Mit "Das Institut" huldigt der Meister der Kultserie "Stranger Things" In einer ruhigen Vorortsiedlung von Minneapolis ermorden Endringlinge lautlos die Eltern von Luke Ellis und verfrachten den betäubten Zwölfjährigen in einen schwarzen SUV. Die Operation dauert keine zwei Minuten. Luke wacht weit entfernt im Institut auf, in einem Zimmer, das wie seines aussieht, nur dass es keine Fenster hat. Und das Institut in Maine beherbergt weitere Kinder, die wie Luke paranormal veranlagt sind: Kalisha, Nick, George, Iris und den zehnjährigen Avery. Vor ihnen gab es offenbar weitere Kinder, die nach einer Testreihe verschwanden – und nie zurückkehrten.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.09.2019Gehirnwäsche
Stephen King recycelt sich selbst und ist dabei immer wieder
ein gewiefter Beobachter der amerikanischen Gegenwart
VON DAVID STEINITZ
Die Bösewichte im neuen Roman von Stephen King sind keine Horrorclowns, Aliens, Vampire oder Zombiekatzen – diese Weicheimonster hat der Schriftsteller mittlerweile alle durch. Stattdessen zeigt das Grauen sich diesmal in seiner perfidesten Erscheinungsform: der des Bürokraten.
Irgendwo in den weiten Wäldern von Maine steht gut versteckt eine vermutlich mit der Regierung verbundene Behörde, die der Namensgeber dieser Geschichte ist: „Das Institut“. Dort betreibt ein Team aus Angestellten des mittleren Geheimdienstmanagements seit Jahrzehnten ein mit Staatsmitteln und Stechuhr organisiertes Forschungsprogramm, gegen welches das Waterboarding auf Guantanamo nach Wellnessurlaub klingt.
Die Institutsmitarbeiter entführen Kinder, die über telekinetische oder telepathische Kräfte verfügen, was magischer klingt, als es in der Praxis ist. Die meisten Kids können gerade mal ein Pizzablech ohne Berührung ein paar Zentimeter von links nach rechts schieben oder in den Gedanken der Eltern lesen, dass sie demnächst ins Bett geschickt werden.
Aber dem Institut reicht das aus, um mitten in der Nacht ein Spezialteam auszusenden, das die Eltern tötet und die Kinder betäubt und entführt. Wachen sie dann verängstigt und desorientiert im Institut auf, werden sie wie Laborratten mit Elektroschocks und Rektaluntersuchen mürbegemacht. Anschließend verabreicht man ihnen mentale Anabolika, um ihre vorveranlagten Zauberkräfte im Kollektiv zu bündeln und sie zu militärischen Zwecken zu nutzen.
So passiert es auch mit dem 12-jährigen Luke Ellis, welcher der Held dieser Geschichte ist und der eines Tages nicht mehr in seinem gemütlichen Kinderzimmer aufwacht, sondern in dieser beamtengesteuerten Vorhölle, deren Mitarbeiter kein Mitleid, sondern nur die alten Dienstvorschriften kennen.
Eine Story, mit der der 72-jährige Vielschreiber Stephen King eine charmante Form des Selbstrecyclings betreibt, wenn auch über Umwege. Denn viele Elemente dieser Geschichte klingen so, als seien sie direkt aus der beliebten Netflix-Mystery-Serie „Stranger Things“ entnommen. Und die wiederum ist ja nichts anderes als ein sehr cleveres Mashup aus den frühen Roman von Stephen King, aus „Feuerkind“ und „Dead Zone“, „Carrie“ und „Es“.
Seit dem Erfolg der Serie, die 2016 startete und bislang drei Staffeln umfasst, erlebt King, der sich über Verkaufszahlen noch nie beschweren konnte, noch mal ein ordentliches popkulturelles Comeback. Die Verfilmungsrechte an seinen Büchern sind begehrt wie lange nicht mehr. Auch eine Serienfassung von „Das Institut“ ist bereits in Planung, der TV-Veteran David E. Kelley, der zuletzt die HBO-Hitserie „Big Little Lies“ produzierte, übernimmt die Umsetzung.
Das Buch bietet sich dazu bestens an, denn Stephen King kompiliert ein Best-of seines Werks im neuen Gewand: entführte Kinder, übernatürliche Kräfte, sinistre Regierungsorganisationen, untrennbare Freundschaftsbande – man spürt auf jeder Seite, wie viel Spaß ihm diese Form der adoleszenten Unterhaltungsliteratur auch nach bald fünf Jahrzehnten im Schreibgeschäft immer noch macht.
Zumal der Autor sich mit einer ganzen Generation an King-Fans, die in den Achtzigern und Neunzigern mit seinen Romanen aufgewachsen ist und mittlerweile in Redaktionen, TV-Sendern und Filmstudios arbeitet, auch einer späten Rehabilitierung erfreuen kann. Die Zeiten, in der er „nur“ ein erfolgreicher Bahnhofbuchhandlungsschreiberling war und die Kritiker ihn links liegen ließen, sind lange vorbei.
Und das auch zu Recht, weil King neben seinen zugegebenermaßen sehr skurrilen Horrorplots einer der klügsten Chronisten Amerikas ist, der die Stimmungsschwankungen seines wankelmütigen Heimatlandes messerscharf erfasst und in eleganten Horrortrash übersetzt. Seine Monster sind kein Selbstzweck, sondern Symptome gesellschaftlicher Angstströmungen und Bündelungen all der Misogynie, Homophobie und Xenophobie, auf denen die Vereinigten Staaten genauso aufgebaut sind wie auf dem American Dream.
Dass er das so gut kann, liegt unter anderem daran, dass er schon immer am liebsten aus dem Hinterland über das Hinterland geschrieben hat. Er lebt nicht in den gentrifizierten und selbstoptimierten Besserwisserballungszentren, sondern im hintersten Neuengland in der Kleinstadt Bangor in Maine. Und dort hat er zum Beispiel, schon lange bevor Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde und den CNN-Reportern die Kinnladen runterkippten, gespürt, dass sich in seinem Land etwas zusammenbraut.
Dieses Talent spielt er in „Das Institut“ so gekonnt aus wie seit Jahren nicht mehr, das Buch ist sein Kommentar zum Zustand der USA. Eigentlich hat er den Roman geschrieben, bevor Trump 2016 ins Amt gewählt wurde. Aber er hat während der Arbeit am Feinschliff noch ein paar böse Anspielungen auf den „inkompetenten Trottel“, wie er ihn in Interviews oder auf Twitter gerne nennt, hineingeschrieben. Da taucht zum Beispiel eine Bibliothekarin als Nebenfigur auf, die sich bitter darüber beklagt, dass die öffentlichen Bibliotheken kein Geld mehr haben: „Trump und seine Spießgesellen haben alles gestrichen. Die haben von Kultur nicht mehr Ahnung als ein Esel von Algebra.“
Weil aber auch King weiß, dass Trump nur der Pickel ist, der sich auf einem tiefergehenden Problem gebildet hat, ist dieser Roman, der mit 800 Seiten wieder ein King-typischer Schinken geworden ist, vor allem ein Sammelsurium des Sozialhorrors. Kaum ein Protagonist kommt darin vor, der nicht trotz zweier Jobs knapp bei Kasse ist, der nicht durch eine Behörde oder Polizeidienststelle diskriminiert oder schikaniert wurde. Der Schrecken dieser Story speist sich aus einem unfähigen und unbarmherzigen politischen Apparat, dessen Wahnsinn King in der Institution des „Instituts“ überspitzt.
Aber für King, der das Amerika jenseits von L. A. und New York nicht mit Verachtung behandelt, sondern es als seine Heimat betrachtet, ist die amerikanische Provinz nicht nur die Ursache der Probleme, sondern auch deren Lösung. Er ist von einem unerschütterlichen Glauben an die grundsätzliche Güte des Menschen beseelt. In all seinen Romanen, und natürlich auch in „Das Institut“, kommt am tiefsten Tiefpunkt immer eine Figur ums Eck, die „ein in Wachspapier eingeschlagenes Stück Maisbrot oder Kuchen vor die Tür“ legt.
Als der zwölfjährige Junge Luke Ellis eine Möglichkeit zur Flucht aus dem Horrorkabinett des Instituts findet, zieht es ihn folglich nicht zu den Lichtern der nächsten Großstadt, sondern in die fiktive Kleinstadt DuPray im echten Bundesstaat South Carolina. Dessen Bürger haben 2016 zwar Donald Trump ins Amt geholfen. Aber wenn ein Junge in Not eine staatliche Verbrecherbande auf den Fersen hat, kann die sich auch dort auf einen spektakulären Showdown gefasst machen, wenn die Provinzler den Aufstand proben.
Stephen King: Das Institut. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt. Heyne Verlag München 2019. 767 Seiten, 26 Euro.
Er übersetzt die Stimmungen
seines wankelmütigen Landes
in eleganten Horrortrash
Die Zeiten, in der er „nur“ ein erfolgreicher Bahnhofbuchhandlungsschreiberling war, sind lange vorbei: Der Schriftsteller Stephen King.
Foto: Getty Images
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Stephen King recycelt sich selbst und ist dabei immer wieder
ein gewiefter Beobachter der amerikanischen Gegenwart
VON DAVID STEINITZ
Die Bösewichte im neuen Roman von Stephen King sind keine Horrorclowns, Aliens, Vampire oder Zombiekatzen – diese Weicheimonster hat der Schriftsteller mittlerweile alle durch. Stattdessen zeigt das Grauen sich diesmal in seiner perfidesten Erscheinungsform: der des Bürokraten.
Irgendwo in den weiten Wäldern von Maine steht gut versteckt eine vermutlich mit der Regierung verbundene Behörde, die der Namensgeber dieser Geschichte ist: „Das Institut“. Dort betreibt ein Team aus Angestellten des mittleren Geheimdienstmanagements seit Jahrzehnten ein mit Staatsmitteln und Stechuhr organisiertes Forschungsprogramm, gegen welches das Waterboarding auf Guantanamo nach Wellnessurlaub klingt.
Die Institutsmitarbeiter entführen Kinder, die über telekinetische oder telepathische Kräfte verfügen, was magischer klingt, als es in der Praxis ist. Die meisten Kids können gerade mal ein Pizzablech ohne Berührung ein paar Zentimeter von links nach rechts schieben oder in den Gedanken der Eltern lesen, dass sie demnächst ins Bett geschickt werden.
Aber dem Institut reicht das aus, um mitten in der Nacht ein Spezialteam auszusenden, das die Eltern tötet und die Kinder betäubt und entführt. Wachen sie dann verängstigt und desorientiert im Institut auf, werden sie wie Laborratten mit Elektroschocks und Rektaluntersuchen mürbegemacht. Anschließend verabreicht man ihnen mentale Anabolika, um ihre vorveranlagten Zauberkräfte im Kollektiv zu bündeln und sie zu militärischen Zwecken zu nutzen.
So passiert es auch mit dem 12-jährigen Luke Ellis, welcher der Held dieser Geschichte ist und der eines Tages nicht mehr in seinem gemütlichen Kinderzimmer aufwacht, sondern in dieser beamtengesteuerten Vorhölle, deren Mitarbeiter kein Mitleid, sondern nur die alten Dienstvorschriften kennen.
Eine Story, mit der der 72-jährige Vielschreiber Stephen King eine charmante Form des Selbstrecyclings betreibt, wenn auch über Umwege. Denn viele Elemente dieser Geschichte klingen so, als seien sie direkt aus der beliebten Netflix-Mystery-Serie „Stranger Things“ entnommen. Und die wiederum ist ja nichts anderes als ein sehr cleveres Mashup aus den frühen Roman von Stephen King, aus „Feuerkind“ und „Dead Zone“, „Carrie“ und „Es“.
Seit dem Erfolg der Serie, die 2016 startete und bislang drei Staffeln umfasst, erlebt King, der sich über Verkaufszahlen noch nie beschweren konnte, noch mal ein ordentliches popkulturelles Comeback. Die Verfilmungsrechte an seinen Büchern sind begehrt wie lange nicht mehr. Auch eine Serienfassung von „Das Institut“ ist bereits in Planung, der TV-Veteran David E. Kelley, der zuletzt die HBO-Hitserie „Big Little Lies“ produzierte, übernimmt die Umsetzung.
Das Buch bietet sich dazu bestens an, denn Stephen King kompiliert ein Best-of seines Werks im neuen Gewand: entführte Kinder, übernatürliche Kräfte, sinistre Regierungsorganisationen, untrennbare Freundschaftsbande – man spürt auf jeder Seite, wie viel Spaß ihm diese Form der adoleszenten Unterhaltungsliteratur auch nach bald fünf Jahrzehnten im Schreibgeschäft immer noch macht.
Zumal der Autor sich mit einer ganzen Generation an King-Fans, die in den Achtzigern und Neunzigern mit seinen Romanen aufgewachsen ist und mittlerweile in Redaktionen, TV-Sendern und Filmstudios arbeitet, auch einer späten Rehabilitierung erfreuen kann. Die Zeiten, in der er „nur“ ein erfolgreicher Bahnhofbuchhandlungsschreiberling war und die Kritiker ihn links liegen ließen, sind lange vorbei.
Und das auch zu Recht, weil King neben seinen zugegebenermaßen sehr skurrilen Horrorplots einer der klügsten Chronisten Amerikas ist, der die Stimmungsschwankungen seines wankelmütigen Heimatlandes messerscharf erfasst und in eleganten Horrortrash übersetzt. Seine Monster sind kein Selbstzweck, sondern Symptome gesellschaftlicher Angstströmungen und Bündelungen all der Misogynie, Homophobie und Xenophobie, auf denen die Vereinigten Staaten genauso aufgebaut sind wie auf dem American Dream.
Dass er das so gut kann, liegt unter anderem daran, dass er schon immer am liebsten aus dem Hinterland über das Hinterland geschrieben hat. Er lebt nicht in den gentrifizierten und selbstoptimierten Besserwisserballungszentren, sondern im hintersten Neuengland in der Kleinstadt Bangor in Maine. Und dort hat er zum Beispiel, schon lange bevor Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde und den CNN-Reportern die Kinnladen runterkippten, gespürt, dass sich in seinem Land etwas zusammenbraut.
Dieses Talent spielt er in „Das Institut“ so gekonnt aus wie seit Jahren nicht mehr, das Buch ist sein Kommentar zum Zustand der USA. Eigentlich hat er den Roman geschrieben, bevor Trump 2016 ins Amt gewählt wurde. Aber er hat während der Arbeit am Feinschliff noch ein paar böse Anspielungen auf den „inkompetenten Trottel“, wie er ihn in Interviews oder auf Twitter gerne nennt, hineingeschrieben. Da taucht zum Beispiel eine Bibliothekarin als Nebenfigur auf, die sich bitter darüber beklagt, dass die öffentlichen Bibliotheken kein Geld mehr haben: „Trump und seine Spießgesellen haben alles gestrichen. Die haben von Kultur nicht mehr Ahnung als ein Esel von Algebra.“
Weil aber auch King weiß, dass Trump nur der Pickel ist, der sich auf einem tiefergehenden Problem gebildet hat, ist dieser Roman, der mit 800 Seiten wieder ein King-typischer Schinken geworden ist, vor allem ein Sammelsurium des Sozialhorrors. Kaum ein Protagonist kommt darin vor, der nicht trotz zweier Jobs knapp bei Kasse ist, der nicht durch eine Behörde oder Polizeidienststelle diskriminiert oder schikaniert wurde. Der Schrecken dieser Story speist sich aus einem unfähigen und unbarmherzigen politischen Apparat, dessen Wahnsinn King in der Institution des „Instituts“ überspitzt.
Aber für King, der das Amerika jenseits von L. A. und New York nicht mit Verachtung behandelt, sondern es als seine Heimat betrachtet, ist die amerikanische Provinz nicht nur die Ursache der Probleme, sondern auch deren Lösung. Er ist von einem unerschütterlichen Glauben an die grundsätzliche Güte des Menschen beseelt. In all seinen Romanen, und natürlich auch in „Das Institut“, kommt am tiefsten Tiefpunkt immer eine Figur ums Eck, die „ein in Wachspapier eingeschlagenes Stück Maisbrot oder Kuchen vor die Tür“ legt.
Als der zwölfjährige Junge Luke Ellis eine Möglichkeit zur Flucht aus dem Horrorkabinett des Instituts findet, zieht es ihn folglich nicht zu den Lichtern der nächsten Großstadt, sondern in die fiktive Kleinstadt DuPray im echten Bundesstaat South Carolina. Dessen Bürger haben 2016 zwar Donald Trump ins Amt geholfen. Aber wenn ein Junge in Not eine staatliche Verbrecherbande auf den Fersen hat, kann die sich auch dort auf einen spektakulären Showdown gefasst machen, wenn die Provinzler den Aufstand proben.
Stephen King: Das Institut. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt. Heyne Verlag München 2019. 767 Seiten, 26 Euro.
Er übersetzt die Stimmungen
seines wankelmütigen Landes
in eleganten Horrortrash
Die Zeiten, in der er „nur“ ein erfolgreicher Bahnhofbuchhandlungsschreiberling war, sind lange vorbei: Der Schriftsteller Stephen King.
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»King [ist] neben seinen zugegebenermaßen sehr skurrilen Horrorplots einer der klügsten Chronisten Amerikas ..., der die Stimmungsschwankungen seines wankelmütigen Heimatlandes messerscharf erfasst und in eleganten Horrortrash übersetzt.« David Steinitz, Süddeutsche Zeitung