Ein Heidelberger „Heimatroman“
Ich gebe ja zu, dass ich bei diesem Buch einen Heimvorteil habe. Ijoma Mangold wuchs in Dossenheim auf und ging in Heidelberg ans KFG. Kontakt zur Heidelberger Elite habe ich nicht. So fand ich es spannend, wenn er von seinen Mitschülerinnen mit Villen am
Philosophenweg und Schloss erzählt.
Vorher liegt seine besondere Kindheit, weil er einen afrikanischen…mehrEin Heidelberger „Heimatroman“
Ich gebe ja zu, dass ich bei diesem Buch einen Heimvorteil habe. Ijoma Mangold wuchs in Dossenheim auf und ging in Heidelberg ans KFG. Kontakt zur Heidelberger Elite habe ich nicht. So fand ich es spannend, wenn er von seinen Mitschülerinnen mit Villen am Philosophenweg und Schloss erzählt.
Vorher liegt seine besondere Kindheit, weil er einen afrikanischen Vater hat, zu dem er aber in der Kindheit keinen Kontakt hatte. Er selbst erlebt keinen Rassismus, erst gegen Ende wird klar, dass seine Mutter ihn beschützt hat, obwohl auch die genannten Fälle im Vergleich zu Pirincci harmlos erscheinen. Gut gefällt mir, dass in der Kindheit immer von „der Junge“ spricht und erst ab der Jugend als Ich-Erzähler auftritt, also erst wenn man von einem freien Willen sprechen kann.
Die Mutter wurde als 7jährige aus Schlesien vertrieben, lernte in Bagow im Fontane-Land schwimmen, bevor es weiter nach Westen ging. Die Großmutter musste die Flucht mit ihren Kinder alleine bewältigen, da sich der Großvater noch im letzten Kriegsjahr entschloss an der Front zu kämpfen und vermisst wird. Der Gedanke, dass der Großvater als Reichsbahnmitarbeiter an der Judenverfolgung beteiligt war und deswegen den Ausweg an der Front suchte, ist plausibel, war mir aber neu. Seine Frau durfte lebenslang umsonst mit der Bahn fahren, was den Jungen begeisterte. Deswegen wünschte er sich auch die Märklin-Lok „das deutsche Krokodil.“
Über kirchliche Stellen sich hocharbeitend, kam seine Mama in die USA, arbeitete dort mit Schwarzen, wurde dann in Heidelberg Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, was Maurer eines Nachbarhauses witzig finden. Sie lernte seinen Vater bei politischen Treffen kennen. Im Gegensatz zu seinen Mitschülern wuchs der Autor aber nicht im Reichtum auf, im Gegenteil seine Mutter musste sich manchmal sogar Geld leihen.
Wir erfahren noch, dass er sich mit dem SDR-Redakteur „Tenno“ in Heidelberg traf, Thomas Mann und Wagner liebte und in der Theater-AG groß wurde. Was aus der eigenen Theatergruppe wurde, erfahren wir leider nicht.
All das ist erst die Hälfte des Buches, denn als 22jähriger erhält der Ich-Erzähler in München beim Studium der Literaturwissenschaft einen Brief seines Vaters aus Nigeria. Er kommt nach Deutschland. Bald darauf reiste der Autor nach Nigeria. Es wird klar, dass sein Vater den Kontakt suchte, weil seine Halbbrüder kurz zuvor an einer Erbkrankheit starben und er einen männlichen Erben haben will. Doch die nigerianische Kultur behagt den Autor nicht. Er lehnt das Angebot des Vaters ab und reist nicht wieder nach Nigeria.
Zwei Themen habe ich noch nicht genannt: Zum einen spielt die Religion immer wieder eine Rolle. Obwohl Mama für die Kirche arbeitete, entschiedet sie ihr Kind nicht zu taufen, da er es selbst entscheiden soll. Dennoch lernt Ijoma im KFG Hebräisch, vielleicht weil er mit einer Israel-Reise geködert wurde. Seine afrikanische Familie gehören der Freikirche an und können seinen Unglauben nicht verstehen, eine spontane Taufe lehnt er ab.
Zum anderen spielt die Erinnerung eine große Rolle. In den USA findet er durch einen Lexikon-Eintrag heraus, dass sein Vater nach seiner Geburt nicht direkt nach Nigeria zurückging, sondern noch in Bochum studierte und seine Frau von seinem Stamm zu ihm geschickt wurde. Nach dem rührende Tod seiner Mutter liest er Jahre später ihre Briefe, um noch herauszufinden, ob sie das wusste. Mangold meint, je öfter man sich an Dinge erinnert, desto mehr verfälsche man die Erinnerung, weil man sich nicht ans Geschehen, sondern an die letzte Erinnerung erinnert.
Ein Heimatroman ist dieses Buch für mich, weil ich hier wohne. Dennoch mag ich das witzige Buch allen ans Herz legen, auch ohne afrikanische Vorfahren. Ich habe nicht alles erzählen können, z.B. die Veränderungen in der Gesellschaft und die Parallelen zu Obama. 5 Sterne