Juss wohnt mit seiner Familie in dem kleinen Haus am Fluss. Mit seiner Cousine Amber, die direkt neben ihm lebt, schwimmt er im Fluss, eröffnet in seinem Zimmer ein Museum oder gräbt versehentlich das Skelett von Omas verstorbenem Hund im Garten aus … Für Kinder kann es keinen schöneren Ort geben! Bis eines Tages ein Lastwagenfahrer das kleine Haus rammt und es fast zum Einsturz bringt. Aber Juss und seine Familie wissen, was das Wichtigste ist: zusammenzuhalten und sich umeinander zu kümmern. Gemeinsam gelingt es ihnen, aus etwas Schlimmem etwas Neues entstehen zu lassen.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Ein tolles Buch in der Tradition der großen niederländischen Kinderliteratur hat Selma Noort geschrieben, jubelt Rezensent Siggi Seuß. Die von Felicitas Horstschäfer illustrierte Geschichte dreht sich um eine Großfamilie, die van Rijns, die in fünf eng beieinander gebauten Häusern lebt. Die einzelnen Figuren werden nicht idealisiert, sondern in ihrer Alltäglichkeit dargestellt, es geht um Kooperation, aber auch um Streit, lernen wir, und damit, wie man mit einem tragischen Ereignis umgeht. Zur Familie gehört auch Yussuf, Juss genannt, dessen Mutter vor dem syrischen Bürgerkrieg flüchtete, in die Großfamilie einheiratete, sich dort auch wohl fühlt, aber niemand hat, dem sie von ihrer Vergangenheit erzählen kann. Insgesamt ein leichtfüßig geschriebenes Buch, voller toller Naturbeschreibungen und Milieuimpressionen, in dem sich Trauer und Glück, Alltag und Utopie wie im echten Leben untrennbar miteinander verbinden, freut sich der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.05.2024Jetzt musst du springen
Selma Noort erzählt in „Das kleine Haus am Fluss“ von einem
tragischen Ereignis und zeigt, wie man Katastrophen überwinden kann.
VON SIGI SEUSS
Komm stets wieder nach Hause, find den Weg, flieg hinein, schüttle und putz dein zerzaustes Gefieder und ruh dich aus.“ – Mit einem Gedicht vor der Zeichnung eines eingestürzten Mauerwerks beginnt der Roman „Das kleine Haus am Fluss“ der niederländischen Autorin Selma Noort. Die Geschichte beginnt mit einer Katastrophe, die über den zehnjährigen Jussuf, genannt „Juss“, und seine Familie hereinbricht. Ein Lastwagen hat die Wand seines Kinderzimmers durchbrochen und den Jungen unter einem Schuttberg begraben.
Alles wird gut? Selma Noort lässt den Ausgang erst einmal offen und erzählt die Geschichte vor der Tragödie. Sie erzählt von der Großfamilie der van Rijns – Zaza und Walter – Juss’ Eltern, Onkel und Tante mit ihren beiden Töchtern, Großonkel und Großtante, und: Oma Mu und Oma Mus Bruder, genannt Opa Gurrgurr. Die Familie wohnt in fünf kleinen, hintereinander gebauten Häusern, eingeklemmt zwischen einem von Birnbäumen gesäumten Fluss und der viel befahrenen Deichstraße, die unmittelbar an der Hauswand vorbeiführt, hinter der Juss’ Zimmer liegt.
Spätestens bei der Schilderung der Menschen, die diesseits und jenseits des Flusses wohnen und die zum Leben der van Rijns gehören, gewinnt man den Eindruck: Das wird keine pädagogisch korrekte Geschichte, an deren Ende die Welt wieder heil ist. Erzählt wird in kurzen Kapiteln – die Felicitas Horstschäfer mit Vignetten verziert hat –, wie sich Menschen in einer überschaubaren kleinen Welt miteinander verständigen, sich freuen, sich ärgern, sich helfen. Blödsinn machen, und, ja, manchmal auch heftig miteinander streiten. Erzählt wird davon, warum sich die einzelnen Van-Rijn-Familien dort zwischen Fluss und Straße ansiedelten, wo einst nur das Elternhaus stand. Erzählt wird, wie etwas unerwartet Tragisches in diese vertraute, gewohnte Welt einbricht und wie sich die Menschen nach der Katastrophe zusammentun und weiterleben. So, als sei es das Selbstverständlichste zwischen Himmel und Erde.
Selma Noort erzählt die Geschichte tatsächlich so selbstverständlich – und Übersetzerin Andrea Kluitmann tut es ihr gleich –, dass man sich bald die Frage stellt, warum das Naheliegende immer wieder so leicht in Vergessenheit gerät: sich umeinander kümmern und zusammenhalten. Zaza, zum Beispiel, könnte viel von durchlittenem Schrecken erzählen, sie, die, mit dem kleinen Juss im Bauch, aus ihrer zerbombten syrischen Heimat fliehen musste. Sie könnte von unermesslichem Schrecken erzählen, aber auch vom Glück, in ihrer neuen Heimat einen liebenden Mann gefunden zu haben und einen allerbesten Stiefvater für Juss, dessen leiblicher Vater in den Kriegswirren verschwunden ist. Sie könnte von wiedergefundener Geborgenheit in einer Familie erzählen, in der sich die Menschen, trotz ihrer ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten, gegenseitig wertschätzen. Zaza könnte und wollte erzählen, aber noch fehlen ihr die passenden Worte in der neuen Sprache. Und wenn es um die Trauer um das Verlorene geht, vermisst sie Menschen, mit denen sie das Erfahrene teilen kann.
Es ist bewundernswert, wie Selma Noort auf diese Weise die Schrecken der Welt in die Geschichte einbaut, ohne sie explizit auszuführen. Und wie sie dabei, nahezu en passant, einen Weg vorzeichnet, der helfen könnte, die Sprachlosigkeit zu überwinden. Erzählt wird mit einer großen Sympathie für die unterschiedlichsten Charaktere, mit einer Leichtigkeit in der Sprache, mit einem Humor, der die Figuren ernst nimmt und sie einbettet in nahezu impressionistische Schilderungen von Natur und Milieu.
So wie man es auch von Autoren und Autorinnen in der Nachfolge von Annie M. Schmidt, der großen alten Dame der niederländischen Kinderliteratur, kennt. Das ist das Wunderbare an diesem Roman: dass sich Ernst und Heiterkeit, Schwere und Leichtigkeit, das Alltägliche und die unerwarteten Katastrophen, das Tragische drinnen in den Familien und draußen in der nahen und in der fernen Welt so miteinander verbinden. Dass er die Gratwanderung schafft zwischen den Zumutungen der Wirklichkeit und den konkreten Utopien, sich davon nicht den Lebensmut zerstören zu lassen.
Zusammenhalten und immer ein bisschen Blödsinn machen: So übersteht man Krisen.
Foto: Imago/Pond5 Images
Selma Noort: Das kleine Haus am Fluss. Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann. Mit Bildern von Felicitas Horstschäfer. Gerstenberg
Verlag, Hildesheim 2024.
208 Seiten, 16 Euro.
Ab zehn Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Selma Noort erzählt in „Das kleine Haus am Fluss“ von einem
tragischen Ereignis und zeigt, wie man Katastrophen überwinden kann.
VON SIGI SEUSS
Komm stets wieder nach Hause, find den Weg, flieg hinein, schüttle und putz dein zerzaustes Gefieder und ruh dich aus.“ – Mit einem Gedicht vor der Zeichnung eines eingestürzten Mauerwerks beginnt der Roman „Das kleine Haus am Fluss“ der niederländischen Autorin Selma Noort. Die Geschichte beginnt mit einer Katastrophe, die über den zehnjährigen Jussuf, genannt „Juss“, und seine Familie hereinbricht. Ein Lastwagen hat die Wand seines Kinderzimmers durchbrochen und den Jungen unter einem Schuttberg begraben.
Alles wird gut? Selma Noort lässt den Ausgang erst einmal offen und erzählt die Geschichte vor der Tragödie. Sie erzählt von der Großfamilie der van Rijns – Zaza und Walter – Juss’ Eltern, Onkel und Tante mit ihren beiden Töchtern, Großonkel und Großtante, und: Oma Mu und Oma Mus Bruder, genannt Opa Gurrgurr. Die Familie wohnt in fünf kleinen, hintereinander gebauten Häusern, eingeklemmt zwischen einem von Birnbäumen gesäumten Fluss und der viel befahrenen Deichstraße, die unmittelbar an der Hauswand vorbeiführt, hinter der Juss’ Zimmer liegt.
Spätestens bei der Schilderung der Menschen, die diesseits und jenseits des Flusses wohnen und die zum Leben der van Rijns gehören, gewinnt man den Eindruck: Das wird keine pädagogisch korrekte Geschichte, an deren Ende die Welt wieder heil ist. Erzählt wird in kurzen Kapiteln – die Felicitas Horstschäfer mit Vignetten verziert hat –, wie sich Menschen in einer überschaubaren kleinen Welt miteinander verständigen, sich freuen, sich ärgern, sich helfen. Blödsinn machen, und, ja, manchmal auch heftig miteinander streiten. Erzählt wird davon, warum sich die einzelnen Van-Rijn-Familien dort zwischen Fluss und Straße ansiedelten, wo einst nur das Elternhaus stand. Erzählt wird, wie etwas unerwartet Tragisches in diese vertraute, gewohnte Welt einbricht und wie sich die Menschen nach der Katastrophe zusammentun und weiterleben. So, als sei es das Selbstverständlichste zwischen Himmel und Erde.
Selma Noort erzählt die Geschichte tatsächlich so selbstverständlich – und Übersetzerin Andrea Kluitmann tut es ihr gleich –, dass man sich bald die Frage stellt, warum das Naheliegende immer wieder so leicht in Vergessenheit gerät: sich umeinander kümmern und zusammenhalten. Zaza, zum Beispiel, könnte viel von durchlittenem Schrecken erzählen, sie, die, mit dem kleinen Juss im Bauch, aus ihrer zerbombten syrischen Heimat fliehen musste. Sie könnte von unermesslichem Schrecken erzählen, aber auch vom Glück, in ihrer neuen Heimat einen liebenden Mann gefunden zu haben und einen allerbesten Stiefvater für Juss, dessen leiblicher Vater in den Kriegswirren verschwunden ist. Sie könnte von wiedergefundener Geborgenheit in einer Familie erzählen, in der sich die Menschen, trotz ihrer ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten, gegenseitig wertschätzen. Zaza könnte und wollte erzählen, aber noch fehlen ihr die passenden Worte in der neuen Sprache. Und wenn es um die Trauer um das Verlorene geht, vermisst sie Menschen, mit denen sie das Erfahrene teilen kann.
Es ist bewundernswert, wie Selma Noort auf diese Weise die Schrecken der Welt in die Geschichte einbaut, ohne sie explizit auszuführen. Und wie sie dabei, nahezu en passant, einen Weg vorzeichnet, der helfen könnte, die Sprachlosigkeit zu überwinden. Erzählt wird mit einer großen Sympathie für die unterschiedlichsten Charaktere, mit einer Leichtigkeit in der Sprache, mit einem Humor, der die Figuren ernst nimmt und sie einbettet in nahezu impressionistische Schilderungen von Natur und Milieu.
So wie man es auch von Autoren und Autorinnen in der Nachfolge von Annie M. Schmidt, der großen alten Dame der niederländischen Kinderliteratur, kennt. Das ist das Wunderbare an diesem Roman: dass sich Ernst und Heiterkeit, Schwere und Leichtigkeit, das Alltägliche und die unerwarteten Katastrophen, das Tragische drinnen in den Familien und draußen in der nahen und in der fernen Welt so miteinander verbinden. Dass er die Gratwanderung schafft zwischen den Zumutungen der Wirklichkeit und den konkreten Utopien, sich davon nicht den Lebensmut zerstören zu lassen.
Zusammenhalten und immer ein bisschen Blödsinn machen: So übersteht man Krisen.
Foto: Imago/Pond5 Images
Selma Noort: Das kleine Haus am Fluss. Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann. Mit Bildern von Felicitas Horstschäfer. Gerstenberg
Verlag, Hildesheim 2024.
208 Seiten, 16 Euro.
Ab zehn Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Ein Juwel.« Nederlands Dagblad »Bewegende und ergreifende Kinderliteratur.« Het Parool