Für Giorgio Vasari, dem einzigartigen Chronisten der italienischen Malerei gab es die Götter: Michelangelo, Leonardo da Vinci und Raffael, danach kam erst der Herrgott. Raffael war unter den Dreien der jugendliche Tragiker, der an einem Karfreitag geboren wurden und mit noch jungen Jahren von 37 ebenfalls an einem Karfreitag starb. Vasari schildert das gleichwohl illustre wie arbeitsreiche Leben Raffaels in schillerndsten Farben und gibt dabei dem ungebremsten Lebenswandel Raffaels die Schuld an seinem frühen Tod, der durch einen Aderlass zur Kurierung einer Geschlechtskrankheit verursacht worden sein soll. Ob dies tatsächlich an dem war, war zwar Streitgestand der Gelehrten über Jahrhunderte hinweg, schmälert jedoch keineswegs den Lesegenuss dieser Biografie, die voller sprühender Begeisterung für Raffaels grandiose Kunst halt gern mal über die Stränge schlägt.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2004Die Kindheit und die Blüte italienischer Monaden
Die Gründungstexte der Kunstgeschichte: Giorgio Vasaris "Lebensbeschreibungen" in einer neuen Übersetzung
An die deutschsprachige Kunstwissenschaft stellt sich zunehmend die Frage, wie sehr sie sich noch auf ihren Ursprung als genuine Italienforschung zu verstehen bereit ist. Längst schon hat sie die Wortführerschaft auf diesem Feld an die angelsächsische Fachwelt abtreten müssen; kaum ein Lehrstuhl wird noch mit einer spezifischen Italienausrichtung ausgeschrieben und ließe sich auch nicht ohne weiteres besetzen, da die früher gänzlich unverzichtbare Italienstation in kunstwissenschaftlichen Karrieren durchaus nicht mehr obligat ist. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine Hauptursache für die erstaunlich rasche Marginalisierung der kunsthistorischen Italienforschung in Deutschland liegt freilich in deren Selbstverständnis begründet. Indem sie ihren Gegenstand zu sehr topographisch definierte, ist sie vielerorts zu einer Sonderform der Heimatforschung geraten, deren Anziehungskraft auf einen diskursorientierten Nachwuchs dabei notwendig hat leiden müssen.
Dieser "Campanilismo" freilich hat seine Tradition, und kein Name steht dafür prominenter als der Giorgio Vasaris. Dessen zuerst im Jahr 1550, dann 1568 überarbeitet und enorm erweitert erschienene Sammlung der Lebensbeschreibungen der bedeutendsten Künstler der italienischen frühen Neuzeit (sie reicht von Giotto bis zu Michelangelo und schließt mit Vasaris Autobiographie), die "Viten", sind nicht nur der Gründungstext der Kunstgeschichte schlechthin, sondern zugleich auch das kapitale Beispiel für einen hemmungslosen Lokalpatriotismus. Giorgio Vasaris "Viten" feiern die Toskana und ihr Zentrum, Florenz, was sie zugleich zu einem eminent politischen Text geraten läßt, der das Großherzogtum der Mediceer verklärt. Eine die Disziplingrenzen unbekümmert verletzende Forschung hat gerade diesen Aspekt von Vasaris Biographik jüngst untersucht und darüber hinaus auch literaturwissenschaftliche Fragen an diesen wohl folgenreichsten Text der Kunstliteratur gestellt. In der Kunstwissenschaft selbst aber gilt freilich oft genug noch das angelsächsische Diktum: "All art history is making footnotes to Vasari."
Der immense Quellenwert dieser Schrift ist natürlich unbestritten, wird kaum je erschöpft sein und noch Generationen von Kunsthistorikern ernähren. Und doch ist es höchste Zeit, daß das Textgebäude selbst wieder ins Zentrum rückt - schon um jene kritische Distanz herzustellen, aus der allein die Italienforschung ihre Anschlußfähigkeit an den internationalen kunsthistorischen Gedankenaustausch wiedergewinnen kann.
Für den deutschsprachigen Raum gilt zudem, daß bislang eine aktuelle Übersetzung nicht verfügbar war, von mangelhaften Florilegien abgesehen. Das Projekt einer Neuübersetzung und -kommentierung der Viten, das der in Frankfurt lehrende Kunsthistoriker Alessandro Nova sich in Zusammenarbeit mit einer schlagkräftigen Truppe von Nachwuchswissenschaftlern vorgenommen hat, kommt daher gleich beidem zugute. In zunächst drei Bänden sind jetzt die Biographien Pontormos, Raffaels und Parmigianinos erschienen. Die Übertragung folgt der Ausgabe aus dem Jahr 1568; der Text wird aber jeweils abgeglichen mit der früheren Edition, ergiebig und kompetent ergänzt um Daten, einen Stellenkommentar und ein Referat des Forschungsstands.
Die Isolierung der Viten zu Monographien ist einleuchtend. Denn wenngleich Vasari an einer aus biologistischen Metaphern gebildeten Geschichtsschreibung orientiert bleibt - die den Entwicklungsgang der Kunst von Kindheit zu Reife und Vollendung am Beispiel der Protagonisten von Malerei, Architektur und Skulptur der Renaissance nachzeichnet -, so gewinnt doch jede Künstlerexistenz bei ihm monadischen Charakter. Das humanistische Primat des Individuums siegt noch über das ideologische Konzept einer auf die "Musenresidenz" der Mediceer zulaufenden Teleologie.
Die ersten drei Bände - sie bilden nur den Auftakt der Serie, die bereits mit sechs weiteren Titeln angekündigt ist (im Oktober erscheinen "Das Leben des Sebastiano del Piombo" und "Das Leben des Rosse Fiorentino") und von der zu hoffen bleibt, daß sie am Ende sämtliche Viten, auch die vermeintlich randständigeren, berücksichtigt - werden begleitet von einem Einführungsband, der Vasaris verschiedene Vorreden und "Einleitungen" zu den Teilen seines Werks erstmals in deutscher Übersetzung enthält und durch ein Glossar erschließt. Es sind die eigentlichen theoretischen Grundlegungen dieses Unternehmens, an dem Vasari eine Vielzahl von Autoren, Theoretikern und Stichwortgebern aus den führenden geistigen Zirkeln der Apenninenhalbinsel beteiligt hat. Kaum ein anderes Werk der Zeit darf als verläßlicheres Panorama Italiens in einer seiner reichsten, auch intellektuell verschwenderischen Epochen gelten.
Zuversichtlich darf erwartet werden, daß diese selbst im Original viel zu selten gelesenen Positionsmarkierungen, die den Kanon dessen bilden, was in den Viten selbst als Modell ausgebreitet wird, durch Überspringen der Sprachgrenze auch bei jenen Interesse für die italienische Kunstgeschichte wecken, die sich bislang von betulicher Methodenfreiheit und Theoriefeindlichkeit haben abschrecken lassen müssen.
Novas hochambitioniertes Projekt, das schon jetzt seine epochale Geste erkennen läßt, stünde einer wissenschaftlichen Akademie gut an oder hätte den in Italien angesiedelten Forschungsinstituten zu sinnreichem Tun verholfen. Daß es aber aus einer deutschen Universität hervorgegangen ist, darf als erneuter Beleg für deren notorische Unterschätzung genommen werden. Das Verdienst freilich, daß die anmutig edierten Bücher erschwinglich in die Hände der Leser finden, verdankt sich dem Verlag Klaus Wagenbach, der Auge und Ohr noch immer wachsam nach Italien gerichtet hat. Er beschenkt sich damit im vierzigsten Jahr seines Bestehens selbst. Und nimmt in Kauf, daß alle sich daran bereichern.
ANDREAS BEYER
Giorgio Vasari: "Kunstgeschichte und Kunsttheorie". Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler. Herausgegeben von Alessandro Nova, übersetzt von Victoria Lorini, bearbeitet von Matteo Burioni und Sabine Feser. 288 S., Abb., br., 13,90 [Euro].
Giorgio Vasari: "Das Leben des Jacopo Pontormo". Herausgegeben von Alessandro Nova, übersetzt und bearbeitet von Katja Burzer. 144 S., Abb., br., 11,90 [Euro].
"Giorgio Vasari: "Das Leben des Parmigianino". Herausgegeben von Alessandro Nova, übersetzt von Matteo Burioni und Katja Burzer, bearbeitet von Matteo Burioni. 90 S., Abb., br., 10,90 [Euro].
Giorgio Vasari: "Das Leben des Raffael". Herausgegeben von Alessandro Nova, übersetzt von Hanna Gründler und Victoria Lorini, kommentiert von Hanna Gründler. 204 S., Abb., br., 12, 90 [Euro].
Alle Bände sind im Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2004, erschienen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Gründungstexte der Kunstgeschichte: Giorgio Vasaris "Lebensbeschreibungen" in einer neuen Übersetzung
An die deutschsprachige Kunstwissenschaft stellt sich zunehmend die Frage, wie sehr sie sich noch auf ihren Ursprung als genuine Italienforschung zu verstehen bereit ist. Längst schon hat sie die Wortführerschaft auf diesem Feld an die angelsächsische Fachwelt abtreten müssen; kaum ein Lehrstuhl wird noch mit einer spezifischen Italienausrichtung ausgeschrieben und ließe sich auch nicht ohne weiteres besetzen, da die früher gänzlich unverzichtbare Italienstation in kunstwissenschaftlichen Karrieren durchaus nicht mehr obligat ist. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine Hauptursache für die erstaunlich rasche Marginalisierung der kunsthistorischen Italienforschung in Deutschland liegt freilich in deren Selbstverständnis begründet. Indem sie ihren Gegenstand zu sehr topographisch definierte, ist sie vielerorts zu einer Sonderform der Heimatforschung geraten, deren Anziehungskraft auf einen diskursorientierten Nachwuchs dabei notwendig hat leiden müssen.
Dieser "Campanilismo" freilich hat seine Tradition, und kein Name steht dafür prominenter als der Giorgio Vasaris. Dessen zuerst im Jahr 1550, dann 1568 überarbeitet und enorm erweitert erschienene Sammlung der Lebensbeschreibungen der bedeutendsten Künstler der italienischen frühen Neuzeit (sie reicht von Giotto bis zu Michelangelo und schließt mit Vasaris Autobiographie), die "Viten", sind nicht nur der Gründungstext der Kunstgeschichte schlechthin, sondern zugleich auch das kapitale Beispiel für einen hemmungslosen Lokalpatriotismus. Giorgio Vasaris "Viten" feiern die Toskana und ihr Zentrum, Florenz, was sie zugleich zu einem eminent politischen Text geraten läßt, der das Großherzogtum der Mediceer verklärt. Eine die Disziplingrenzen unbekümmert verletzende Forschung hat gerade diesen Aspekt von Vasaris Biographik jüngst untersucht und darüber hinaus auch literaturwissenschaftliche Fragen an diesen wohl folgenreichsten Text der Kunstliteratur gestellt. In der Kunstwissenschaft selbst aber gilt freilich oft genug noch das angelsächsische Diktum: "All art history is making footnotes to Vasari."
Der immense Quellenwert dieser Schrift ist natürlich unbestritten, wird kaum je erschöpft sein und noch Generationen von Kunsthistorikern ernähren. Und doch ist es höchste Zeit, daß das Textgebäude selbst wieder ins Zentrum rückt - schon um jene kritische Distanz herzustellen, aus der allein die Italienforschung ihre Anschlußfähigkeit an den internationalen kunsthistorischen Gedankenaustausch wiedergewinnen kann.
Für den deutschsprachigen Raum gilt zudem, daß bislang eine aktuelle Übersetzung nicht verfügbar war, von mangelhaften Florilegien abgesehen. Das Projekt einer Neuübersetzung und -kommentierung der Viten, das der in Frankfurt lehrende Kunsthistoriker Alessandro Nova sich in Zusammenarbeit mit einer schlagkräftigen Truppe von Nachwuchswissenschaftlern vorgenommen hat, kommt daher gleich beidem zugute. In zunächst drei Bänden sind jetzt die Biographien Pontormos, Raffaels und Parmigianinos erschienen. Die Übertragung folgt der Ausgabe aus dem Jahr 1568; der Text wird aber jeweils abgeglichen mit der früheren Edition, ergiebig und kompetent ergänzt um Daten, einen Stellenkommentar und ein Referat des Forschungsstands.
Die Isolierung der Viten zu Monographien ist einleuchtend. Denn wenngleich Vasari an einer aus biologistischen Metaphern gebildeten Geschichtsschreibung orientiert bleibt - die den Entwicklungsgang der Kunst von Kindheit zu Reife und Vollendung am Beispiel der Protagonisten von Malerei, Architektur und Skulptur der Renaissance nachzeichnet -, so gewinnt doch jede Künstlerexistenz bei ihm monadischen Charakter. Das humanistische Primat des Individuums siegt noch über das ideologische Konzept einer auf die "Musenresidenz" der Mediceer zulaufenden Teleologie.
Die ersten drei Bände - sie bilden nur den Auftakt der Serie, die bereits mit sechs weiteren Titeln angekündigt ist (im Oktober erscheinen "Das Leben des Sebastiano del Piombo" und "Das Leben des Rosse Fiorentino") und von der zu hoffen bleibt, daß sie am Ende sämtliche Viten, auch die vermeintlich randständigeren, berücksichtigt - werden begleitet von einem Einführungsband, der Vasaris verschiedene Vorreden und "Einleitungen" zu den Teilen seines Werks erstmals in deutscher Übersetzung enthält und durch ein Glossar erschließt. Es sind die eigentlichen theoretischen Grundlegungen dieses Unternehmens, an dem Vasari eine Vielzahl von Autoren, Theoretikern und Stichwortgebern aus den führenden geistigen Zirkeln der Apenninenhalbinsel beteiligt hat. Kaum ein anderes Werk der Zeit darf als verläßlicheres Panorama Italiens in einer seiner reichsten, auch intellektuell verschwenderischen Epochen gelten.
Zuversichtlich darf erwartet werden, daß diese selbst im Original viel zu selten gelesenen Positionsmarkierungen, die den Kanon dessen bilden, was in den Viten selbst als Modell ausgebreitet wird, durch Überspringen der Sprachgrenze auch bei jenen Interesse für die italienische Kunstgeschichte wecken, die sich bislang von betulicher Methodenfreiheit und Theoriefeindlichkeit haben abschrecken lassen müssen.
Novas hochambitioniertes Projekt, das schon jetzt seine epochale Geste erkennen läßt, stünde einer wissenschaftlichen Akademie gut an oder hätte den in Italien angesiedelten Forschungsinstituten zu sinnreichem Tun verholfen. Daß es aber aus einer deutschen Universität hervorgegangen ist, darf als erneuter Beleg für deren notorische Unterschätzung genommen werden. Das Verdienst freilich, daß die anmutig edierten Bücher erschwinglich in die Hände der Leser finden, verdankt sich dem Verlag Klaus Wagenbach, der Auge und Ohr noch immer wachsam nach Italien gerichtet hat. Er beschenkt sich damit im vierzigsten Jahr seines Bestehens selbst. Und nimmt in Kauf, daß alle sich daran bereichern.
ANDREAS BEYER
Giorgio Vasari: "Kunstgeschichte und Kunsttheorie". Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler. Herausgegeben von Alessandro Nova, übersetzt von Victoria Lorini, bearbeitet von Matteo Burioni und Sabine Feser. 288 S., Abb., br., 13,90 [Euro].
Giorgio Vasari: "Das Leben des Jacopo Pontormo". Herausgegeben von Alessandro Nova, übersetzt und bearbeitet von Katja Burzer. 144 S., Abb., br., 11,90 [Euro].
"Giorgio Vasari: "Das Leben des Parmigianino". Herausgegeben von Alessandro Nova, übersetzt von Matteo Burioni und Katja Burzer, bearbeitet von Matteo Burioni. 90 S., Abb., br., 10,90 [Euro].
Giorgio Vasari: "Das Leben des Raffael". Herausgegeben von Alessandro Nova, übersetzt von Hanna Gründler und Victoria Lorini, kommentiert von Hanna Gründler. 204 S., Abb., br., 12, 90 [Euro].
Alle Bände sind im Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2004, erschienen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Willibald Sauerländer bespricht die ersten vier der auf neun Bände angelegten Auswahl-Übersetzung von Giorgio Vasaris "Viten" auf einen Streich. Genauer gesagt verbringt er den größten Teil seines Rezensionsspielraums mit der Rekapitulation der kunstgeschichtlichen Bedeutung des Künstlerbiografienwerks des Künstlers Vasari. Lange konnte und wollte, berichtet Sauerländer, die egalitär gesinnte Kunstgeschichte mit Vasaris Grundthese von Fortschritt und Verfall nichts anfangen - da musste schon Gombrich kommen mit seinem Kampfesruf: "Vasari was right!". Diese Ausgabe also tut dringend Not, da neben zwei alten, nirgends mehr erhältlichen Übersetzungen nur viel kleinere Auswahlen in deutscher Sprache existieren. Im Grunde hält Sauerländer sie auch durchaus für gelungen, einzig bei der Übersetzung zentraler Begriffe Vasaris werden, bemängelt er, Bedeutungsdifferenzen zwischen dem damaligen Italienisch und dem heutigen Deutsch oft leichtfertig eingeebnet. Darunter, bedauert der Rezensent, leidet auch das Glossar. Er beeilt sich aber hinzuzufügen, dass er mit diesen kritischen Einwänden "die Meriten und den Stimulus" dieser Ausgabe nicht in Frage stellen will.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH