Mimi und Oliver sind Nachbarskinder in einer kleinen Stadt an der Havel. Sie spielen Fußball miteinander, leisten den Pionierschwur und berauschen sich auf Familienfesten heimlich mit den Schnapskirschen der Eltern. Mit dem Mauerfall zerbricht auch ihre Freundschaft. Mimi sieht sich als der letzte Pionier – Timur ohne Trupp. Oliver wird unter dem Kampfnamen Hitler zu einem der Anführer marodierender Jugendbanden. In Windeseile bringen seine Leute Straßen und Plätze unter ihre Kontrolle. Dann eskaliert die Situation vollends …
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buecher-magazin.de"Wir hatten gegeneinander gekämpft, ohne uns dabei je direkt gegenübergestanden zu haben. Und als wir uns - Jahre später - trafen, Veteranen nunmehr, Kriegsbeobachter, bekam ich keine Beleidigung, keine Demütigung, keinen Schlag auf den Kopf, nicht seinen Hass - nur seine Nummer. Für den Fall, dass ich etwas Haschisch bräuchte." So führt Manja Präkels Ich-Erzählerin Mimi den Jungen ein, den irgendwann alle Hitler nannten. Den Nachbarsjungen, mit dem sie sich heimlich mit Schnapskirschen besoff. Das Paradies, in dem Mimi aufwächst, ist vielfach gebrochen: Während ihre Mutter die Freundschaft zur Sowjetunion beschwört, schimpfen die Werktätigen auf die "Russenschweine" und "scheiß Neger". Die "Klassenkloppe" in der Schule endet für manche im Krankenhaus. Mimi ist 16, als die Mauer fällt. Die Jugendlichen drehen frei. Ressentiments entladen sich in Hetzjagden auf Ausländer, Punks, Gruftis, Hippies und Homosexuelle. Hitler avanciert zum Anführer der örtlichen Neonazis. Mimi und ihre Freunde tanzen, trinken und fliehen. Einer von ihnen wird totgetreten. Manja Präkels lässt uns die Angst auf allen Seiten spüren. Sie erzählt pointiert, auch wenn ihre Sprache mitunter formelhaft wirkt. Dieses Buch ist mitreißend und schmerzhaft aktuell.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.12.2017Zurück in
Zehdenick
Manja Präkels besucht den Ort ihrer Jugend. In ihrem
Roman erzählt sie von Erfahrungen mit Neonazis dort
VON ANNA FASTABEND
Es hat etwas von einer Landpartie, ein Auto fährt über die Zugbrücke, Sonnenstrahlen fallen durch Blätter, alles wirkt friedlich in dieser brandenburgischen Kleinstadt. Wäre da nicht dieser Satz, den Manja Präkels mitten rein spricht in den Frieden von Zehdenick. „Hier“, sagt sie und blickt auf den Fluss, „hier haben sie in meiner Jugend angolanische Vertragsarbeiter in die Havel geworfen und gesagt ‚Die Kohle fliegt gut‘.“
Die Kohle sei besser geflogen als alle anderen, damit prahlen auch die Neonazis in Präkels’ Debütroman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ (Verbrecher Verlag, Berlin 2017. 232 Seiten, 20 Euro), damit meinen sie die Einwanderer, die als Arbeitskräfte in die DDR kamen. Eine Geschichte aus der brandenburgischen Provinz, mit Horrormomenten, von den Wendejahren bis in die Jetztzeit. Manja Präkels hat das meiste in den Neunzigern selbst so erlebt, in Zehdenick im Landkreis Oberhavel, eine gute Stunde von Berlin entfernt. Im Buch ist es verdichtet und zugespitzt, aber wahr. Die besonders verstörenden Geschichten habe sie ausgelassen, sagt die Autorin. Weil ihr dafür die Sprache fehle.
Dabei beginnt der Roman harmlos: Man erlebt mit der Ich-Erzählerin Mimi, wie sie noch zu DDR-Zeiten mit ihrem besten Freund Oliver Schnapskirschen klaut und an der Havel angeln geht. Eine idyllische Kindheit auf dem Land, die allenfalls vom sozialistischen Drill in den Pionierlagern getrübt wird – fragmentarisch aufgeschrieben, wie ein Kind sich eben erinnert. Dann der Bruch: Die Mauer fällt, der Stil ändert sich, wird szenischer. Die arbeitslosen Eltern sind mit sich selbst beschäftigt, die Jugendlichen auf sich allein gestellt. Viel Raum, um sich zu radikalisieren. Auch für Oliver, der zum Anführer einer Neonazi-Gang wird, und von da an nur noch Hitler heißt. Es folgen Überfälle auf Diskotheken, Brandsätze aufs Gastarbeiterheim, Schlägereien, Mord. Aber auch Widerstand. Mimi trägt pinkfarbene Haare und schreibt als Lokalreporterin über die Gewalttaten.
Manja Präkels erlebte mit, wie nach der Wende Bekannte zu Neonazis wurden. Wie sie Schwarze, Homosexuelle, Punks und alle, die nicht bei ihnen mitmachen wollten, zu Feinden erklärten. Wie sie mit Baseballschlägern in Diskotheken stürmten, Präkels Freundinnen durch die Straßen jagten und ihre Freunde zusammenschlugen. Präkels wollte etwas dagegen unternehmen – als Lokalreporterin für die Märkische Allgemeine Zeitung. Sie ergänzte Polizeiberichte, in denen verschwiegen wurde, wenn Rechtsradikale für einen Überfall verantwortlich waren. „Ich bekam irgendwann heraus, dass einer der Polizisten seinen Sohn deckte.“ Einmal erfuhr sie von einem geplanten Nazikonzert und erzählte Polizisten davon. Die warnten die Nazis, die das Konzert dann verlegten. 2016 zählte der Verein „Opferperspektive“ 221 rechte Angriffe in Brandenburg. Vor drei Jahren waren es nicht mal halb so viele. Bis heute sind in Brandenburg 22 Männer nachgewiesene Todesopfer rechter Gewalt, drei weitere wurden von Neonazis ohne politisches Motiv getötet, fünf sind Verdachtsfälle.
Präkels hat ihren Roman Ingo Ludwig gewidmet. Er ist einer der Verdachtsfälle. Sie war 1992 dabei, als er bei einem Diskothekenüberfall von Neonazis zusammengetreten wurde und an seinen schweren Kopfverletzungen starb. Im Polizeibericht ist von einem Oliver Z. die Rede, der mit eisenkappenverstärkten Schuhen auf ihn eintritt. Zwei Jahre später erfolgte eine Stellungnahme des Verfassungsschutzes, die den Tod als tragischen Unfall darstellte. Ingo Ludwig soll beim Sturz von einer Treppe tödlich verunglückt sein. „Blödsinn“, sagt Manja Präkels dazu, man macht sich in Zehdenick und Umgebung Feinde, wenn man das ausspricht. Immer noch.
Auch Moritz von Uslar porträtierte die Einwohner von Zehdenick, in seiner 2010 veröffentlichten Brandenburgbeobachtung „Deutschboden“. Nach der Bundestagswahl in diesem Jahr besuchte er seine Interviewpartner von damals erneut, um sich mit ihnen über den Erfolg der AfD zu unterhalten. Das Gespräch erschien jüngst in der Zeit. „Da durften sich“, meint Manja Präkels, „Männer als Lokalhelden inszenieren, die Furcht und Schrecken verbreitet haben. Ein fatales Signal für alle anderen.“
Den Ratskeller in der Altstadt will Präkels zuerst nicht betreten, da er zu den von den Neonazis „besetzten“ Orten gehört. „Wir wussten nie, was oder wer uns dort erwartet, also machten wir einen Bogen darum.“ Nun geht es aber doch hinein, in der Gaststube riecht es nach kaltem Rauch. Spielautomaten, DDR-Devotionalien, ein altes Klavier, von dem eine Deutschlandflagge hängt. Der Wirt trägt Lederweste. Aus den Boxen schallt „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen: „Freiheit, Freiheit ist die einzige, die fehlt …“
„Du bist Manja, wa?“, meint der Wirt, es ist keine Frage. Präkels, ganz in Schwarz, in weitem Männerhemd, nickt, bestellt Bier, Schnitzel, Schrippe, zündet sich eine Zigarette an. Man merkt, dass sie sich unwohl fühlt. Sie vermisse den Lokaljournalismus, sagt sie, die Nähe zu den Menschen. Plötzlich flüstert sie augenzwinkernd: „Der hört uns ganz genau zu“, sie meint den Wirt. Hat er ihr Buch gelesen? „Nein, aber meine Frau.“ Konnte sie was damit anfangen? „Manja kennt die Leute. Da ist schon viel Wahres dran“, sagt er. Und dann: „Deine Mutter war meine Pionierleiterin.“
Zehdenick hat gut 13 000 Einwohner, man kennt sich. „Ich bin froh, dass meine Mutter endlich weggezogen ist“, sagt Präkels später. „Wegen meiner Arbeit hatte ich immer das ungute Gefühl, sie zu gefährden. Dort. So allein.“ Präkels selbst ging viel früher. Ende der Neunziger fühlte sie sich in Brandenburg nicht mehr sicher, die Neonazis hatten es auf ihren damaligen Freund abgesehen. Plötzlich tauchten Rechtsextreme aus anderen Gegenden auf, die hatten keine Hemmungen. Das war die neue Dimension.
Also Berlin. Präkels studierte Philosophie und Soziologie. „In meiner ersten Zeit in Berlin habe ich darauf verzichtet, meinen Namen an die Klingel zu schreiben. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass jemand hinter mir her ist. So ganz verschwunden ist es nie.“ Sie schrieb Artikel in der linken Wochenzeitung Jungle World, brachte mit ihrem Mann Anthologien über Rassismus und Rechtspopulismus heraus, organisierte mehrmals ein Kulturfestival zu Ehren des Anarchisten und Literaten Erich Mühsam, der von den Nationalsozialisten ermordet worden war, und gründete die Band Der Singende Tresen, die seine Texte vertonte.
2015 kam es dann zu großen Protesten in Zehdenick, als ein Flüchtlingsheim eröffnet werden sollte. Nein-zum-Heim-Demos, von der NPD mitorganisiert. „Die Leute trugen Plakate mit dem Slogan ‚Wir sind das Volk‘ und dem Symbol der Friedenstaube“, erinnert sich Präkels. Dann flogen Steine. Dann Feuerwerksböller. Dann wurde einer schwangeren Geflüchteten im Supermarkt ein Einkaufswagen in den Bauch gerammt. Im Sommer 2017 überfielen Maskierte einen Pakistaner. „Die Bedrohungen für Nicht-Einheimische, Geflüchtete und Menschen anderer Hautfarbe sind in der letzten Zeit fast so schlimm wie in den Neunzigern“, sagt sie. Dabei haben die meisten Arbeit und es ginge ihnen wirtschaftlich nicht schlecht. Trotzdem stimmten in Oberhavel bei der Bundestagswahl 18,6 Prozent für die AfD.
Diese Stadt am Fluss hat viel, das sich romantisieren lässt. Die Tongruben zum Beispiel, die daran erinnern, dass die Menschen hier früher einmal von der harten, schmutzigen Arbeit im Ziegelwerk lebten. Wäre man bloß eine der Fahrradtouristen, die zur Sommerzeit auf ihrer Tour von Berlin nach Kopenhagen hier einen kurzen Stopp einlegen, würde man sagen: hübsch hier. Es geht weiter nach Klein-Mutz, ein Dorf in der Nähe von Zehdenick, und der Ort, an dem Ingo Ludwig starb. Manja Präkels sucht das Haus, in dem sich damals die Diskothek „Wolfskrug“ befand, vor deren Tür alles passierte. Nun fährt sie in der Dämmerung schon ein zweites Mal im Schritttempo die Dorfstraße entlang. Links und rechts breite Rasenflächen, ein Fußweg, dahinter bescheidene Einfamilienhäuser in Beige, Rosa und sozialistischem Grau. Am Straßenrand hat jemand Kürbisse aufgestapelt. Plötzlich bremst sie, steigt aus. Im Nieselregen duftet es nach gebratenem Fleisch. Sie geht zu Fuß weiter, hält an. „Hier muss es gewesen sein.“ Nichts an dem Haus erinnert an die tödliche Nacht. Die Fassade sei vollkommen neu gestaltet worden. Eine Gedenktafel gibt es nicht.
Als Präkels durch den Kräutergarten des Ziegelhofs läuft, die handgeschriebenen Schildchen in den Beeten bewundert, den kleinen Glasvogel, der auf einer Vogeltränke sitzt, und vor dem Wasserschildkrötenhaus stehen bleibt, wird sie wehmütig. Sie vermisst Brandenburg: „Ich kann mir fast nichts Schöneres vorstellen, als hier über die Felder zu laufen oder im Wald Pilze zu suchen. Ich komme gerne her, mir gefällt der Landstrich. Ich mag Gegend und Menschen. Aber hier leben, das ist vorbei. Dafür ist zu viel passiert.“
Der Wirt im „Ratskeller“ hat das
Buch nicht gelesen, aber seine
Frau: „Manja kennt die Leute.“
Ende der Neunziger fühlte sich
Präkels in Brandenburg nicht
mehr sicher vor den Neonazis
Die brandenburgische Autorin Manja Präkels.
Foto: Nane Diehl / Verbrecher-Verlag
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Zehdenick
Manja Präkels besucht den Ort ihrer Jugend. In ihrem
Roman erzählt sie von Erfahrungen mit Neonazis dort
VON ANNA FASTABEND
Es hat etwas von einer Landpartie, ein Auto fährt über die Zugbrücke, Sonnenstrahlen fallen durch Blätter, alles wirkt friedlich in dieser brandenburgischen Kleinstadt. Wäre da nicht dieser Satz, den Manja Präkels mitten rein spricht in den Frieden von Zehdenick. „Hier“, sagt sie und blickt auf den Fluss, „hier haben sie in meiner Jugend angolanische Vertragsarbeiter in die Havel geworfen und gesagt ‚Die Kohle fliegt gut‘.“
Die Kohle sei besser geflogen als alle anderen, damit prahlen auch die Neonazis in Präkels’ Debütroman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ (Verbrecher Verlag, Berlin 2017. 232 Seiten, 20 Euro), damit meinen sie die Einwanderer, die als Arbeitskräfte in die DDR kamen. Eine Geschichte aus der brandenburgischen Provinz, mit Horrormomenten, von den Wendejahren bis in die Jetztzeit. Manja Präkels hat das meiste in den Neunzigern selbst so erlebt, in Zehdenick im Landkreis Oberhavel, eine gute Stunde von Berlin entfernt. Im Buch ist es verdichtet und zugespitzt, aber wahr. Die besonders verstörenden Geschichten habe sie ausgelassen, sagt die Autorin. Weil ihr dafür die Sprache fehle.
Dabei beginnt der Roman harmlos: Man erlebt mit der Ich-Erzählerin Mimi, wie sie noch zu DDR-Zeiten mit ihrem besten Freund Oliver Schnapskirschen klaut und an der Havel angeln geht. Eine idyllische Kindheit auf dem Land, die allenfalls vom sozialistischen Drill in den Pionierlagern getrübt wird – fragmentarisch aufgeschrieben, wie ein Kind sich eben erinnert. Dann der Bruch: Die Mauer fällt, der Stil ändert sich, wird szenischer. Die arbeitslosen Eltern sind mit sich selbst beschäftigt, die Jugendlichen auf sich allein gestellt. Viel Raum, um sich zu radikalisieren. Auch für Oliver, der zum Anführer einer Neonazi-Gang wird, und von da an nur noch Hitler heißt. Es folgen Überfälle auf Diskotheken, Brandsätze aufs Gastarbeiterheim, Schlägereien, Mord. Aber auch Widerstand. Mimi trägt pinkfarbene Haare und schreibt als Lokalreporterin über die Gewalttaten.
Manja Präkels erlebte mit, wie nach der Wende Bekannte zu Neonazis wurden. Wie sie Schwarze, Homosexuelle, Punks und alle, die nicht bei ihnen mitmachen wollten, zu Feinden erklärten. Wie sie mit Baseballschlägern in Diskotheken stürmten, Präkels Freundinnen durch die Straßen jagten und ihre Freunde zusammenschlugen. Präkels wollte etwas dagegen unternehmen – als Lokalreporterin für die Märkische Allgemeine Zeitung. Sie ergänzte Polizeiberichte, in denen verschwiegen wurde, wenn Rechtsradikale für einen Überfall verantwortlich waren. „Ich bekam irgendwann heraus, dass einer der Polizisten seinen Sohn deckte.“ Einmal erfuhr sie von einem geplanten Nazikonzert und erzählte Polizisten davon. Die warnten die Nazis, die das Konzert dann verlegten. 2016 zählte der Verein „Opferperspektive“ 221 rechte Angriffe in Brandenburg. Vor drei Jahren waren es nicht mal halb so viele. Bis heute sind in Brandenburg 22 Männer nachgewiesene Todesopfer rechter Gewalt, drei weitere wurden von Neonazis ohne politisches Motiv getötet, fünf sind Verdachtsfälle.
Präkels hat ihren Roman Ingo Ludwig gewidmet. Er ist einer der Verdachtsfälle. Sie war 1992 dabei, als er bei einem Diskothekenüberfall von Neonazis zusammengetreten wurde und an seinen schweren Kopfverletzungen starb. Im Polizeibericht ist von einem Oliver Z. die Rede, der mit eisenkappenverstärkten Schuhen auf ihn eintritt. Zwei Jahre später erfolgte eine Stellungnahme des Verfassungsschutzes, die den Tod als tragischen Unfall darstellte. Ingo Ludwig soll beim Sturz von einer Treppe tödlich verunglückt sein. „Blödsinn“, sagt Manja Präkels dazu, man macht sich in Zehdenick und Umgebung Feinde, wenn man das ausspricht. Immer noch.
Auch Moritz von Uslar porträtierte die Einwohner von Zehdenick, in seiner 2010 veröffentlichten Brandenburgbeobachtung „Deutschboden“. Nach der Bundestagswahl in diesem Jahr besuchte er seine Interviewpartner von damals erneut, um sich mit ihnen über den Erfolg der AfD zu unterhalten. Das Gespräch erschien jüngst in der Zeit. „Da durften sich“, meint Manja Präkels, „Männer als Lokalhelden inszenieren, die Furcht und Schrecken verbreitet haben. Ein fatales Signal für alle anderen.“
Den Ratskeller in der Altstadt will Präkels zuerst nicht betreten, da er zu den von den Neonazis „besetzten“ Orten gehört. „Wir wussten nie, was oder wer uns dort erwartet, also machten wir einen Bogen darum.“ Nun geht es aber doch hinein, in der Gaststube riecht es nach kaltem Rauch. Spielautomaten, DDR-Devotionalien, ein altes Klavier, von dem eine Deutschlandflagge hängt. Der Wirt trägt Lederweste. Aus den Boxen schallt „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen: „Freiheit, Freiheit ist die einzige, die fehlt …“
„Du bist Manja, wa?“, meint der Wirt, es ist keine Frage. Präkels, ganz in Schwarz, in weitem Männerhemd, nickt, bestellt Bier, Schnitzel, Schrippe, zündet sich eine Zigarette an. Man merkt, dass sie sich unwohl fühlt. Sie vermisse den Lokaljournalismus, sagt sie, die Nähe zu den Menschen. Plötzlich flüstert sie augenzwinkernd: „Der hört uns ganz genau zu“, sie meint den Wirt. Hat er ihr Buch gelesen? „Nein, aber meine Frau.“ Konnte sie was damit anfangen? „Manja kennt die Leute. Da ist schon viel Wahres dran“, sagt er. Und dann: „Deine Mutter war meine Pionierleiterin.“
Zehdenick hat gut 13 000 Einwohner, man kennt sich. „Ich bin froh, dass meine Mutter endlich weggezogen ist“, sagt Präkels später. „Wegen meiner Arbeit hatte ich immer das ungute Gefühl, sie zu gefährden. Dort. So allein.“ Präkels selbst ging viel früher. Ende der Neunziger fühlte sie sich in Brandenburg nicht mehr sicher, die Neonazis hatten es auf ihren damaligen Freund abgesehen. Plötzlich tauchten Rechtsextreme aus anderen Gegenden auf, die hatten keine Hemmungen. Das war die neue Dimension.
Also Berlin. Präkels studierte Philosophie und Soziologie. „In meiner ersten Zeit in Berlin habe ich darauf verzichtet, meinen Namen an die Klingel zu schreiben. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass jemand hinter mir her ist. So ganz verschwunden ist es nie.“ Sie schrieb Artikel in der linken Wochenzeitung Jungle World, brachte mit ihrem Mann Anthologien über Rassismus und Rechtspopulismus heraus, organisierte mehrmals ein Kulturfestival zu Ehren des Anarchisten und Literaten Erich Mühsam, der von den Nationalsozialisten ermordet worden war, und gründete die Band Der Singende Tresen, die seine Texte vertonte.
2015 kam es dann zu großen Protesten in Zehdenick, als ein Flüchtlingsheim eröffnet werden sollte. Nein-zum-Heim-Demos, von der NPD mitorganisiert. „Die Leute trugen Plakate mit dem Slogan ‚Wir sind das Volk‘ und dem Symbol der Friedenstaube“, erinnert sich Präkels. Dann flogen Steine. Dann Feuerwerksböller. Dann wurde einer schwangeren Geflüchteten im Supermarkt ein Einkaufswagen in den Bauch gerammt. Im Sommer 2017 überfielen Maskierte einen Pakistaner. „Die Bedrohungen für Nicht-Einheimische, Geflüchtete und Menschen anderer Hautfarbe sind in der letzten Zeit fast so schlimm wie in den Neunzigern“, sagt sie. Dabei haben die meisten Arbeit und es ginge ihnen wirtschaftlich nicht schlecht. Trotzdem stimmten in Oberhavel bei der Bundestagswahl 18,6 Prozent für die AfD.
Diese Stadt am Fluss hat viel, das sich romantisieren lässt. Die Tongruben zum Beispiel, die daran erinnern, dass die Menschen hier früher einmal von der harten, schmutzigen Arbeit im Ziegelwerk lebten. Wäre man bloß eine der Fahrradtouristen, die zur Sommerzeit auf ihrer Tour von Berlin nach Kopenhagen hier einen kurzen Stopp einlegen, würde man sagen: hübsch hier. Es geht weiter nach Klein-Mutz, ein Dorf in der Nähe von Zehdenick, und der Ort, an dem Ingo Ludwig starb. Manja Präkels sucht das Haus, in dem sich damals die Diskothek „Wolfskrug“ befand, vor deren Tür alles passierte. Nun fährt sie in der Dämmerung schon ein zweites Mal im Schritttempo die Dorfstraße entlang. Links und rechts breite Rasenflächen, ein Fußweg, dahinter bescheidene Einfamilienhäuser in Beige, Rosa und sozialistischem Grau. Am Straßenrand hat jemand Kürbisse aufgestapelt. Plötzlich bremst sie, steigt aus. Im Nieselregen duftet es nach gebratenem Fleisch. Sie geht zu Fuß weiter, hält an. „Hier muss es gewesen sein.“ Nichts an dem Haus erinnert an die tödliche Nacht. Die Fassade sei vollkommen neu gestaltet worden. Eine Gedenktafel gibt es nicht.
Als Präkels durch den Kräutergarten des Ziegelhofs läuft, die handgeschriebenen Schildchen in den Beeten bewundert, den kleinen Glasvogel, der auf einer Vogeltränke sitzt, und vor dem Wasserschildkrötenhaus stehen bleibt, wird sie wehmütig. Sie vermisst Brandenburg: „Ich kann mir fast nichts Schöneres vorstellen, als hier über die Felder zu laufen oder im Wald Pilze zu suchen. Ich komme gerne her, mir gefällt der Landstrich. Ich mag Gegend und Menschen. Aber hier leben, das ist vorbei. Dafür ist zu viel passiert.“
Der Wirt im „Ratskeller“ hat das
Buch nicht gelesen, aber seine
Frau: „Manja kennt die Leute.“
Ende der Neunziger fühlte sich
Präkels in Brandenburg nicht
mehr sicher vor den Neonazis
Die brandenburgische Autorin Manja Präkels.
Foto: Nane Diehl / Verbrecher-Verlag
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