Der Kampf der schönen Malerin Lulubé – die für wilde Fasnachtsbräuche, Stierkampf und vulkanische Inseln schwärmt – mit ihrem sanften, allzu vernünftigen Gatten Kerubin ist eine tragikomische Liebes- und Ehegeschichte, wie wir in der deutschsprachigen Literatur wenige haben. Hier wird von Lulubé erzählt, die während ihres Urlaubs auf einer südlichen Insel einem ›Wilden Mann‹ und auch einem Menschenhai begegnet, mit deren Hilfe ein frühes Trauma überwindet und schließlich ihren Weg findet und geht und dem Gatten schreibt: »Wenn einmal die Bogensehne meiner Leidenschaftlichkeit schlaffer hängen sollte, bin ich bereits gestorben. Ich ziehe aus, den wilden Mann zu suchen, der Deine Herzensgüte im Kopf hat und dazu das Herz eines Hais.«
Das Herz des Hais ist eine der großartigsten Liebesgeschichten, allemal gültig bleibt Peter Härtlings Votum: »Eine Erzählung wie die vom Haiherzen ist ein Geschenk.«
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.2021Basler Trommlerin auf Abwegen
Ehe-Äquilibristik mit Rhythmusstörung: In Ulrich Bechers Novelle "Das Herz des Hais" reist ein Schweizer Paar nach Lipari und findet sich im Theater wieder.
Ulrich Becher kann viel, er kann beinahe zu viel, er kann auch das, was er gar nicht können sollte. Verliebt in seinen Wortschatz und in sein exotisches Erzählfieber, verliert er den Boden unter den Füßen." So urteilte einst in der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" Martin Gregor-Dellin über Ulrich Bechers 1969 erschienenen ziegelsteindicken Geniestreich "Murmeljagd" und fügte an: "Was wäre das Buch minus dreihundert Seiten für ein vorzüglicher Roman geworden." Ob Gregor-Dellin, der 1957, ein Jahr vor seinem Wechsel in die Bundesrepublik, als Lektor des Mitteldeutschen Verlags in Halle/Saale mit Bechers Novelle "Der schwarze Hut" eine experimentelle, kurz darauf wieder eingestellte Reihe ("tangenten") eröffnen wollte, an "Das Herz des Hais" größere Freude gehabt hätte?
Immerhin, die Länge stimmt: Becher veröffentlichte die schmale, alles andere als konventionell erzählte Liebesgeschichte erstmals 1958 in einem Erzählungsband bei Rowohlt, 1960 erschien der Text separat als Kurzroman. Nun hat sich der Schöffling Verlag, nach "Murmeljagd" und den "New Yorker Novellen", zum dritten Mal an eine Becher-Neuausgabe gemacht. Das "exotische Erzählfieber" ist diesmal freilich schon per Schauplatz eingebaut: Becher erzählt die Geschichte des Basler Maler-Ehepaars Turian, das zum Arbeiten statt nach Capri oder Ischia auf die Äolischen Inseln, nach Lipari, reist, einem Traumort von herber Schönheit, der im Zweiten Weltkrieg als Strafkolonie für Gegner des Mussolini-Regimes diente.
Das Künstlerpaar, das auf der ehemaligen Sträflingsinsel den touristischen Massen ausweichen will, könnte gegensätzlicher nicht sein: Luise B. Turian, Kosename Lulubé, musste als Kind mitansehen, wie ihr Vater der Mutter im Rausch während der Basler Fasnacht mit dem Trommelschlegel ein Auge ausschlug. Ein Trauma, das die junge Frau später durch unerschrockenes Eindringen in Männerdomänen zu kompensieren sucht: Sie malt und wird selbst eine der besten Trommlerinnen von Basel. Angelus Turian ist der wandelnde Gegensatz zu ihr: Lange vorm Siegeszug des Softies strahlt der sanftmütige Mann etwas "possierlich Engelhaftes" aus, das ihm den Spitznamen Kerubin einträgt.
Die beiden haben sich arrangiert - obwohl Lulubés Herz für Stierkampf und den "Wilden Mann" schlägt, der beim alljährlichen Fasnachtsspektakel maskiert über den Rhein in Kleinbasel Einzug hält. Zwar tritt Kerubin der Trommel-Clique "Gute Meinung" bei, ein wilder Mann wird dennoch nicht aus ihm. Auf der Vulkaninsel Lipari gerät die seit zehn Jahren gepflegte Ehe-Äquilibristik in Schieflage, als das Paar auf einen Engländer mit dem sprechenden Namen John Crossman trifft. Lulubé sieht in diesem Archäologen, der ihr in seinem verwittert hellbraunen Leinenanzug "eigentümlich vulkanisch und zugleich lebendig" erscheint, ein Bild von Mann.
In dem Maß, wie sich Crossman und "Louloubay" in einen Tarzan-und-Jane-Modus fallen lassen, lädt Becher die imposante Inselkulisse mit einer schwefelgelben Atmosphäre der Bedrohlichkeit auf, Lichtjahre entfernt von der zeitgenössischen Caprifischer-Seligkeit eines Rudi Schuricke: Der nahe Stromboli spuckt Rauchschwaden, von Afrika her bläst der Schirokko, den die Einheimischen fette di formaggio nennen, Käsestinkwind. Der wilde Crossman, der im Kastell von Lipari die Gebeine seines Vaters in einem "kleinen Massengrab" aus der Faschistenzeit gefunden haben will, warnt zu allem Überfluss vor blue sharks, Menschenhaien, die sich im Gefolge eines Thunfischschwarms der Insel nähern würden. Alles, so Crossman, wie in der Menschenwelt, wo ebenfalls einer des anderen Futterfisch ist: "Als Biedermann, Geschäftsmann oder Beamter getarnt, zerreißt man seinen Nebenschwimmer ohne Umstände, Amen; wandert mit den Hinterbliebenen unauffällig weiter. One, two, three, Shakespeare."
Tolles Theater, wie Becher die Gefühle seiner Protagonisten in der Naturkulisse spiegelt und wortgewaltig einem Spannungspunkt entgegentreibt. Wenn der Riesenhai, mit dessen immer noch pumpendem Herzen die Kinder am Kai von Lipari später Fußball spielen werden, an einen Balken gefesselt in der Fischmetzgerhalle liegt, würde der eingangs zitierte Kritiker vermutlich wieder erhöhtes "Erzählfieber" diagnostizieren - großartig liest es sich allemal: "Er mochte sechs Meter lang sein und schillerte hirschbraun, irisierend, ins Malven des kommenden Abends, mit einem Glitzern von Nixengrün . . . Seine Kiementasche zitterte. Seine Nase hatte die Schnabelform eines altrömischen Rammschiffs."
Nicht Crossman, sondern das kleine Herz des großen Räubers wird Lulubé auf einen neuen Weg katapultieren, in jenem Spiel, "das wir unser Leben nennen". Für Eva Menasse, die zum Roman, wie schon bei "Murmeljagd", einen ebenso instruktiven wie empathischen Essay beisteuert, ist "Das Herz des Hais" nicht weniger als ein "Loblied auf die starke, selbstbewusste und -bestimmte Frau", lange bevor etwa Simone de Beauvoir oder Alice Schwarzer es sangen. Als "das Lulubé" hat uns Becher seine Heldin eingangs vorgestellt, mit der boshaften Erklärung, dass die "blühende Frau" in der patriarchalischdemokratischen-neutralen Schweiz "ein Neutrum" sei. Ihren Abschiedsbrief an den herzensguten Kerubin beschließt Lulubé 170 Seiten später vielsagend: "Am besten Du vergisst / Es."
Für den Sprachmagier Ulrich Becher gilt das Gegenteil: Trotz der nicht genug zu rühmenden, seit mehr als zehn Jahren währenden Anstrengungen des Frankfurter Schöffling Verlags um Becher ist Menasses Mantra noch immer uneingelöst: "Hier bleibt ein Teufelskerl von Autor zu entdecken." NILS KAHLEFENDT
Ulrich Becher: "Das Herz des Hais". Roman.
Mit einem Essay von Eva Menasse. Schöffling & Co. Frankfurt 2021. 184 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ehe-Äquilibristik mit Rhythmusstörung: In Ulrich Bechers Novelle "Das Herz des Hais" reist ein Schweizer Paar nach Lipari und findet sich im Theater wieder.
Ulrich Becher kann viel, er kann beinahe zu viel, er kann auch das, was er gar nicht können sollte. Verliebt in seinen Wortschatz und in sein exotisches Erzählfieber, verliert er den Boden unter den Füßen." So urteilte einst in der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" Martin Gregor-Dellin über Ulrich Bechers 1969 erschienenen ziegelsteindicken Geniestreich "Murmeljagd" und fügte an: "Was wäre das Buch minus dreihundert Seiten für ein vorzüglicher Roman geworden." Ob Gregor-Dellin, der 1957, ein Jahr vor seinem Wechsel in die Bundesrepublik, als Lektor des Mitteldeutschen Verlags in Halle/Saale mit Bechers Novelle "Der schwarze Hut" eine experimentelle, kurz darauf wieder eingestellte Reihe ("tangenten") eröffnen wollte, an "Das Herz des Hais" größere Freude gehabt hätte?
Immerhin, die Länge stimmt: Becher veröffentlichte die schmale, alles andere als konventionell erzählte Liebesgeschichte erstmals 1958 in einem Erzählungsband bei Rowohlt, 1960 erschien der Text separat als Kurzroman. Nun hat sich der Schöffling Verlag, nach "Murmeljagd" und den "New Yorker Novellen", zum dritten Mal an eine Becher-Neuausgabe gemacht. Das "exotische Erzählfieber" ist diesmal freilich schon per Schauplatz eingebaut: Becher erzählt die Geschichte des Basler Maler-Ehepaars Turian, das zum Arbeiten statt nach Capri oder Ischia auf die Äolischen Inseln, nach Lipari, reist, einem Traumort von herber Schönheit, der im Zweiten Weltkrieg als Strafkolonie für Gegner des Mussolini-Regimes diente.
Das Künstlerpaar, das auf der ehemaligen Sträflingsinsel den touristischen Massen ausweichen will, könnte gegensätzlicher nicht sein: Luise B. Turian, Kosename Lulubé, musste als Kind mitansehen, wie ihr Vater der Mutter im Rausch während der Basler Fasnacht mit dem Trommelschlegel ein Auge ausschlug. Ein Trauma, das die junge Frau später durch unerschrockenes Eindringen in Männerdomänen zu kompensieren sucht: Sie malt und wird selbst eine der besten Trommlerinnen von Basel. Angelus Turian ist der wandelnde Gegensatz zu ihr: Lange vorm Siegeszug des Softies strahlt der sanftmütige Mann etwas "possierlich Engelhaftes" aus, das ihm den Spitznamen Kerubin einträgt.
Die beiden haben sich arrangiert - obwohl Lulubés Herz für Stierkampf und den "Wilden Mann" schlägt, der beim alljährlichen Fasnachtsspektakel maskiert über den Rhein in Kleinbasel Einzug hält. Zwar tritt Kerubin der Trommel-Clique "Gute Meinung" bei, ein wilder Mann wird dennoch nicht aus ihm. Auf der Vulkaninsel Lipari gerät die seit zehn Jahren gepflegte Ehe-Äquilibristik in Schieflage, als das Paar auf einen Engländer mit dem sprechenden Namen John Crossman trifft. Lulubé sieht in diesem Archäologen, der ihr in seinem verwittert hellbraunen Leinenanzug "eigentümlich vulkanisch und zugleich lebendig" erscheint, ein Bild von Mann.
In dem Maß, wie sich Crossman und "Louloubay" in einen Tarzan-und-Jane-Modus fallen lassen, lädt Becher die imposante Inselkulisse mit einer schwefelgelben Atmosphäre der Bedrohlichkeit auf, Lichtjahre entfernt von der zeitgenössischen Caprifischer-Seligkeit eines Rudi Schuricke: Der nahe Stromboli spuckt Rauchschwaden, von Afrika her bläst der Schirokko, den die Einheimischen fette di formaggio nennen, Käsestinkwind. Der wilde Crossman, der im Kastell von Lipari die Gebeine seines Vaters in einem "kleinen Massengrab" aus der Faschistenzeit gefunden haben will, warnt zu allem Überfluss vor blue sharks, Menschenhaien, die sich im Gefolge eines Thunfischschwarms der Insel nähern würden. Alles, so Crossman, wie in der Menschenwelt, wo ebenfalls einer des anderen Futterfisch ist: "Als Biedermann, Geschäftsmann oder Beamter getarnt, zerreißt man seinen Nebenschwimmer ohne Umstände, Amen; wandert mit den Hinterbliebenen unauffällig weiter. One, two, three, Shakespeare."
Tolles Theater, wie Becher die Gefühle seiner Protagonisten in der Naturkulisse spiegelt und wortgewaltig einem Spannungspunkt entgegentreibt. Wenn der Riesenhai, mit dessen immer noch pumpendem Herzen die Kinder am Kai von Lipari später Fußball spielen werden, an einen Balken gefesselt in der Fischmetzgerhalle liegt, würde der eingangs zitierte Kritiker vermutlich wieder erhöhtes "Erzählfieber" diagnostizieren - großartig liest es sich allemal: "Er mochte sechs Meter lang sein und schillerte hirschbraun, irisierend, ins Malven des kommenden Abends, mit einem Glitzern von Nixengrün . . . Seine Kiementasche zitterte. Seine Nase hatte die Schnabelform eines altrömischen Rammschiffs."
Nicht Crossman, sondern das kleine Herz des großen Räubers wird Lulubé auf einen neuen Weg katapultieren, in jenem Spiel, "das wir unser Leben nennen". Für Eva Menasse, die zum Roman, wie schon bei "Murmeljagd", einen ebenso instruktiven wie empathischen Essay beisteuert, ist "Das Herz des Hais" nicht weniger als ein "Loblied auf die starke, selbstbewusste und -bestimmte Frau", lange bevor etwa Simone de Beauvoir oder Alice Schwarzer es sangen. Als "das Lulubé" hat uns Becher seine Heldin eingangs vorgestellt, mit der boshaften Erklärung, dass die "blühende Frau" in der patriarchalischdemokratischen-neutralen Schweiz "ein Neutrum" sei. Ihren Abschiedsbrief an den herzensguten Kerubin beschließt Lulubé 170 Seiten später vielsagend: "Am besten Du vergisst / Es."
Für den Sprachmagier Ulrich Becher gilt das Gegenteil: Trotz der nicht genug zu rühmenden, seit mehr als zehn Jahren währenden Anstrengungen des Frankfurter Schöffling Verlags um Becher ist Menasses Mantra noch immer uneingelöst: "Hier bleibt ein Teufelskerl von Autor zu entdecken." NILS KAHLEFENDT
Ulrich Becher: "Das Herz des Hais". Roman.
Mit einem Essay von Eva Menasse. Schöffling & Co. Frankfurt 2021. 184 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als Ulrich Bechers Kurzroman "Das Herz des Hais" 1960 erstmals erschien, befand die Zeit, Becker könne "beinahe zu viel" und attestierte dem Autor "exotisches Erzählfieber". FAZ-Rezensent Nils Kahlefendt versteht durchaus, was sein Kollege einst meinte, für ihn ist der Roman aber schlicht "großes Theater". Gern lässt sich der Rezensent ein auf die Geschichte um das Künstlerpaar Lulubé und Angelus, sie früh traumatisiert, aber resolut, er eher "possierlich engelhaft", die gemeinsam nach Lipari reisen und auf den kernigen Archäologen John Crossmann treffen. Kahlefendt lässt sich mitreißen von der Wortgewalt, mit der Becher die Gefühle seiner Figuren in der Natur spiegelt und lobt nicht zuletzt Eva Menasses lehrreichen, dem Roman beigegebenen Essay.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein großer Autor, den es zu entdecken gilt. Wann, wenn nicht jetzt?«Brigitte»Eine Geschichte, die mit allen Mitteln der Ironie, des Pathos und der gelehrten Lässigkeit zeigt, was die Sprache kann: Empfindungen wecken oder erzeugen, die es ohne sie nicht gäbe.« Elke Schmitter, Spiegel»Wie gemalt sind die Formulierungen Bechers. Sie bleiben im Gedächtnis haften wie Farbe auf der Leinwand.«Oö Nachrichten »Bücherregal«