"Gibt es Sie eigentlich auch als Mensch?". "Auf ein Frühstücksei mit..." - so lädt Moritz von Uslar seit fünf Jahren Prominente zum morgendlichen Gespräch für seine gleichnamige Kolumne in der ZEIT ein. Uslars Autorenschaft beginnt dabei schon bei der eigenwilligen Auswahl seiner Gesprächspartner und setzt sich darin fort, eine wunderbar entspannte, saloppe und intime Gesprächssituation herzustellen, in der er seine Gäste mit ihrem Image, mit Fragen zur Politik und Kultur und einfach nur mit dem unnachahmlichen Uslar-Interviewstil konfrontiert. Es entsteht ein fein gezeichnetes Psychogramm des Interviewten sowie ein Abbild der deutschen Politik und Gesellschaft. Das ist modernes Feuilleton. Und das ist höchst inspirierende Unterhaltung. Kurzportraits von: Ulrich Wickert, Helene Hegemann, Peter-Scholl-Latour, Hans Eichel, Hans-Christian Ströbele, Anne Will, Hellmuth Karasek, Henryk M. Broder, Michelle Müntefering, Leander Haußmann, Ulrich Matthes, Friedrich von Borries, Jan Böhmermann, Fabian Hinrichs, Inga Humpe, Diedrich Diederichsen, Steffen Seibert, Joko Winterscheidt, Rocko Schamoni, u.v.a.m.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.10.2017Berliner
Personal
Moritz von Uslars Kolumnen als
Momentaufnahme einer Nation
Gleich zu Beginn seiner Kolumnensammlung „Auf ein Frühstücksei mit ...“ entlarvt Moritz von Uslar den Kniff, mit dem er sein Personal der Berliner Gegenwart aufhebelt. Einmal in der Woche trifft er sich für die Wochenzeitung Zeit mit einem Menschen zum Frühstück, der ihm genau in dieser Woche interessant und für den Lauf der Dinge wichtig erscheint. Das ist kein Manierismus, sondern ein journalistisch schlüssiges Konzept: „Die Idee dieses Frühstücks ist ja genau, dass man morgens eben noch ein bisschen gemütlich und unscharf denkt.“ Was es ihm als Interviewer dann wunderbar leicht macht, der jeweiligen Person auf die Schliche zu kommen. Herrlich, wie er Lebensführungserklärer Friedrich von Borries auseinandernimmt oder die Luft aus Doris Dörrie und Frank Plasberg lässt. Objektiv ist da nix. Aber er feiert ja dann eben auch Ronja von Rönne, Inga Humpe und Karl Dall als unerwartete Heldenfiguren.
Dazu kommen die Beobachtungen des immer gleichen Rituals, das sich so besonders gut für diesen Zweck eignet, weil es so viel über einen Menschen erzählt, wie er seinen Tag beginnt. Manches ist erwartbar. Ja klar, die junge Schriftstellerin Helene Hegemann will so früh noch gar nichts essen, der „Polit-Opa, Ex-RAF-Anwalt, Direktkandidat-Hero der Grünen“ Hans-Christian Ströbele bestellt „ein Weich-Ei und einen Getreidekaffee bitte“, und eben jener Lebensführungserklärer Friedrich von Borries mäkelt herum, dass ein Ei im Glas nicht im Glas serviert, sondern gekocht gehört. Das sind keine Klischees auf Abruf. Das haben die ja wirklich so bestellt.
Wobei Uslar durchaus bereit ist, sein Weltbild erschüttern zu lassen. Das ist bei ihm Prinzip. Sein letztes Buch „Deutschboden“ war ein großer Selbsterfahrungstrip in die ostdeutsche Provinz, von vorneherein darauf angelegt, die eigene Berlin-Mitte-Weltsicht zu verstören (und nebenbei eine der gelungensten „New Journalism“-Arbeiten in deutscher Sprache).
Nun sind Kolumnensammlungen in Buchform in fast allen Fällen durchsichtige Zweitverwertungen. „Auf ein Frühstücksei mit ...“ funktioniert jedoch, weil Moritz von Uslar seine Kolumnen, etwa „Wie sehen Sie denn aus“ oder „100“ beziehungsweise „99 Fragen an“ – immer auch als Langzeitbeobachtungen der Republik angelegt hat.
Deswegen ergeben die 54 Frühstücksbeobachtungen, die man bei der Zeit-Lektüre immer so erfreut weggelesen hat, insgesamt und gerade wegen der Wiederholung des immer gleichen Rituals ein so schlüssiges Bild von Deutschland, dass es sich lohnt, das noch einmal im Ganzen zu lesen. Weil sie im Zusammenhang noch einmal eine neue Fallhöhe bekommen. Denn das Personal ist ja keineswegs nach dem Zufallsprinzip der Tagesform eines Kolumnisten zusammengestellt. Was er da vom 8. November 2012 (TV-Legende Ulrich Wickert) bis zum 11. Mai 2017 (Geisteswissenschaftsstar Joseph Vogl) an Figuren getroffen hat, ergibt ein präzises Bild, vielleicht nicht der Bundes-, aber auf alle Fälle der Berliner Republik in diesen fünf Jahren. Über den Eiern und Kaffeegetränken werden nicht nur die Personen, sondern auch das Auf und Ab des Landes verhandelt.
Es wäre ihm selbst sicher ein Graus, aber das Buch wäre eine gute Pflichtlektüre der Bundeszentrale für politische Bildung oder für den Lehrplan in Integrationskursen für Neuankömmlinge in diesem Land. Gerade da könnte man viel erreichen. Weil man das all den Angelsachsen geben könnte, die so gerne nach Berlin kommen, um dann auf ihren Blogs oder in ihren heimischen Zeitungen sarkastische Kolumnen über humorlose Deutsche zu schreiben. Und die bei Uslar mal nachlesen könnten, dass es in diesem Lande sehr wohl Leute gibt, die ihre Autorität als Schreiber auf diese unwiderstehliche Mischung aus Rhythmusgefühl, Eleganz und Ironie bauen, nicht nur beim Guardian, bei Vice oder beim New Yorker.
Wobei Uslar kein Wiedergänger angelsächsischer Vorbilder ist. Das bleibt alles durch und durch Berlin. Kaum einer pflegt diesen ironischen Eh-Wurst-eh-klar-Ton so meisterhaft, den der Fernsehmoderator Jan Böhmermann (eine der blasseren Figuren in Uslars Personal) inzwischen in die Mitte der jungen Gesellschaft getragen hat. Weil die scharfen Pointen so wunderbar in den sozialen Medien zünden. Es gibt allerdings einen großen Unterschied zwischen den beiden.
Bei Jan Böhmermann hat man immer das Gefühl, dass ihm andere Menschen egal sind, er ihnen nur von Berufs wegen die Chance gibt, sich vor ihm zu beweisen. Moritz von Uslar mag die Menschen. Alle eigentlich. Zumindest die, denen er beim Frühstück begegnet. Was schon mal eine gute journalistische Ausgangslage ist, weil er nach der Vorauswahl erst einmal offen bleibt für alles. Klar, das liegt auch in der unterschiedlichen Berufsbeschreibung. Böhmermann muss als Moderator zu allererst Showman sein. Uslar ist Journalist. Ein sehr guter übrigens, weil hinter der Extremlässigkeit seiner Texte viel Arbeit steckt. Das merkt man ihnen nicht an, genau darum geht es ja.
ANDRIAN KREYE
Moritz von Uslar: Auf ein Frühstücksei mit ... Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2017. 176 Seiten, 15 Euro. E-Book 12,99 Euro.
Zwischen Ulrich Wickert und
Joseph Vogl ergibt sich so ein
präzises Bild der Republik
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Personal
Moritz von Uslars Kolumnen als
Momentaufnahme einer Nation
Gleich zu Beginn seiner Kolumnensammlung „Auf ein Frühstücksei mit ...“ entlarvt Moritz von Uslar den Kniff, mit dem er sein Personal der Berliner Gegenwart aufhebelt. Einmal in der Woche trifft er sich für die Wochenzeitung Zeit mit einem Menschen zum Frühstück, der ihm genau in dieser Woche interessant und für den Lauf der Dinge wichtig erscheint. Das ist kein Manierismus, sondern ein journalistisch schlüssiges Konzept: „Die Idee dieses Frühstücks ist ja genau, dass man morgens eben noch ein bisschen gemütlich und unscharf denkt.“ Was es ihm als Interviewer dann wunderbar leicht macht, der jeweiligen Person auf die Schliche zu kommen. Herrlich, wie er Lebensführungserklärer Friedrich von Borries auseinandernimmt oder die Luft aus Doris Dörrie und Frank Plasberg lässt. Objektiv ist da nix. Aber er feiert ja dann eben auch Ronja von Rönne, Inga Humpe und Karl Dall als unerwartete Heldenfiguren.
Dazu kommen die Beobachtungen des immer gleichen Rituals, das sich so besonders gut für diesen Zweck eignet, weil es so viel über einen Menschen erzählt, wie er seinen Tag beginnt. Manches ist erwartbar. Ja klar, die junge Schriftstellerin Helene Hegemann will so früh noch gar nichts essen, der „Polit-Opa, Ex-RAF-Anwalt, Direktkandidat-Hero der Grünen“ Hans-Christian Ströbele bestellt „ein Weich-Ei und einen Getreidekaffee bitte“, und eben jener Lebensführungserklärer Friedrich von Borries mäkelt herum, dass ein Ei im Glas nicht im Glas serviert, sondern gekocht gehört. Das sind keine Klischees auf Abruf. Das haben die ja wirklich so bestellt.
Wobei Uslar durchaus bereit ist, sein Weltbild erschüttern zu lassen. Das ist bei ihm Prinzip. Sein letztes Buch „Deutschboden“ war ein großer Selbsterfahrungstrip in die ostdeutsche Provinz, von vorneherein darauf angelegt, die eigene Berlin-Mitte-Weltsicht zu verstören (und nebenbei eine der gelungensten „New Journalism“-Arbeiten in deutscher Sprache).
Nun sind Kolumnensammlungen in Buchform in fast allen Fällen durchsichtige Zweitverwertungen. „Auf ein Frühstücksei mit ...“ funktioniert jedoch, weil Moritz von Uslar seine Kolumnen, etwa „Wie sehen Sie denn aus“ oder „100“ beziehungsweise „99 Fragen an“ – immer auch als Langzeitbeobachtungen der Republik angelegt hat.
Deswegen ergeben die 54 Frühstücksbeobachtungen, die man bei der Zeit-Lektüre immer so erfreut weggelesen hat, insgesamt und gerade wegen der Wiederholung des immer gleichen Rituals ein so schlüssiges Bild von Deutschland, dass es sich lohnt, das noch einmal im Ganzen zu lesen. Weil sie im Zusammenhang noch einmal eine neue Fallhöhe bekommen. Denn das Personal ist ja keineswegs nach dem Zufallsprinzip der Tagesform eines Kolumnisten zusammengestellt. Was er da vom 8. November 2012 (TV-Legende Ulrich Wickert) bis zum 11. Mai 2017 (Geisteswissenschaftsstar Joseph Vogl) an Figuren getroffen hat, ergibt ein präzises Bild, vielleicht nicht der Bundes-, aber auf alle Fälle der Berliner Republik in diesen fünf Jahren. Über den Eiern und Kaffeegetränken werden nicht nur die Personen, sondern auch das Auf und Ab des Landes verhandelt.
Es wäre ihm selbst sicher ein Graus, aber das Buch wäre eine gute Pflichtlektüre der Bundeszentrale für politische Bildung oder für den Lehrplan in Integrationskursen für Neuankömmlinge in diesem Land. Gerade da könnte man viel erreichen. Weil man das all den Angelsachsen geben könnte, die so gerne nach Berlin kommen, um dann auf ihren Blogs oder in ihren heimischen Zeitungen sarkastische Kolumnen über humorlose Deutsche zu schreiben. Und die bei Uslar mal nachlesen könnten, dass es in diesem Lande sehr wohl Leute gibt, die ihre Autorität als Schreiber auf diese unwiderstehliche Mischung aus Rhythmusgefühl, Eleganz und Ironie bauen, nicht nur beim Guardian, bei Vice oder beim New Yorker.
Wobei Uslar kein Wiedergänger angelsächsischer Vorbilder ist. Das bleibt alles durch und durch Berlin. Kaum einer pflegt diesen ironischen Eh-Wurst-eh-klar-Ton so meisterhaft, den der Fernsehmoderator Jan Böhmermann (eine der blasseren Figuren in Uslars Personal) inzwischen in die Mitte der jungen Gesellschaft getragen hat. Weil die scharfen Pointen so wunderbar in den sozialen Medien zünden. Es gibt allerdings einen großen Unterschied zwischen den beiden.
Bei Jan Böhmermann hat man immer das Gefühl, dass ihm andere Menschen egal sind, er ihnen nur von Berufs wegen die Chance gibt, sich vor ihm zu beweisen. Moritz von Uslar mag die Menschen. Alle eigentlich. Zumindest die, denen er beim Frühstück begegnet. Was schon mal eine gute journalistische Ausgangslage ist, weil er nach der Vorauswahl erst einmal offen bleibt für alles. Klar, das liegt auch in der unterschiedlichen Berufsbeschreibung. Böhmermann muss als Moderator zu allererst Showman sein. Uslar ist Journalist. Ein sehr guter übrigens, weil hinter der Extremlässigkeit seiner Texte viel Arbeit steckt. Das merkt man ihnen nicht an, genau darum geht es ja.
ANDRIAN KREYE
Moritz von Uslar: Auf ein Frühstücksei mit ... Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2017. 176 Seiten, 15 Euro. E-Book 12,99 Euro.
Zwischen Ulrich Wickert und
Joseph Vogl ergibt sich so ein
präzises Bild der Republik
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»die 54 Frühstücksbeobachtungen, die man bei der Zeit-Lektüre immer so erfreut weggelesen hat, [ergeben] insgesamt und gerade wegen der Wiederholung des immer gleichen Rituals ein so schlüssiges Bild von Deutschland, dass es sich lohnt, das noch einmal im Ganzen zu lesen.« Andrian Kreye Süddeutsche Zeitung 20171025