Ist der Status quo der Führung in Deutschland wirklich so korrekturbedürftig, dass es eines solchen Buches bedarf? Haben wir in unseren Unternehmen tatsächlich den "Anstand" verloren? Im Mittelpunkt steht das Führen der arbeitenden Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit, mit ihrem Recht auf Würde,
Respekt, Vertrauen und ihrem deshalb berechtigten Anspruch auf "anständige" Behandlung. Deren Wirkung…mehrIst der Status quo der Führung in Deutschland wirklich so korrekturbedürftig, dass es eines solchen Buches bedarf? Haben wir in unseren Unternehmen tatsächlich den "Anstand" verloren? Im Mittelpunkt steht das Führen der arbeitenden Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit, mit ihrem Recht auf Würde, Respekt, Vertrauen und ihrem deshalb berechtigten Anspruch auf "anständige" Behandlung. Deren Wirkung ist nach Sprenger höhere Zufriedenheit, Kreativität, Qualität und damit auch bessere Wettbewerbsfähigkeit.
Manipulation und Instrumentalisierung lehnt er konsequent ab. Stark kritisiert er den Verlust an nötiger Distanz zwischen Unternehmen und Belegschaft durch den Zwang zur permanenten Selbstoptimierung und die totale Aufhebung der Trennungslinie zwischen Beruf und Privat. Er nennt das "Totalinklusion". Und er kritisiert den oft unüberlegten wie unnötigen Aktionismus getriebener Manager, die dadurch häufig Frustrationen und damit Schaden für ihre Leute und ihr Unternehmen erzeugen. Diese Kritik kann man nur bestätigen. Als Führungskraft macht man schon viel richtig, wenn man auf Redundantes verzichtet und es unterlässt, seine Leute zu nerven und zu demotivieren.
Unternehmen verlangen laut Sprenger enorme Identifikation und zeigen gleichzeitig einen unverfrorenen Mangel an Distanz gegenüber ihren Leuten und deren berechtigten Interessen. Dies bezeichnet er als "Institutionelle Demütigung des arbeitenden Menschen" durch Distanzverlust zwischen ihm und der Arbeitswelt.
Oberflächlich ist Sprenger dabei nie! Ganz im Gegenteil. So widmet er alleine dem "Was ist Anstand?" ganze zehn Seiten. Vielleicht wäre manchmal etwas weniger mehr gewesen.
Kern des Buches sind fünf trivial klingende Prinzipien, die Unternehmen zu "anständigen" machen. Zu diesen geht er sehr in Details und bietet Alternativen an. Am Ende jedes Abschnittes pointiert er seine Handlungsmaximen mit der regelmäßigen Formel "Ein anständiges Unternehmen unterlässt es…" und seinen konkreten Vorgaben.
Beileibe muss man nicht alles bestätigen, was der Autor herausarbeitet und vertritt. Manches macht er einfacher, als es in der Führungsrealität ist. Zu manchen seiner Beispiele ließen sich Gegenbeispiele bringen. Manche seiner Forderungen wie zum Beispiel feste Arbeitsverträge abzuschaffen und durch Zeitverträge zu ersetzen, stehen dann doch im Widerspruch zu seiner sonstigen Verteidigung der Würde und der Interessen der Mitarbeiter. Aber immerhin - er begründet seine Ideen in lesenswerter Weise. Sehr lesenswert übrigens auch seine Sicht der Frauenförderung mit der Überschrift "Die Pathologisierung des Mannes".
Vieles lehnt er ab: Führungskonzepte, Unternehmensleitlinien, Feedback-Kultur, regelmäßige Mitarbeitergespräche und selbst eine Vorbildaufgabe von Führungskräften. Dem muss man nicht folgen. Sicherlich spielt Reinhard K. Sprenger auch gerne die Rolle des agent provocateur, um sich seine Identität als Vordenker und sein Alleinstellungsmerkmal zu erhalten.
Ohne Zweifel aber ist er ein Impulsgeber dafür, über Führung neu und gründlich nachzudenken und Dummheiten und erst recht Entgleisungen zu korrigieren.
Insgesamt ist Sprengers neues Buch auch ein Handbuch zur praktischen Unternehmensethik und eine Philippika für Werte wie Vertrauen, Würde und Anstand.
In der Tat haben wir zu viel Management und erleben zu wenig "anständige" Führung. Menschen erleben unser Wirtschaftssystem vor allem an ihren Arbeitsplätzen, womit über die Qualität ihres Berufslebens und mit Folgewirkungen auch ihres Privatlebens entschieden wird. Anständige Führung ist aus seiner Sicht positiv systemrelevant, denn sie nützt Unternehmen, Mitarbeitern, Kunden, Kapitaleignern und der gesamten Gesellschaft.
Wer sollte das Buch lesen? Alle, die in irgendeiner Weise in Führungsverantwortung stehen. Allen voran aber Unternehmenslenker, Vorstände und Geschäftsführer, denen bewusst sein muss, dass "anständige" Unternehmens- oder Betriebsführung Teil ihrer Verantwortung ist.