Der ERSTE KRIMI von Bestsellerautorin ISABEL ALLENDE Amanda ist klug und ausgesprochen eigensinnig. Sie wächst in San Francisco auf, der Stadt der Freigeister. Ihre Mutter Indiana führt eine Praxis, der Vater ist Chef des Polizeidezernats und ermittelt in einer grausamen Mordserie. Auf eigene Faust beginnt Amanda Nachforschungen dazu anzustellen, unterstützt von ihrem Großvater und einigen Freunden. Doch als Indiana spurlos verschwindet, wird aus dem Zeitvertreib plötzlich bitterer Ernst. Und Amanda muss über sich hinauswachsen, um die eigene Mutter zu retten. (Laufzeit: 9h 7)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.10.2014Mit Duftöl gegen das Böse
Isabel Allende hat Lateinamerika verlassen und lebt nun an der amerikanischen Westküste.
In ihrem neuen Buch „Amandas Suche“ versucht sie sich am Genre des Kriminalromans
VON SEBASTIAN SCHOEPP
Es fällt nicht ganz leicht, das zu sagen, aber nach dem Tod von Gabriel García Márquez ist Isabel Allende die weltweit bekannteste lebende Schriftstellerin aus Lateinamerika. Ihr Erfolg ist ohne den Meister freilich kaum denkbar, sie profitierte von der Weltgeltung, die „Gabo“ dem Magischen Realismus verschaffte; und sie nahm nicht zu knapp Anleihen bei ihm, im „Geisterhaus“ etwa, in dem sie den Magischen Realismus für das Massenpublikum zugänglich machte. Man kann der mittlerweile 72-jährigen Chilenin nicht nachsagen, sie habe sich seitdem nicht weiterentwickelt. Inzwischen ist sie bei einer Form von Realismus angekommen, der nichts Transzendentales mehr an sich hat. Sie lebt seit Längerem in Kalifornien und hat sich mit ihrem neuen Buch „Amandas Suche“ nicht nur bei der Schauplatzwahl, sondern auch stilistisch so weit an den Lesegeschmack ihrer Wahlheimat angepasst, dass man sie eigentlich schon gar nicht mehr als lateinamerikanische Schriftstellerin ansehen mag. „Gabo“ kann also in Frieden ruhen.
Ganz ähnlich wie der vorherige, „Mayas Tagebuch“, dreht sich auch der neue Roman Allendes um die Sinnsuche eines von Schicksal und Wachstumsschmerz gebeutelten Teenagermädchens, das in diesem Fall Amanda heißt. Auch das Ambiente, in dem ihre Selbstfindung stattfindet, ist ein ähnliches wie beim letzten Mal: die vielfältige Latino-Misch-Community in den USA, der letzte Rest Lateinamerika sozusagen in Allendes Werk.
Amandas Vater ist ein assimilierter Hispanic, Polizist und Workaholic, der von der sehr amerikanischen Mutter Indiana getrennt lebt. Sie ist die eigentliche Hauptfigur, „der Inbegriff der überdimensionierten Amerikanerin, vor Gesundheit und guten Absichten strotzend“. Sie arbeitet in einer Praxis für Reiki und Duftöl, einer der Autorin zweifellos nicht ganz unvertrauten Umgebung. Wie die meisten Allende-Protagonistinnen ist Indiana eine so attraktive wie lebenspraktische und seelentiefe Frau, die in der Lage ist, mit ihrem heilenden Wesen im Handumdrehen Frauen von Verspannungen und Männer von Impotenz zu befreien.
Ähnlich konstruiert sind auch die anderen Figuren. Da sind alte Männer, „drahtig und knochig, lebensklug und nicht aus der Ruhe zu bringen“ – wie etwa der stets verständige Großvater, der sich liebevoll um die im Internet herumvagabundierende Amanda kümmert. Der kampferfahrene frühere Navy Seal Ryan Miller ist als männlicher Held und Indianas Counterpart eine eher ungewöhnliche Wahl für eine lateinamerikanische Schriftstellerin und hoffentlich nicht als Zugeständnis an republikanisch wählende Leserinnen gedacht. Miller hat nicht nur Kriegsverletzungen und Traumata aus Afghanistan gut unter Kontrolle, er verfügt wenig überraschend auch über eine „breite Brust“, an die sich Mütter wie halbwüchsige Töchter in Gefahrensituationen schmiegen können. Der Parität halber kommt auch ein Veteran des lateinamerikanischen Freiheitskampfes vor, ein Exil-Uruguayer, seelisch verletzt zwar, aber „mit den Händen beinahe so geschickt wie ein Magier“.
Aus diesen Versatzstücken hat Allende ein Buch zusammengesetzt, das allen etwas bieten soll: Latinos, Nordamerikanern und Europäern. Vor allem für Letztere wohl hat sich Allende an das Krimi-Genre herangetastet, was allerdings erst im zweiten Teil des Romans wirklich zum Tragen kommt, wenn es darum geht, eine bizarre Mordserie in San Francisco aufzuklären. Speziell von Schwedenkrimis ließ sich Allende inspirieren, allerdings in eher weichgespülter Form, da ihr Jo Nesbø, Stieg Larsson und Co. erklärtermaßen zu blutrünstig sind.
Das ist verständlich und nachvollziehbar, doch leider fehlt es den Romangestalten trotz ihrer krassen Lebensläufe an den krisenhaften Seelenabgründen, am manisch-depressiven Masochismus der Skandinavier. Es geht einem bei Allendes Krimiszenen ein bisschen wie bei Karl May oder Arztromanen: Trotz aller Gefahren hat man als Leser keine Sekunde lang Zweifel, dass die im Kern hochpatenten und lebenskundigen Protagonisten die ihnen gestellte Aufgaben mit Bravour meistern werden.
Die überwiegend plumpe Dramaturgie blockiert im Zusammenspiel mit der belanglosen Sprache die Spannung. Daneben verliert die Autorin sich vor allem im ersten Teil in nachlässig erzählten Parallel- und Seitensträngen, die dem Roman die Stringenz nehmen. Immerhin ist das Buch ein Plädoyer für Völkerverständigung und Gemeinschaftssinn als Gegengewicht gegen das Böse – in der realen wie in der Internetwelt, in der Amanda sich bewegt, und aus der heraus sie zur Detektivin wird, die ihre Mutter vor einem Killer beschützen muss.
Der gesellschaftlich konstruktive Ansatz allein wird hartgesottene Krimileser jedoch kaum zufriedenstellen. Am Ende ist „Amandas Welt“ eher „Fünf Freunde“ als Wallander, ein Flugzeugschmöker für Langstrecken, wenn man sich auf nichts Vielschichtiges konzentrieren mag. Eines dieser Bücher, die man zwischen Frankfurt und San Francisco runterlesen und dann für die Rückflugpassagiere in der Bordtasche stecken lassen kann.
Ein früherer Navy Seal, das ist
ein ungewöhnlicher Held für eine
lateinamerikanische Erzählerin
Nicht nur physisch angekommen in Kalifornien, sondern auch stilistisch: Die Chilenin Isabel Allende.
Foto: Lori Barra / Suhrkamp Verlag
Isabel Allende: Amandas Suche. Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
479 Seiten, 24,95 Euro. E-Book 21,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Isabel Allende hat Lateinamerika verlassen und lebt nun an der amerikanischen Westküste.
In ihrem neuen Buch „Amandas Suche“ versucht sie sich am Genre des Kriminalromans
VON SEBASTIAN SCHOEPP
Es fällt nicht ganz leicht, das zu sagen, aber nach dem Tod von Gabriel García Márquez ist Isabel Allende die weltweit bekannteste lebende Schriftstellerin aus Lateinamerika. Ihr Erfolg ist ohne den Meister freilich kaum denkbar, sie profitierte von der Weltgeltung, die „Gabo“ dem Magischen Realismus verschaffte; und sie nahm nicht zu knapp Anleihen bei ihm, im „Geisterhaus“ etwa, in dem sie den Magischen Realismus für das Massenpublikum zugänglich machte. Man kann der mittlerweile 72-jährigen Chilenin nicht nachsagen, sie habe sich seitdem nicht weiterentwickelt. Inzwischen ist sie bei einer Form von Realismus angekommen, der nichts Transzendentales mehr an sich hat. Sie lebt seit Längerem in Kalifornien und hat sich mit ihrem neuen Buch „Amandas Suche“ nicht nur bei der Schauplatzwahl, sondern auch stilistisch so weit an den Lesegeschmack ihrer Wahlheimat angepasst, dass man sie eigentlich schon gar nicht mehr als lateinamerikanische Schriftstellerin ansehen mag. „Gabo“ kann also in Frieden ruhen.
Ganz ähnlich wie der vorherige, „Mayas Tagebuch“, dreht sich auch der neue Roman Allendes um die Sinnsuche eines von Schicksal und Wachstumsschmerz gebeutelten Teenagermädchens, das in diesem Fall Amanda heißt. Auch das Ambiente, in dem ihre Selbstfindung stattfindet, ist ein ähnliches wie beim letzten Mal: die vielfältige Latino-Misch-Community in den USA, der letzte Rest Lateinamerika sozusagen in Allendes Werk.
Amandas Vater ist ein assimilierter Hispanic, Polizist und Workaholic, der von der sehr amerikanischen Mutter Indiana getrennt lebt. Sie ist die eigentliche Hauptfigur, „der Inbegriff der überdimensionierten Amerikanerin, vor Gesundheit und guten Absichten strotzend“. Sie arbeitet in einer Praxis für Reiki und Duftöl, einer der Autorin zweifellos nicht ganz unvertrauten Umgebung. Wie die meisten Allende-Protagonistinnen ist Indiana eine so attraktive wie lebenspraktische und seelentiefe Frau, die in der Lage ist, mit ihrem heilenden Wesen im Handumdrehen Frauen von Verspannungen und Männer von Impotenz zu befreien.
Ähnlich konstruiert sind auch die anderen Figuren. Da sind alte Männer, „drahtig und knochig, lebensklug und nicht aus der Ruhe zu bringen“ – wie etwa der stets verständige Großvater, der sich liebevoll um die im Internet herumvagabundierende Amanda kümmert. Der kampferfahrene frühere Navy Seal Ryan Miller ist als männlicher Held und Indianas Counterpart eine eher ungewöhnliche Wahl für eine lateinamerikanische Schriftstellerin und hoffentlich nicht als Zugeständnis an republikanisch wählende Leserinnen gedacht. Miller hat nicht nur Kriegsverletzungen und Traumata aus Afghanistan gut unter Kontrolle, er verfügt wenig überraschend auch über eine „breite Brust“, an die sich Mütter wie halbwüchsige Töchter in Gefahrensituationen schmiegen können. Der Parität halber kommt auch ein Veteran des lateinamerikanischen Freiheitskampfes vor, ein Exil-Uruguayer, seelisch verletzt zwar, aber „mit den Händen beinahe so geschickt wie ein Magier“.
Aus diesen Versatzstücken hat Allende ein Buch zusammengesetzt, das allen etwas bieten soll: Latinos, Nordamerikanern und Europäern. Vor allem für Letztere wohl hat sich Allende an das Krimi-Genre herangetastet, was allerdings erst im zweiten Teil des Romans wirklich zum Tragen kommt, wenn es darum geht, eine bizarre Mordserie in San Francisco aufzuklären. Speziell von Schwedenkrimis ließ sich Allende inspirieren, allerdings in eher weichgespülter Form, da ihr Jo Nesbø, Stieg Larsson und Co. erklärtermaßen zu blutrünstig sind.
Das ist verständlich und nachvollziehbar, doch leider fehlt es den Romangestalten trotz ihrer krassen Lebensläufe an den krisenhaften Seelenabgründen, am manisch-depressiven Masochismus der Skandinavier. Es geht einem bei Allendes Krimiszenen ein bisschen wie bei Karl May oder Arztromanen: Trotz aller Gefahren hat man als Leser keine Sekunde lang Zweifel, dass die im Kern hochpatenten und lebenskundigen Protagonisten die ihnen gestellte Aufgaben mit Bravour meistern werden.
Die überwiegend plumpe Dramaturgie blockiert im Zusammenspiel mit der belanglosen Sprache die Spannung. Daneben verliert die Autorin sich vor allem im ersten Teil in nachlässig erzählten Parallel- und Seitensträngen, die dem Roman die Stringenz nehmen. Immerhin ist das Buch ein Plädoyer für Völkerverständigung und Gemeinschaftssinn als Gegengewicht gegen das Böse – in der realen wie in der Internetwelt, in der Amanda sich bewegt, und aus der heraus sie zur Detektivin wird, die ihre Mutter vor einem Killer beschützen muss.
Der gesellschaftlich konstruktive Ansatz allein wird hartgesottene Krimileser jedoch kaum zufriedenstellen. Am Ende ist „Amandas Welt“ eher „Fünf Freunde“ als Wallander, ein Flugzeugschmöker für Langstrecken, wenn man sich auf nichts Vielschichtiges konzentrieren mag. Eines dieser Bücher, die man zwischen Frankfurt und San Francisco runterlesen und dann für die Rückflugpassagiere in der Bordtasche stecken lassen kann.
Ein früherer Navy Seal, das ist
ein ungewöhnlicher Held für eine
lateinamerikanische Erzählerin
Nicht nur physisch angekommen in Kalifornien, sondern auch stilistisch: Die Chilenin Isabel Allende.
Foto: Lori Barra / Suhrkamp Verlag
Isabel Allende: Amandas Suche. Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
479 Seiten, 24,95 Euro. E-Book 21,99 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Sebastian Schoepp rümpft die Nase über Isabel Allendes neuesten Roman, den er eigentlich nur noch als Flughafen-Literatur durchgehen lässt. "Amandas Suche" erzählt unter Zuhilfenahme einer bizarren Mordserie von einer etwas desorientierten Jugendlichen in der amerikanischen Latino-Community. Schlimmer als holzschnittartigen Figuren und die plumpe Dramaturgie findet der Rezensent, wie sich die Autorin ihrem Publikum andient. Unentschieden bleibt er über die Frage, ob er Allende eher die Anpassung an den amerikanischen Lesegeschmack übelnimmt oder die Anklänge an den in Europa präferierten Schweden-Krimi. Lateinamerika will Schoepp in dieser Literatur jedenfalls nicht mehr entdecken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2014Der Killer ist ständig unter uns
San Francisco als Kulisse: In Isabel Allendes neuem Buch "Amandas Suche" steckt viel mehr Gewalt und Spannung, als der Titel vermuten lässt.
Die chilenische Erfolgsautorin Isabel Allende hat mit einundsiebzig Jahren ihre erste Detektivgeschichte geschrieben. Im Frühjahr kam "El juego de Ripper" heraus, das Ripper-Spiel. Der Titel der amerikanischen Übersetzung lautet schlicht "Ripper", Lustmörder. Die deutsche Übersetzung erscheint heute, übrigens an ihrem zweiundsiebzigsten Geburtstag, als "Amandas Suche". Das klingt deutlich sanfter und ist vom Verlag als Roman über das "kostbare Band zwischen Müttern und Töchtern und die lebensrettende Kraft der Familie" angekündigt, vielleicht als Köder für die klassische Leserschaft, die Allende seit "Das Geisterhaus" treu folgt. Dabei geht es tatsächlich um einen Serienmörder, dessen Raffinement nicht zu unterschätzen ist. Und all diejenigen, denen der magische Realismus in der Literatur nie so recht das Herz erwärmen konnte, erleben eine ausgesprochen angenehme Überraschung, angesichts bisweilen eiskalter Geschehnisse.
"Ripper" ist der Name eines Spiels, das eine Gruppe über die Welt verstreuter Jugendlicher im Internet zusammenführt, zunächst um das fiktive Rätsel um Jack the Ripper zu lösen, mit verteilten Rollen. Alle sind beschädigt, ein querschnittsgelähmter Junge, einer mit einer Angstneurose, der seine Wohnung seit zwei Jahren nicht mehr verlässt, und ein afroamerikanischer Waisenknabe in einem Institut für Hochbegabte, dazu ein magersüchtiges Mädchen, das ständig an der Grenze des Verhungerns laboriert. Ihre Spielleiterin ist eben Amanda, sechzehn Jahre alt und die Woche über in einem katholischen Internat. Amanda zur Seite als "Scherge" steht ihr Großvater Blake Jackson, im richtigen Leben Apotheker und vernarrt in seine ungewöhnliche und eigensinnige Enkelin.
Amanda Martín ist die Tochter einer drallen, alle Männer umwerfenden Blondine mit dem schönen Namen Indiana Jackson und des Polizisten Bob Martín. Indiana betreibt eine Praxis als begnadete Heilerin, will heißen mit diversen Massagetechniken, Reiki und Aromatherapie, ihr geschiedener Mann Bob ist der Leiter der Homicide Division, des Morddezernats von San Francisco.
Isabel Allende benutzt dieses vielversprechende Setting, um ein Personal auszukristallisieren, dessen verschlungene Lebenspfade sie auf 480 Seiten nachgerade zärtlich entfaltet. Über dem Handlungsstrang und seinen Zerfaserungen schwebt die Prophezeiung der Fernsehastrologin Celeste Roko, dass San Francisco ein "Blutbad" bevorstehe. Ein erster Mord deutet darauf noch nicht wirklich hin. Der Hausmeister einer Schule wird mit einem in sein Gesäß gerammten Baseballschläger aufgefunden - ein Zeichen, aber wofür? Es geschehen weitere Morde, mit ähnlich unerklärlichen Merkmalen, an Personen, zwischen denen zuerst kein Zusammenhang erkennbar ist.
So kommt der Roman eine ganze Weile als Wolf im Schafspelz daher - in mehr als nur einem Sinn, doch nichts sei hier verraten. Bis die tödliche Bedrohung Amandas Mutter Indiana erreicht. Die "Ripper"-Spieler im Internet bündeln nun unter der Führung Amandas all ihre geistigen Energien auf die Rettung, und auch die Homicide Division unter ihrem Vater erkennt, dass ein serial killer vor der Vollstreckung seines Ziels steht. Die ungewöhnliche Zusammenarbeit verlangt der Realität doch ein wenig Magie ab.
So ganz aus ihrer Haut kann und will Allende nicht, und von einem joke hat sie gesprochen, weshalb ihr in Amerika auch ungewohnte Kritik entgegenschlug. Was dort zudem vielleicht nicht so gern gesehen wird, ist, dass ihr Roman tief in den Wunden der Vereinigten Staaten bohrt. Er ist auch ein Sittenbild deren gegenwärtiger Verfasstheit: in ihrer Überheblichkeit, ihrem Überwachungswahn und ihrer Verwundbarkeit. Dafür gibt sie einem - weniger magischen, eher mythischen - Paar entscheidenden Raum im Buch, dem Navy Seal Ryan Miller und seinem Begleiter, dem Hund "Attila".
In dem einstigen Elitesoldaten, dem ein Bein amputiert ist, weil es im Irak zerfetzt wurde, und seinem "Kriegshund" reißt der Abgrund zwischen Hybris und Humanität auf. Attila, als Kanonenfutter ausgebildet, geriet in Afghanistan in eine Explosion, er ist auf einem Auge blind, er ist taub, und sein Körper ist von Narben übersät. Seine menschlichen Kameraden haben ihn gerettet, weil das dem Ehrenkodex der Kombattanten entspricht. Miller hat verschiedene Kohlefaser-Prothesen für sein Bein, die ihm weiterhin Extremtraining erlauben; Attila hat Reißzähne aus Titan, er gehorcht auf kleinste Zeichen, notfalls tötet er. Dieser Dyade, über die Schmerzgrenze hinaus gedrillt und in die zivile Gesellschaft zurückgeschleudert, gibt Allende eine entscheidende Rolle im Spiel auf Leben und Tod. Sie entkommt jeder Verherrlichung tumber Kampfkraft. Viel näher ist sie bei den Traumata, die eine hochfahrende Nation ihren Gliedern zufügt.
Alle Register des suspense werden gezogen. Gleichzeitig lässt Allende sich nicht in der Detailfreudigkeit beirren, mit der sie jeden Einzelnen behandelt: den feinsinnigen Bourgeois Alan Keller, Indianas Liebhaber am Rande des Ruins; den dauerbekifften liebenswerten Maler Matheus Pereira aus Brasilien; den Kellner Danny, der eigentlich zum Travestiestar berufen ist; oder die krebskranke Carol Underwater, die sich Indiana eng anschließt und deren Helfersyndrom anspricht. Allende macht das unglaublich geschickt, sie konstruiert ein schillernd lebensvolles Panoptikum - und solange wir lesen, ist der Killer unter uns. Sie lässt ihn mitlaufen im Erzählstrom, mit den anderen schrägen Zeitgenossen, in Indianas Praxis, im Morddezernat, im Stammcafé "Rossini". So treibt sie das Rätsel auf die Spitze, bis zum wahrlich überraschenden Herzklopfen-Showdown. Und von diesem Ende her wird sichtbar, wie kunstvoll Allende die Fäden gesponnen hat; denn selbst die kleinste Bewegung, jede minutiöse Schilderung erhalten so ihren Sinn.
San Francisco und die Bay Area sind die geeigneten - krimiliterarisch vielfach erprobten - Orte für das Szenario, in dessen Eingeweiden sich Ethnien und Schicksale mischen. Die Stadt muss mit den Spätfolgen der Hippie-Bewegung genauso zurechtkommen wie mit der Erosion tradierter gesellschaftlicher Werte und mit Leid und Verbrechen an der Staatengrenze zwischen Kalifornien und Mexiko. Entsprechend sind die Anspielungen an die Klassiker des Genres reichlich, an die Methoden von Agatha Christie oder Arthur Conan Doyle, vor allem an die Milieustudien von Dashiell Hammett oder Raymond Chandler. Das bewirkt den ein wenig altmodischen Touch.
Nur ein joke also das Ganze? Eher doch ein risikofreudiges Crossover von Beschreibungslust und Spannungserzeugung. Isabel Allende hat gesagt, dass sie vor der Niederschrift als Einübung Kriminalromane gelesen habe. Kaum überraschend, dass sie es nicht auf die straffe Führung eines Stieg Larsson oder Jussi Adler-Olsen anlegt. Aber deren Terrorpotential schöpft sie aus. In "Amandas Suche" schleicht das Böse auf Samtpfoten heran, um dann mit Wucht zuzuschlagen.
In ihrer Danksagung gönnt sich Isabel Allende eine wirklich witzige Pointe: Ihr Sohn, schreibt sie, habe die häufigen Logikfehler korrigiert, die ihre Leserschaft gern dem magischen Realismus zuschreibe. Nun ja, ob ein Hund wie Attila, der durch die Hölle gegangen ist, ganz von dieser Welt ist, sei dahingestellt. Aber jeder großartige Kriminalroman hat diese Momente, in denen das Unwahrscheinliche aufscheint.
ROSE-MARIA GROPP
Isabel Allende: "Amandas Suche". Roman.
Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 479 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
San Francisco als Kulisse: In Isabel Allendes neuem Buch "Amandas Suche" steckt viel mehr Gewalt und Spannung, als der Titel vermuten lässt.
Die chilenische Erfolgsautorin Isabel Allende hat mit einundsiebzig Jahren ihre erste Detektivgeschichte geschrieben. Im Frühjahr kam "El juego de Ripper" heraus, das Ripper-Spiel. Der Titel der amerikanischen Übersetzung lautet schlicht "Ripper", Lustmörder. Die deutsche Übersetzung erscheint heute, übrigens an ihrem zweiundsiebzigsten Geburtstag, als "Amandas Suche". Das klingt deutlich sanfter und ist vom Verlag als Roman über das "kostbare Band zwischen Müttern und Töchtern und die lebensrettende Kraft der Familie" angekündigt, vielleicht als Köder für die klassische Leserschaft, die Allende seit "Das Geisterhaus" treu folgt. Dabei geht es tatsächlich um einen Serienmörder, dessen Raffinement nicht zu unterschätzen ist. Und all diejenigen, denen der magische Realismus in der Literatur nie so recht das Herz erwärmen konnte, erleben eine ausgesprochen angenehme Überraschung, angesichts bisweilen eiskalter Geschehnisse.
"Ripper" ist der Name eines Spiels, das eine Gruppe über die Welt verstreuter Jugendlicher im Internet zusammenführt, zunächst um das fiktive Rätsel um Jack the Ripper zu lösen, mit verteilten Rollen. Alle sind beschädigt, ein querschnittsgelähmter Junge, einer mit einer Angstneurose, der seine Wohnung seit zwei Jahren nicht mehr verlässt, und ein afroamerikanischer Waisenknabe in einem Institut für Hochbegabte, dazu ein magersüchtiges Mädchen, das ständig an der Grenze des Verhungerns laboriert. Ihre Spielleiterin ist eben Amanda, sechzehn Jahre alt und die Woche über in einem katholischen Internat. Amanda zur Seite als "Scherge" steht ihr Großvater Blake Jackson, im richtigen Leben Apotheker und vernarrt in seine ungewöhnliche und eigensinnige Enkelin.
Amanda Martín ist die Tochter einer drallen, alle Männer umwerfenden Blondine mit dem schönen Namen Indiana Jackson und des Polizisten Bob Martín. Indiana betreibt eine Praxis als begnadete Heilerin, will heißen mit diversen Massagetechniken, Reiki und Aromatherapie, ihr geschiedener Mann Bob ist der Leiter der Homicide Division, des Morddezernats von San Francisco.
Isabel Allende benutzt dieses vielversprechende Setting, um ein Personal auszukristallisieren, dessen verschlungene Lebenspfade sie auf 480 Seiten nachgerade zärtlich entfaltet. Über dem Handlungsstrang und seinen Zerfaserungen schwebt die Prophezeiung der Fernsehastrologin Celeste Roko, dass San Francisco ein "Blutbad" bevorstehe. Ein erster Mord deutet darauf noch nicht wirklich hin. Der Hausmeister einer Schule wird mit einem in sein Gesäß gerammten Baseballschläger aufgefunden - ein Zeichen, aber wofür? Es geschehen weitere Morde, mit ähnlich unerklärlichen Merkmalen, an Personen, zwischen denen zuerst kein Zusammenhang erkennbar ist.
So kommt der Roman eine ganze Weile als Wolf im Schafspelz daher - in mehr als nur einem Sinn, doch nichts sei hier verraten. Bis die tödliche Bedrohung Amandas Mutter Indiana erreicht. Die "Ripper"-Spieler im Internet bündeln nun unter der Führung Amandas all ihre geistigen Energien auf die Rettung, und auch die Homicide Division unter ihrem Vater erkennt, dass ein serial killer vor der Vollstreckung seines Ziels steht. Die ungewöhnliche Zusammenarbeit verlangt der Realität doch ein wenig Magie ab.
So ganz aus ihrer Haut kann und will Allende nicht, und von einem joke hat sie gesprochen, weshalb ihr in Amerika auch ungewohnte Kritik entgegenschlug. Was dort zudem vielleicht nicht so gern gesehen wird, ist, dass ihr Roman tief in den Wunden der Vereinigten Staaten bohrt. Er ist auch ein Sittenbild deren gegenwärtiger Verfasstheit: in ihrer Überheblichkeit, ihrem Überwachungswahn und ihrer Verwundbarkeit. Dafür gibt sie einem - weniger magischen, eher mythischen - Paar entscheidenden Raum im Buch, dem Navy Seal Ryan Miller und seinem Begleiter, dem Hund "Attila".
In dem einstigen Elitesoldaten, dem ein Bein amputiert ist, weil es im Irak zerfetzt wurde, und seinem "Kriegshund" reißt der Abgrund zwischen Hybris und Humanität auf. Attila, als Kanonenfutter ausgebildet, geriet in Afghanistan in eine Explosion, er ist auf einem Auge blind, er ist taub, und sein Körper ist von Narben übersät. Seine menschlichen Kameraden haben ihn gerettet, weil das dem Ehrenkodex der Kombattanten entspricht. Miller hat verschiedene Kohlefaser-Prothesen für sein Bein, die ihm weiterhin Extremtraining erlauben; Attila hat Reißzähne aus Titan, er gehorcht auf kleinste Zeichen, notfalls tötet er. Dieser Dyade, über die Schmerzgrenze hinaus gedrillt und in die zivile Gesellschaft zurückgeschleudert, gibt Allende eine entscheidende Rolle im Spiel auf Leben und Tod. Sie entkommt jeder Verherrlichung tumber Kampfkraft. Viel näher ist sie bei den Traumata, die eine hochfahrende Nation ihren Gliedern zufügt.
Alle Register des suspense werden gezogen. Gleichzeitig lässt Allende sich nicht in der Detailfreudigkeit beirren, mit der sie jeden Einzelnen behandelt: den feinsinnigen Bourgeois Alan Keller, Indianas Liebhaber am Rande des Ruins; den dauerbekifften liebenswerten Maler Matheus Pereira aus Brasilien; den Kellner Danny, der eigentlich zum Travestiestar berufen ist; oder die krebskranke Carol Underwater, die sich Indiana eng anschließt und deren Helfersyndrom anspricht. Allende macht das unglaublich geschickt, sie konstruiert ein schillernd lebensvolles Panoptikum - und solange wir lesen, ist der Killer unter uns. Sie lässt ihn mitlaufen im Erzählstrom, mit den anderen schrägen Zeitgenossen, in Indianas Praxis, im Morddezernat, im Stammcafé "Rossini". So treibt sie das Rätsel auf die Spitze, bis zum wahrlich überraschenden Herzklopfen-Showdown. Und von diesem Ende her wird sichtbar, wie kunstvoll Allende die Fäden gesponnen hat; denn selbst die kleinste Bewegung, jede minutiöse Schilderung erhalten so ihren Sinn.
San Francisco und die Bay Area sind die geeigneten - krimiliterarisch vielfach erprobten - Orte für das Szenario, in dessen Eingeweiden sich Ethnien und Schicksale mischen. Die Stadt muss mit den Spätfolgen der Hippie-Bewegung genauso zurechtkommen wie mit der Erosion tradierter gesellschaftlicher Werte und mit Leid und Verbrechen an der Staatengrenze zwischen Kalifornien und Mexiko. Entsprechend sind die Anspielungen an die Klassiker des Genres reichlich, an die Methoden von Agatha Christie oder Arthur Conan Doyle, vor allem an die Milieustudien von Dashiell Hammett oder Raymond Chandler. Das bewirkt den ein wenig altmodischen Touch.
Nur ein joke also das Ganze? Eher doch ein risikofreudiges Crossover von Beschreibungslust und Spannungserzeugung. Isabel Allende hat gesagt, dass sie vor der Niederschrift als Einübung Kriminalromane gelesen habe. Kaum überraschend, dass sie es nicht auf die straffe Führung eines Stieg Larsson oder Jussi Adler-Olsen anlegt. Aber deren Terrorpotential schöpft sie aus. In "Amandas Suche" schleicht das Böse auf Samtpfoten heran, um dann mit Wucht zuzuschlagen.
In ihrer Danksagung gönnt sich Isabel Allende eine wirklich witzige Pointe: Ihr Sohn, schreibt sie, habe die häufigen Logikfehler korrigiert, die ihre Leserschaft gern dem magischen Realismus zuschreibe. Nun ja, ob ein Hund wie Attila, der durch die Hölle gegangen ist, ganz von dieser Welt ist, sei dahingestellt. Aber jeder großartige Kriminalroman hat diese Momente, in denen das Unwahrscheinliche aufscheint.
ROSE-MARIA GROPP
Isabel Allende: "Amandas Suche". Roman.
Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 479 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Isabel Allendes dichte und rasante Geschichte über kleine und große Verbrechen ist ausgesprochen scharfsinnig, ganz und gar charmant und unglaublich spannend!"
Booklist
Booklist
»In Amandas Suche schleicht das Böse auf Samtpfoten heran, um dann mit Wucht zuzuschlagen.« Rose-Maria Gropp Frankfurter Allgemeine Zeitung 20140802