Eve – eine Künstlerin mit einem Faible für Blumen und junge Männer – bereitet in London eine große Museumsretrospektive vor. Aber ihr Leben ist in Aufruhr: Ihre Ehe steht vor dem Aus, ihre Tochter ist eine Enttäuschung, ihre größte Rivalin setzt ihr zu, und ihre Affäre mit dem weitaus jüngeren Luka ist so berauschend wie gefährlich. Eve jedoch ist alles andere als ein zartes Pflänzchen. Die Geschichte einer kompromisslosen Künstlerin, die ihre Passion über alles stellt.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Schon mit ihrem Vorgängerroman bewies Annalena McAfee ihr Talent, persönliche Erfahrungen zu Literatur zu formen, erinnert sich Rezensent Rudolf von Bitter. Nachdem sie sich in "Zeilenkrieg" dem Journalisten-Milieu widmete, wendet sich die Literatur- und Kunstkritikerin nun der Kunstwelt zu, lesen wir. McAfee charakterisiert diese Welt beispielhaft an der Biografie ihrer Protagonistin Eve Laing. Die Sehnsucht nach dem Glanz der Londoner Galerien und Museen führte die junge Eve in den 70er Jahren an die Kunstakademie, wo sie in die Fänge eines wesentlich älteren Professors geriet, der sie manipulierte und sexuell belästigte. Viele Jahrzehnte später, sie hat sich inzwischen als Künstlerin einen Namen gemacht, erinnert sich die Sechzigjährige an diese Episode ihres Lebens, resümiert Bitter. Aus dem unsicheren und gebrochenen Mädchen ist eine machthungrige und missgünstige Frau geworden, der es eine Freude ist, ihren Freundinnen die Liebhaber auszuspannen und alles abzuwerten, das nicht von ihrer Hand stammt, fährt der Kritiker fort, der es große Freude macht, dieser unsympathischen Figur und ihrer raffinierten Bosheit zu folgen.Ein "zeitgemäßer realistischer Schauerroman", dem man jedoch ruhig ein wenig Ironie zutrauen darf, glaubt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.07.2021In jedem Liebhaber
ein Rachegedanke
Annalena McAfees Roman „Blütenschatten“
Während der fortgesetzte sexuelle Missbrauch Schutzbefohlener in Kirchen, Internaten und anderen Institutionen dieses Rangs die Gesellschaft noch in Atem hält, veranschaulicht Annalena McAfee am Beispiel eines Opfers, wie sich das schändliche Verhalten perpetuieren kann. Das Feld, auf dem sie das entwickelt, ist der Kulturbetrieb, wo nicht geistliche oder pädagogische Autoritäten ihr Tun unter das Siegel von Schweigen und Geheimnis stellen, sondern wo sich Künstler, Dichterfürsten und Chefdenker Autorität und Ausstrahlung zunutze machen. Wie da weggeschaut und ergeben den Meistern das Privileg zugestanden wird, sich zu vergreifen, das schafft die Atmosphäre, die Missbrauch begünstigt.
Annalena McAfee ist von Beruf Literatur- und Kunstkritikerin und war Redakteurin des Guardian und der Financial Times. Dass sie ihren Roman „Blütenschatten“ in dieser Szene spielen lässt, während sich dieselben Verhältnisse und Strukturen in allen sonst wie motivierten Kreisen finden lassen, in denen Geschmackssicherheit und Deutungshoheit die Kriterien sind und oft genug Charisma, Dienstfertigkeit und Intrigen den Ausschlag geben, erklärt sich aus ihrer besseren Kenntnis dieses Milieus. Wie perfekt sie aus dem Rohmaterial ihrer Erfahrungen Geschichten schafft, hat sie schon in dem satirischen Medien-Roman „Zeilenkrieg“ gezeigt. Da gerieten, in Gestalt einer ehrwürdigen Grande-Dame der Reportage und einer karriereorientierten Klatschreporterin, nicht nur zwei Generationen, sondern vor allem zwei divergierende Auffassungen von Journalismus aneinander.
Die Heldin des neuen Romans ist Eve Laing, die als Mädchen in den 1960er, 1970er Jahren den einengenden Verhältnissen des Elternhauses entkommen wollte und von der Grandezza träumte, die man in der Tate Gallery und in der Royal Albert Hall erleben kann. Mit ihrem ersten Freund durchstreifte sie die Galerien und Museen; eine „noch unausgegorene Sehnsucht“ hat sie zur Kunstakademie geführt.
Jetzt, mit sechzig, sitzt sie in der Londoner Tube und erinnert sich an ihre Anfänge als Mittelstandstochter, die in den Händen eines Scharlatans landete, der ihr in geballter Form das Gegenteil dessen zugefügt hat, von dem sie eigentlich träumte. In all ihrer Unsicherheit war sie leichte Beute für ihren Professor, der seinen sexuellen Appetit als liberale Offenheit gelten ließ und dafür sogar Anerkennung erntete. Der Professor „war fast vier Jahrzehnte älter als sie. Sie war eine arglose Studentin, die ehrfürchtig an seinem Aktzeichenseminar teilnahm. Er bat sie, Modell für ihn zu stehen, und wer konnte einer solchen Einladung zur Unsterblichkeit schon widerstehen? Mit einer zielgerichteten Kampagne, die man in jenen Tagen Verführung und heutzutage sexuelle Belästigung genannt hätte, lockte er sie in sein Bett.“ Erniedrigungen, zum Beispiel sie im Badezimmer warten zu lassen, während sich der Meister mit einer anderen Verehrerin verlustiert, hatte sie fügsam hingenommen.
Inzwischen hat Eve Laing den Gipfel ihrer Karriere erreicht. Russische Magnaten investieren in ihre Arbeiten, eine Retrospektive in New York ist in Vorbereitung. Was den künstlerischen Anspruch angeht, hat sie Mara und Wanda überflügelt, ihre beiden Kommilitoninnen von einst, mit denen sie in den 1970er Jahren nach New York zog, wo ihnen die anhaltende Aufbruchsstimmung der Pop- und Punkkultur den nötigen Schwung gab. Mara ist auf Psychotherapie umgestiegen, Wandas immersive und relationale Kunst erkennt Eve nicht an, obwohl Wanda damit rund um den Globus Erfolge feiert. Eve hatte sich immer als Rivalin ihrer früheren Freundinnen gesehen und es sich zum Ehrgeiz gemacht, den beiden die Lebensgefährten auf möglichst demütigende Weise auszuspannen, ihre Lebensentwürfe zu zertrümmern. Maras minderjährigen Adoptivsohn Theo hat sie verführt und dann fallengelassen, was für den Jungen ein Absturz wurde. Wandas Partner hat sie betrunken gemacht, bevor sie ihn in einer von Wandas Ausstellungen, in der die Künstlerin à la Marina Abramović präsent war, vor Wandas Augen und unter dem Gejohle des Ausstellungspublikums verführte. Eves Ehe mit dem Architekten Kristof Axness, die ihr damals vorkam wie ein Happy End, ist endgültig zerstört.
Sie hat soeben noch einmal einen Blick in das erleuchtete Wohnzimmer geworfen, wo sich bereits ihre Nachfolgerin auf einem Sessel räkelt, und begibt sich nun zu ihrem Atelier mit Schlafmöglichkeit in einem aufgelassenen Industriegebiet in Londons Osten. Dort liegt unter ihrer letzten Arbeit die ausgeblutete Leiche ihres 30 Jahre jüngeren Lovers Luka. Er hat sich in einem Handgemenge mit ihr den Puls aufgeschnitten, nachdem sie entdeckt hatte, dass er und seine vorgetäuschte Liebe Teil einer umfassend angelegten Intrige sind, mit der sich Wanda für die frühere Schmach rächt.
In einem Interview mit dem Guardian hat McAfee erklärt, dass ihr die Ausarbeitung der Figur der Eve Laing, dieses „eher unangenehmen Charakters“, Freude gemacht habe, die Entwicklung vom missbrauchten Vorstadtkind zu einem „Monster der Selbstsucht“, wie die Autorin es nennt. Und tatsächlich ist Eve eine besondere Persönlichkeit, es liegt ein eigenwilliger Spaß in ihrer Bosheit. Im Ton der Fürsorglichkeit wertet Eve alles ab, was andere leisten, sie sucht Bestätigung in Dominanz, ist eifersüchtig, versetzt links und rechts ihre Tiefschläge und rühmt sich, damit etwas Gutes bewirkt zu haben. Wenn ihr dafür nicht gedankt wird, empfindet sie das als Affront und holt zu einem weiteren Tiefschlag aus. Ein Pendant wäre die Figur des mad scientist, des verrückten Wissenschaftlers, der ohne Rücksicht auf Verluste seine Experimente durchziehen will, der sich auszeichnet durch Größenwahn, Prahlsucht und den zwanghaften Drang, Herrschaft über andere zu erlangen.
Dass der nacherzählte innere Monolog dieser Künstlerin mit seinen Sprüngen und Unterbrechungen spannend bleibt, ist nicht zuletzt das Verdienst der Übersetzer pociao und Roberto de Hollanda. Eves Doppelbödigkeit kann sich in einzelnen Sätzen spiegeln: Wenn sie im Nachhinein ihr „damaliges sexuelles Verlangen, das einen Großteil ihrer späten Teenager- und frühen Zwanzigerjahre verschlang, hektisch und dämlich“ findet, klingt es eher großspurig, als spräche sie von der Vergangenheit. Tatsächlich verharmlost sie so den Schaden, den sie zum Beispiel im Leben des Jungen Theo angerichtet hat. Und vergangen ist nichts, vielmehr wird Eves Verlangen noch von Wanda benutzt, die ihr den hübschen jungen Luka als eine Art trojanisches Pferd geschickt hat. Aber Eve münzt auch das um zu einem Triumph. Mit Lukas Blut als idealer Farbe vollendet sie den letzten Teils ihres Bilderzyklus’ und erlebt es als Erfüllung ihrer Mission. Ihre beinharte Konsequenz ist die Konsequenz der Autorin beim Verfassen eines zeitgemäßen, realistischen Schauerromans, dessen Grausamkeit sich mildert, wenn man ihr ein Quentchen Ironie unterstellt.
RUDOLF VON BITTER
Seine Taktik hätte man in jenen
Tagen Verführung und heute
sexuelle Belästigung genannt
Annalena McAfee:
Blütenschatten. Roman. Aus dem Englischen von pociao und Roberto de Hollanda. Diogenes, Zürich 2021. 327 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
ein Rachegedanke
Annalena McAfees Roman „Blütenschatten“
Während der fortgesetzte sexuelle Missbrauch Schutzbefohlener in Kirchen, Internaten und anderen Institutionen dieses Rangs die Gesellschaft noch in Atem hält, veranschaulicht Annalena McAfee am Beispiel eines Opfers, wie sich das schändliche Verhalten perpetuieren kann. Das Feld, auf dem sie das entwickelt, ist der Kulturbetrieb, wo nicht geistliche oder pädagogische Autoritäten ihr Tun unter das Siegel von Schweigen und Geheimnis stellen, sondern wo sich Künstler, Dichterfürsten und Chefdenker Autorität und Ausstrahlung zunutze machen. Wie da weggeschaut und ergeben den Meistern das Privileg zugestanden wird, sich zu vergreifen, das schafft die Atmosphäre, die Missbrauch begünstigt.
Annalena McAfee ist von Beruf Literatur- und Kunstkritikerin und war Redakteurin des Guardian und der Financial Times. Dass sie ihren Roman „Blütenschatten“ in dieser Szene spielen lässt, während sich dieselben Verhältnisse und Strukturen in allen sonst wie motivierten Kreisen finden lassen, in denen Geschmackssicherheit und Deutungshoheit die Kriterien sind und oft genug Charisma, Dienstfertigkeit und Intrigen den Ausschlag geben, erklärt sich aus ihrer besseren Kenntnis dieses Milieus. Wie perfekt sie aus dem Rohmaterial ihrer Erfahrungen Geschichten schafft, hat sie schon in dem satirischen Medien-Roman „Zeilenkrieg“ gezeigt. Da gerieten, in Gestalt einer ehrwürdigen Grande-Dame der Reportage und einer karriereorientierten Klatschreporterin, nicht nur zwei Generationen, sondern vor allem zwei divergierende Auffassungen von Journalismus aneinander.
Die Heldin des neuen Romans ist Eve Laing, die als Mädchen in den 1960er, 1970er Jahren den einengenden Verhältnissen des Elternhauses entkommen wollte und von der Grandezza träumte, die man in der Tate Gallery und in der Royal Albert Hall erleben kann. Mit ihrem ersten Freund durchstreifte sie die Galerien und Museen; eine „noch unausgegorene Sehnsucht“ hat sie zur Kunstakademie geführt.
Jetzt, mit sechzig, sitzt sie in der Londoner Tube und erinnert sich an ihre Anfänge als Mittelstandstochter, die in den Händen eines Scharlatans landete, der ihr in geballter Form das Gegenteil dessen zugefügt hat, von dem sie eigentlich träumte. In all ihrer Unsicherheit war sie leichte Beute für ihren Professor, der seinen sexuellen Appetit als liberale Offenheit gelten ließ und dafür sogar Anerkennung erntete. Der Professor „war fast vier Jahrzehnte älter als sie. Sie war eine arglose Studentin, die ehrfürchtig an seinem Aktzeichenseminar teilnahm. Er bat sie, Modell für ihn zu stehen, und wer konnte einer solchen Einladung zur Unsterblichkeit schon widerstehen? Mit einer zielgerichteten Kampagne, die man in jenen Tagen Verführung und heutzutage sexuelle Belästigung genannt hätte, lockte er sie in sein Bett.“ Erniedrigungen, zum Beispiel sie im Badezimmer warten zu lassen, während sich der Meister mit einer anderen Verehrerin verlustiert, hatte sie fügsam hingenommen.
Inzwischen hat Eve Laing den Gipfel ihrer Karriere erreicht. Russische Magnaten investieren in ihre Arbeiten, eine Retrospektive in New York ist in Vorbereitung. Was den künstlerischen Anspruch angeht, hat sie Mara und Wanda überflügelt, ihre beiden Kommilitoninnen von einst, mit denen sie in den 1970er Jahren nach New York zog, wo ihnen die anhaltende Aufbruchsstimmung der Pop- und Punkkultur den nötigen Schwung gab. Mara ist auf Psychotherapie umgestiegen, Wandas immersive und relationale Kunst erkennt Eve nicht an, obwohl Wanda damit rund um den Globus Erfolge feiert. Eve hatte sich immer als Rivalin ihrer früheren Freundinnen gesehen und es sich zum Ehrgeiz gemacht, den beiden die Lebensgefährten auf möglichst demütigende Weise auszuspannen, ihre Lebensentwürfe zu zertrümmern. Maras minderjährigen Adoptivsohn Theo hat sie verführt und dann fallengelassen, was für den Jungen ein Absturz wurde. Wandas Partner hat sie betrunken gemacht, bevor sie ihn in einer von Wandas Ausstellungen, in der die Künstlerin à la Marina Abramović präsent war, vor Wandas Augen und unter dem Gejohle des Ausstellungspublikums verführte. Eves Ehe mit dem Architekten Kristof Axness, die ihr damals vorkam wie ein Happy End, ist endgültig zerstört.
Sie hat soeben noch einmal einen Blick in das erleuchtete Wohnzimmer geworfen, wo sich bereits ihre Nachfolgerin auf einem Sessel räkelt, und begibt sich nun zu ihrem Atelier mit Schlafmöglichkeit in einem aufgelassenen Industriegebiet in Londons Osten. Dort liegt unter ihrer letzten Arbeit die ausgeblutete Leiche ihres 30 Jahre jüngeren Lovers Luka. Er hat sich in einem Handgemenge mit ihr den Puls aufgeschnitten, nachdem sie entdeckt hatte, dass er und seine vorgetäuschte Liebe Teil einer umfassend angelegten Intrige sind, mit der sich Wanda für die frühere Schmach rächt.
In einem Interview mit dem Guardian hat McAfee erklärt, dass ihr die Ausarbeitung der Figur der Eve Laing, dieses „eher unangenehmen Charakters“, Freude gemacht habe, die Entwicklung vom missbrauchten Vorstadtkind zu einem „Monster der Selbstsucht“, wie die Autorin es nennt. Und tatsächlich ist Eve eine besondere Persönlichkeit, es liegt ein eigenwilliger Spaß in ihrer Bosheit. Im Ton der Fürsorglichkeit wertet Eve alles ab, was andere leisten, sie sucht Bestätigung in Dominanz, ist eifersüchtig, versetzt links und rechts ihre Tiefschläge und rühmt sich, damit etwas Gutes bewirkt zu haben. Wenn ihr dafür nicht gedankt wird, empfindet sie das als Affront und holt zu einem weiteren Tiefschlag aus. Ein Pendant wäre die Figur des mad scientist, des verrückten Wissenschaftlers, der ohne Rücksicht auf Verluste seine Experimente durchziehen will, der sich auszeichnet durch Größenwahn, Prahlsucht und den zwanghaften Drang, Herrschaft über andere zu erlangen.
Dass der nacherzählte innere Monolog dieser Künstlerin mit seinen Sprüngen und Unterbrechungen spannend bleibt, ist nicht zuletzt das Verdienst der Übersetzer pociao und Roberto de Hollanda. Eves Doppelbödigkeit kann sich in einzelnen Sätzen spiegeln: Wenn sie im Nachhinein ihr „damaliges sexuelles Verlangen, das einen Großteil ihrer späten Teenager- und frühen Zwanzigerjahre verschlang, hektisch und dämlich“ findet, klingt es eher großspurig, als spräche sie von der Vergangenheit. Tatsächlich verharmlost sie so den Schaden, den sie zum Beispiel im Leben des Jungen Theo angerichtet hat. Und vergangen ist nichts, vielmehr wird Eves Verlangen noch von Wanda benutzt, die ihr den hübschen jungen Luka als eine Art trojanisches Pferd geschickt hat. Aber Eve münzt auch das um zu einem Triumph. Mit Lukas Blut als idealer Farbe vollendet sie den letzten Teils ihres Bilderzyklus’ und erlebt es als Erfüllung ihrer Mission. Ihre beinharte Konsequenz ist die Konsequenz der Autorin beim Verfassen eines zeitgemäßen, realistischen Schauerromans, dessen Grausamkeit sich mildert, wenn man ihr ein Quentchen Ironie unterstellt.
RUDOLF VON BITTER
Seine Taktik hätte man in jenen
Tagen Verführung und heute
sexuelle Belästigung genannt
Annalena McAfee:
Blütenschatten. Roman. Aus dem Englischen von pociao und Roberto de Hollanda. Diogenes, Zürich 2021. 327 Seiten, 24 Euro.
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»Der Roman 'Blütenschatten' entwickelt sich vom Porträt einer Frau zu einem atemberaubenden Thriller.« Gala Gala
In jedem Liebhaber
ein Rachegedanke
Annalena McAfees Roman „Blütenschatten“
Während der fortgesetzte sexuelle Missbrauch Schutzbefohlener in Kirchen, Internaten und anderen Institutionen dieses Rangs die Gesellschaft noch in Atem hält, veranschaulicht Annalena McAfee am Beispiel eines Opfers, wie sich das schändliche Verhalten perpetuieren kann. Das Feld, auf dem sie das entwickelt, ist der Kulturbetrieb, wo nicht geistliche oder pädagogische Autoritäten ihr Tun unter das Siegel von Schweigen und Geheimnis stellen, sondern wo sich Künstler, Dichterfürsten und Chefdenker Autorität und Ausstrahlung zunutze machen. Wie da weggeschaut und ergeben den Meistern das Privileg zugestanden wird, sich zu vergreifen, das schafft die Atmosphäre, die Missbrauch begünstigt.
Annalena McAfee ist von Beruf Literatur- und Kunstkritikerin und war Redakteurin des Guardian und der Financial Times. Dass sie ihren Roman „Blütenschatten“ in dieser Szene spielen lässt, während sich dieselben Verhältnisse und Strukturen in allen sonst wie motivierten Kreisen finden lassen, in denen Geschmackssicherheit und Deutungshoheit die Kriterien sind und oft genug Charisma, Dienstfertigkeit und Intrigen den Ausschlag geben, erklärt sich aus ihrer besseren Kenntnis dieses Milieus. Wie perfekt sie aus dem Rohmaterial ihrer Erfahrungen Geschichten schafft, hat sie schon in dem satirischen Medien-Roman „Zeilenkrieg“ gezeigt. Da gerieten, in Gestalt einer ehrwürdigen Grande-Dame der Reportage und einer karriereorientierten Klatschreporterin, nicht nur zwei Generationen, sondern vor allem zwei divergierende Auffassungen von Journalismus aneinander.
Die Heldin des neuen Romans ist Eve Laing, die als Mädchen in den 1960er, 1970er Jahren den einengenden Verhältnissen des Elternhauses entkommen wollte und von der Grandezza träumte, die man in der Tate Gallery und in der Royal Albert Hall erleben kann. Mit ihrem ersten Freund durchstreifte sie die Galerien und Museen; eine „noch unausgegorene Sehnsucht“ hat sie zur Kunstakademie geführt.
Jetzt, mit sechzig, sitzt sie in der Londoner Tube und erinnert sich an ihre Anfänge als Mittelstandstochter, die in den Händen eines Scharlatans landete, der ihr in geballter Form das Gegenteil dessen zugefügt hat, von dem sie eigentlich träumte. In all ihrer Unsicherheit war sie leichte Beute für ihren Professor, der seinen sexuellen Appetit als liberale Offenheit gelten ließ und dafür sogar Anerkennung erntete. Der Professor „war fast vier Jahrzehnte älter als sie. Sie war eine arglose Studentin, die ehrfürchtig an seinem Aktzeichenseminar teilnahm. Er bat sie, Modell für ihn zu stehen, und wer konnte einer solchen Einladung zur Unsterblichkeit schon widerstehen? Mit einer zielgerichteten Kampagne, die man in jenen Tagen Verführung und heutzutage sexuelle Belästigung genannt hätte, lockte er sie in sein Bett.“ Erniedrigungen, zum Beispiel sie im Badezimmer warten zu lassen, während sich der Meister mit einer anderen Verehrerin verlustiert, hatte sie fügsam hingenommen.
Inzwischen hat Eve Laing den Gipfel ihrer Karriere erreicht. Russische Magnaten investieren in ihre Arbeiten, eine Retrospektive in New York ist in Vorbereitung. Was den künstlerischen Anspruch angeht, hat sie Mara und Wanda überflügelt, ihre beiden Kommilitoninnen von einst, mit denen sie in den 1970er Jahren nach New York zog, wo ihnen die anhaltende Aufbruchsstimmung der Pop- und Punkkultur den nötigen Schwung gab. Mara ist auf Psychotherapie umgestiegen, Wandas immersive und relationale Kunst erkennt Eve nicht an, obwohl Wanda damit rund um den Globus Erfolge feiert. Eve hatte sich immer als Rivalin ihrer früheren Freundinnen gesehen und es sich zum Ehrgeiz gemacht, den beiden die Lebensgefährten auf möglichst demütigende Weise auszuspannen, ihre Lebensentwürfe zu zertrümmern. Maras minderjährigen Adoptivsohn Theo hat sie verführt und dann fallengelassen, was für den Jungen ein Absturz wurde. Wandas Partner hat sie betrunken gemacht, bevor sie ihn in einer von Wandas Ausstellungen, in der die Künstlerin à la Marina Abramović präsent war, vor Wandas Augen und unter dem Gejohle des Ausstellungspublikums verführte. Eves Ehe mit dem Architekten Kristof Axness, die ihr damals vorkam wie ein Happy End, ist endgültig zerstört.
Sie hat soeben noch einmal einen Blick in das erleuchtete Wohnzimmer geworfen, wo sich bereits ihre Nachfolgerin auf einem Sessel räkelt, und begibt sich nun zu ihrem Atelier mit Schlafmöglichkeit in einem aufgelassenen Industriegebiet in Londons Osten. Dort liegt unter ihrer letzten Arbeit die ausgeblutete Leiche ihres 30 Jahre jüngeren Lovers Luka. Er hat sich in einem Handgemenge mit ihr den Puls aufgeschnitten, nachdem sie entdeckt hatte, dass er und seine vorgetäuschte Liebe Teil einer umfassend angelegten Intrige sind, mit der sich Wanda für die frühere Schmach rächt.
In einem Interview mit dem Guardian hat McAfee erklärt, dass ihr die Ausarbeitung der Figur der Eve Laing, dieses „eher unangenehmen Charakters“, Freude gemacht habe, die Entwicklung vom missbrauchten Vorstadtkind zu einem „Monster der Selbstsucht“, wie die Autorin es nennt. Und tatsächlich ist Eve eine besondere Persönlichkeit, es liegt ein eigenwilliger Spaß in ihrer Bosheit. Im Ton der Fürsorglichkeit wertet Eve alles ab, was andere leisten, sie sucht Bestätigung in Dominanz, ist eifersüchtig, versetzt links und rechts ihre Tiefschläge und rühmt sich, damit etwas Gutes bewirkt zu haben. Wenn ihr dafür nicht gedankt wird, empfindet sie das als Affront und holt zu einem weiteren Tiefschlag aus. Ein Pendant wäre die Figur des mad scientist, des verrückten Wissenschaftlers, der ohne Rücksicht auf Verluste seine Experimente durchziehen will, der sich auszeichnet durch Größenwahn, Prahlsucht und den zwanghaften Drang, Herrschaft über andere zu erlangen.
Dass der nacherzählte innere Monolog dieser Künstlerin mit seinen Sprüngen und Unterbrechungen spannend bleibt, ist nicht zuletzt das Verdienst der Übersetzer pociao und Roberto de Hollanda. Eves Doppelbödigkeit kann sich in einzelnen Sätzen spiegeln: Wenn sie im Nachhinein ihr „damaliges sexuelles Verlangen, das einen Großteil ihrer späten Teenager- und frühen Zwanzigerjahre verschlang, hektisch und dämlich“ findet, klingt es eher großspurig, als spräche sie von der Vergangenheit. Tatsächlich verharmlost sie so den Schaden, den sie zum Beispiel im Leben des Jungen Theo angerichtet hat. Und vergangen ist nichts, vielmehr wird Eves Verlangen noch von Wanda benutzt, die ihr den hübschen jungen Luka als eine Art trojanisches Pferd geschickt hat. Aber Eve münzt auch das um zu einem Triumph. Mit Lukas Blut als idealer Farbe vollendet sie den letzten Teils ihres Bilderzyklus’ und erlebt es als Erfüllung ihrer Mission. Ihre beinharte Konsequenz ist die Konsequenz der Autorin beim Verfassen eines zeitgemäßen, realistischen Schauerromans, dessen Grausamkeit sich mildert, wenn man ihr ein Quentchen Ironie unterstellt.
RUDOLF VON BITTER
Seine Taktik hätte man in jenen
Tagen Verführung und heute
sexuelle Belästigung genannt
Annalena McAfee:
Blütenschatten. Roman. Aus dem Englischen von pociao und Roberto de Hollanda. Diogenes, Zürich 2021. 327 Seiten, 24 Euro.
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ein Rachegedanke
Annalena McAfees Roman „Blütenschatten“
Während der fortgesetzte sexuelle Missbrauch Schutzbefohlener in Kirchen, Internaten und anderen Institutionen dieses Rangs die Gesellschaft noch in Atem hält, veranschaulicht Annalena McAfee am Beispiel eines Opfers, wie sich das schändliche Verhalten perpetuieren kann. Das Feld, auf dem sie das entwickelt, ist der Kulturbetrieb, wo nicht geistliche oder pädagogische Autoritäten ihr Tun unter das Siegel von Schweigen und Geheimnis stellen, sondern wo sich Künstler, Dichterfürsten und Chefdenker Autorität und Ausstrahlung zunutze machen. Wie da weggeschaut und ergeben den Meistern das Privileg zugestanden wird, sich zu vergreifen, das schafft die Atmosphäre, die Missbrauch begünstigt.
Annalena McAfee ist von Beruf Literatur- und Kunstkritikerin und war Redakteurin des Guardian und der Financial Times. Dass sie ihren Roman „Blütenschatten“ in dieser Szene spielen lässt, während sich dieselben Verhältnisse und Strukturen in allen sonst wie motivierten Kreisen finden lassen, in denen Geschmackssicherheit und Deutungshoheit die Kriterien sind und oft genug Charisma, Dienstfertigkeit und Intrigen den Ausschlag geben, erklärt sich aus ihrer besseren Kenntnis dieses Milieus. Wie perfekt sie aus dem Rohmaterial ihrer Erfahrungen Geschichten schafft, hat sie schon in dem satirischen Medien-Roman „Zeilenkrieg“ gezeigt. Da gerieten, in Gestalt einer ehrwürdigen Grande-Dame der Reportage und einer karriereorientierten Klatschreporterin, nicht nur zwei Generationen, sondern vor allem zwei divergierende Auffassungen von Journalismus aneinander.
Die Heldin des neuen Romans ist Eve Laing, die als Mädchen in den 1960er, 1970er Jahren den einengenden Verhältnissen des Elternhauses entkommen wollte und von der Grandezza träumte, die man in der Tate Gallery und in der Royal Albert Hall erleben kann. Mit ihrem ersten Freund durchstreifte sie die Galerien und Museen; eine „noch unausgegorene Sehnsucht“ hat sie zur Kunstakademie geführt.
Jetzt, mit sechzig, sitzt sie in der Londoner Tube und erinnert sich an ihre Anfänge als Mittelstandstochter, die in den Händen eines Scharlatans landete, der ihr in geballter Form das Gegenteil dessen zugefügt hat, von dem sie eigentlich träumte. In all ihrer Unsicherheit war sie leichte Beute für ihren Professor, der seinen sexuellen Appetit als liberale Offenheit gelten ließ und dafür sogar Anerkennung erntete. Der Professor „war fast vier Jahrzehnte älter als sie. Sie war eine arglose Studentin, die ehrfürchtig an seinem Aktzeichenseminar teilnahm. Er bat sie, Modell für ihn zu stehen, und wer konnte einer solchen Einladung zur Unsterblichkeit schon widerstehen? Mit einer zielgerichteten Kampagne, die man in jenen Tagen Verführung und heutzutage sexuelle Belästigung genannt hätte, lockte er sie in sein Bett.“ Erniedrigungen, zum Beispiel sie im Badezimmer warten zu lassen, während sich der Meister mit einer anderen Verehrerin verlustiert, hatte sie fügsam hingenommen.
Inzwischen hat Eve Laing den Gipfel ihrer Karriere erreicht. Russische Magnaten investieren in ihre Arbeiten, eine Retrospektive in New York ist in Vorbereitung. Was den künstlerischen Anspruch angeht, hat sie Mara und Wanda überflügelt, ihre beiden Kommilitoninnen von einst, mit denen sie in den 1970er Jahren nach New York zog, wo ihnen die anhaltende Aufbruchsstimmung der Pop- und Punkkultur den nötigen Schwung gab. Mara ist auf Psychotherapie umgestiegen, Wandas immersive und relationale Kunst erkennt Eve nicht an, obwohl Wanda damit rund um den Globus Erfolge feiert. Eve hatte sich immer als Rivalin ihrer früheren Freundinnen gesehen und es sich zum Ehrgeiz gemacht, den beiden die Lebensgefährten auf möglichst demütigende Weise auszuspannen, ihre Lebensentwürfe zu zertrümmern. Maras minderjährigen Adoptivsohn Theo hat sie verführt und dann fallengelassen, was für den Jungen ein Absturz wurde. Wandas Partner hat sie betrunken gemacht, bevor sie ihn in einer von Wandas Ausstellungen, in der die Künstlerin à la Marina Abramović präsent war, vor Wandas Augen und unter dem Gejohle des Ausstellungspublikums verführte. Eves Ehe mit dem Architekten Kristof Axness, die ihr damals vorkam wie ein Happy End, ist endgültig zerstört.
Sie hat soeben noch einmal einen Blick in das erleuchtete Wohnzimmer geworfen, wo sich bereits ihre Nachfolgerin auf einem Sessel räkelt, und begibt sich nun zu ihrem Atelier mit Schlafmöglichkeit in einem aufgelassenen Industriegebiet in Londons Osten. Dort liegt unter ihrer letzten Arbeit die ausgeblutete Leiche ihres 30 Jahre jüngeren Lovers Luka. Er hat sich in einem Handgemenge mit ihr den Puls aufgeschnitten, nachdem sie entdeckt hatte, dass er und seine vorgetäuschte Liebe Teil einer umfassend angelegten Intrige sind, mit der sich Wanda für die frühere Schmach rächt.
In einem Interview mit dem Guardian hat McAfee erklärt, dass ihr die Ausarbeitung der Figur der Eve Laing, dieses „eher unangenehmen Charakters“, Freude gemacht habe, die Entwicklung vom missbrauchten Vorstadtkind zu einem „Monster der Selbstsucht“, wie die Autorin es nennt. Und tatsächlich ist Eve eine besondere Persönlichkeit, es liegt ein eigenwilliger Spaß in ihrer Bosheit. Im Ton der Fürsorglichkeit wertet Eve alles ab, was andere leisten, sie sucht Bestätigung in Dominanz, ist eifersüchtig, versetzt links und rechts ihre Tiefschläge und rühmt sich, damit etwas Gutes bewirkt zu haben. Wenn ihr dafür nicht gedankt wird, empfindet sie das als Affront und holt zu einem weiteren Tiefschlag aus. Ein Pendant wäre die Figur des mad scientist, des verrückten Wissenschaftlers, der ohne Rücksicht auf Verluste seine Experimente durchziehen will, der sich auszeichnet durch Größenwahn, Prahlsucht und den zwanghaften Drang, Herrschaft über andere zu erlangen.
Dass der nacherzählte innere Monolog dieser Künstlerin mit seinen Sprüngen und Unterbrechungen spannend bleibt, ist nicht zuletzt das Verdienst der Übersetzer pociao und Roberto de Hollanda. Eves Doppelbödigkeit kann sich in einzelnen Sätzen spiegeln: Wenn sie im Nachhinein ihr „damaliges sexuelles Verlangen, das einen Großteil ihrer späten Teenager- und frühen Zwanzigerjahre verschlang, hektisch und dämlich“ findet, klingt es eher großspurig, als spräche sie von der Vergangenheit. Tatsächlich verharmlost sie so den Schaden, den sie zum Beispiel im Leben des Jungen Theo angerichtet hat. Und vergangen ist nichts, vielmehr wird Eves Verlangen noch von Wanda benutzt, die ihr den hübschen jungen Luka als eine Art trojanisches Pferd geschickt hat. Aber Eve münzt auch das um zu einem Triumph. Mit Lukas Blut als idealer Farbe vollendet sie den letzten Teils ihres Bilderzyklus’ und erlebt es als Erfüllung ihrer Mission. Ihre beinharte Konsequenz ist die Konsequenz der Autorin beim Verfassen eines zeitgemäßen, realistischen Schauerromans, dessen Grausamkeit sich mildert, wenn man ihr ein Quentchen Ironie unterstellt.
RUDOLF VON BITTER
Seine Taktik hätte man in jenen
Tagen Verführung und heute
sexuelle Belästigung genannt
Annalena McAfee:
Blütenschatten. Roman. Aus dem Englischen von pociao und Roberto de Hollanda. Diogenes, Zürich 2021. 327 Seiten, 24 Euro.
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