Die Diktatur im Pausenmodus: Stadt und Spiele im Sommer 1936
Im Sommer 1936 steht Berlin ganz im Zeichen der Olympischen Spiele. Zehntausende strömen in die deutsche Hauptstadt, die die Nationalsozialisten in diesen sechzehn Tagen als weltoffene Metropole präsentieren wollen. Oliver Hilmes folgt prominenten und völlig unbekannten Personen, Deutschen und ausländischen Gästen durch die fiebrig-flirrende Zeit der Sommerspiele und verknüpft die Ereignisse dieser Tage kunstvoll zum Panorama einer Diktatur im Pausenmodus.
Die »Juden verboten«-Schilder sind plötzlich verschwunden, statt des »Horst-Wessel-Lieds« klingen Swing-Töne durch die Straßen. Berlin scheint für kurze Zeit eine ganz normale europäische Großstadt zu sein, doch im Hintergrund arbeitet das NS-Regime weiter daran, die Unterdrückung zu perfektionieren und das Land in den Krieg zu treiben.
In »Berlin 1936« erzählt Oliver Hilmes präzise, atmosphärisch dicht und mitreißend von Sportlern und Künstlern, Diplomaten und NS-Größen, Transvestiten und Prostituierten, Restaurantbesitzern und Nachtschwärmern, Berlinern und Touristen. Es sind Geschichten, die faszinieren und verstören, überraschen und bewegen. Es sind die Geschichten von Opfern und Tätern, Mitläufern und Zuschauern. Es ist die Geschichte eines einzigartigen Sommers.
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
So, wie die Olympischen Spiele 1936 in Berlin mit dem Schlagwort "Die Diktatur macht Pause" versehen wurden, so gönnt sich offenbar auch der verdiente Biograf Oliver Hilmes eine kleine Pause, schreibt Tilman Krause. Denn das neue Buch des Politologen komme "anekdotisch locker und erzählerisch entspannt" daher, die vordergründig ausgelassene Stimmung des Sommers '36 habe augenscheinlich auch Hilmes angesteckt, so der Rezensent. Elegant präsentiere er seine Fundstücke aus den Archiven, und ebenso elegant müsse man sich auch das Berlin der Spiele vorstellen: Dass Juden damals noch öffentlich Jazz und Swing spielen durften, überrascht Krause. Letztlich sei das wie vieles andere aber nur "ein allerletztes Wetterleuchten" gewesen, bevor die Schrecken der NS-Diktatur mit ganzer Wucht über Deutschland hereinbrachen, informiert der Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2016Klatsch und Tratsch zu Hitlers Spielen
Fakten und fiktive Handlungsstränge: Eine Erzählung will die Atmosphäre von Berlin 1936 wiederaufleben lassen / Von Hans Joachim Teichler
Der Mythos um die Olympischen Spiele 1936 in Berlin verblasst nicht, sondern scheint mit immer größerem zeitlichem Abstand zu wachsen. Das deutschsprachige schweizerische Fernsehen zeigte am 29. Juni eine Mischung aus Spielfilm und Dokumentation unter dem Titel "Der Traum von Olympia - die Nazi-Spiele von 1936". Die ARD hatte das Dokudrama "Der Traum von Olympia - Die Nazi-Spiele von 1936" am 18. Juli im Abendprogramm, und das ZDF sendet seine Dokumentation "Olympia 1936 - der verratene Traum" am 31. Juli. Fast genau achtzig Jahre nach der Eröffnung der Spiele wird in den Vereinigten Staaten der Public Broadcasting Service am 2. August den Streifen "The Nazi Games - Berlin 1936" zeigen. Selbst Randerscheinungen gewinnen an Bedeutung. Im französischen Fernsehen wird die angebliche Freundschaft zwischen Jesse Owens und Luz Long thematisiert.
Berlin 1936 hat in der Geschichte der Olympischen Spiele einen besonderen Stellenwert: Unterstützt durch die Finanz- und Machtmittel einer auf Selbstdarstellung bedachten Diktatur, wurde das olympische Fest zu einem Sportfest der Rekorde und zum ersten perfekt inszenierten Medienereignis des Sports. Gleichzeitig provozierte der offenkundige Gegensatz von olympischer Friedensidee, olympischer Rassen- und Konfessionstoleranz einerseits und Ideologie der Herrenrasse und Antisemitismus andererseits die erste weltweite Protestbewegung gegen einen olympischen Gastgeber. Mit der betont sportlichen Organisation und einem kulturellen Umfeld, das an die rauschenden 1920er Jahre erinnerte, dienten die Spiele der Selbstverharmlosung einer aggressiven Diktatur.
Die besondere Atmosphäre dieser "16 Tage im August" versucht Oliver Hilmes in einer Erzählung lebendig werden zu lassen, die auf einer Mischung von Fakten und fiktiven Handlungssträngen beruht. Mit der Wiedergabe von Teilen des Wetter- und des Polizeiberichts, von Zeitungsartikeln, den wichtigsten Sportereignissen sowie Klatsch und Tratsch aus dem Berliner Nachtleben versucht er ein Kaleidoskop des Alltags jener Wochen zu schaffen. Hilmes stützt sich dabei auf Bücher von und über Thomas Wolfe, den wir somit als Leitfigur in Berlin begleiten. Zusätzlich hat Hilmes zahlreiche Memoiren, Tagebücher, zeitgenössische Presseanweisungen herangezogen. Viele seiner Archivrecherchen hätte er sich sparen können, wenn er die sportgeschichtliche Forschung zu den 36er Spielen und ihrem internationalen Umfeld zur Kenntnis genommen hätte. So sind etwa die Presseanweisungen zu den Spielen bereits 1976 publiziert und analysiert worden. Hilmes stützt sich zu Recht oft auf die vorzügliche Dokumentation "1936. Die Olympischen Spiele und der Nationalsozialismus", die Reinhard Rürup 1996 herausgegeben hat.
Durch den biographischen Zugang versucht Hilmes die Gleichzeitigkeit von Repression (Aufbau des KZ Sachsenhausen, Zigeunerlager Marzahn) und feierlicher Präsentation fassbar und eindringlich zu machen. Aus der Perspektive eines Sinti-Mädchens und eines KZ-Häftlings erzählt, wird der Kontrast zur olympischen Feierstimmung gut herausgearbeitet. Viel Platz wird dem Nachtleben in der "Scala", in der "Ciro-Bar", im "Quartier Latin" und in der "Sherbini-Bar" sowie den zahlreichen Empfängen der NS-Größen gewidmet. Hilmes lässt kaum eine der bekannten Anekdoten aus und zitiert auch Kritik wie "die entsetzliche kakifarbene Kleidung von Frau Ribbentrop".
Das Resümee des IOC-Präsidenten de Baillet-Latour allerdings - "Schluß mit diesen Festen, ewigen Empfängen und Kundgebungen. (...) Wir müssen zur klassischen sportlich hellenistischen Atmosphäre zurückkommen." - entgeht Hilmes, da er wichtige sporthistorische Vorarbeiten nicht zur Kenntnis genommen hat. Einen Empfang in der Dienstvilla des Reichssportführers von Tschammer und Osten, wie er ihn beschreibt, kann es nicht gegeben haben, da das Gebäude erst 1938 fertiggestellt wurde. Wie problematisch Memoiren als Quelle sein können, zeigt Leni Riefenstahl, die Glenn Morris zum Sieg im Zehnkampf gratulieren wollte: "Da nahm er mich in den Arm, riss mir die Bluse herunter und küsste mich auf die Brust, mitten im Stadion, vor hunderttausend Zuschauern." Wenn sich das so ereignet hätte, wäre zumindest in der internationalen Presse davon berichtet worden, und in der Pressekonferenz der Reichsregierung wäre, wie bei der Kussattacke einer Amerikanerin auf Hitler im Schwimmstadion, eine Anweisung für die Berichterstattung erfolgt.
Trotz aller Kritik im Einzelnen (General Sherill war in privater Audienz bei Hitler, nicht in offizieller IOC-Mission) gelingt es Hilmes gut herauszuarbeiten, dass sich das Gastgeberland als "friedliebender und verlässlicher Partner der Völkerfamilie" präsentierte. Dass der Leser dann aber noch über die Ess- und Trinkgewohnheiten des Verlegers Ernst Rowohlt, die Zahl der Selbstmorde oder das "Alpecin-Mannequin des Monats August" informiert wird, ist dem Versuch geschuldet, ein historisches Großereignis in den banalen Alltag einzubetten. Mit einem Ausblick "Was wurde aus ...?" und den Kurzbiographien von unter anderen Leni Riefenstahl, Baillet-Latour, Eleanor Holm, Leon Henri Dajou (Betreiber des Quartier Latin), Hubert von Meyerinck, Mascha Kaléko, Tilly Fleischer (natürlich mit der Behauptung eines gemeinsamen Kindes mit Hitler), Teddy Staufer und Helene Meyer schließt der Band. So erfährt man, dass Carla de Vries, die Frau, die im Schwimmbad versuchte, Hitler zu küssen, im November 1936 eine lebensmüde Frau zur Aufgabe eines Selbstmordversuch überredete. Wer das Niveau der Klatsch-und-Tratsch-Presse schätzt, ist mit dem vorliegenden Band bestens bedient.
Besprochenes Buch: Oliver Hilmes: Berlin 1936 - Sechzehn Tage im August, Siedler, 2016, 304 Seiten, 19,90 Euro.
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Fakten und fiktive Handlungsstränge: Eine Erzählung will die Atmosphäre von Berlin 1936 wiederaufleben lassen / Von Hans Joachim Teichler
Der Mythos um die Olympischen Spiele 1936 in Berlin verblasst nicht, sondern scheint mit immer größerem zeitlichem Abstand zu wachsen. Das deutschsprachige schweizerische Fernsehen zeigte am 29. Juni eine Mischung aus Spielfilm und Dokumentation unter dem Titel "Der Traum von Olympia - die Nazi-Spiele von 1936". Die ARD hatte das Dokudrama "Der Traum von Olympia - Die Nazi-Spiele von 1936" am 18. Juli im Abendprogramm, und das ZDF sendet seine Dokumentation "Olympia 1936 - der verratene Traum" am 31. Juli. Fast genau achtzig Jahre nach der Eröffnung der Spiele wird in den Vereinigten Staaten der Public Broadcasting Service am 2. August den Streifen "The Nazi Games - Berlin 1936" zeigen. Selbst Randerscheinungen gewinnen an Bedeutung. Im französischen Fernsehen wird die angebliche Freundschaft zwischen Jesse Owens und Luz Long thematisiert.
Berlin 1936 hat in der Geschichte der Olympischen Spiele einen besonderen Stellenwert: Unterstützt durch die Finanz- und Machtmittel einer auf Selbstdarstellung bedachten Diktatur, wurde das olympische Fest zu einem Sportfest der Rekorde und zum ersten perfekt inszenierten Medienereignis des Sports. Gleichzeitig provozierte der offenkundige Gegensatz von olympischer Friedensidee, olympischer Rassen- und Konfessionstoleranz einerseits und Ideologie der Herrenrasse und Antisemitismus andererseits die erste weltweite Protestbewegung gegen einen olympischen Gastgeber. Mit der betont sportlichen Organisation und einem kulturellen Umfeld, das an die rauschenden 1920er Jahre erinnerte, dienten die Spiele der Selbstverharmlosung einer aggressiven Diktatur.
Die besondere Atmosphäre dieser "16 Tage im August" versucht Oliver Hilmes in einer Erzählung lebendig werden zu lassen, die auf einer Mischung von Fakten und fiktiven Handlungssträngen beruht. Mit der Wiedergabe von Teilen des Wetter- und des Polizeiberichts, von Zeitungsartikeln, den wichtigsten Sportereignissen sowie Klatsch und Tratsch aus dem Berliner Nachtleben versucht er ein Kaleidoskop des Alltags jener Wochen zu schaffen. Hilmes stützt sich dabei auf Bücher von und über Thomas Wolfe, den wir somit als Leitfigur in Berlin begleiten. Zusätzlich hat Hilmes zahlreiche Memoiren, Tagebücher, zeitgenössische Presseanweisungen herangezogen. Viele seiner Archivrecherchen hätte er sich sparen können, wenn er die sportgeschichtliche Forschung zu den 36er Spielen und ihrem internationalen Umfeld zur Kenntnis genommen hätte. So sind etwa die Presseanweisungen zu den Spielen bereits 1976 publiziert und analysiert worden. Hilmes stützt sich zu Recht oft auf die vorzügliche Dokumentation "1936. Die Olympischen Spiele und der Nationalsozialismus", die Reinhard Rürup 1996 herausgegeben hat.
Durch den biographischen Zugang versucht Hilmes die Gleichzeitigkeit von Repression (Aufbau des KZ Sachsenhausen, Zigeunerlager Marzahn) und feierlicher Präsentation fassbar und eindringlich zu machen. Aus der Perspektive eines Sinti-Mädchens und eines KZ-Häftlings erzählt, wird der Kontrast zur olympischen Feierstimmung gut herausgearbeitet. Viel Platz wird dem Nachtleben in der "Scala", in der "Ciro-Bar", im "Quartier Latin" und in der "Sherbini-Bar" sowie den zahlreichen Empfängen der NS-Größen gewidmet. Hilmes lässt kaum eine der bekannten Anekdoten aus und zitiert auch Kritik wie "die entsetzliche kakifarbene Kleidung von Frau Ribbentrop".
Das Resümee des IOC-Präsidenten de Baillet-Latour allerdings - "Schluß mit diesen Festen, ewigen Empfängen und Kundgebungen. (...) Wir müssen zur klassischen sportlich hellenistischen Atmosphäre zurückkommen." - entgeht Hilmes, da er wichtige sporthistorische Vorarbeiten nicht zur Kenntnis genommen hat. Einen Empfang in der Dienstvilla des Reichssportführers von Tschammer und Osten, wie er ihn beschreibt, kann es nicht gegeben haben, da das Gebäude erst 1938 fertiggestellt wurde. Wie problematisch Memoiren als Quelle sein können, zeigt Leni Riefenstahl, die Glenn Morris zum Sieg im Zehnkampf gratulieren wollte: "Da nahm er mich in den Arm, riss mir die Bluse herunter und küsste mich auf die Brust, mitten im Stadion, vor hunderttausend Zuschauern." Wenn sich das so ereignet hätte, wäre zumindest in der internationalen Presse davon berichtet worden, und in der Pressekonferenz der Reichsregierung wäre, wie bei der Kussattacke einer Amerikanerin auf Hitler im Schwimmstadion, eine Anweisung für die Berichterstattung erfolgt.
Trotz aller Kritik im Einzelnen (General Sherill war in privater Audienz bei Hitler, nicht in offizieller IOC-Mission) gelingt es Hilmes gut herauszuarbeiten, dass sich das Gastgeberland als "friedliebender und verlässlicher Partner der Völkerfamilie" präsentierte. Dass der Leser dann aber noch über die Ess- und Trinkgewohnheiten des Verlegers Ernst Rowohlt, die Zahl der Selbstmorde oder das "Alpecin-Mannequin des Monats August" informiert wird, ist dem Versuch geschuldet, ein historisches Großereignis in den banalen Alltag einzubetten. Mit einem Ausblick "Was wurde aus ...?" und den Kurzbiographien von unter anderen Leni Riefenstahl, Baillet-Latour, Eleanor Holm, Leon Henri Dajou (Betreiber des Quartier Latin), Hubert von Meyerinck, Mascha Kaléko, Tilly Fleischer (natürlich mit der Behauptung eines gemeinsamen Kindes mit Hitler), Teddy Staufer und Helene Meyer schließt der Band. So erfährt man, dass Carla de Vries, die Frau, die im Schwimmbad versuchte, Hitler zu küssen, im November 1936 eine lebensmüde Frau zur Aufgabe eines Selbstmordversuch überredete. Wer das Niveau der Klatsch-und-Tratsch-Presse schätzt, ist mit dem vorliegenden Band bestens bedient.
Besprochenes Buch: Oliver Hilmes: Berlin 1936 - Sechzehn Tage im August, Siedler, 2016, 304 Seiten, 19,90 Euro.
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"Ein rasantes Porträt. Historische Quellen so lebendig zu machen ist ein Gewinn für den Leser." ZDF "aspekte"