Wo geht die Liebe hin, wenn man sagt, sie ist verschwunden? Eine Frau will ihren Mann verlassen. Nach vielen Jahren Zusammenleben und Ehe ist sie entschlossen und bestürzt zugleich: Wie konnte es nur dazu kommen? Während sie ihr Fortgehen plant, begibt sie sich in ihren Gedanken weit zurück. Da waren die rauschhaften Jahre der Verliebtheit, an der Universität, zu zweit im Ausland und später mit den kleinen Kindern, aber da gab es auch die Kehrseite - Momente, die zu Wendepunkten wurden und das Scheitern schon vorausahnen ließen. Doch ist etwas überhaupt gescheitert, wenn es so lange dauert? Julia Schoch legt frei, was im Alltag eines Paares oft verborgen ist: die Liebesmuster, die Schönheit auch in der Ernüchterung. Ein Loblied auf die Liebe.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensentin Judith von Sternburg liest gebannt diese Liebesgeschichte in der Vergangenheitsform, wie sie Julia Schoch mit für die Rezensentin erkennbarem autobiografischem Einschlag aufschreibt. Was Sternburg so bezaubert an diesem Dokument einer "Überwältigung durch Liebe" von ihrem Ende her, ist seine Präzision, die vielen pointierten Beobachtungen, und auch der Umstand, dass der Angehimmelte für die Leserin so anhimmelnswert gar nicht erscheint. Dass dabei auch Zeitgeschichte vermittelt wird, findet Sternburg auch nicht übel.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.02.2023Die sanften Risse der Zeit
Julia Schoch hat mit „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ einen wahren und mutigen Roman über das Auseinanderleben geschrieben
„Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich. Drei Wörter, die jeder Mensch begreift. Es genügen drei Wörter, und alles ist getan. Man muss sie bloß aussprechen. Ich bin erstaunt, dass es so einfach ist. Und noch etwas erstaunt mich: Der Satz ist genauso kurz wie der, den ich am Anfang unserer Geschichte gesagt habe. Am Anfang habe ich zu dir gesagt: Ich liebe dich.“
Zwischen diesen beiden Sätzen liegt das ganze 31 Jahre lange gemeinsame Leben, das jetzt, so scheint es, an sein Ende gekommen ist. Die Ich-Erzählerin fragt sich: „Wann hat mich der Gedanke an die Möglichkeit, dich zu verlassen, das erste Mal durchzuckt? Es ist nämlich ein Durchzucken.“ Und, Achtung: „Man muss vorsichtig sein. Wenn man etwas ausspricht, ist es auch in der Welt.“ Eigentlich ist es schon in der Welt, wenn man es nur denkt. „Weil fast alles, was gedacht wird, irgendwann auch getan wird. Getan werden muss. Es ist wie ein Zwang.“
Julia Schoch dröselt diese Liebe bis in alle Einzelheiten rückwärts auf, und alles, was sie schreibt, kennen wir. Die rauschenden Anfänge, das Begehren, die Leidenschaft. Das Glück, die eine verwandte Seele gefunden zu haben. Endlich einander alles erzählen zu können, das ganze bisherige Leben. Die erste gemeinsame Wohnung, eng, klein, die Matratze auf dem Boden. Am Anfang ist sie 1,20 Meter breit. Dann 1,40 Meter, dann 1,60 und schließlich 1,80 Meter – „offenbar ist die Bedingung fürs Zusammenbleiben, dass man abrückt voneinander.“ Die immer größer werdenden Wohnungen, Anschaffungen, bis wir irgendwann beim Klorollenhalter von Manufaktum landen. Und dann geht’s unmerklich bergab. Wohin ist die Leidenschaft geschwunden, wann hat sie das Begehren mitgenommen? Wann hat das angefangen?
Die Erzählerin (wir können denken, dass es ein zumindest in weiten Teilen autobiographischer Text ist, denn es gibt Hinweise auf das erste Buch der Autorin, „Das Vorkommnis“) hat mit dem Aufzeichnen begonnen, als erste Zweifel kamen. Es ist geradezu ein Zwang, alles auszupacken. „Im Verschweigen, im verzweifelten Verschweigen erzählt sich das Leben.“ „Du und ich,“ schreibt sie, „ – das Liebespaar des Jahrhunderts!“ Und: „Heute wünschte ich, Erzählen würde nicht automatisch bedeuten, alles liegt in der Vergangenheit.“ Aus allem, was sie erzählt, spricht die Trauer um zwei Menschen, die nicht mehr sind, was sie mal waren.
Was für eine Chronologie steckt in so einer Geschichte, die eines allmählichen Verlustes oder die einer Befreiung? Man braucht, sagt sie, einen Wimpernschlag, um sich zu verlieben und dann dreißig Jahre, um Gründe dagegen zu sammeln. Es gibt kein Suchen nach Schuld, es gibt nicht das eine große trennende Ereignis. Es sind die sanften Risse der Zeit, die die Liebe brüchig machen, die Kleinigkeiten, die eigentlich gar nichts bedeuten – aber: „Das stimmt nicht. Es bedeutet immer etwas. Nur manchmal etwas anderes als man glaubt.“ Und: „Das Unglück ist nicht auf uns herabgestürzt, nicht über uns hereingebrochen, es ist langsam in uns eingedrungen, beinahe sanft hat es sich eingeschlichen.“ Auch das kennen wir. Nach langer Zweisamkeit will man wieder näher bei sich selbst sein. Näher bei sich heißt: weiter weg vom anderen. „Wie es aussieht, ist die Emanzipation der Tod der Liebe.“ Und noch so ein ungeheuerlicher Satz: „Wir waren seit so vielen Jahren zusammen, aber ich wusste immer noch nicht, wer von uns beiden der Einsamere war.“
Solche Sätze traut sich Schoch zu schreiben, und es tut gut, sie zu lesen, denn wir haben auch insgeheim verzweifelte und zornige Gedanken, wenn die Liebe, an die wir jahrzehntelang geglaubt haben, plötzlich nicht mehr standhält, keinen Sinn mehr macht. Wer hat Schuld? Niemand. Alle. Die Art, wie wir leben. Jeder von uns in seiner Blase. Um uns herum eine Dumpfheit, ein Zeitgeist, der zermürbt. Haben wir keine anderen Sorgen als unser verhätscheltes Ich mit dem Anspruch auf Dauerglück? Solange wir glücklich sind, sind wir hochmütig. Und später sehnen wir uns nach der Zeit, als das Scheitern noch vor uns lag.
Jetzt also: das Ende einer Liebe. Verwandelt man sich in sein früheres Selbst zurück, wenn der andere aufhört, einen zu lieben? Und was kommt eigentlich danach? Der Erzählerin wird vor lauter „Zukunftsverlassenheit“ schwer ums Herz.
Ich kenne das alles. Ich lese dieses Buch, als hätte ich es selbst geschrieben. Ich zitiere so viel, damit Sie sehen, wie intensiv, wie klar, wie schonungslos es geschrieben ist. Es ist das wahrste Buch über Liebe und Scheitern und unerträgliche Erwartungen, das ich seit langem gelesen habe. Wobei ich natürlich weiß, dass Literatur nicht „wahr“ sein muss. Sie muss in dem, was und wie sie erzählt, wahrhaftig sein und standhalten. Und auch das tut Julia Schoch in „Das Liebespaar des Jahrhunderts.“ Denn es geht ja nicht um dieses erzählte Liebespaar. Es geht um uns in diesem Jahrhundert, in dem die verzweifelte Liebe uns irgendeinen verlorengegangenen Sinn ersetzen soll. Und am Ende? Verlässt sie ihn tatsächlich? Kann man auch von einem erfüllten Leben reden, wenn eine Liebe scheitert?
Das müssen Sie schon selber lesen.
ELKE HEIDENREICH
Kann man auch von einem
erfüllten Leben reden,
wenn eine Liebe scheitert?
Julia Schoch: Das Liebespaar des Jahrhunderts. Roman. dtv, München 2023.
192 Seiten, 22 Euro.
„Offenbar ist die Bedingung fürs Zusammenbleiben, dass man abrückt voneinander“: Autorin Julia Schoch.
Foto: Sabine Gudath/imago images
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Julia Schoch hat mit „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ einen wahren und mutigen Roman über das Auseinanderleben geschrieben
„Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich. Drei Wörter, die jeder Mensch begreift. Es genügen drei Wörter, und alles ist getan. Man muss sie bloß aussprechen. Ich bin erstaunt, dass es so einfach ist. Und noch etwas erstaunt mich: Der Satz ist genauso kurz wie der, den ich am Anfang unserer Geschichte gesagt habe. Am Anfang habe ich zu dir gesagt: Ich liebe dich.“
Zwischen diesen beiden Sätzen liegt das ganze 31 Jahre lange gemeinsame Leben, das jetzt, so scheint es, an sein Ende gekommen ist. Die Ich-Erzählerin fragt sich: „Wann hat mich der Gedanke an die Möglichkeit, dich zu verlassen, das erste Mal durchzuckt? Es ist nämlich ein Durchzucken.“ Und, Achtung: „Man muss vorsichtig sein. Wenn man etwas ausspricht, ist es auch in der Welt.“ Eigentlich ist es schon in der Welt, wenn man es nur denkt. „Weil fast alles, was gedacht wird, irgendwann auch getan wird. Getan werden muss. Es ist wie ein Zwang.“
Julia Schoch dröselt diese Liebe bis in alle Einzelheiten rückwärts auf, und alles, was sie schreibt, kennen wir. Die rauschenden Anfänge, das Begehren, die Leidenschaft. Das Glück, die eine verwandte Seele gefunden zu haben. Endlich einander alles erzählen zu können, das ganze bisherige Leben. Die erste gemeinsame Wohnung, eng, klein, die Matratze auf dem Boden. Am Anfang ist sie 1,20 Meter breit. Dann 1,40 Meter, dann 1,60 und schließlich 1,80 Meter – „offenbar ist die Bedingung fürs Zusammenbleiben, dass man abrückt voneinander.“ Die immer größer werdenden Wohnungen, Anschaffungen, bis wir irgendwann beim Klorollenhalter von Manufaktum landen. Und dann geht’s unmerklich bergab. Wohin ist die Leidenschaft geschwunden, wann hat sie das Begehren mitgenommen? Wann hat das angefangen?
Die Erzählerin (wir können denken, dass es ein zumindest in weiten Teilen autobiographischer Text ist, denn es gibt Hinweise auf das erste Buch der Autorin, „Das Vorkommnis“) hat mit dem Aufzeichnen begonnen, als erste Zweifel kamen. Es ist geradezu ein Zwang, alles auszupacken. „Im Verschweigen, im verzweifelten Verschweigen erzählt sich das Leben.“ „Du und ich,“ schreibt sie, „ – das Liebespaar des Jahrhunderts!“ Und: „Heute wünschte ich, Erzählen würde nicht automatisch bedeuten, alles liegt in der Vergangenheit.“ Aus allem, was sie erzählt, spricht die Trauer um zwei Menschen, die nicht mehr sind, was sie mal waren.
Was für eine Chronologie steckt in so einer Geschichte, die eines allmählichen Verlustes oder die einer Befreiung? Man braucht, sagt sie, einen Wimpernschlag, um sich zu verlieben und dann dreißig Jahre, um Gründe dagegen zu sammeln. Es gibt kein Suchen nach Schuld, es gibt nicht das eine große trennende Ereignis. Es sind die sanften Risse der Zeit, die die Liebe brüchig machen, die Kleinigkeiten, die eigentlich gar nichts bedeuten – aber: „Das stimmt nicht. Es bedeutet immer etwas. Nur manchmal etwas anderes als man glaubt.“ Und: „Das Unglück ist nicht auf uns herabgestürzt, nicht über uns hereingebrochen, es ist langsam in uns eingedrungen, beinahe sanft hat es sich eingeschlichen.“ Auch das kennen wir. Nach langer Zweisamkeit will man wieder näher bei sich selbst sein. Näher bei sich heißt: weiter weg vom anderen. „Wie es aussieht, ist die Emanzipation der Tod der Liebe.“ Und noch so ein ungeheuerlicher Satz: „Wir waren seit so vielen Jahren zusammen, aber ich wusste immer noch nicht, wer von uns beiden der Einsamere war.“
Solche Sätze traut sich Schoch zu schreiben, und es tut gut, sie zu lesen, denn wir haben auch insgeheim verzweifelte und zornige Gedanken, wenn die Liebe, an die wir jahrzehntelang geglaubt haben, plötzlich nicht mehr standhält, keinen Sinn mehr macht. Wer hat Schuld? Niemand. Alle. Die Art, wie wir leben. Jeder von uns in seiner Blase. Um uns herum eine Dumpfheit, ein Zeitgeist, der zermürbt. Haben wir keine anderen Sorgen als unser verhätscheltes Ich mit dem Anspruch auf Dauerglück? Solange wir glücklich sind, sind wir hochmütig. Und später sehnen wir uns nach der Zeit, als das Scheitern noch vor uns lag.
Jetzt also: das Ende einer Liebe. Verwandelt man sich in sein früheres Selbst zurück, wenn der andere aufhört, einen zu lieben? Und was kommt eigentlich danach? Der Erzählerin wird vor lauter „Zukunftsverlassenheit“ schwer ums Herz.
Ich kenne das alles. Ich lese dieses Buch, als hätte ich es selbst geschrieben. Ich zitiere so viel, damit Sie sehen, wie intensiv, wie klar, wie schonungslos es geschrieben ist. Es ist das wahrste Buch über Liebe und Scheitern und unerträgliche Erwartungen, das ich seit langem gelesen habe. Wobei ich natürlich weiß, dass Literatur nicht „wahr“ sein muss. Sie muss in dem, was und wie sie erzählt, wahrhaftig sein und standhalten. Und auch das tut Julia Schoch in „Das Liebespaar des Jahrhunderts.“ Denn es geht ja nicht um dieses erzählte Liebespaar. Es geht um uns in diesem Jahrhundert, in dem die verzweifelte Liebe uns irgendeinen verlorengegangenen Sinn ersetzen soll. Und am Ende? Verlässt sie ihn tatsächlich? Kann man auch von einem erfüllten Leben reden, wenn eine Liebe scheitert?
Das müssen Sie schon selber lesen.
ELKE HEIDENREICH
Kann man auch von einem
erfüllten Leben reden,
wenn eine Liebe scheitert?
Julia Schoch: Das Liebespaar des Jahrhunderts. Roman. dtv, München 2023.
192 Seiten, 22 Euro.
„Offenbar ist die Bedingung fürs Zusammenbleiben, dass man abrückt voneinander“: Autorin Julia Schoch.
Foto: Sabine Gudath/imago images
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2023Wer wird man, wenn die Liebe endet?
Julia Schoch setzt ihre Trilogie "Biographie einer Frau" fort: "Das Liebespaar des Jahrhunderts" erkundet das Prekäre einer Beziehung.
Julia Schoch ist Spezialistin für kleine Sätze mit großer Wirkkraft. Aus der Lakonik ihrer rauen, bisweilen fast spröde arrangierten Prosa entfaltet ihr Schreiben eine feingliedrige Dramatik. Voriges Jahr veröffentlichte die 1974 in Bad Saarow geborene Schriftstellerin den ersten Band ihrer Trilogie "Biographie einer Frau". Schon da entfaltete das Ungeheuerliche seine Wucht in aller Kürze. Nur fünf Worte brauchte sie dafür: "Wir haben übrigens denselben Vater" hieß der Satz, der ein Leben in ein Davor und Danach teilte. Der Roman "Das Vorkommnis", in dem dieser Satz fiel, lief dabei nicht etwa auf die unerhörte Begebenheit hinaus, sondern sie trug sich gleich zu Beginn zu.
Die namenlose Ich-Erzählerin, eine Schriftstellerin, die nach einer Lesung von einer Fremden auf diese Weise angesprochen wird, tut dies zunächst als lässliches Ereignis ab, um sie dennoch nicht mehr loszuwerden. Der Terror des Verdrängten bricht sich Bahn und setzt bald ihr gesamtes Dasein dem Zweifel aus. Das Quadrat ihrer ostdeutschen Herkunftsfamilie - Vater, Mutter, zwei Töchter - gerät aus dem Gleichgewicht und wirft die drängende Frage auf: War sie je im Gleichgewicht?
Man durfte gespannt sein, wie die heute in Potsdam lebende Autorin diesen vielversprechenden Auftakt ihrer Trilogie weiterführen würde. Soeben ist der zweite Band erschienen, den man als geglückte Fortsetzung auf Augenhöhe bezeichnen darf. Es gelingt Julia Schoch aufs Neue, den kleinsten Erschütterungen, die auch hier die größten Fragen aufwerfen - wovon träumen wir, wer wollen wir sein, was stabilisiert uns -, klug und eigenwillig nachzugehen.
Auch das Familienquadrat kommt in "Das Liebespaar des Jahrhunderts" vor - diesmal allerdings nicht in Bezug auf die Familie mit Eltern, sondern die mit den eigenen Kindern. Und auch hier steht ein erster Satz wie in Stein gehauen, der umso mehr aufhorchen lässt, als die weibliche Erzählstimme seine Wirkung selbst herunterspielt: "Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich." Drei Wörter nur, die so schnell gesagt sein können und zugleich den Schlusspunkt von allem markieren. Einmal ausgesprochen, lassen sie sich nicht mehr einfangen. Dass Schoch in diesem Auftakt zugleich den anderen Satz spiegelt, der sich ebenfalls aus drei Wörtern zusammensetzt, von denen zwei auch noch identisch sind, und den Auftakt zu den ganz großen Gefühlen darstellt - ich liebe dich - , ist typisch für ihre Prosa.
"Wie es aussieht", lässt sie ihre Ich-Erzählerin resümieren, "lässt sich das wichtigste im Leben mit sehr wenigen Wörtern sagen." Sie weiß viel und grübelt noch mehr, was nicht zuletzt ein Grund sein dürfte, weshalb auch das Gegenüber, der Mann, anfangs ein Freund, dann die große Liebe, schließlich der Ehemann, sich über die Jahre distanziert. Dabei kennen wir die Art, wie er denkt, fühlt und warum er handelt, wie er handelt, in dieser Paargeschichte in Zeitlupe ja allein aus ihrer Perspektive. Dass sein Standpunkt, um den es hier ein ums andere Mal geht und der angesprochen ist in direktem "du", ein blinder Fleck bleibt, macht den Reiz der Recherche in eigener Sache aus.
Erzählt wird aus der Erinnerung die Geschichte einer großen Liebe - und wie sie auf dem biographischen Weg von mehr als dreißig Jahren zerbröselt. Kaum je hat man vergleichbar entschlossen über die Entfremdung zweier Liebender gelesen bis in die kleinsten Windungen der Empfindungen hinein. Fast ist es, als niste sich der schmale, hochkonzentrierte Roman in die Zwischenräume von Erich Kästners Gedicht "Sachliche Romanze" ein: Bei ihm heißt es so knapp wie herzergreifend treffend: "Als sie einander acht Jahre kannten / (und man darf sagen: sie kannten sich gut), / kam ihre Liebe plötzlich abhanden. / Wie andern Leuten ein Stock oder Hut." Was sich hier hineinphantasieren lässt, ist Schochs eigentliches Thema. Mit unerbittlichem Sezierwillen geht sie dem nach, was da irgendwann verloren ging, wendet es hin und her, zoomt es heran, drückt es wieder weg, schaut es an, um wie mit dem Rechenschieber Klarheit hineinzubringen in etwas, das in Wahrheit doch ein so weites, unergründliches Feld ist.
Erinnernd rollt die Autorin die Beziehung von der ersten Begegnung an auf, als wolle sie den Ariadnefaden wieder auf die Spule zurückwickeln. Vom ersten Treffen in der kleinen Plattenbauwohnung am Stadtrand, als es noch Telefone mit Kabel gab und man Tee auf dem Boden sitzend trank. Er und sie sind beide jung, studieren, vor ein paar Jahren ist die Berliner Mauer gefallen, und das Paar, im Osten aufgewachsen, erkundet die Freiheit, liest Georges Perec, fährt nach Osteuropa, um in der Trostlosigkeit von Bukarest das Land der vertrauten Kindheit wiederzufinden.
Sie gibt ihm irgendwann den Wohnungsschlüssel und lässt sich die Haare abschneiden. Doch nicht etwa wegen der Hitze, sondern um sich ihm anzugleichen, was schon früh erkennen lässt, wie sehr eine Beziehung hier auch zur prekären Identitätsrahmung genutzt wird.
Die Erzählerin weiß genau, was sie tut, wenn sie die Erinnerungsfragmente wie auf einer zweiten Tonspur von Reflexionen begleiten lässt, die das erinnernde Ich auch selbst immer wieder infrage stellt. Bisweilen zeigt Schoch ein Talent für Sentenzen, wenn es etwa heißt, die Liebe verhindere das Schlechte, aber seltsamerweise auch das Gute, oder dass man scheitere, wenn man über das schreibe, was einen glücklich mache. Die Erzählerin selbst kann dabei überhaupt nur einzelne Szenen wiedergeben, nicht aber eine Gesamtdramaturgie. Daraus bezieht der Roman mitunter seine trockene Komik, wenn etwa die 31 Sommer währende Beziehung in Listen auf vier Küchen, sechs Autos, 42 Reisen, 912 Partien Halma und 8667 geschmierte Schulbrote verkürzt wird.
Lässt sich am Ende ein gelebtes Leben in Zahlen und Statistiken genauer erfassen als in psychologischer Deutung? "Sie waren traurig, betrugen sich heiter, / versuchten Küsse, als ob nichts sei", heißt es bei Kästner. Dass er nichts von Unglücklichkeit halte, das sei nur Energieverschwendung, heißt es bei Schoch. Als er das sagt, gehen ihr die Gründe fürs Sterbenwollen aus. In solch obskurer Zärtlichkeit oszilliert diese Liebeserzählung. Ihre Liebe verwandelte sich, heißt es auf einem anderen Zettel: "Sie kannten sich nicht mehr. Und dann?" Die Antwort darauf liegt jetzt vor. SANDRA KEGEL
Julia Schoch: "Das Liebespaar des Jahrhunderts". Roman.
dtv Verlag, München 2023. 192 S. geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Julia Schoch setzt ihre Trilogie "Biographie einer Frau" fort: "Das Liebespaar des Jahrhunderts" erkundet das Prekäre einer Beziehung.
Julia Schoch ist Spezialistin für kleine Sätze mit großer Wirkkraft. Aus der Lakonik ihrer rauen, bisweilen fast spröde arrangierten Prosa entfaltet ihr Schreiben eine feingliedrige Dramatik. Voriges Jahr veröffentlichte die 1974 in Bad Saarow geborene Schriftstellerin den ersten Band ihrer Trilogie "Biographie einer Frau". Schon da entfaltete das Ungeheuerliche seine Wucht in aller Kürze. Nur fünf Worte brauchte sie dafür: "Wir haben übrigens denselben Vater" hieß der Satz, der ein Leben in ein Davor und Danach teilte. Der Roman "Das Vorkommnis", in dem dieser Satz fiel, lief dabei nicht etwa auf die unerhörte Begebenheit hinaus, sondern sie trug sich gleich zu Beginn zu.
Die namenlose Ich-Erzählerin, eine Schriftstellerin, die nach einer Lesung von einer Fremden auf diese Weise angesprochen wird, tut dies zunächst als lässliches Ereignis ab, um sie dennoch nicht mehr loszuwerden. Der Terror des Verdrängten bricht sich Bahn und setzt bald ihr gesamtes Dasein dem Zweifel aus. Das Quadrat ihrer ostdeutschen Herkunftsfamilie - Vater, Mutter, zwei Töchter - gerät aus dem Gleichgewicht und wirft die drängende Frage auf: War sie je im Gleichgewicht?
Man durfte gespannt sein, wie die heute in Potsdam lebende Autorin diesen vielversprechenden Auftakt ihrer Trilogie weiterführen würde. Soeben ist der zweite Band erschienen, den man als geglückte Fortsetzung auf Augenhöhe bezeichnen darf. Es gelingt Julia Schoch aufs Neue, den kleinsten Erschütterungen, die auch hier die größten Fragen aufwerfen - wovon träumen wir, wer wollen wir sein, was stabilisiert uns -, klug und eigenwillig nachzugehen.
Auch das Familienquadrat kommt in "Das Liebespaar des Jahrhunderts" vor - diesmal allerdings nicht in Bezug auf die Familie mit Eltern, sondern die mit den eigenen Kindern. Und auch hier steht ein erster Satz wie in Stein gehauen, der umso mehr aufhorchen lässt, als die weibliche Erzählstimme seine Wirkung selbst herunterspielt: "Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich." Drei Wörter nur, die so schnell gesagt sein können und zugleich den Schlusspunkt von allem markieren. Einmal ausgesprochen, lassen sie sich nicht mehr einfangen. Dass Schoch in diesem Auftakt zugleich den anderen Satz spiegelt, der sich ebenfalls aus drei Wörtern zusammensetzt, von denen zwei auch noch identisch sind, und den Auftakt zu den ganz großen Gefühlen darstellt - ich liebe dich - , ist typisch für ihre Prosa.
"Wie es aussieht", lässt sie ihre Ich-Erzählerin resümieren, "lässt sich das wichtigste im Leben mit sehr wenigen Wörtern sagen." Sie weiß viel und grübelt noch mehr, was nicht zuletzt ein Grund sein dürfte, weshalb auch das Gegenüber, der Mann, anfangs ein Freund, dann die große Liebe, schließlich der Ehemann, sich über die Jahre distanziert. Dabei kennen wir die Art, wie er denkt, fühlt und warum er handelt, wie er handelt, in dieser Paargeschichte in Zeitlupe ja allein aus ihrer Perspektive. Dass sein Standpunkt, um den es hier ein ums andere Mal geht und der angesprochen ist in direktem "du", ein blinder Fleck bleibt, macht den Reiz der Recherche in eigener Sache aus.
Erzählt wird aus der Erinnerung die Geschichte einer großen Liebe - und wie sie auf dem biographischen Weg von mehr als dreißig Jahren zerbröselt. Kaum je hat man vergleichbar entschlossen über die Entfremdung zweier Liebender gelesen bis in die kleinsten Windungen der Empfindungen hinein. Fast ist es, als niste sich der schmale, hochkonzentrierte Roman in die Zwischenräume von Erich Kästners Gedicht "Sachliche Romanze" ein: Bei ihm heißt es so knapp wie herzergreifend treffend: "Als sie einander acht Jahre kannten / (und man darf sagen: sie kannten sich gut), / kam ihre Liebe plötzlich abhanden. / Wie andern Leuten ein Stock oder Hut." Was sich hier hineinphantasieren lässt, ist Schochs eigentliches Thema. Mit unerbittlichem Sezierwillen geht sie dem nach, was da irgendwann verloren ging, wendet es hin und her, zoomt es heran, drückt es wieder weg, schaut es an, um wie mit dem Rechenschieber Klarheit hineinzubringen in etwas, das in Wahrheit doch ein so weites, unergründliches Feld ist.
Erinnernd rollt die Autorin die Beziehung von der ersten Begegnung an auf, als wolle sie den Ariadnefaden wieder auf die Spule zurückwickeln. Vom ersten Treffen in der kleinen Plattenbauwohnung am Stadtrand, als es noch Telefone mit Kabel gab und man Tee auf dem Boden sitzend trank. Er und sie sind beide jung, studieren, vor ein paar Jahren ist die Berliner Mauer gefallen, und das Paar, im Osten aufgewachsen, erkundet die Freiheit, liest Georges Perec, fährt nach Osteuropa, um in der Trostlosigkeit von Bukarest das Land der vertrauten Kindheit wiederzufinden.
Sie gibt ihm irgendwann den Wohnungsschlüssel und lässt sich die Haare abschneiden. Doch nicht etwa wegen der Hitze, sondern um sich ihm anzugleichen, was schon früh erkennen lässt, wie sehr eine Beziehung hier auch zur prekären Identitätsrahmung genutzt wird.
Die Erzählerin weiß genau, was sie tut, wenn sie die Erinnerungsfragmente wie auf einer zweiten Tonspur von Reflexionen begleiten lässt, die das erinnernde Ich auch selbst immer wieder infrage stellt. Bisweilen zeigt Schoch ein Talent für Sentenzen, wenn es etwa heißt, die Liebe verhindere das Schlechte, aber seltsamerweise auch das Gute, oder dass man scheitere, wenn man über das schreibe, was einen glücklich mache. Die Erzählerin selbst kann dabei überhaupt nur einzelne Szenen wiedergeben, nicht aber eine Gesamtdramaturgie. Daraus bezieht der Roman mitunter seine trockene Komik, wenn etwa die 31 Sommer währende Beziehung in Listen auf vier Küchen, sechs Autos, 42 Reisen, 912 Partien Halma und 8667 geschmierte Schulbrote verkürzt wird.
Lässt sich am Ende ein gelebtes Leben in Zahlen und Statistiken genauer erfassen als in psychologischer Deutung? "Sie waren traurig, betrugen sich heiter, / versuchten Küsse, als ob nichts sei", heißt es bei Kästner. Dass er nichts von Unglücklichkeit halte, das sei nur Energieverschwendung, heißt es bei Schoch. Als er das sagt, gehen ihr die Gründe fürs Sterbenwollen aus. In solch obskurer Zärtlichkeit oszilliert diese Liebeserzählung. Ihre Liebe verwandelte sich, heißt es auf einem anderen Zettel: "Sie kannten sich nicht mehr. Und dann?" Die Antwort darauf liegt jetzt vor. SANDRA KEGEL
Julia Schoch: "Das Liebespaar des Jahrhunderts". Roman.
dtv Verlag, München 2023. 192 S. geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein ganz großes Buch über die Liebe und was es kostet, sie durchzuhalten. Ich glaube, das könnte ein Klassiker werden. Eva Menasse ZDF, Das Literarische Quartett 20230505