1969 war ein Jahr wie kein anderes. Der Mensch setzte das erste Mal seinen Fuß auf den Mond. Die New York Mets gewannen entgegen aller Wahrscheinlichkeit die World Series. Und drei Tage lang erlebte eine halbe Million Menschen in der Kleinstadt Bethel, New York den Augenblick, der diese Generation am meisten definierte - ein Konzert, das in Ausmaß und Einfluss unerreicht ist, eine Zusammenkunft aus Menschen aller Schichten mit einem gemeinsamen Ziel: Frieden und Musik. Sie nannten es Woodstock. Ein Jahr später fing eine historische, mit einem Oscar® ausgezeichnete Dokumentation die Essenz der Musik, die elektrisierenden Darbietungen und die Erfahrungen Derjenigen ein, die das Ereignis erlebt haben. In einer neuen, vollständig digital überarbeiteten, Version zeigt der vorliegende Directors Cut die legendären Darbietungen von 17 heute weltbekannten Künstlern sowie zahlreiche Hintergrundberichte.
Bonusmaterial
- DokumentationFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2021Zum Frühstück brate ich mir einen Rhythmus
Die Sängerin und Entertainerin Sia debütiert mit "Music" als Filmregisseurin - und hat nun Ärger am Hals
Das Mädchen namens Music hat lange braune Haare und riesige blaue Augen. Jeden Morgen brät ihre Großmutter zwei Eier. Music setzt auf dem Teller aus Ketchup ein Lächeln dazu, breit wie ihres. Zur Melodie aus ihren Kopfhörern gluckst sie leise, nickt im Rhythmus, dann begibt sie sich auf ihren täglichen Spaziergang zur Bibliothek. Sie überquert die Straße, blickt in den wolkenlosen Himmel, den Vögeln nach. Für einen kurzen Moment entspannt sich ihr Gesicht.
Aber wenn etwas anders läuft, als sie es gewohnt ist, wenn es zu laut um sie wird oder zu voll, wenn die Menschen in ihrer Nähe Unruhe zeigen, bekommt sie Panik. Sie spürt Nuancen in ihrem Verhalten. Sie hört das nervöse Rascheln, riecht die Angst, fühlt die Stille nach dem Streit. Ihre Panik zeigt sich vorerst nur am Flackern ihrer Augen. Wenn sie um sich schlägt, muss man sie packen und umarmen, sagt der Nachbar. Es gibt ihr Sicherheit.
Einige Kontroversen sind dem am Freitag bei Vertical Entertainment im Netz veröffentlichten Film "Music" vorausgegangen, von denen man sich keinen Werbeeffekt erhoffte. Es ging um die Vergabe der Rolle des autistischen Mädchens an eine nicht autistische Tänzerin und die merkwürdig schroffe Reaktion der Regisseurin auf die Kritik, bei der es sich um die Popkünstlerin und Songwriterin Sia Furler handelt. Sia ist die hellste Stimme seit Dido, aber eine vom Leben gezeichnete. Ihre Hits sind extrem erfolgreiche Radiosongs wie "Cheap Thrills" und "Chandelier", das Image dazu bietet Unmengen an Stoff und extravagante Perücken, ein Schutz vor großer Schüchternheit, wie sie seit Jahren erklärt. Es gibt kunstvolle pudelige Aufnahmen von ihr, Haarflocken, die ihr Gesicht bis zur Nase bedecken. Jetzt also ist Sia auch Regisseurin und Ko-Autorin eines Films über eine autistische junge Frau.
Ein Drama mutiert zum Musical
Aber beginnen wir mit dem Positiven, der Musik, denn der Film ist ein Musical, obwohl es ursprünglich anders konzipiert war, was im Rückblick undenkbar scheint. Das Album, das Sia um den schon 2017 begonnenen Dreh herumkomponiert hat, ist wild und schön. Hypnotische Ohrwürmer sind dabei, Schaumwein-Ermutigungen wie "Together", auch ernste wie "Courage to Change", die für einen Moment die weniger primärfarbene amerikanische Realität durchscheinen lassen, lyrisch und musikalisch anspruchsvolle Stücke wie "Oblivion". Es klingt nach Destiny's Child und Synthie und Reggae und Hiphop, dazu ein Trommeln, ein Säuseln von Flöten, die unverkennbare Stimme. David Guetta hat einen Song produziert, Pink und Dua Lipa haben Stücke geschrieben. Sia, die von Britney Spears über Diplo bis zu The Weeknd schon die halbe Popwelt aus Kooperationen kennt, hat immer einen Produzenten zur Hand, der alles richtig macht.
Zehn Songs des Albums sind in den Film eingegangen, wobei sie eigentlich kein Teil von ihm sind, eher showhafte Unterbrechungen, in denen die Protagonisten, darunter Sias langjährige Tänzerin Maddie Ziegler, Darstellerin von Music, mit expressiver Mimik in aufwendig ausgestatteten Räumen durcheinandertanzen und singen. Wie für Sias Musikvideos üblich, entwickeln die Choreographien einen roboterhaften Rhythmus, als stünden die Tänzer unter fremder Kontrolle, was durchaus symbolisch zu verstehen ist. Aber bei dem Gedanken, diese stolpernden Körper, aus vibrierenden Bällen ragenden Köpfe und Quastentiere bildeten die Gedankenwelt eines autistischen Kindes ab, kann einem unwohl werden. "Come take a trip into my magic mind", singen sie, und man wird das Gefühl nicht los, vielmehr in die bunt-verzerrte Welt einer Drogenerfahrung zu blicken.
Die Geschichte, die "Music" erzählt, ist die in vielen Variationen bekannte Coming-of-Age-Erfahrung eines jungen Menschen, dem man ein schutzbedürftiges Kind aufbürdet, um ihm zu zeigen, wie wohltuend es ist, Verantwortung zu übernehmen. In diesem Fall ist es Zu, die Schwester des Mädchens, eine kahlrasierte Kate Hudson auf Bewährung, die herangezogen wird, als die Großmutter stirbt und das Leben von Music in Unordnung gerät. Mit ihrer rastlosen Genervtheit, den Geldsorgen und Deals macht sie aber alles nur schlimmer. Glücklicherweise wohnt nebenan der HIV-positive Boxer Ebo, ein stoischer Leslie Odom Jr., der ihr bei der Sinnsuche hilft.
Ein Wink mit dem Haarpuschel
Zu ist mit einigen Charakteristiken ausgestattet, die an die Regisseurin erinnern. In einer Szene setzt sie bei ihrem Dealer eine blonde Perücke auf, ein Moment der Mimikry, in dem auch die Erinnerung an Hudsons gefeiertes Debüt in "Almost Famous" wach wird. Als sie gerade wieder einmal Tabletten ausliefert, landet sie inmitten einer Backstage-Make-up-Session. Ist der Haarpuschel auf dem Tisch nicht die Perücke von Sia, deren Musik Zu am liebsten hört? "Das ist also die Drogendealerin", ruft da schon unter einer grünen Gesichtsmaske hervor die Künstlerin selbst und wiederholt schmerzhaft laut Zus Berufsbezeichnung. Alles, was die Dealerin innerhalb eines Tages bekommen könne, werde sie kaufen, verspricht die Film-Sia: "Popstars ohne Grenzen - ich glaube, das ist von mir."
Der Rest des Films plätschert leider ohne Deutungsvarianz dahin. Die hochkarätig besetzten Protagonistenrollen müssen Dinge sagen, die aus der Künstlichen Intelligenz eines Chatbots stammen könnten. Jede große Emotion wird ohne Umschweife abgehandelt. "Was motiviert dich?", fragt Zu im Boxclub. Und Ebo antwortet: "Wenn ich etwas bewegen kann."
Dann ist auch schon Zeit, der ignoranten Schwester Musics Empfindungen zu erklären: "Jede Veränderung ist für sie ein Feuerwerk der Sinne." Und wenige Augenblicke später stellt Ebo enttäuscht fest: "Ich dachte, ich fände bei dir Sicherheit. Aber du findest keine bei mir." Sia ist eine der erfolgreichsten Songschreiberinnen unserer Zeit, sie hat Rihannas "Diamonds" geschrieben, an Eminems "Beautiful Pain" mitgewirkt.
Im Film klingt es, als arbeite der Popanspruch des tiefen Gefühls eines einzigen Verses gegen sie. Da hallt nichts nach, da steht nichts für sich, alles im Kontext. Und je weiter sich die Handlung entfaltet, desto mehr gerät das Mädchen, das eigentlich im Zentrum stehen sollte, in Vergessenheit. Der beinahe Geliebte, der sich missverstanden fühlt. Der sanfte Nachbarsjunge, den sein Vater zum Boxen zwingt, der aber nachts viel lieber mit der Taschenlampe Lichttänze in Musics gegenüberliegendem Zimmer aufführt. Die Close-ups einer vor lauter äußerer Unruhe irrlichternden Kamera. Der Moment, in dem Music die Stimme erhebt und zu singen beginnt. Sias Film läuft über vor Rührung, aber man fühlt sich von ihr hinters Licht geführt.
Wieso wird nicht mehr von dem erfahrbar, was den Jungen im Nachbarhaus umtreibt, bevor er in einer weiteren Traumszene mitsamt der Großmutter winkend auf dem Rad ins Jenseits befördert wird? Wieso sagt Zu, sie habe Drogen genommen und dachte, sie müsse an Einsamkeit sterben, und kein Anflug dieses Gefühls wird ausgehalten? Welche Botschaft sich in "Music" versteckt, geht in Klischee und Primärfarben unter: die Angst der Künstlerin, sich zu verlieren, nicht die Angst der Autistin. "Geh ins Bett", sagt Music, wenn sie eine Situation nicht mehr aushält. Kopfhörer auf. Lieber Musik hören.
ELENA WITZECK
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Sängerin und Entertainerin Sia debütiert mit "Music" als Filmregisseurin - und hat nun Ärger am Hals
Das Mädchen namens Music hat lange braune Haare und riesige blaue Augen. Jeden Morgen brät ihre Großmutter zwei Eier. Music setzt auf dem Teller aus Ketchup ein Lächeln dazu, breit wie ihres. Zur Melodie aus ihren Kopfhörern gluckst sie leise, nickt im Rhythmus, dann begibt sie sich auf ihren täglichen Spaziergang zur Bibliothek. Sie überquert die Straße, blickt in den wolkenlosen Himmel, den Vögeln nach. Für einen kurzen Moment entspannt sich ihr Gesicht.
Aber wenn etwas anders läuft, als sie es gewohnt ist, wenn es zu laut um sie wird oder zu voll, wenn die Menschen in ihrer Nähe Unruhe zeigen, bekommt sie Panik. Sie spürt Nuancen in ihrem Verhalten. Sie hört das nervöse Rascheln, riecht die Angst, fühlt die Stille nach dem Streit. Ihre Panik zeigt sich vorerst nur am Flackern ihrer Augen. Wenn sie um sich schlägt, muss man sie packen und umarmen, sagt der Nachbar. Es gibt ihr Sicherheit.
Einige Kontroversen sind dem am Freitag bei Vertical Entertainment im Netz veröffentlichten Film "Music" vorausgegangen, von denen man sich keinen Werbeeffekt erhoffte. Es ging um die Vergabe der Rolle des autistischen Mädchens an eine nicht autistische Tänzerin und die merkwürdig schroffe Reaktion der Regisseurin auf die Kritik, bei der es sich um die Popkünstlerin und Songwriterin Sia Furler handelt. Sia ist die hellste Stimme seit Dido, aber eine vom Leben gezeichnete. Ihre Hits sind extrem erfolgreiche Radiosongs wie "Cheap Thrills" und "Chandelier", das Image dazu bietet Unmengen an Stoff und extravagante Perücken, ein Schutz vor großer Schüchternheit, wie sie seit Jahren erklärt. Es gibt kunstvolle pudelige Aufnahmen von ihr, Haarflocken, die ihr Gesicht bis zur Nase bedecken. Jetzt also ist Sia auch Regisseurin und Ko-Autorin eines Films über eine autistische junge Frau.
Ein Drama mutiert zum Musical
Aber beginnen wir mit dem Positiven, der Musik, denn der Film ist ein Musical, obwohl es ursprünglich anders konzipiert war, was im Rückblick undenkbar scheint. Das Album, das Sia um den schon 2017 begonnenen Dreh herumkomponiert hat, ist wild und schön. Hypnotische Ohrwürmer sind dabei, Schaumwein-Ermutigungen wie "Together", auch ernste wie "Courage to Change", die für einen Moment die weniger primärfarbene amerikanische Realität durchscheinen lassen, lyrisch und musikalisch anspruchsvolle Stücke wie "Oblivion". Es klingt nach Destiny's Child und Synthie und Reggae und Hiphop, dazu ein Trommeln, ein Säuseln von Flöten, die unverkennbare Stimme. David Guetta hat einen Song produziert, Pink und Dua Lipa haben Stücke geschrieben. Sia, die von Britney Spears über Diplo bis zu The Weeknd schon die halbe Popwelt aus Kooperationen kennt, hat immer einen Produzenten zur Hand, der alles richtig macht.
Zehn Songs des Albums sind in den Film eingegangen, wobei sie eigentlich kein Teil von ihm sind, eher showhafte Unterbrechungen, in denen die Protagonisten, darunter Sias langjährige Tänzerin Maddie Ziegler, Darstellerin von Music, mit expressiver Mimik in aufwendig ausgestatteten Räumen durcheinandertanzen und singen. Wie für Sias Musikvideos üblich, entwickeln die Choreographien einen roboterhaften Rhythmus, als stünden die Tänzer unter fremder Kontrolle, was durchaus symbolisch zu verstehen ist. Aber bei dem Gedanken, diese stolpernden Körper, aus vibrierenden Bällen ragenden Köpfe und Quastentiere bildeten die Gedankenwelt eines autistischen Kindes ab, kann einem unwohl werden. "Come take a trip into my magic mind", singen sie, und man wird das Gefühl nicht los, vielmehr in die bunt-verzerrte Welt einer Drogenerfahrung zu blicken.
Die Geschichte, die "Music" erzählt, ist die in vielen Variationen bekannte Coming-of-Age-Erfahrung eines jungen Menschen, dem man ein schutzbedürftiges Kind aufbürdet, um ihm zu zeigen, wie wohltuend es ist, Verantwortung zu übernehmen. In diesem Fall ist es Zu, die Schwester des Mädchens, eine kahlrasierte Kate Hudson auf Bewährung, die herangezogen wird, als die Großmutter stirbt und das Leben von Music in Unordnung gerät. Mit ihrer rastlosen Genervtheit, den Geldsorgen und Deals macht sie aber alles nur schlimmer. Glücklicherweise wohnt nebenan der HIV-positive Boxer Ebo, ein stoischer Leslie Odom Jr., der ihr bei der Sinnsuche hilft.
Ein Wink mit dem Haarpuschel
Zu ist mit einigen Charakteristiken ausgestattet, die an die Regisseurin erinnern. In einer Szene setzt sie bei ihrem Dealer eine blonde Perücke auf, ein Moment der Mimikry, in dem auch die Erinnerung an Hudsons gefeiertes Debüt in "Almost Famous" wach wird. Als sie gerade wieder einmal Tabletten ausliefert, landet sie inmitten einer Backstage-Make-up-Session. Ist der Haarpuschel auf dem Tisch nicht die Perücke von Sia, deren Musik Zu am liebsten hört? "Das ist also die Drogendealerin", ruft da schon unter einer grünen Gesichtsmaske hervor die Künstlerin selbst und wiederholt schmerzhaft laut Zus Berufsbezeichnung. Alles, was die Dealerin innerhalb eines Tages bekommen könne, werde sie kaufen, verspricht die Film-Sia: "Popstars ohne Grenzen - ich glaube, das ist von mir."
Der Rest des Films plätschert leider ohne Deutungsvarianz dahin. Die hochkarätig besetzten Protagonistenrollen müssen Dinge sagen, die aus der Künstlichen Intelligenz eines Chatbots stammen könnten. Jede große Emotion wird ohne Umschweife abgehandelt. "Was motiviert dich?", fragt Zu im Boxclub. Und Ebo antwortet: "Wenn ich etwas bewegen kann."
Dann ist auch schon Zeit, der ignoranten Schwester Musics Empfindungen zu erklären: "Jede Veränderung ist für sie ein Feuerwerk der Sinne." Und wenige Augenblicke später stellt Ebo enttäuscht fest: "Ich dachte, ich fände bei dir Sicherheit. Aber du findest keine bei mir." Sia ist eine der erfolgreichsten Songschreiberinnen unserer Zeit, sie hat Rihannas "Diamonds" geschrieben, an Eminems "Beautiful Pain" mitgewirkt.
Im Film klingt es, als arbeite der Popanspruch des tiefen Gefühls eines einzigen Verses gegen sie. Da hallt nichts nach, da steht nichts für sich, alles im Kontext. Und je weiter sich die Handlung entfaltet, desto mehr gerät das Mädchen, das eigentlich im Zentrum stehen sollte, in Vergessenheit. Der beinahe Geliebte, der sich missverstanden fühlt. Der sanfte Nachbarsjunge, den sein Vater zum Boxen zwingt, der aber nachts viel lieber mit der Taschenlampe Lichttänze in Musics gegenüberliegendem Zimmer aufführt. Die Close-ups einer vor lauter äußerer Unruhe irrlichternden Kamera. Der Moment, in dem Music die Stimme erhebt und zu singen beginnt. Sias Film läuft über vor Rührung, aber man fühlt sich von ihr hinters Licht geführt.
Wieso wird nicht mehr von dem erfahrbar, was den Jungen im Nachbarhaus umtreibt, bevor er in einer weiteren Traumszene mitsamt der Großmutter winkend auf dem Rad ins Jenseits befördert wird? Wieso sagt Zu, sie habe Drogen genommen und dachte, sie müsse an Einsamkeit sterben, und kein Anflug dieses Gefühls wird ausgehalten? Welche Botschaft sich in "Music" versteckt, geht in Klischee und Primärfarben unter: die Angst der Künstlerin, sich zu verlieren, nicht die Angst der Autistin. "Geh ins Bett", sagt Music, wenn sie eine Situation nicht mehr aushält. Kopfhörer auf. Lieber Musik hören.
ELENA WITZECK
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main