Über das Gelingen und Scheitern der Liebe, über Vertrauen und Verrat, über bedrohliche und bewältigte Erinnerungen und darüber, wie im falschen Leben oft das richtige liegt und im richtigen das falsche. Geschichten von Menschen in verschiedenen Lebensphasen und ihren Hoffnungen und Verstrickungen. »Liebe und mache, was du willst« ist kein Rezept für ein gutes Ende, aber eine Antwort, wenn andere Antworten versagen.
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»Bernhard Schlink gehört zu den größten Begabungen der deutschen Gegenwartsliteratur. Er ist ein einfühlsamer, scharf beobachtender und überaus intelligenter Erzähler. Seine Prosa ist klar, präzise und von schöner Eleganz.« Michael Kluger / Frankfurter Neue Presse Frankfurter Neue Presse
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2020Bleib über Nacht
Bernhard Schlinks "Abschiedsfarben"
Man muss hier wohl von einem Konzeptalbum sprechen: So, wie etwa Frank Sinatra mit "In the Wee Small Hours" eines über die blauen Morgenstunden aufnahm, hat Bernhard Schlink nun eines über "Abschiedsfarben" geschrieben. Die neun Stücke darauf verhandeln teils dramatische Abschiede, auch vom Leben, und in der Tradition des amerikanischen Showgeschäfts könnte man sie als tearjerker, also Tränenzieher, bezeichnen.
Schlink, der mit seinem Roman "Der Vorleser" sowie zahlreichen Krimis zum Bestsellerautor mit weltweitem Erfolg wurde und der teilweise in New York lebt, hat sich vom amerikanischen Showgeschäft wohl tatsächlich einiges abgeschaut - sowie auch von der Effizienz amerikanischer Kurzgeschichten. Dieser Autor weiß, eben auch am Krimi geschult, wie man früh eine Information streut, die Leser rätseln und somit gespannt weiter folgen lässt: Hatte der ältere Professor, der zu einer auf der Straße erstochenen jungen Frau ein sonderbares Verhältnis pflegte, auch ein Mordmotiv? Was für ein Paar trifft sich da in "Jahrestag" in einem Restaurant, inspiriert von Raymond Chandler? Was ist es, das die Frau und den Mann, die sich spät im Leben bei einem Konzert in der Philharmonie wiedersehen, in ihrer Jugend nicht hat zusammenkommen und glücklich werden lassen?
In der betreffenden Geschichte, "Geschwistermusik", entwirft Bernhard Schlink sehr geschickt eine Konstellation um einen wissbegierigen Schüler aus einfachen Verhältnissen, eine Tochter aus gutem Hause und deren gelähmt im Rollstuhl sitzenden Bruder, die vor dem Abitur ein wunderbares Jahr in jugendlicher Unklarheit der Beziehungen verbringen. Es endet jedoch abrupt und ohne Abschied. Beim unverhofften Wiedersehen nach Jahrzehnten ist die aufgestaute Trauer bei allen so groß wie das Rätsel, warum es so kam. Als die verhinderten Liebenden endlich nachts allein auf einer Terrasse sitzen und sie zu ihm sagt: "Bleib über Nacht", verbindet sich kriminalistische mit Liebes-Spannung.
Aber so gut Schlink solche aufbauen kann, so zuverlässig ruiniert er sie: "Auch nackt war sie eine Schönheit geblieben, und für einen Moment ging Philip durch den Kopf, ob die Brüste echt waren und ob, was sie sagte, echt war, ob sie wieder ein Spiel mit ihm spielte." Aus Schlinks insgesamt einfachem, leicht zugänglichem Erzählen ragen Ansätze der Überromantisierung heraus, die wie aus dem neunzehnten Jahrhundert und somit fremd im modernen Kontext wirken. Und manchmal auch Sätze reinen Kitsches: "Auch als Anna älter und größer wurde, verlosch ihr Licht nicht." Hier ist immerhin einzuräumen: Dies sagt ein älterer Professor, dessen Sprechweise und Weltsicht vielleicht entlarvend charakterisiert werden sollen - sieht er doch in dieser Anna nur "blonde Locken, rote Wangen, Lebenslust und Neugier" und erschnüffelt später an ihr "den unvergleichlichen, unwiederbringlichen Mädchenduft nach Kind und Frau und frischen Früchten, dessen Versprechen einen um den Verstand bringt".
Aber auch die Erzählerfiguren anderer Geschichten aus dem Band neigen zum Kitsch. In "Der Sommer auf der Insel" grüßt der Fährschiff-Kapitän "Moin Moin", geht der Sandburgenbau in Doktorspiele über und werden nach dem Abschied Briefe "voller Liebe und Schmerz geschrieben". Und in der Auftaktgeschichte "Künstliche Intelligenz", in der ein Mathematiker seinen Freund und Kollegen an die Stasi verraten hat und sich nun vor dessen hinterbliebener Tochter rechtfertigen muss, stören die Stellen, an denen die DDR auf "süßen Rotkäppchen-Sekt", "bedächtige Kollegen aus der Fabrik" und "Frauen mit toupierter blonder Haarpracht" zusammenschnurrt. Der Erzähler spricht dann auch vom "verhaltenen Leben in der DDR, in dem nicht Glanz und Geld, sondern Familie, Freunde, die Wohnung und die Datsche, ein kühnes Buch oder ein schräger Film, der Abend im Theater oder Konzert zählten". Das ist, selbst wenn man es für ausgestellte Figurenrede hielte, nicht schmeichelhaft.
Soll es ja womöglich auch nicht sein. Aber dennoch wünschte man sich, es wäre etwas genauer hingeschaut und erzählt worden - zumal die Geschichte des selbstgerechten Mannes, der noch der Tochter seines toten Freundes eine "Lust am Opfergewesen-Sein" unterstellt, ihrerseits spannend, grundsätzlich gelungen ist und in ihrer Art des Abschieds am Ende überrascht.
JAN WIELE
Bernhard Schlink:
"Abschiedsfarben".
Geschichten.
Diogenes Verlag, Zürich 2020. 240 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bernhard Schlinks "Abschiedsfarben"
Man muss hier wohl von einem Konzeptalbum sprechen: So, wie etwa Frank Sinatra mit "In the Wee Small Hours" eines über die blauen Morgenstunden aufnahm, hat Bernhard Schlink nun eines über "Abschiedsfarben" geschrieben. Die neun Stücke darauf verhandeln teils dramatische Abschiede, auch vom Leben, und in der Tradition des amerikanischen Showgeschäfts könnte man sie als tearjerker, also Tränenzieher, bezeichnen.
Schlink, der mit seinem Roman "Der Vorleser" sowie zahlreichen Krimis zum Bestsellerautor mit weltweitem Erfolg wurde und der teilweise in New York lebt, hat sich vom amerikanischen Showgeschäft wohl tatsächlich einiges abgeschaut - sowie auch von der Effizienz amerikanischer Kurzgeschichten. Dieser Autor weiß, eben auch am Krimi geschult, wie man früh eine Information streut, die Leser rätseln und somit gespannt weiter folgen lässt: Hatte der ältere Professor, der zu einer auf der Straße erstochenen jungen Frau ein sonderbares Verhältnis pflegte, auch ein Mordmotiv? Was für ein Paar trifft sich da in "Jahrestag" in einem Restaurant, inspiriert von Raymond Chandler? Was ist es, das die Frau und den Mann, die sich spät im Leben bei einem Konzert in der Philharmonie wiedersehen, in ihrer Jugend nicht hat zusammenkommen und glücklich werden lassen?
In der betreffenden Geschichte, "Geschwistermusik", entwirft Bernhard Schlink sehr geschickt eine Konstellation um einen wissbegierigen Schüler aus einfachen Verhältnissen, eine Tochter aus gutem Hause und deren gelähmt im Rollstuhl sitzenden Bruder, die vor dem Abitur ein wunderbares Jahr in jugendlicher Unklarheit der Beziehungen verbringen. Es endet jedoch abrupt und ohne Abschied. Beim unverhofften Wiedersehen nach Jahrzehnten ist die aufgestaute Trauer bei allen so groß wie das Rätsel, warum es so kam. Als die verhinderten Liebenden endlich nachts allein auf einer Terrasse sitzen und sie zu ihm sagt: "Bleib über Nacht", verbindet sich kriminalistische mit Liebes-Spannung.
Aber so gut Schlink solche aufbauen kann, so zuverlässig ruiniert er sie: "Auch nackt war sie eine Schönheit geblieben, und für einen Moment ging Philip durch den Kopf, ob die Brüste echt waren und ob, was sie sagte, echt war, ob sie wieder ein Spiel mit ihm spielte." Aus Schlinks insgesamt einfachem, leicht zugänglichem Erzählen ragen Ansätze der Überromantisierung heraus, die wie aus dem neunzehnten Jahrhundert und somit fremd im modernen Kontext wirken. Und manchmal auch Sätze reinen Kitsches: "Auch als Anna älter und größer wurde, verlosch ihr Licht nicht." Hier ist immerhin einzuräumen: Dies sagt ein älterer Professor, dessen Sprechweise und Weltsicht vielleicht entlarvend charakterisiert werden sollen - sieht er doch in dieser Anna nur "blonde Locken, rote Wangen, Lebenslust und Neugier" und erschnüffelt später an ihr "den unvergleichlichen, unwiederbringlichen Mädchenduft nach Kind und Frau und frischen Früchten, dessen Versprechen einen um den Verstand bringt".
Aber auch die Erzählerfiguren anderer Geschichten aus dem Band neigen zum Kitsch. In "Der Sommer auf der Insel" grüßt der Fährschiff-Kapitän "Moin Moin", geht der Sandburgenbau in Doktorspiele über und werden nach dem Abschied Briefe "voller Liebe und Schmerz geschrieben". Und in der Auftaktgeschichte "Künstliche Intelligenz", in der ein Mathematiker seinen Freund und Kollegen an die Stasi verraten hat und sich nun vor dessen hinterbliebener Tochter rechtfertigen muss, stören die Stellen, an denen die DDR auf "süßen Rotkäppchen-Sekt", "bedächtige Kollegen aus der Fabrik" und "Frauen mit toupierter blonder Haarpracht" zusammenschnurrt. Der Erzähler spricht dann auch vom "verhaltenen Leben in der DDR, in dem nicht Glanz und Geld, sondern Familie, Freunde, die Wohnung und die Datsche, ein kühnes Buch oder ein schräger Film, der Abend im Theater oder Konzert zählten". Das ist, selbst wenn man es für ausgestellte Figurenrede hielte, nicht schmeichelhaft.
Soll es ja womöglich auch nicht sein. Aber dennoch wünschte man sich, es wäre etwas genauer hingeschaut und erzählt worden - zumal die Geschichte des selbstgerechten Mannes, der noch der Tochter seines toten Freundes eine "Lust am Opfergewesen-Sein" unterstellt, ihrerseits spannend, grundsätzlich gelungen ist und in ihrer Art des Abschieds am Ende überrascht.
JAN WIELE
Bernhard Schlink:
"Abschiedsfarben".
Geschichten.
Diogenes Verlag, Zürich 2020. 240 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2020LITERATUR
Diese Männer gibt es bald nicht mehr
Bernhard Schlinks Bücher sind sichere Bestseller, auch der Band „Abschiedsfarben“: Erzählungen
voller faszinierender Altersmonologe und später Geständnisse
VON CLAUDIA TIESCHKY
Diese Gefühlswelt wirkt wie aus der Zeit gefallen, vielleicht ist sie überhaupt grob vernachlässigt und nie wirklich erforscht worden: das Innenleben deutscher Erfolgsmänner in der prosperierenden Bundesrepublik. Männer, die, sagen wir, stolz waren auf Anzüge mit amerikanischem Schnitt. Männer, die das Flugzeug nahmen. Männer, die eine erste, und dann eine zweite Ehe selbstverständlich fanden. Die dann womöglich mitten im Wohlstand von der Emanzipation oder der Therapiegesellschaft in einen neuen Glücksbegriff katapultiert und auf sich selbst zurückgeworfen wurden. Eine Generation, die aus der Wärme in die Kälte kam. Der befreite Mann.
Dieser Mann wird bald aus biologischen Gründen verschwinden, seine Erinnerungswelt ist sowieso schon so gut wie weg. Der Titel von Bernhard Schlinks neuem Erzählband heißt „Abschiedsfarben“. Seine Helden sind fast immer ältere westdeutsche Männer, die tief in sich hineinblicken (nur einmal nimmt er die Perspektive einer Frau ein, aber dabei geht es auch um das Sterben eines Mannes).
Im Alter wird man geschwätzig, heißt es, aber was heißt schon geschwätzig, wenn ein Mensch mit sich selber spricht? In Schlinks Ton schwingt das mit: das stumme Erzählen des Unerzählten. Man trifft ehrliche und verlogene Protagonisten, wobei Schlink die ehrlichen besser gelingen. Die ehrlichen sind vielleicht nicht so ergiebig wie jener Wissenschaftler, der seinen Freund einst an die Stasi verriet und nun, vor der Entdeckung stehend, sich in den Selbstbetrug hineinredet, der verstorbene Freund würde ihm schon verziehen haben. Nein, am besten sind Schlinks Männer, wenn sie sich eine späte kalte Ehrlichkeit erlauben – über das missglückte Verhältnis zu den Geschwistern, die merkwürdig schnelle Abwicklung einer Ehe nach einem Yoga-Wochenende oder die erotische Verschworenheit des Sohnes mit der Mutter als Mitwisser ihres Seitensprungs in „Der Sommer auf der Insel“. Hier wird es wieder interessant: Selten wird man so zärtlich und anschaulich in die Intimität zwischen Nachkriegsmüttern und ihren Söhnen eingeweiht, die später ehrfürchtig ein bestimmtes Frauenbild als erotisches Ideal in die Sechzigerjahre hineinschleppen werden. Ein elegantes Kleid, Beine wie auf den Reklamen an der Litfaßsäule, Augenbrauen gezupft, Lippen geschminkt – so sieht der Sohn seine Mutter. „Er erinnerte sich nicht, sie schon einmal so schön, schon einmal eine so schöne Frau gesehen zu haben.“
Gelegentlich sind Schlinks Protagonisten unübersehbar durchsetzt von Eitelkeit, aber getrieben von dem Bedürfnis, Rechenschaft abzulegen, Unbehagen und Unerlöstes zu erforschen. Da das Jüngste Gericht womöglich nicht stattfindet, wenn Gott tot ist – ein solider Nachkriegs-Existenzialismus haftet fast allen Figuren an –, dann muss Mann es eben selber machen.
Schlink ist Jurist und keineswegs unbedarft, sondern ein versierter Bestsellerautor, der sein langjähriges Thema – die Vermessung von Schuld – auch hier durch die Geschichten zieht. Mit seinem neuen Buch könnte er aber, was viel wichtiger ist, einer Generation Ausdruck verleihen, die ihre Identifikationsfiguren, wenn überhaupt, nur bei Amerikanern fand, bei Updike vielleicht, in weltläufiger Lektüre, witziger und ungefährlicher als die deutsche Wirklichkeit – weil weit weg. Insofern sind diese Altersmonologe faszinierende Gemälde männlicher Seelenlandschaften. „Die traurigsten und peinlichsten Erinnerungen galten Frauen“, heißt es einmal leitmotivisch. Und doch hat diese Sammlung ihre Probleme, es fällt schwer, vorbehaltlos staunend in die Lektüre hineinzufallen. Das beginnt bei der merkwürdigen Zusammenstellung der zwei Eröffnungsgeschichten. In beiden erkennt der Leser nach und nach im Icherzähler einen Schuldigen und wird von dessen Selbstmitleid immer stärker abgestoßen, bis ins Groteske hinein. Ein tolles Konzept, aber zweimal hintereinander? Es ist wie bei diesen Empfehlungen aus dem Internet: Wenn Sie dieses gelbe Kleid gekauft haben, probieren Sie es doch noch hier einmal in Blau. Was hat sich der Verlag von dieser Mischung versprochen? Vielleicht eine Art Ordnungsprinzip?
Mit der dritten Geschichte verschwindet jedenfalls die Icherzählung vorläufig, der Held ist nun ein Er. Von da an entfaltet sich langsam das Motiv der Lebensbilanz. Die stärkste Geschichte, „Geschwistermusik“, beschreibt ein unverhofftes Wiedersehen, bei dem die Verehrte zwar nicht als Leiche im Moor überdauert hat, aber doch in ihrem eigenen reichen Biotop am Rand von Frankfurt. Der Erzähler, Sohn einer Schneiderin und als Teenager dem Nähen heimlich selber zugetan, ist einst in diese elegante Familie geraten und hat damals brutal mit ihr gebrochen. Nun findet er Erlösung in mehrfacher Hinsicht, aber vor allem Erlösung aus dem alten Gefühl der Unzulänglichkeit gegenüber den Ansprüchen dieser Leute. Und dennoch ist ihm das merkwürdig gleichgültig.
In einer anderen Geschichte wird von einem Mann berichtet, der von seiner lesbischen Stieftochter Mara, die er liebevoll großzog, betrunken gemacht und als Samenspender missbraucht worden ist. Er grübelt nun mit der Bibel in der Hand (Lot!), ob er nicht vielleicht doch ganz versöhnt damit sein sollte, dass sein Enkel auch sein Sohn ist. Leider hat sich aber bei diesem Buch niemand die Mühe der Klischeekontrolle gemacht. Geheiratet wird in einem Dorf „vor den Toren der Stadt“. Elterliche Ermunterungen hören sich so an: „Ist doch schön, was es alles gibt. Probier’s aus. Probier dich aus.“ Mittendrin steht dann wieder plötzlich so etwas Tolles wie die Beschreibung eines Lachens „wie kleine Äpfel, die aus einem Korb auf den Tisch kullern“. Öfter irritiert der Sound aber, wenn er klingt wie aus einer Frauenzeitschrift: „Als Theresa und er merkten, dass die Versuche künstlicher Befruchtung drohten ihnen die Freude an der gemeinsamen Sexualität zu nehmen, setzten sie sie nicht fort.“
Manchmal sind Schlinks Erzähler für heutige Verhältnisse leicht verstörend in ihrem Blick auf Mädchen und auf Frauen, die bei aller behaupteten Liebe doch weit weg und unlebendig bleiben, wenn sie Sachen sagen müssen, wie etwa bei einem Wiedersehen: „Mir geht es gut, danke. Ich arbeite noch gelegentlich in meiner alten Praxis, lebe in einer guten Hausgemeinschaft, habe Freundinnen, reise gerne, mache Yoga. Und du?“ Oder wenn sie zum Wahnsinnigwerden sanft und duldsam auf den betreuungsbedürftigen Mann reagieren, der feststellt: „,Schön, dass du hier bist. Und dass du warm bist‘. Sie lächelte ihn an.“ Oder er sagt: „,Nur schon, dass es ein trauriges Lied ist, tut gut. Ich habe es gestern mit Bach und Mozart versucht, frohen Stücken. Aber das ging gar nicht. Traurige Musik gibt der Trauer Halt.‘ Sie sagte lächelnd: ,Davon gibt’s genug.‘ “
So stellt sich der Eindruck einer vermutlich gewollten Oberflächlichkeit ein, eines großen Ennui an den Dingen des Lebens, der an die spätere Françoise Sagan erinnert. Vielleicht lebt tief drin im deutschen Mann ja eine gelangweilte Frau.
Bernhard Schlink: Abschiedsfarben. Geschichten. Diogenes, Zürich 2020. 240 Seiten, 24 Euro.
Was heißt schon geschwätzig,
wenn ein Mensch
mit sich selber spricht?
Diese gewollte Oberflächlichkeit,
der große Ennui erinnert
an die spätere Françoise Sagan
Die Figuren der Erzählungen von Bernhard Schlink, stellt man sich vor, waren in einer längst vergangenen Zeit solche Geschäftsmänner.
Foto: Dieter Matthes/imago
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Diese Männer gibt es bald nicht mehr
Bernhard Schlinks Bücher sind sichere Bestseller, auch der Band „Abschiedsfarben“: Erzählungen
voller faszinierender Altersmonologe und später Geständnisse
VON CLAUDIA TIESCHKY
Diese Gefühlswelt wirkt wie aus der Zeit gefallen, vielleicht ist sie überhaupt grob vernachlässigt und nie wirklich erforscht worden: das Innenleben deutscher Erfolgsmänner in der prosperierenden Bundesrepublik. Männer, die, sagen wir, stolz waren auf Anzüge mit amerikanischem Schnitt. Männer, die das Flugzeug nahmen. Männer, die eine erste, und dann eine zweite Ehe selbstverständlich fanden. Die dann womöglich mitten im Wohlstand von der Emanzipation oder der Therapiegesellschaft in einen neuen Glücksbegriff katapultiert und auf sich selbst zurückgeworfen wurden. Eine Generation, die aus der Wärme in die Kälte kam. Der befreite Mann.
Dieser Mann wird bald aus biologischen Gründen verschwinden, seine Erinnerungswelt ist sowieso schon so gut wie weg. Der Titel von Bernhard Schlinks neuem Erzählband heißt „Abschiedsfarben“. Seine Helden sind fast immer ältere westdeutsche Männer, die tief in sich hineinblicken (nur einmal nimmt er die Perspektive einer Frau ein, aber dabei geht es auch um das Sterben eines Mannes).
Im Alter wird man geschwätzig, heißt es, aber was heißt schon geschwätzig, wenn ein Mensch mit sich selber spricht? In Schlinks Ton schwingt das mit: das stumme Erzählen des Unerzählten. Man trifft ehrliche und verlogene Protagonisten, wobei Schlink die ehrlichen besser gelingen. Die ehrlichen sind vielleicht nicht so ergiebig wie jener Wissenschaftler, der seinen Freund einst an die Stasi verriet und nun, vor der Entdeckung stehend, sich in den Selbstbetrug hineinredet, der verstorbene Freund würde ihm schon verziehen haben. Nein, am besten sind Schlinks Männer, wenn sie sich eine späte kalte Ehrlichkeit erlauben – über das missglückte Verhältnis zu den Geschwistern, die merkwürdig schnelle Abwicklung einer Ehe nach einem Yoga-Wochenende oder die erotische Verschworenheit des Sohnes mit der Mutter als Mitwisser ihres Seitensprungs in „Der Sommer auf der Insel“. Hier wird es wieder interessant: Selten wird man so zärtlich und anschaulich in die Intimität zwischen Nachkriegsmüttern und ihren Söhnen eingeweiht, die später ehrfürchtig ein bestimmtes Frauenbild als erotisches Ideal in die Sechzigerjahre hineinschleppen werden. Ein elegantes Kleid, Beine wie auf den Reklamen an der Litfaßsäule, Augenbrauen gezupft, Lippen geschminkt – so sieht der Sohn seine Mutter. „Er erinnerte sich nicht, sie schon einmal so schön, schon einmal eine so schöne Frau gesehen zu haben.“
Gelegentlich sind Schlinks Protagonisten unübersehbar durchsetzt von Eitelkeit, aber getrieben von dem Bedürfnis, Rechenschaft abzulegen, Unbehagen und Unerlöstes zu erforschen. Da das Jüngste Gericht womöglich nicht stattfindet, wenn Gott tot ist – ein solider Nachkriegs-Existenzialismus haftet fast allen Figuren an –, dann muss Mann es eben selber machen.
Schlink ist Jurist und keineswegs unbedarft, sondern ein versierter Bestsellerautor, der sein langjähriges Thema – die Vermessung von Schuld – auch hier durch die Geschichten zieht. Mit seinem neuen Buch könnte er aber, was viel wichtiger ist, einer Generation Ausdruck verleihen, die ihre Identifikationsfiguren, wenn überhaupt, nur bei Amerikanern fand, bei Updike vielleicht, in weltläufiger Lektüre, witziger und ungefährlicher als die deutsche Wirklichkeit – weil weit weg. Insofern sind diese Altersmonologe faszinierende Gemälde männlicher Seelenlandschaften. „Die traurigsten und peinlichsten Erinnerungen galten Frauen“, heißt es einmal leitmotivisch. Und doch hat diese Sammlung ihre Probleme, es fällt schwer, vorbehaltlos staunend in die Lektüre hineinzufallen. Das beginnt bei der merkwürdigen Zusammenstellung der zwei Eröffnungsgeschichten. In beiden erkennt der Leser nach und nach im Icherzähler einen Schuldigen und wird von dessen Selbstmitleid immer stärker abgestoßen, bis ins Groteske hinein. Ein tolles Konzept, aber zweimal hintereinander? Es ist wie bei diesen Empfehlungen aus dem Internet: Wenn Sie dieses gelbe Kleid gekauft haben, probieren Sie es doch noch hier einmal in Blau. Was hat sich der Verlag von dieser Mischung versprochen? Vielleicht eine Art Ordnungsprinzip?
Mit der dritten Geschichte verschwindet jedenfalls die Icherzählung vorläufig, der Held ist nun ein Er. Von da an entfaltet sich langsam das Motiv der Lebensbilanz. Die stärkste Geschichte, „Geschwistermusik“, beschreibt ein unverhofftes Wiedersehen, bei dem die Verehrte zwar nicht als Leiche im Moor überdauert hat, aber doch in ihrem eigenen reichen Biotop am Rand von Frankfurt. Der Erzähler, Sohn einer Schneiderin und als Teenager dem Nähen heimlich selber zugetan, ist einst in diese elegante Familie geraten und hat damals brutal mit ihr gebrochen. Nun findet er Erlösung in mehrfacher Hinsicht, aber vor allem Erlösung aus dem alten Gefühl der Unzulänglichkeit gegenüber den Ansprüchen dieser Leute. Und dennoch ist ihm das merkwürdig gleichgültig.
In einer anderen Geschichte wird von einem Mann berichtet, der von seiner lesbischen Stieftochter Mara, die er liebevoll großzog, betrunken gemacht und als Samenspender missbraucht worden ist. Er grübelt nun mit der Bibel in der Hand (Lot!), ob er nicht vielleicht doch ganz versöhnt damit sein sollte, dass sein Enkel auch sein Sohn ist. Leider hat sich aber bei diesem Buch niemand die Mühe der Klischeekontrolle gemacht. Geheiratet wird in einem Dorf „vor den Toren der Stadt“. Elterliche Ermunterungen hören sich so an: „Ist doch schön, was es alles gibt. Probier’s aus. Probier dich aus.“ Mittendrin steht dann wieder plötzlich so etwas Tolles wie die Beschreibung eines Lachens „wie kleine Äpfel, die aus einem Korb auf den Tisch kullern“. Öfter irritiert der Sound aber, wenn er klingt wie aus einer Frauenzeitschrift: „Als Theresa und er merkten, dass die Versuche künstlicher Befruchtung drohten ihnen die Freude an der gemeinsamen Sexualität zu nehmen, setzten sie sie nicht fort.“
Manchmal sind Schlinks Erzähler für heutige Verhältnisse leicht verstörend in ihrem Blick auf Mädchen und auf Frauen, die bei aller behaupteten Liebe doch weit weg und unlebendig bleiben, wenn sie Sachen sagen müssen, wie etwa bei einem Wiedersehen: „Mir geht es gut, danke. Ich arbeite noch gelegentlich in meiner alten Praxis, lebe in einer guten Hausgemeinschaft, habe Freundinnen, reise gerne, mache Yoga. Und du?“ Oder wenn sie zum Wahnsinnigwerden sanft und duldsam auf den betreuungsbedürftigen Mann reagieren, der feststellt: „,Schön, dass du hier bist. Und dass du warm bist‘. Sie lächelte ihn an.“ Oder er sagt: „,Nur schon, dass es ein trauriges Lied ist, tut gut. Ich habe es gestern mit Bach und Mozart versucht, frohen Stücken. Aber das ging gar nicht. Traurige Musik gibt der Trauer Halt.‘ Sie sagte lächelnd: ,Davon gibt’s genug.‘ “
So stellt sich der Eindruck einer vermutlich gewollten Oberflächlichkeit ein, eines großen Ennui an den Dingen des Lebens, der an die spätere Françoise Sagan erinnert. Vielleicht lebt tief drin im deutschen Mann ja eine gelangweilte Frau.
Bernhard Schlink: Abschiedsfarben. Geschichten. Diogenes, Zürich 2020. 240 Seiten, 24 Euro.
Was heißt schon geschwätzig,
wenn ein Mensch
mit sich selber spricht?
Diese gewollte Oberflächlichkeit,
der große Ennui erinnert
an die spätere Françoise Sagan
Die Figuren der Erzählungen von Bernhard Schlink, stellt man sich vor, waren in einer längst vergangenen Zeit solche Geschäftsmänner.
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