Wie viel Hyaluron passt in das Gesicht einer intelligenten Frau? Wie viel Botox kann ich meiner politischen Haltung zumuten? Wie viel Hängebrust ertragen? Saralisa Volm steckt mittendrin im Schönheitswahn. Es ist Zeit für körperliche Selbstermächtigung, besseren Sex, echte Wut, entspanntes Altwerden und dafür, endlich nein zu sagen.
Überall ist Körper. Überall ist Bewertung. Kein Entkommen. Was macht das mit uns? Saralisa Volm, Schauspielerin, Filmproduzentin und Kuratorin, ist hin- und hergerissen zwischen der Generalsanierung ihres Körpers und einem großen »Fuck you«. Kann man sich nicht einfach unförmig finden und trotzdem das Leben genießen? Die 38-Jährige hat sich beruflich und privat intensiv mit dem Thema Körper beschäftigt. Hier erzählt sie die Geschichte ihres ambivalenten Verhältnisses zum eigenen Körper. Sie ist der Ausgangspunkt für die feministische Auseinandersetzung mit dem Thema. Wer ist schuld an unserem Schönheitsdilemma? Und vor allem: Was können wir Frauen ihm entgegensetzen.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Großen Mut beweist die Schauspielerin Saralisa Volm mit diesem sehr persönlichen Buch über den Schönheitswahn der Gesellschaft, findet Rezensentin Melanie Mühl. Volm erzählt hier von ihrer Essstörung als Jugendliche, vom Druck, der in ihrer Branche auf Frauen ausgeübt wird, und vom Gefühl, niemals genug zu sein, so die Kritikerin. Sie greift dabei auch auf die wichtigen Kritikerinnen des Schönheitszwanges zurück, wie Simone de Beauvoir, Susan Sontag oder Naomi Wolf und entlarvt dabei die großen Profiteure der Schönheitsindustrie: Kapitalismus und Patriarchat. Die große Authentizität, mit der Volm ihre Erfahrungen schildert und ihre persönlichen Ambivalenzen nicht außen vor lässt, überzeugen die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2023Gefangen in der Optimierungsschleife
Einfach kompliziert: Saralisa Volm gibt Auskunft über ihr ambivalentes Verhältnis zum eigenen Körper
Eine erfolgreiche Schauspielerin veröffentlicht ein autobiographisches Buch über den Schönheitsterror, dem der weibliche Körper ausgesetzt ist. Das Buch heißt "Das ewige Ungenügend", die Autorin Saralisa Volm. Der erste Reflex der Rezensentin: googeln. Wie alt ist Volm? Und vor allem, wie sieht sie aus? Sie ist 38 Jahre alt und: 1,78 Meter groß. Makellose Figur. Schönes Gesicht mit einem charmanten Silberblick. Man sieht sie auf roten Teppichen für Fotografen posieren und lächeln. Wo also liegt das Problem dieser Frau?
Es ist kompliziert - und gleichzeitig ist es ganz einfach. Kompliziert, weil Saralisa Volm sich selbst in ihrem Buch nicht schont, Seelenqualen ausbuchstabiert, über eine erlittene Vergewaltigung schreibt und ihr Körperunbehagen auch als Geschichte persönlicher Verletzungen erzählt. Und einfach, weil Saralisa Volm in einer Gesellschaft lebt, die der Jugendlichkeit huldigt und in der schon Mädchen lernen, dass sie es sehr weit bringen, wenn sie schön sind. Zudem arbeitet die Autorin in der Filmbranche, die nicht eben dafür bekannt ist, dass sie alternde Frauen hofiert.
Der schlanke Frauenkörper ist in der Öffentlichkeit omnipräsent, er begegnet einem falten- und dehnungsstreifenfrei auf Litfaßsäulen, räkelt sich auf Magazincovern und buhlt um Aufmerksamkeit in Model-Fernsehsendungen. "Die Erwartungshaltungen an unseren Körper überschwemmen uns überall", schreibt Volm. Jenen von Unsicherheit und dem Gefühl ständiger Unzulänglichkeit Geplagten sagen diese durch Bildbearbeitung auf Hochglanz getrimmten Körper: Tu etwas gegen deine schlabbrigen Schenkel. Wie wäre es mit Botox und Fillern? Müssen diese Hängebäckchen wirklich sein?
Die Profiteure der weiblichen Komplexe sind in erster Linie das Patriarchat und der Kapitalismus. Selbstbeschäftigung sowie optische Instandhaltung sind nicht nur kostspielige, sondern auch zeitraubende Unterfangen, die geistige Kapazitäten binden. Wer keine Zeit hat, eine Revolution, und wenn sie auch nur im eigenen Kopf stattfindet, zu planen, der bleibt in der Optimierungsschleife gefangen - und trägt somit einen Teil zur Zementierung der herrschenden Machtstrukturen bei.
Volms Kritik und Gegner sind aus zahllosen Büchern und Artikeln bekannt: Schlankheitswahn, Schönheits- und Genussmittelindustrie, Gender Pay Gap, die Überinszenierung in den sozialen Medien. Sie zitiert jene in diesem Zusammenhang einschlägigen Namen, Simone de Beauvoir, Susan Sontag, Naomi Wolf und Roxane Gay. Seine Stärke bezieht der Text aus dem Mut der Autorin, die Karten offen auf den Tisch zu legen. Hier schreibt eine Versehrte, die ihre Teenager-Bulimie gleich im ersten Kapitel thematisiert: "Ich suche Sicherheit darin, mich immer regelmäßiger zu übergeben. Denn ich bilde mir ein, es ging ums Dünnsein und um die Begierde der anderen. Was ich dabei übersehe ist das eigentlich Befriedigende an der Bulimie: die Erleichterung von mir selbst." Die Essstörung besiegt Saralisa Volm nicht aus gesundheitlicher Notwendigkeit, sondern weil das ewige Brechen ihr Aussehen zu ruinieren droht, weil besonders Haare und Zähne sichtbar leiden.
Und der Sex? Volm sehnt sich nach erotischer Offenbarung, aber die Versuche der Hingabe scheitern. Ihren ersten Orgasmus erlebt sie mit Mitte dreißig und dank eines im Internet bestellten Klitorissaugers. Als das liebgewonnene Gerät irgendwann kaputtgeht, funktioniert die Selbstbefriedigung auch ohne technische Hilfe.
Volms Körperkampf zieht sich durch ihr Leben und durch das Buch. Eines Tages liegt die Tochter morgens im Bett neben ihr und will mit ihrer Brust kuscheln. Die Dreijährige schiebt also die Brust der Mutter aus der Achselhöhle wieder und wieder hoch, aber die Brust fällt stets zurück, und das Kind fragt: "Warum rutscht die immer runter, ist die kaputt?"
Wie lässt sich dieses Gefühl des Kaputtseins niederringen? Durch eine Bruststraffung? Volm weiß, dass die Glücksversprechen der plastischen Chirurgie eine Lüge sind. Ihren Körper zurechtschneiden zu lassen hieße außerdem, ihren vier Kindern zu vermitteln, vermeintliche Makel seien inakzeptabel. Gleichzeitig gibt Volm zu, dass der Schönheitskomplex sie fest umschlungen hält. Sie wäre am liebsten "die schönste Frau der Welt". Eine Ambivalenz, aus der sie keinen Ausweg weiß. Die Body-Positivity-Bewegung jedenfalls ist Volm in all ihrer überbordenden Selbstliebe suspekt. Auch eine weibliche Revolution wird es so schnell nicht geben, was für die Welt bedeutet, dass sie "ein komplexer und riesengroßer Abfuck bleibt".
Ändern könne man sie im Kleinen trotzdem. Nicht nur, indem man zumindest versucht, sich mit dem eigenen Körper auszusöhnen, sondern auch, indem man auf andere Körper wohlwollend statt urteilend blickt. Indem man diskutiert, hinterfragt, kritisiert. Als Regisseurin hat Saralisa Volm die Macht, weibliche Rollen mutiger als gewohnt zu besetzen. Denn dass der Schein trügt ist bekannt, und trotzdem erliegen wir ihm nur zu gerne. MELANIE MÜHL
Saralisa Volm: "Das ewige Ungenügend". Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers.
Ullstein Verlag, Berlin 2023. 272 S., geb., 21,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einfach kompliziert: Saralisa Volm gibt Auskunft über ihr ambivalentes Verhältnis zum eigenen Körper
Eine erfolgreiche Schauspielerin veröffentlicht ein autobiographisches Buch über den Schönheitsterror, dem der weibliche Körper ausgesetzt ist. Das Buch heißt "Das ewige Ungenügend", die Autorin Saralisa Volm. Der erste Reflex der Rezensentin: googeln. Wie alt ist Volm? Und vor allem, wie sieht sie aus? Sie ist 38 Jahre alt und: 1,78 Meter groß. Makellose Figur. Schönes Gesicht mit einem charmanten Silberblick. Man sieht sie auf roten Teppichen für Fotografen posieren und lächeln. Wo also liegt das Problem dieser Frau?
Es ist kompliziert - und gleichzeitig ist es ganz einfach. Kompliziert, weil Saralisa Volm sich selbst in ihrem Buch nicht schont, Seelenqualen ausbuchstabiert, über eine erlittene Vergewaltigung schreibt und ihr Körperunbehagen auch als Geschichte persönlicher Verletzungen erzählt. Und einfach, weil Saralisa Volm in einer Gesellschaft lebt, die der Jugendlichkeit huldigt und in der schon Mädchen lernen, dass sie es sehr weit bringen, wenn sie schön sind. Zudem arbeitet die Autorin in der Filmbranche, die nicht eben dafür bekannt ist, dass sie alternde Frauen hofiert.
Der schlanke Frauenkörper ist in der Öffentlichkeit omnipräsent, er begegnet einem falten- und dehnungsstreifenfrei auf Litfaßsäulen, räkelt sich auf Magazincovern und buhlt um Aufmerksamkeit in Model-Fernsehsendungen. "Die Erwartungshaltungen an unseren Körper überschwemmen uns überall", schreibt Volm. Jenen von Unsicherheit und dem Gefühl ständiger Unzulänglichkeit Geplagten sagen diese durch Bildbearbeitung auf Hochglanz getrimmten Körper: Tu etwas gegen deine schlabbrigen Schenkel. Wie wäre es mit Botox und Fillern? Müssen diese Hängebäckchen wirklich sein?
Die Profiteure der weiblichen Komplexe sind in erster Linie das Patriarchat und der Kapitalismus. Selbstbeschäftigung sowie optische Instandhaltung sind nicht nur kostspielige, sondern auch zeitraubende Unterfangen, die geistige Kapazitäten binden. Wer keine Zeit hat, eine Revolution, und wenn sie auch nur im eigenen Kopf stattfindet, zu planen, der bleibt in der Optimierungsschleife gefangen - und trägt somit einen Teil zur Zementierung der herrschenden Machtstrukturen bei.
Volms Kritik und Gegner sind aus zahllosen Büchern und Artikeln bekannt: Schlankheitswahn, Schönheits- und Genussmittelindustrie, Gender Pay Gap, die Überinszenierung in den sozialen Medien. Sie zitiert jene in diesem Zusammenhang einschlägigen Namen, Simone de Beauvoir, Susan Sontag, Naomi Wolf und Roxane Gay. Seine Stärke bezieht der Text aus dem Mut der Autorin, die Karten offen auf den Tisch zu legen. Hier schreibt eine Versehrte, die ihre Teenager-Bulimie gleich im ersten Kapitel thematisiert: "Ich suche Sicherheit darin, mich immer regelmäßiger zu übergeben. Denn ich bilde mir ein, es ging ums Dünnsein und um die Begierde der anderen. Was ich dabei übersehe ist das eigentlich Befriedigende an der Bulimie: die Erleichterung von mir selbst." Die Essstörung besiegt Saralisa Volm nicht aus gesundheitlicher Notwendigkeit, sondern weil das ewige Brechen ihr Aussehen zu ruinieren droht, weil besonders Haare und Zähne sichtbar leiden.
Und der Sex? Volm sehnt sich nach erotischer Offenbarung, aber die Versuche der Hingabe scheitern. Ihren ersten Orgasmus erlebt sie mit Mitte dreißig und dank eines im Internet bestellten Klitorissaugers. Als das liebgewonnene Gerät irgendwann kaputtgeht, funktioniert die Selbstbefriedigung auch ohne technische Hilfe.
Volms Körperkampf zieht sich durch ihr Leben und durch das Buch. Eines Tages liegt die Tochter morgens im Bett neben ihr und will mit ihrer Brust kuscheln. Die Dreijährige schiebt also die Brust der Mutter aus der Achselhöhle wieder und wieder hoch, aber die Brust fällt stets zurück, und das Kind fragt: "Warum rutscht die immer runter, ist die kaputt?"
Wie lässt sich dieses Gefühl des Kaputtseins niederringen? Durch eine Bruststraffung? Volm weiß, dass die Glücksversprechen der plastischen Chirurgie eine Lüge sind. Ihren Körper zurechtschneiden zu lassen hieße außerdem, ihren vier Kindern zu vermitteln, vermeintliche Makel seien inakzeptabel. Gleichzeitig gibt Volm zu, dass der Schönheitskomplex sie fest umschlungen hält. Sie wäre am liebsten "die schönste Frau der Welt". Eine Ambivalenz, aus der sie keinen Ausweg weiß. Die Body-Positivity-Bewegung jedenfalls ist Volm in all ihrer überbordenden Selbstliebe suspekt. Auch eine weibliche Revolution wird es so schnell nicht geben, was für die Welt bedeutet, dass sie "ein komplexer und riesengroßer Abfuck bleibt".
Ändern könne man sie im Kleinen trotzdem. Nicht nur, indem man zumindest versucht, sich mit dem eigenen Körper auszusöhnen, sondern auch, indem man auf andere Körper wohlwollend statt urteilend blickt. Indem man diskutiert, hinterfragt, kritisiert. Als Regisseurin hat Saralisa Volm die Macht, weibliche Rollen mutiger als gewohnt zu besetzen. Denn dass der Schein trügt ist bekannt, und trotzdem erliegen wir ihm nur zu gerne. MELANIE MÜHL
Saralisa Volm: "Das ewige Ungenügend". Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers.
Ullstein Verlag, Berlin 2023. 272 S., geb., 21,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Seine Stärke bezieht der Text aus dem Mut der Autorin, die Karten offen auf den Tisch zu legen.« Melanie Mühl Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230610