Adressat unbekannt
Zur Vorgeschichte: Die beiden Freunde Martin Schulse und der Jude Max Eisenstein studierten gemeinsam in Deutschland. Nach ihrem Studium wandern sie als mittellose Künstler nach Amerika aus, wo sie gemeinsam eine gut laufende Galerie aufbauen. Martin ist verheiratet und hat
Familie. 1932 kehrt er nach München zurück, weil er möchte, dass seine Kinder in Deutschland…mehrAdressat unbekannt
Zur Vorgeschichte: Die beiden Freunde Martin Schulse und der Jude Max Eisenstein studierten gemeinsam in Deutschland. Nach ihrem Studium wandern sie als mittellose Künstler nach Amerika aus, wo sie gemeinsam eine gut laufende Galerie aufbauen. Martin ist verheiratet und hat Familie. 1932 kehrt er nach München zurück, weil er möchte, dass seine Kinder in Deutschland aufwachsen. Max führt derweil die Galerie weiter und überweist Martin regelmäßig seine Anteile am Gewinn. Zum Kundenstamm gehören vorwiegend ältere „jüdische Matronen“.
Der Briefroman setzt ein, als Martin Schulse 1932 bereits wieder in München lebt, wo er mit seinem erworbenen Reichtum ein Schloss erwerben kann. Die Bevölkerung in Deutschland leidet zu dieser Zeit unter einer Wirtschaftskrise, es herrscht viel Arbeitslosigkeit, Armut und Unzufriedenheit.
Im ersten Brief, der datiert auf den 12. November 1932 erkundigt sich Max bei Martin wie er sich in München eingelebt hat. Anhand der danach alle 3-6 Wochen folgenden Briefe, kann man mitverfolgen, wie sich in Deutschland die Stimmung ändert. Der Nationalsozialismus verbreitet sich und die skeptische und anfänglich „nur“ opportunistische Haltung von Martin Schulse wandelt sich in einen Fanatismus, der darin gipfelt, dass Martin zwar gerne das Geld aus der Galerie annimmt, aber sonst den Kontakt zu Max abbrechen möchte, weil er sich in seiner Position keinen Briefkontakt zu einem Juden leisten kann. Max darf, wenn es denn nötig ist, die Briefe nur noch mit der Geschäftspost an die Bank richten.
Max Eisensteins Schwester Griselle ist Schauspielerin und nimmt ein Engagement an einem Berliner Theater an. Bald ist der Antisemitismus so verbreitet, dass sie in Bedrängnis gerät. Ein Brief, den Max an Griselle richtet, kommt zurück mit dem Vermerk „Adressat unbekannt“. Max fürchtet das Schlimmste und bittet Martin um Hilfe
Der Briefkontakt geht weiter bis zum 3. März 1934. Für das Verständnis des Romans ist es von Vorteil, wenn man mit den wichtigsten Eckdaten der Geschichte wie der Machtergreifung Hitlers und der Judenverfolgung etwas vertraut ist. Im zweiten Teil des Briefromans nimmt die Handlung eine unerwartete Wendung. Der von seinem Freund schwer enttäuschte Max wechselt in seinen Briefen, die er wieder an die Privatadresse von Martin schickt, zu einem auffallend freundlichen Ton und lässt die Gefahr zwischen den Zeilen lauern.
Eine Geschichte, die zur Zeit des Nationalsozialismus spielt, wie es recht viele gibt, könnte man im ersten Moment meinen. Doch weit gefehlt! Die Qualität dieses Werks liegt nicht mur im originellen Format des Briefromans. Die amerikanische Autorin Katherine Kressmann Taylor hat dieses Buch im Jahre 1938 veröffentlicht, im Jahr der Reichsprogromnacht. Zu einer Zeit also, wo in Deutschland angeblich noch viele Leute „nicht wussten“ was mit der jüdischen Bevölkerung geschah und was es mit Konzentrationslagern auf sich hatte.
Das Hörbuch ist gesprochen von Matthias Brandt und Stephan Schad. Ich war beeindruckt von der Eiseskälte, die Stephan Schad Martin Schulse in den Mund zu legen vermag. Auch Matthias Brandt interpretiert die Briefe aus Eisensteins Feder mit sehr warmem, freundschaftlichem Ton, aber auch die panische Angst um seine Schwester kann man förmlich spüren.
Ich habe dieses relativ kurze Hörbuch von 60 Minuten Dauer mehrmals sehr aufmerksam gehört und konnte jedes mal wieder einen neuen Aspekt entdecken, der mir bislang entgangen war. Es gibt noch immer ein paar Punkte, die ich noch nicht bis ins letzte Detail verstanden habe. Aber ich denke ich habe den Sinn zwischen den Zeilen von Eisensteins letzten Briefen richtig interpretiert und am Ende stockte mir echt der Atem.
Ein kurzes Buch in einer meisterhaften Hörbuch Umsetzung, das mich sehr berührt hat. Von mir 5 Sterne.