Eine gelungene Mischung aus Krimi und Schauergeschichte
1933
Der Ex-Kriminalkommissar Cornelius Frey rettet eine junge Frau, bevor sie sich vor einen Zug werfen kann. Sie scheint wenig erfreut und ihre letzten Worte gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf:
»Sie weinen alle im Keller ohne
Treppe.«
Keine 24 Stunden später findet er sie zusammen mit einem Polizisten ermordet im Hinterhof der…mehrEine gelungene Mischung aus Krimi und Schauergeschichte
1933
Der Ex-Kriminalkommissar Cornelius Frey rettet eine junge Frau, bevor sie sich vor einen Zug werfen kann. Sie scheint wenig erfreut und ihre letzten Worte gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf:
»Sie weinen alle im Keller ohne Treppe.«
Keine 24 Stunden später findet er sie zusammen mit einem Polizisten ermordet im Hinterhof der Deutschen Bibliothek, in der Frey seit seiner Suspendierung Nachtschichten schiebt. Alles erscheint merkwürdig arrangiert und weckt seine Neugier. Aufgrund des Personalmangels bekommt er seinen Job zurück, doch das heißt noch lange nicht, dass seine Chefs an der wahrheitsgemäßen Aufklärung des Mordes interessiert sind. Auf der Suche nach dem Täter gerät Cornelius in ein undurchsichtiges Netz von Spitzeln, Okkultisten, Freimaurern und Fanatikern. Die Spur führt aber auch zu einem Ereignis vor 20 Jahren im fernen Baltikum.
1913
Die Lektorin Paula Engel reist mit ihrem Kollegen und Verlobten Jonathan ins verschneite Livland, um sich das längst überfällige Manuskript des egozentrischen Erfolgsautors Aschenbrand aushändigen zu lassen. Es könnte das Überleben des Verlags bedeuten, doch der Schriftsteller hält sie hin. Während sie immer mehr an der Existenz des Manuskripts zweifelt, weckt das verlassene alte Herrenhaus ihre Neugier, das nach und nach seine erschreckenden Geheimnisse preisgibt.
Was für ein großartiges Buch, für mich das beste aus der Reihe! Es ist ein bisschen wie Narnia, nur ohne Schrank. Ich schlage das Buch auf und betrete eine andere Welt, die ich mit allen Sinnen erleben kann.
Einmal mehr hat mir der Autor bewiesen, dass er zweifellos zu den besten Erzählern der Unterhaltungsliteratur gehört und eine so dichte Atmosphäre schafft, der man sich als Leser nicht entziehen kann. Diesmal ist ihm eine spannend-mytische Mischung aus historischem Krimi und bibliophiler Schauergeschichte gelungen, die er in ein historisch authentisches Setting einwebt, das den Zeitgeist widerspiegelt.
Mit seiner Reihe hat Kai Meyer Leipzig ein riesiges, lesenswertes Denkmal gesetzt. Das Graphische Viertel, einst schlagendes Herz der Bücherstadt, existiert nicht mehr. Bei einem alliierten Bombenangriff in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 1943 wurde es fast vollständig zerstört. Doch Meyer lässt es ein ums andere Mal wieder auferstehen. Ich höre das Rumpeln der Lkws, die Bücher ausliefern, das Rattern der Züge im schwefelgelben Rauch, die für den Papiernachschub sorgen, fühle den Takt, wenn die Druckmaschinen Tag und Nacht ihre Arbeit verrichten, und irre mit Cornelius durch das Naundörfchen, »Leipzigs letztem Gassenlabyrinth aus dem Mittelalter, einem Irrgarten aus schimmelnden Bruchbuden und zweifelhaften Etablissements, begrenzt von Kanälen, die an den Fundamenten der uralten Häuser nagen.« Geschickt wechselt Meyer die Perspektive, nimmt mich mit in ein eisiges Livland, erzählt mir ganz nebenbei ein Stück baltisch-deutsche Geschichte, von der ich keine Ahnung hatte. Er lässt mich frösteln, ich kuschel mich unter die Felldecke während einer Fahrt mit dem Pferdeschlitten durch den Winterwald, »dessen Baumreihen mir wie Spaliere erstarrter Gespenster erscheinen, tote Riesen unter weißen Laken.«. Und er schaffte es, dass ich mich echt grusel. Auch weil ich jetzt endlich weiß, wo die Spinnen sind, deren verlassene, staubbedeckte Nester durch einen unsichtbaren Luftzug hin und her zuckend an Kellerwänden hängen.
Auch wenn es das dritte Buch aus der Reihe ist, jedes lässt sich für sich lesen. Jedes spielt an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit, doch feine unsichtbare Fäden führen immer wieder zurück ins Graphische Viertel. Es entlockt mir immer wieder ein Schmunzeln, wenn die eine oder andere Figur aus den vorigen Büchern kurz den Weg der neuen Protagonisten kreuzt, fast so, als wollten sie sich heimlich in die Geschichte schleichen.
Ganz großes Kino, das nicht nur Bücherherzen höher schlagen lässt.