte Grundierung für eine Begegnung, die immer auch Kampf ist. Kampf um Abbildung, um Selbst- und Fremdrepräsentation. Wer schreibt, betreibt Selbstermächtigung, wer sich filmen lässt, gibt die Kontrolle über sein Bild ab. "Was stellt ihr euch unter einem ellenlangen Interview eigentlich vor?" Oder: "Na, was ist das denn jetzt schon wieder für ein Themenfeld, über das ich nicht sprechen möchte?" Natürlich hat Sibylle Berg in die Dreharbeiten eingewilligt. Aber wie viel sie dabei von sich preisgibt, das ist immer wieder Verhandlungssache. Und die wird zum eigentlichen Thema des Films.
Denn es ist ja nicht so, als zeige sich Sibylle Berg nicht auch oft freiwillig in den Medien, zuletzt regelmäßig beim jetzt so berühmten Böhmermann. Als twitterte sie nicht mehrmals täglich aus ihrem Alltag (was man auch in diesem Film sehen kann). Aber genau diese Spannung zwischen Scheu und Zeigelust ist es doch, die viel damit zu tun hat, warum jemand überhaupt Kunst macht, erst recht, warum er schreibt.
Alles beginnt in Los Angeles, wo Sibylle Berg ein Haus von John Lautner besichtigt. "Könnt ihr Doku-Schlampen mich da reinbringen?", soll sie gefragt und die Zusage zu einer Bedingung für ihr Filmeinverständnis gemacht haben. Weiter geht es zu verschiedenen Stationen ihres Lebens: zur Clownschule im Tessin, an der sie mal Ausdruckstanz studiert hat, zu Lesungen und den Proben eines ihrer Stücke, zu Treffen mit ihren Freundinnen Helene Hegemann und Katja Riemann.
Am spannendsten aber sind die Dialoge mit den beiden Filmemacherinnen, so viele tolle Dialoge, dass man sie hier am liebsten alle auf einmal zitieren würde. "Bist du wegen Max Frisch hierher gezogen?", fragen die beiden, als sie eine frühere Wohnung von Sibylle Berg in den Schweizer Bergen besichtigen. "Ich hasse Max Frisch!" Dann, vor der Bergkulisse seine Denkerpose nachahmend: "Ich kann einfach nicht so toll Pfeife rauchen und die Welt erklären." Und, nach einer kurzen Pause: "Aber Frauen erklären die Welt ja auch nicht, das steht uns nicht zu. Frauen schreiben über ihre Depressionen!" Sie lacht, obwohl und gerade weil sie damit bestimmt auch sich selbst meint, und dieses Lachen zusammen mit der Schärfe und Klugheit und der Verletzlichkeit, sie sind es irgendwie in der Kombination, die den Charme der Schriftstellerin ausmachen, dem man sich beim Zuschauen so schnell ergibt.
"And this makes happy, yes?", fragt Sibylle Berg den Milliardär John Goldstein, als sie sein Anwesen in Los Angeles bewundert. Yes, möchte man ihr antworten, yes, thank you. This film makes very happy.
* * *
Das Spannende an einem Film übers Schachspielen ist ja, dass man denkt, er könne gar nicht spannend sein. Jedenfalls, wenn er es dann doch ist. Und das in Edward Zwicks Bobby-Fischer-Biopic "Bauernopfer - Spiel der Könige" sogar gerade dann, wenn es wirklich nur noch um das Schachspielen geht, wenn die ganze Bewegung drumherum, die üblichen biographischen Schnipsel vorbeigezogen sind, wenn sich wirklich nur noch zwei Männer an einem Tisch gegenübersitzen, gebeugt über dasselbe Spielbrett.
Das ist der wirklich geniale Zug dieses Films: Dass die filmische Erzählung genau gleichzeitig mit dem Spiel in Gang kommt, dass es erst dann spannend wird, als sich nur noch die Figuren auf dem Brett bewegen. Und die auf der Leinwand dafür fast völlig stillstehen.
Sobald also Tobey Maguire als erwachsener Bobby Fischer übernimmt und beginnt, sich für die Weltmeisterschaft 1972 zu qualifizieren, um als erster Amerikaner die Russen zu schlagen, wird das Ganze zu einem richtigen Schachbrettthriller. Ganz in echt. Allerdings weniger, weil er "die Weltpolitik des Zweiten Weltkriegs auf dem Schachbrett austragen lässt", wie der Film beworben wird - vermutlich, weil das besser klingt als die Aussage, dass er die Wahnhaftigkeit des menschlichen Kopfes auf dem Schachbrett austragen lässt. Wäre aber die viel zutreffendere Anpreisung.
Denn natürlich ist es ganz unterhaltsam, wenn Präsident Nixon den Schachstar Fischer anruft, um ihn, der aus Angst und Trotz und Sturheit soeben vom Finale in Reykjavík abgereist ist, zum Weiterspielen zu überreden. Seine Intensität entwickelt der Film aber gerade nicht aus diesen großen Dimensionen der Außenpolitik, sondern aus Bobby Fischers Innenwelt. Aus seiner Paranoia, seinen Konzentrationsschwierigkeiten, seiner Überempfindlichkeit für jedes noch so geringe Geräusch.
Wie Fischer während des Turniers erst die Zuschauer anherrscht, gefälligst weniger laut zu husten, dann die Kameraleute mit Beschwerden traktiert und schließlich darauf besteht, das Spiel ganz in den Pingpongraum im Keller zu verlegen, den angeblich einzigen stillen Raum - das ist für jeden, der jemals um Konzentration gekämpft hat, faszinierend mitanzusehen. Und bedrohlich. Bitte, Fußboden, nicht noch ein Knarren! Schweig doch endlich, Lüftungsanlage! Tobey Maguire spielt das tatsächlich so gut, dass man Angst bekommt, seine Darstellung könnte im unangenehmen Sinne ansteckend wirken. Die schönste, weil lustige und schreckliche und doch irgendwie tröstliche Szene ist dann auch die, in der sich die Paranoia tatsächlich auf Fischers Gegner im Finale, Boris Spasski (Liev Schreiber), überträgt, bis der damit beginnt, seinen Stuhl auseinanderzunehmen, weil aus dessen Polster ein seltsames Geräusch kommt. Geteilte Paranoia ist gleich nur noch halb so erschreckend.
Dass man nach diesem Film auch gleich selber wieder Schach spielen will: eh klar. Aber nur bei wirklich lauter Musik.
JULIA DETTKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tom Tykwer verfilmt einen Roman von Dave Eggers und reist dafür mit Tom Hanks in die Wüste, Tobey Maguire tut als Bobby Fischer, was ein Mann an einem Schachbrett tun muss, und eine deutsche Schriftstellerin und Kolumnistin lässt sich porträtieren, indem sie sich mit ihren Regisseurinnen streitet - drei Filme über drei Suchende
Das Spannende an einem neuen Film mit Tom Hanks ist ja, dass Tom Hanks immer Tom Hanks bleibt. Und man sich einfach davon überraschen lassen kann, was sie diesmal so um ihn herum gebaut haben. Im Fall von Tom Tykwers Film "Ein Hologramm für den König" ist es eine Wüste in Saudi-Arabien.
Und Tom Hanks in der Wüste, das sieht genau so aus, wie man sich das vorstellt: Die Hitze befördert seine Tollpatschigkeit, der Schweiß auf der Stirn unterstreicht die unendliche Harmlosigkeit der Knollennase, die Deplatziertheit des Palästinensertuchs um seinen Hals und der unvorsichtige CIA-Witz auf der Zunge betonen die so vertrauenswürdige amerikanische Bodenständigkeit. Tom Hanks, das ist der, der niemals fremd oder furchteinflößend erscheint, ganz gleich, ob man ihn auf einer einsamen Insel aussetzt, ihm die berühmte Pralinenschachtel auf den Schoß stellt oder aber wie hier behauptet, er sei mal ein böser Vorstandsmensch gewesen. Er ist insofern die wirklich perfekte Besetzung für einen Film, der von der Fremde erzählt, ohne sich jemals auch nur eine Starbucksbechergröße vom Westen als Zentrum aller kulturellen Standards zu entfernen.
"Ein Hologramm für den König" nach dem gleichnamigen Roman von Dave Eggers, das ist auch eine Culture-Clash-Komödie. Und ein Selbstfindungsdrama. Überhaupt kommen einem bei diesem Film ständig Genrekategorien in den Kopf: eine Culture-Clash-Selbstfindungs-Wüsten-Rom-Com. Wenn man das aber mal für einen Moment ernst nimmt, statt sich einfach über all die Stereotype zu erheben, dann ist das weder uninteressant noch unrealistisch. Kennt man ja selbst, dass man auf Reisen einen anderen Blick auf etwas kriegt, irgendwas von früher klarer erkennt. Ins Vergangene reisen statt ins Ferne, so nennt Walter Benjamin das. Walter Benjamin und die Culture-Clash-Komödie, das wäre schon wieder ein eigener Culture Clash.
Es ist ja immer auch die Lust daran, sich verändern, sich verstören zu lassen, die solche Geschichten antreibt. Der Wunsch, durch das Neue etwas Altes wegzuspülen. Als Alan Clay (Tom Hanks) in Saudi-Arabien ankommt, lässt er gleich mehrere Katastrophen zurück: eine laufende Scheidung und einen verlorenen Job. Der neue Job, der ihn nun in die Wüste bringt, wird damit zu seiner gefühlt letzten Chance, noch einmal der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Und aus der Ferne wenigstens die Beziehung zu seiner Tochter zu kitten.
In Saudi-Arabien hört der Druck zwar erst mal nicht auf (auch der neue Chef droht, aus den Vereinigten Staaten telefonieren sie ihm hinterher), doch diese Fremde, in die er geworfen ist, findet eigene Mittel, ihn zum Innehalten zu zwingen. Jeden Tag verschläft er nun, er kennt sich nicht aus, treibt aber den dort verbotenen Alkohol auf und gibt seine Orientierung ganz ab an Yusef, seinen persönlichen Ersatzfahrer für den allmorgendlich verpassten Bus; seine Gesundheit legt er in die Hände von Dr. Zahra Hakem, der schönen Ärztin (gespielt von Sarita Choudhury, die man als Sauls Frau Mira aus "Homeland" kennt). Die ungewohnte Umgebung katapultiert Alan in eine Art hilflosen Säuglingszustand. Es ist, als würde er auf null gesetzt, damit der Neuanfang kommen kann, er muss sich erst von sich entfernen, um sich wiederzufinden.
Zu weit entfernen allerdings auch nicht. Gerade so fern muss die Ferne sein, dass sie das Neue anstößt, aber bitte nicht weiter als die schon für das nächste Jahr angekündigte Starbucksfiliale in der Wüste. Ein Clash ohne Kopfverletzungen. Und das ist okay, das ist menschlich, das ist Tom Hanks in der Wüste. Das ist leider ein bisschen langweilig.
"Schwaches W-Lan ist wirklich unser geringstes Problem", sagt einmal jemand zu Alan Clay. Für den Film gilt das Gegenteil: Seine emotionale Fallhöhe ist ziemlich genau ein schwacher W-Lan-Empfang.
* * *
Das Spannende an einem richtig guten Dokumentarfilm ist ja, dass er immer auch die Geschichte seiner eigenen Entstehung erzählt. Weil er nicht so tut, als wäre das, was er zeigt, sowieso schon da. Weil er die Kamera als Gegenüber, als blinden Fleck der Szene, mit ins Bild holt. Das gilt umso mehr bei Dokumentarfilmen, die Porträts sind. Das gilt erst recht bei einem Film über Sibylle Berg.
"Wer hat Angst vor Sibylle Berg?" von Wiltrud Baier und Sigrun Köhler ist nicht nur ein richtig guter Film über eine richtig gute Frau. Weil es beiden um den Konflikt zwischen Sich-zeigen- und Sich-verstecken-Wollen, zwischen Selbstbild und Fremdbild geht, ist es auch ein Film über die Grundspannung der Kunst: Scheu vs. Zeigelust. Introvertierter Exhibitionismus. Oder exhibitionistische Introvertiertheit?
Gleich am Anfang konfrontieren die beiden Filmemacherinnen die Schriftstellerin mit ihrem Außenbild, gleich am Anfang blockt sie es ab: "Die erbarmungsloseste deutsche Schriftstellerin . . ." - "Nein, nein, ganz falsch!" Die perfekte Grundierung für eine Begegnung, die immer auch Kampf ist. Kampf um Abbildung, um Selbst- und Fremdrepräsentation. Wer schreibt, betreibt Selbstermächtigung, wer sich filmen lässt, gibt die Kontrolle über sein Bild ab. "Was stellt ihr euch unter einem ellenlangen Interview eigentlich vor?" Oder: "Na, was ist das denn jetzt schon wieder für ein Themenfeld, über das ich nicht sprechen möchte?" Natürlich hat Sibylle Berg in die Dreharbeiten eingewilligt. Aber wie viel sie dabei von sich preisgibt, das ist immer wieder Verhandlungssache. Und die wird zum eigentlichen Thema des Films.
Denn es ist ja nicht so, als zeige sich Sibylle Berg nicht auch oft freiwillig in den Medien, zuletzt regelmäßig beim jetzt so berühmten Böhmermann. Als twitterte sie nicht mehrmals täglich aus ihrem Alltag (was man auch in diesem Film sehen kann). Aber genau diese Spannung zwischen Scheu und Zeigelust ist es doch, die viel damit zu tun hat, warum jemand überhaupt Kunst macht, erst recht, warum er schreibt.
Alles beginnt in Los Angeles, wo Sibylle Berg ein Haus von John Lautner besichtigt. "Könnt ihr Doku-Schlampen mich da reinbringen?", soll sie gefragt und die Zusage zu einer Bedingung für ihr Filmeinverständnis gemacht haben. Weiter geht es zu verschiedenen Stationen ihres Lebens: zur Clownschule im Tessin, an der sie mal Ausdruckstanz studiert hat, zu Lesungen und den Proben eines ihrer Stücke, zu Treffen mit ihren Freundinnen Helene Hegemann und Katja Riemann.
Am spannendsten aber sind die Dialoge mit den beiden Filmemacherinnen, so viele tolle Dialoge, dass man sie hier am liebsten alle auf einmal zitieren würde. "Bist du wegen Max Frisch hierher gezogen?", fragen die beiden, als sie eine frühere Wohnung von Sibylle Berg in den Schweizer Bergen besichtigen. "Ich hasse Max Frisch!" Dann, vor der Bergkulisse seine Denkerpose nachahmend: "Ich kann einfach nicht so toll Pfeife rauchen und die Welt erklären." Und, nach einer kurzen Pause: "Aber Frauen erklären die Welt ja auch nicht, das steht uns nicht zu. Frauen schreiben über ihre Depressionen!" Sie lacht, obwohl und gerade weil sie damit bestimmt auch sich selbst meint, und dieses Lachen zusammen mit der Schärfe und Klugheit und der Verletzlichkeit, sie sind es irgendwie in der Kombination, die den Charme der Schriftstellerin ausmachen, dem man sich beim Zuschauen so schnell ergibt.
"And this makes happy, yes?", fragt Sibylle Berg den Milliardär John Goldstein, als sie sein Anwesen in Los Angeles bewundert. Yes, möchte man ihr antworten, yes, thank you. This film makes very happy.
* * *
Das Spannende an einem Film übers Schachspielen ist ja, dass man denkt, er könne gar nicht spannend sein. Jedenfalls, wenn er es dann doch ist. Und das in Edward Zwicks Bobby-Fischer-Biopic "Bauernopfer - Spiel der Könige" sogar gerade dann, wenn es wirklich nur noch um das Schachspielen geht, wenn die ganze Bewegung drumherum, die üblichen biographischen Schnipsel vorbeigezogen sind, wenn sich wirklich nur noch zwei Männer an einem Tisch gegenübersitzen, gebeugt über dasselbe Spielbrett.
Das ist der wirklich geniale Zug dieses Films: Dass die filmische Erzählung genau gleichzeitig mit dem Spiel in Gang kommt, dass es erst dann spannend wird, als sich nur noch die Figuren auf dem Brett bewegen. Und die auf der Leinwand dafür fast völlig stillstehen.
Sobald also Tobey Maguire als erwachsener Bobby Fischer übernimmt und beginnt, sich für die Weltmeisterschaft 1972 zu qualifizieren, um als erster Amerikaner die Russen zu schlagen, wird das Ganze zu einem richtigen Schachbrettthriller. Ganz in echt. Allerdings weniger, weil er "die Weltpolitik des Zweiten Weltkriegs auf dem Schachbrett austragen lässt", wie der Film beworben wird - vermutlich, weil das besser klingt als die Aussage, dass er die Wahnhaftigkeit des menschlichen Kopfes auf dem Schachbrett austragen lässt. Wäre aber die viel zutreffendere Anpreisung.
Denn natürlich ist es ganz unterhaltsam, wenn Präsident Nixon den Schachstar Fischer anruft, um ihn, der aus Angst und Trotz und Sturheit soeben vom Finale in Reykjavík abgereist ist, zum Weiterspielen zu überreden. Seine Intensität entwickelt der Film aber gerade nicht aus diesen großen Dimensionen der Außenpolitik, sondern aus Bobby Fischers Innenwelt. Aus seiner Paranoia, seinen Konzentrationsschwierigkeiten, seiner Überempfindlichkeit für jedes noch so geringe Geräusch.
Wie Fischer während des Turniers erst die Zuschauer anherrscht, gefälligst weniger laut zu husten, dann die Kameraleute mit Beschwerden traktiert und schließlich darauf besteht, das Spiel ganz in den Pingpongraum im Keller zu verlegen, den angeblich einzigen stillen Raum - das ist für jeden, der jemals um Konzentration gekämpft hat, faszinierend mitanzusehen. Und bedrohlich. Bitte, Fußboden, nicht noch ein Knarren! Schweig doch endlich, Lüftungsanlage! Tobey Maguire spielt das tatsächlich so gut, dass man Angst bekommt, seine Darstellung könnte im unangenehmen Sinne ansteckend wirken. Die schönste, weil lustige und schreckliche und doch irgendwie tröstliche Szene ist dann auch die, in der sich die Paranoia tatsächlich auf Fischers Gegner im Finale, Boris Spasski (Liev Schreiber), überträgt, bis der damit beginnt, seinen Stuhl auseinanderzunehmen, weil aus dessen Polster ein seltsames Geräusch kommt. Geteilte Paranoia ist gleich nur noch halb so erschreckend.
Dass man nach diesem Film auch gleich selber wieder Schach spielen will: eh klar. Aber nur bei wirklich lauter Musik.
JULIA DETTKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main