Manchmal fällt es nicht schwer, zwischen den Zeilen zu lesen: Léonard schreibt Romane, in denen er vergangene Liebschaften verarbeitet und die realen Bezüge mehr schlecht als recht verschleiert. Sein Verleger Alain ist jedoch von dem letzten Manuskript wenig überzeugt und im Augenblick auch mehr mit der Digitalisierung seines Verlags beschäftigt - oder vielmehr mit der attraktiven jungen Mitarbeiterin, die hierfür zuständig ist. Alains Frau Selena dagegen gefällt Léonards Text, vielleicht, weil sie selbst mit einer Affäre in die Angelegenheit verstrickt ist. Ehrlichkeit ist hier ein zumindest flexibles Konzept. Und so diskutieren alle mit viel Witz über Dichtung und Wahrheit sowie den kulturellen und digitalen Wandel, und sehen über ihr zweifelhaftes frivoles Handeln entspannt hinweg. Ein großes Vergnügen!
Bonusmaterial
Trailer WendecoverFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2019Digitalisierung im Bett
Olivier Assayas' Film "Zwischen den Zeilen"
Wenn man nur kurz überlegt, was bei diesem Sujet alles hätte schiefgehen können, dann muss man den Mut von Olivier Assayas bewundern, diesen Film gemacht zu haben. Er heißt im Original "Doubles vies", auf Deutsch wurde daraus, warum auch immer, "Zwischen den Zeilen", vielleicht, weil die Story in der Buchbranche angesiedelt ist und dort noch der Glaube zu herrschen scheint, zwischen den Zeilen finde sich Verborgenes und mehr als nur weißer Raum. Das große Risiko, das Assayas eingegangen ist, liegt darin, dass er eben nicht nur exzellente Schauspieler gecastet, sondern auch mehr oder weniger alle gängigen Topoi und Phrasen über die Digitalisierung der Kultur und des Lesens, über Serien und soziale Medien aufgeboten hat, wie man sie auf Podien, Tagungen und anderen, dem Kulturpessimismus gewidmeten Veranstaltungen immer wieder trifft, auch wenn man sie längst nicht mehr erträgt.
Warum das nicht direkt in die Ödnis geführt hat, ist einfach zu erklären. Assayas hat nach den eigenartig schönen, leicht metaphysisch angehauchten "Clouds of Sils Maria" und "Personal Shopper" eine Komödie gemacht. Im Geiste von Éric Rohmer, wie er sagt. Und das heißt, das Ernste, das von den Charakteren ernst Gemeinte, das ja auch Assayas selbst umtreibt, nicht zu ernst zu nehmen, damit zu spielen, dem Ganzen eine Leichtigkeit zu geben, die noch in der Arbeit der Kamera zu spüren ist, die immer wieder die Standpunkte wechselt, ihre Sympathie so gerecht verteilt wie die ironischen Blicke. Es bedeutet aber auch, dass man seine Figuren nicht verrät, indem man sie zum Gespött macht, sondern eher sehen lässt, dass sie glauben, was sie sagen, dass aber auch notorische Selbsttäuschung im Spiel ist, weil sie nicht unbedingt so leben und handeln, wie sie von sich selbst glauben.
Léonard (Vincent Macaigne) zum Beispiel, der Schriftsteller, der ins Büro seines Verlegers und damit zugleich in den Film platzt. Sehr bärtig, langhaarig und eher ein Schluffityp, ist er fest davon überzeugt, dass seine Bücher Romane sind und nicht bloß Autofiktion, obwohl er die Windungen seines Liebeslebens in ihnen nur sehr schwach verschlüsselt ausbreitet. Oder sein Verleger Alain (Guillaume Canet), smart, agil, mit Dreitagebart, der sich Sorgen macht um die Zukunft des Buches, der über E-Books, Hörbücher und Paid Content nachdenkt, sich aber mit der Digitalisierung seines Gewerbes am liebsten befasst, indem er mit der jungen Laure (Christa Théret) eine Affäre anfängt, als hoffte er, eine Digitalexpertin im Bett werde auch ihn in die neue Medienwelt bringen.
Alain ist verheiratet mit der Schauspielerin Selena (Juliette Binoche). Sie hat die Serie satt, mit der sie gut verdient, sie will nicht länger die Spezialermittlerin sein, und sie hat auch ihre langjährige Affäre satt, während sie sich zugleich den Kopf zerbricht, ob Alain nicht eine andere hat. Weil der Kulturbetrieb klein und überschaubar ist, ist ausgerechnet der Schriftsteller Selenas Geliebter, der sich in seinem Weltschmerz nicht recht verstanden fühlt von seiner nüchternen Freundin Valérie (Nora Hamzawi), die sich mit drei Smartphones im Einsatz aufreibt für einen unberechenbaren Politiker - womit, wenn man will, sich bestätigt, dass es in der Politik auch nicht besser ist als im Kulturbetrieb.
Wie Assayas die verschiedenen Konstellationen, die sich aus dieser Anordnung ergeben, ausspielt, hat Esprit, Charme und Tempo, obwohl fast ständig nur geredet wird. Vielleicht auch gerade deswegen. Denn es ist einfach lustig, wenn Selena sich sorgt, dass Léonard auch ihrer beider Affäre ausbeuten könnte, nachdem er in seinem letzten Manuskript schon eine Fellatio im Kino beschrieben und behauptet hatte, sie habe während Hanekes "Das weiße Band" stattgefunden, wo es doch "Star Wars - Das Erwachen der Macht" war. Für diese kulturelle Selbstnobilitierung muss er dann mit verschärfter Peinlichkeit büßen, als sich während eines Radiointerviews herausstellt, dass er Hanekes Film gar nicht gesehen hat.
Das Einzige, was sich gegen den Film einwenden ließe, ist der Ausklang der Geschichte. Da geht es mit dem Motorroller zum hübschen Haus am Meer, der Verleger empfängt, und der Tonfall ist auf einmal versöhnlicher, als man nach dem Geschehenen glauben möchte und verkraften kann. Aber auch das verzeiht man Assayas, der ohne Trotz, Bitterkeit oder missionarischen Eifer einfach zeigt, dass selbst in Zeiten der unaufhaltsamen Digitalisierung das Leben auch seine analogen Seiten hat, die nicht die schlechtesten sein müssen.
PETER KÖRTE
Ab Donnerstag im Kino
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Olivier Assayas' Film "Zwischen den Zeilen"
Wenn man nur kurz überlegt, was bei diesem Sujet alles hätte schiefgehen können, dann muss man den Mut von Olivier Assayas bewundern, diesen Film gemacht zu haben. Er heißt im Original "Doubles vies", auf Deutsch wurde daraus, warum auch immer, "Zwischen den Zeilen", vielleicht, weil die Story in der Buchbranche angesiedelt ist und dort noch der Glaube zu herrschen scheint, zwischen den Zeilen finde sich Verborgenes und mehr als nur weißer Raum. Das große Risiko, das Assayas eingegangen ist, liegt darin, dass er eben nicht nur exzellente Schauspieler gecastet, sondern auch mehr oder weniger alle gängigen Topoi und Phrasen über die Digitalisierung der Kultur und des Lesens, über Serien und soziale Medien aufgeboten hat, wie man sie auf Podien, Tagungen und anderen, dem Kulturpessimismus gewidmeten Veranstaltungen immer wieder trifft, auch wenn man sie längst nicht mehr erträgt.
Warum das nicht direkt in die Ödnis geführt hat, ist einfach zu erklären. Assayas hat nach den eigenartig schönen, leicht metaphysisch angehauchten "Clouds of Sils Maria" und "Personal Shopper" eine Komödie gemacht. Im Geiste von Éric Rohmer, wie er sagt. Und das heißt, das Ernste, das von den Charakteren ernst Gemeinte, das ja auch Assayas selbst umtreibt, nicht zu ernst zu nehmen, damit zu spielen, dem Ganzen eine Leichtigkeit zu geben, die noch in der Arbeit der Kamera zu spüren ist, die immer wieder die Standpunkte wechselt, ihre Sympathie so gerecht verteilt wie die ironischen Blicke. Es bedeutet aber auch, dass man seine Figuren nicht verrät, indem man sie zum Gespött macht, sondern eher sehen lässt, dass sie glauben, was sie sagen, dass aber auch notorische Selbsttäuschung im Spiel ist, weil sie nicht unbedingt so leben und handeln, wie sie von sich selbst glauben.
Léonard (Vincent Macaigne) zum Beispiel, der Schriftsteller, der ins Büro seines Verlegers und damit zugleich in den Film platzt. Sehr bärtig, langhaarig und eher ein Schluffityp, ist er fest davon überzeugt, dass seine Bücher Romane sind und nicht bloß Autofiktion, obwohl er die Windungen seines Liebeslebens in ihnen nur sehr schwach verschlüsselt ausbreitet. Oder sein Verleger Alain (Guillaume Canet), smart, agil, mit Dreitagebart, der sich Sorgen macht um die Zukunft des Buches, der über E-Books, Hörbücher und Paid Content nachdenkt, sich aber mit der Digitalisierung seines Gewerbes am liebsten befasst, indem er mit der jungen Laure (Christa Théret) eine Affäre anfängt, als hoffte er, eine Digitalexpertin im Bett werde auch ihn in die neue Medienwelt bringen.
Alain ist verheiratet mit der Schauspielerin Selena (Juliette Binoche). Sie hat die Serie satt, mit der sie gut verdient, sie will nicht länger die Spezialermittlerin sein, und sie hat auch ihre langjährige Affäre satt, während sie sich zugleich den Kopf zerbricht, ob Alain nicht eine andere hat. Weil der Kulturbetrieb klein und überschaubar ist, ist ausgerechnet der Schriftsteller Selenas Geliebter, der sich in seinem Weltschmerz nicht recht verstanden fühlt von seiner nüchternen Freundin Valérie (Nora Hamzawi), die sich mit drei Smartphones im Einsatz aufreibt für einen unberechenbaren Politiker - womit, wenn man will, sich bestätigt, dass es in der Politik auch nicht besser ist als im Kulturbetrieb.
Wie Assayas die verschiedenen Konstellationen, die sich aus dieser Anordnung ergeben, ausspielt, hat Esprit, Charme und Tempo, obwohl fast ständig nur geredet wird. Vielleicht auch gerade deswegen. Denn es ist einfach lustig, wenn Selena sich sorgt, dass Léonard auch ihrer beider Affäre ausbeuten könnte, nachdem er in seinem letzten Manuskript schon eine Fellatio im Kino beschrieben und behauptet hatte, sie habe während Hanekes "Das weiße Band" stattgefunden, wo es doch "Star Wars - Das Erwachen der Macht" war. Für diese kulturelle Selbstnobilitierung muss er dann mit verschärfter Peinlichkeit büßen, als sich während eines Radiointerviews herausstellt, dass er Hanekes Film gar nicht gesehen hat.
Das Einzige, was sich gegen den Film einwenden ließe, ist der Ausklang der Geschichte. Da geht es mit dem Motorroller zum hübschen Haus am Meer, der Verleger empfängt, und der Tonfall ist auf einmal versöhnlicher, als man nach dem Geschehenen glauben möchte und verkraften kann. Aber auch das verzeiht man Assayas, der ohne Trotz, Bitterkeit oder missionarischen Eifer einfach zeigt, dass selbst in Zeiten der unaufhaltsamen Digitalisierung das Leben auch seine analogen Seiten hat, die nicht die schlechtesten sein müssen.
PETER KÖRTE
Ab Donnerstag im Kino
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main