Wir lesen in diesem Buch wunderbare, hochmoralische Sätze wie: „Das Leben eines Menschen ist gleich viel wert, egal welchen Geschlechts er ist, welche Hautfarbe er hat und wo auch immer in der Welt er lebt.“
Gleich darauf folgt die Anklage Richtung Abendland bzw. seiner eigenen Herkunft: „Und
doch stufen wir, wenn Europa wichtiger ist als Afrika, implizit die Menschenwürde ab in Wir, die…mehrWir lesen in diesem Buch wunderbare, hochmoralische Sätze wie: „Das Leben eines Menschen ist gleich viel wert, egal welchen Geschlechts er ist, welche Hautfarbe er hat und wo auch immer in der Welt er lebt.“
Gleich darauf folgt die Anklage Richtung Abendland bzw. seiner eigenen Herkunft: „Und doch stufen wir, wenn Europa wichtiger ist als Afrika, implizit die Menschenwürde ab in Wir, die anderen und die ganz anderen.“
Aha, hier hätte ich eigentlich aufhören können mit dem Lesen, ging aber weiter und gab Precht noch einige Chancen. Nicht jeder hat Enzensberger gelesen oder die Rhetorik Frantz Fanons bzw. ihre Gegenaggression verstanden.
„In der Abenddämmerung der Sozialdemokratie hat dagegen Rousseau noch einmal gesiegt. Sie haben nicht die Produktionsmittel, sondern die Therapie verstaatlicht. Dass der Mensch von Natur aus gut sei, diese merkwürdige Idee hat in der Sozialarbeit ihr letztes Reservat. Pastorale Motive gehen dabei eine seltsame Mischung ein mit angejahrten Milieu- und Sozialisationstheorien und mit einer entkernten Version der Psychoanalyse. Solche Vormünder nehmen in ihrer grenzenlosen Gutmütigkeit den Verirrten jede Verantwortung für ihr Handeln ab.“ („Aussichten auf den Bürgerkrieg“, 1994, S. 37)
Es ist grundsätzlich unmöglich zu definieren, was denn überhaupt "Gerechtigkeit" ist, sie herzustellen ist universell für alle Kulturen unmöglich. Aus diesem Grunde ist es hoch-notwenig, Europa werteorientiert zu definieren, die anderen Kulturen zu erfassen und die ganz anderen in ihren Differenzen zu verstehen.
Diese dramatischen Differenzen im Islam nimmt Precht nicht zur Kenntnis, er meint im Kapitel „Unzeitgemäße Feindbilder“ der Islam würde sich nicht als Gegenpol bzw. neuer Konkurrent eignen. „Vom vermeintlich gleichen Weltherrschaftswahn getrieben, trat im Deutungsmuster des Westens nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus in Osteuropa der Islam auf den Plan.“ Den von Huntington beschriebenen Kulturkampf sieht Precht nicht, weil „die islamische Welt bildete auch damals ein völlig zerstrittenes Ensemble und keine politisch und kriegerisch geschlossene Einheit.“
Vermutlich würde Precht, wenn er denn den Islam je gelesen und verstanden hätte, diesen auch kritisieren und seine überdauernde Einheit und Gefahr dann erkennen, wenn er diese Religion und Ideologie auf öffentlichen Plätzen endlich analysieren würde. Ob die von Precht postulierten Werte aus dem Oberkommando Weltmoral auf das Verhältnis zu Frauen passt, könnte er studieren in diesem Buch eines türkischen Verfassungsrechtler: "Frauen sind Eure Äcker", von Ilhan Arsel.
Wir alle schreiben ab und zu, besonders gut kann dies Precht. Das 21. Jahrhundert ist keine Zeit der Toleranz, sondern ein harter Kulturkampf zwischen völlig unterschiedlichen Erklärungsmustern der Menschenrechte. Toleranz im westlichen Sinne wird von der islamischen Welt unter dem dramatischen Vorbehalt der Scharia gesehen. Nichts verbindet die Kultur des Islam mit der des Christlichen Abendlandes, auch wenn Herr Precht weiter sucht, eine Erd-Charta, ein einheitliches Weltethos ist unmöglich.
Nach einigen Konflikten mit dem Mainstream sehe ich dieses Buch als Wunsch der Wiedereingliederung des großen Philosophen Precht in die richtige Denkweise wertegeleiteter Außenpolitik, die schon dann versagt, wenn Bergkarabach von Deutschland alleine gelassen wird, um Gas in Aserbaidschan zu kaufen. Was mir in vielen Büchern/Veröffentlichungen auffiel: Precht hat in der differenzierten Betrachtung von Religionen und dem unverrückbaren Standpunkt des Islam wenig verstanden und kann seine Folgen nicht erkennen. Auch hier sei Enzensberger empfohlen: „Die Schreckensmänner. Versuch über den radikalen Verlierer" (edition suhrkamp)