In seiner neuen Komödie widmet sich Simon Verhoeven der Familie Hartmann, deren Probleme herrlich eskalieren, als Mutter Angelika gegen den Willen ihres Mannes beschließt, den Flüchtling Diallo aufzunehmen. Inmitten aller Wirrungen und Turbulenzen des normalen Wahnsinns unserer Zeit bleibt nur die Hoffnung, dass die Familie ihre Stabilität, Zuversicht und ihren Frieden wiederfindet - so wie das ganze Land.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2016Auf diesen Flüchtling haben sie gewartet
Im Kino ist Integration ganz einfach. Die Komödie "Willkommen bei den Hartmanns" zeigt es. Wieso gelingt im Film, was in der Realität zu schaffen macht? Es braucht wohl den richtigen Zuwanderer.
Wenn das so weitergeht, haben bald mehr Menschen Simon Verhoevens Flüchtlingskomödie "Willkommen bei den Hartmanns" gesehen als im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen sind. Eine Million Zuschauer binnen zehn Tagen, keine Trendwende in Sicht, unangefochtener Spitzenreiter der Kinocharts: Davon konnte "Ostfriesisch für Anfänger", der Integrations-Klamauk mit dem Demenzkomödien-Veteranen Didi Hallervorden, der das neue Trend-Genre flopweise ins Kino brachte, nur träumen. Und Flüchtlinge, dachte man, sind vielleicht doch eher ein Fall für den "Tatort".
Falsch gedacht. Verhoeven schafft etwas, was selbst Angela Merkel erst wieder schaffen muss: Er stellt Konsensfähigkeit her. Und das mit einem Thema, das die Deutschen in einen medial verstärkten "Refugees Welcome"-Taumel stürzte, aus dem der Schock der Silvesternacht sie unsanft herausriss; das verbunden ist mit dem Magengrimmen verursachenden Flüchtlingsdeal mit der Türkei, mit Flüchtlingen, die sich als Attentäter entpuppten, Angst vor Anschlägen, nicht leistbarer Integration, vor dem Islam, dem Zerfall der EU, vor Kontrollverlust, politischer Radikalisierung und dem Aufstieg der Rechten. Den passenden Wortwechsel dazu liefern in Verhoevens Film, wie könnte es anders sein, zwei weiße alte Männer am Tresen. "Die ganze Welt ist außer Kontrolle", sagt der eine. "Ganz genau, deshalb gucke ich auch keine Nachrichten mehr", der andere. Bessere Voraussetzungen für Komik als Charaktere in überschaubaren Krisen gibt es kaum, und genau das sehen wir in "Willkommen bei den Hartmanns". Verhoeven, der Regie führte und auch das Drehbuch schrieb, versteht es, seinen Figuren das als bedrohlich Empfundene da draußen weit genug vom Leibe zu halten, so dass sie es gefahrlos zur Sprache bringen können. "Die Ängste der Menschen ernst nehmen" - diese Politikerfloskel wird Dialog. Jeder darf, jeder soll erzählen, was ihm Sorgen bereitet. So können alle Witzfiguren sich ernst genommen fühlen.
Deutschland, das ist in diesem Film Münchens nobler Vorort Grünwald. In einer von blühenden Gartenlandschaften eingefriedeten Villa steht der Esstisch der Familie Hartmann: Hier wird Realpolitik gemacht. Angelika Hartmann, die ihren Vornamen nicht ohne Hintersinn trägt und von Senta Berger, Verhoevens Mutter, mit einnehmender Entspanntheit als Gewissen der Familie gezeichnet wird, ist eine pensionierte Schuldirektorin auf der Suche nach einer sinnvollen Tätigkeit. Als sie in einer Flüchtlingsunterkunft mit Altkleidern und dem Wunsch aufläuft, Deutschkurse zu geben, kennt man den Typus schon zur Genüge: "Die ganzen Rentner rennen uns die Bude ein", konstatiert der Leiter der Einrichtung (Eisi Gulp) trocken. Helfen kann er der Hilfswilligen dennoch: Sie könne einen Flüchtling aufnehmen, für den es gut sei, mehr Ruhe als hier - Schwenk auf Randale im Hof um einen Käppi tragenden Bartträger, dem in unsichtbaren Riesenlettern "Islamist" auf die Stirn geschrieben steht - zu haben.
Nur weil Merkel die ganze Dritte Welt eingeladen habe, müsse er das noch lange nicht tun, entrüstet sich zu Hause der von Heiner Lauterbach verkörperte Ehemann Richard, seines Zeichens Chefchirurg kurz vor der Rente, den Erste-Welt-Probleme plagen (Haar zu dünn, Bauch zu dick, Knie kaputt, Gattin desinteressiert) und der sich deshalb von seinem Kumpel Sascha (Uwe Ochsenknecht) die Falten wegspritzen lässt. Der Sohn (Florian David Fitz), alleinerziehender Vater kurz vor dem Burnout und als Wirtschaftsjurist auf dem Sprung nach Schanghai, insistiert: Der Willkommens-Hype sei verrückt gewesen und überhaupt, wer da alles unregistriert ins Land komme. Nur die Tochter (Palina Rojinski) ewige Studentin, gestalkt von einem deutschtümelnden Tropf, der sie einmal vor grabschenden Asylanten beschützte, sagt: "Lieber Helfer-Syndrom als Arschloch-Syndrom".
Und so nimmt alles seinen bis auf wenige in ihrem Irrwitz den Film für Sekunden in eine andere Umlaufbahn schießende Ausnahmen - eine wüste Party, ein SEK-Einsatz, ein Aufenthalt in der Geschlossenen - vorhersehbaren Lauf. Es assistieren der niedliche Hartmann-Enkel (Marinus Hohmann) und der gleichfalls die Rollenbeschreibung superniedlich ausfüllende Elyas M'Barek als Richards jung-dynamisch, sozial engagierter, kompetenter und gutaussehender Kollegenalbtraum Tarek Berger - ein wahrgewordener Integrationstraum.
Beim Flüchtlingscasting auf der Hartmannschen Wohnzimmercouch stellen sich eine Reihe abstruser Charaktere vor, bis endlich Diallo (Eric Kabongi) Platz nimmt, ein nigerianischer Flüchtling, der aussieht und sich verhält wie ein wohlsortierter Austauschstudent. Seinen menschenfreundlichen Blick auf das bunte Münchner Leben haben wir auch schon gesehen. Warum er nach Deutschland gekommen sei? Wegen Manuel Neuer, scherzt er in fast perfektem Deutsch. In Wahrheit ist er auf der Flucht vor Boko Haram und will vor allem: arbeiten.
Einen 1-A-Vorzeigeflüchtling also haben die Hartmanns sich da geangelt, dessen Aufgabe von nun an darin besteht, den Garten noch blühender und das Leben der Alteingesessenen besser zu machen. Indem er ihnen freundlich mitteilt, dass sie alt sind. Zeit für Hartmann senior, erwachsen zu werden, für Hartmann junior, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen und für Fräulein Hartmann, den Richtigen zu finden. Diallo hätte da schon eine Idee. Und dann droht die Abschiebung.
Es gibt reichlich unangenehm wirkende Szenen in diesem Film - die, in der Diallo seine Geschichte zu sich einschleichender Musik vor einer Schulklasse erzählt, gehört dazu, ebenso die, in der Tarek Berger wie vom Thesenblatt abgelesen dafür plädiert, dass die Deutschen unverkrampfter werden und ihre Werte verteidigen sollten. Es gibt in ihrer Komik treffende Figuren wie eine friedensbewegte Alt-Hippie-Frau, für die Flüchtlingshilfe die neue Gutmenschendroge ist. Die Bedenken der Vernünftigen schmelzen in der Begegnung mit "ihrem" Flüchtling dahin, die Unbelehrbaren sind Knallchargen wie die Nachbarin mit dem polnischen Namen - Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Osteuropa - und der gutherzige Einfaltspinsel, der sich um das Wohl der Hartmann-Tochter sorgt. Was ihn zu einer Art Vorgarten-Pegida-Demo treibt.
Es seien gerade alle etwas verwirrt in Deutschland, heißt es, und von dieser Orientierungslosigkeit, die entsteht, wenn das Weltbild nicht mehr so sauber durchsortiert ist, wie es einmal war, fängt "Willkommen bei den Hartmanns" einiges ein. Seinen Erfolg verdankt der Film sicherlich nicht allein der Besetzung und dem Timing seiner Gags. Sondern der Tatsache, dass er Zweifeln an der Flüchtlingspolitik überhaupt Raum gibt und der Flüchtling, der mehr Katalysator als Figur eigenen Rechts ist - warum eigentlich zieht kein Syrer oder Afghane bei den Hartmanns ein? -, den Deutschen bei der Selbstfindung hilft. Das ist nun nicht gerade eine Fluchtursache. Aber ein Wunsch wie gemacht für eine Feelgood-Komödie.
URSULA SCHEER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Kino ist Integration ganz einfach. Die Komödie "Willkommen bei den Hartmanns" zeigt es. Wieso gelingt im Film, was in der Realität zu schaffen macht? Es braucht wohl den richtigen Zuwanderer.
Wenn das so weitergeht, haben bald mehr Menschen Simon Verhoevens Flüchtlingskomödie "Willkommen bei den Hartmanns" gesehen als im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen sind. Eine Million Zuschauer binnen zehn Tagen, keine Trendwende in Sicht, unangefochtener Spitzenreiter der Kinocharts: Davon konnte "Ostfriesisch für Anfänger", der Integrations-Klamauk mit dem Demenzkomödien-Veteranen Didi Hallervorden, der das neue Trend-Genre flopweise ins Kino brachte, nur träumen. Und Flüchtlinge, dachte man, sind vielleicht doch eher ein Fall für den "Tatort".
Falsch gedacht. Verhoeven schafft etwas, was selbst Angela Merkel erst wieder schaffen muss: Er stellt Konsensfähigkeit her. Und das mit einem Thema, das die Deutschen in einen medial verstärkten "Refugees Welcome"-Taumel stürzte, aus dem der Schock der Silvesternacht sie unsanft herausriss; das verbunden ist mit dem Magengrimmen verursachenden Flüchtlingsdeal mit der Türkei, mit Flüchtlingen, die sich als Attentäter entpuppten, Angst vor Anschlägen, nicht leistbarer Integration, vor dem Islam, dem Zerfall der EU, vor Kontrollverlust, politischer Radikalisierung und dem Aufstieg der Rechten. Den passenden Wortwechsel dazu liefern in Verhoevens Film, wie könnte es anders sein, zwei weiße alte Männer am Tresen. "Die ganze Welt ist außer Kontrolle", sagt der eine. "Ganz genau, deshalb gucke ich auch keine Nachrichten mehr", der andere. Bessere Voraussetzungen für Komik als Charaktere in überschaubaren Krisen gibt es kaum, und genau das sehen wir in "Willkommen bei den Hartmanns". Verhoeven, der Regie führte und auch das Drehbuch schrieb, versteht es, seinen Figuren das als bedrohlich Empfundene da draußen weit genug vom Leibe zu halten, so dass sie es gefahrlos zur Sprache bringen können. "Die Ängste der Menschen ernst nehmen" - diese Politikerfloskel wird Dialog. Jeder darf, jeder soll erzählen, was ihm Sorgen bereitet. So können alle Witzfiguren sich ernst genommen fühlen.
Deutschland, das ist in diesem Film Münchens nobler Vorort Grünwald. In einer von blühenden Gartenlandschaften eingefriedeten Villa steht der Esstisch der Familie Hartmann: Hier wird Realpolitik gemacht. Angelika Hartmann, die ihren Vornamen nicht ohne Hintersinn trägt und von Senta Berger, Verhoevens Mutter, mit einnehmender Entspanntheit als Gewissen der Familie gezeichnet wird, ist eine pensionierte Schuldirektorin auf der Suche nach einer sinnvollen Tätigkeit. Als sie in einer Flüchtlingsunterkunft mit Altkleidern und dem Wunsch aufläuft, Deutschkurse zu geben, kennt man den Typus schon zur Genüge: "Die ganzen Rentner rennen uns die Bude ein", konstatiert der Leiter der Einrichtung (Eisi Gulp) trocken. Helfen kann er der Hilfswilligen dennoch: Sie könne einen Flüchtling aufnehmen, für den es gut sei, mehr Ruhe als hier - Schwenk auf Randale im Hof um einen Käppi tragenden Bartträger, dem in unsichtbaren Riesenlettern "Islamist" auf die Stirn geschrieben steht - zu haben.
Nur weil Merkel die ganze Dritte Welt eingeladen habe, müsse er das noch lange nicht tun, entrüstet sich zu Hause der von Heiner Lauterbach verkörperte Ehemann Richard, seines Zeichens Chefchirurg kurz vor der Rente, den Erste-Welt-Probleme plagen (Haar zu dünn, Bauch zu dick, Knie kaputt, Gattin desinteressiert) und der sich deshalb von seinem Kumpel Sascha (Uwe Ochsenknecht) die Falten wegspritzen lässt. Der Sohn (Florian David Fitz), alleinerziehender Vater kurz vor dem Burnout und als Wirtschaftsjurist auf dem Sprung nach Schanghai, insistiert: Der Willkommens-Hype sei verrückt gewesen und überhaupt, wer da alles unregistriert ins Land komme. Nur die Tochter (Palina Rojinski) ewige Studentin, gestalkt von einem deutschtümelnden Tropf, der sie einmal vor grabschenden Asylanten beschützte, sagt: "Lieber Helfer-Syndrom als Arschloch-Syndrom".
Und so nimmt alles seinen bis auf wenige in ihrem Irrwitz den Film für Sekunden in eine andere Umlaufbahn schießende Ausnahmen - eine wüste Party, ein SEK-Einsatz, ein Aufenthalt in der Geschlossenen - vorhersehbaren Lauf. Es assistieren der niedliche Hartmann-Enkel (Marinus Hohmann) und der gleichfalls die Rollenbeschreibung superniedlich ausfüllende Elyas M'Barek als Richards jung-dynamisch, sozial engagierter, kompetenter und gutaussehender Kollegenalbtraum Tarek Berger - ein wahrgewordener Integrationstraum.
Beim Flüchtlingscasting auf der Hartmannschen Wohnzimmercouch stellen sich eine Reihe abstruser Charaktere vor, bis endlich Diallo (Eric Kabongi) Platz nimmt, ein nigerianischer Flüchtling, der aussieht und sich verhält wie ein wohlsortierter Austauschstudent. Seinen menschenfreundlichen Blick auf das bunte Münchner Leben haben wir auch schon gesehen. Warum er nach Deutschland gekommen sei? Wegen Manuel Neuer, scherzt er in fast perfektem Deutsch. In Wahrheit ist er auf der Flucht vor Boko Haram und will vor allem: arbeiten.
Einen 1-A-Vorzeigeflüchtling also haben die Hartmanns sich da geangelt, dessen Aufgabe von nun an darin besteht, den Garten noch blühender und das Leben der Alteingesessenen besser zu machen. Indem er ihnen freundlich mitteilt, dass sie alt sind. Zeit für Hartmann senior, erwachsen zu werden, für Hartmann junior, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen und für Fräulein Hartmann, den Richtigen zu finden. Diallo hätte da schon eine Idee. Und dann droht die Abschiebung.
Es gibt reichlich unangenehm wirkende Szenen in diesem Film - die, in der Diallo seine Geschichte zu sich einschleichender Musik vor einer Schulklasse erzählt, gehört dazu, ebenso die, in der Tarek Berger wie vom Thesenblatt abgelesen dafür plädiert, dass die Deutschen unverkrampfter werden und ihre Werte verteidigen sollten. Es gibt in ihrer Komik treffende Figuren wie eine friedensbewegte Alt-Hippie-Frau, für die Flüchtlingshilfe die neue Gutmenschendroge ist. Die Bedenken der Vernünftigen schmelzen in der Begegnung mit "ihrem" Flüchtling dahin, die Unbelehrbaren sind Knallchargen wie die Nachbarin mit dem polnischen Namen - Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Osteuropa - und der gutherzige Einfaltspinsel, der sich um das Wohl der Hartmann-Tochter sorgt. Was ihn zu einer Art Vorgarten-Pegida-Demo treibt.
Es seien gerade alle etwas verwirrt in Deutschland, heißt es, und von dieser Orientierungslosigkeit, die entsteht, wenn das Weltbild nicht mehr so sauber durchsortiert ist, wie es einmal war, fängt "Willkommen bei den Hartmanns" einiges ein. Seinen Erfolg verdankt der Film sicherlich nicht allein der Besetzung und dem Timing seiner Gags. Sondern der Tatsache, dass er Zweifeln an der Flüchtlingspolitik überhaupt Raum gibt und der Flüchtling, der mehr Katalysator als Figur eigenen Rechts ist - warum eigentlich zieht kein Syrer oder Afghane bei den Hartmanns ein? -, den Deutschen bei der Selbstfindung hilft. Das ist nun nicht gerade eine Fluchtursache. Aber ein Wunsch wie gemacht für eine Feelgood-Komödie.
URSULA SCHEER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main