Lange Zeit waren Helena und Paris für mich der Inbegriff des Trojanischen Krieges aus der griechischen Mythologie. Das hat sich mit „Das Lied des Achill“ von Madeline Miller jedoch gründlich geändert, denn darin sind Achill und Patroklos die Hauptfiguren. Mit viel Gefühl nimmt die Autorin die
Perspektive von Patroklos ein und erzählt von seiner Kindheit, seinem ersten Zusammentreffen mit Achill…mehrLange Zeit waren Helena und Paris für mich der Inbegriff des Trojanischen Krieges aus der griechischen Mythologie. Das hat sich mit „Das Lied des Achill“ von Madeline Miller jedoch gründlich geändert, denn darin sind Achill und Patroklos die Hauptfiguren. Mit viel Gefühl nimmt die Autorin die Perspektive von Patroklos ein und erzählt von seiner Kindheit, seinem ersten Zusammentreffen mit Achill und der überwältigenden Liebe, die daraus erwächst. Dabei bleibt Miller der ursprünglichen Version weitestgehend treu, interpretiert diese jedoch auf ihre Weise, um eine vollkommen neue Geschichte zu erzählen – eine Geschichte von Liebe, Verzweiflung, Hoffnung und Schmerz.
Die Worte von Madeline Miller treffen einen bis ins Mark, so zielsicher geht sie damit um. Sei es, um die innige Freundschaft und Liebe von Achill und Patroklos einzufangen oder im Kontrast dazu die Grausamkeit des Krieges zu beschreiben. Doch von Anfang an! Erst geht es zurück in die Kindheit von Patroklos, denn hier setzt die Geschichte ein. Wir erleben ihn als zurückhaltenden, zarten Jungen der sich lieber vor den anderen Jungen am Hof seines Vaters, des Königs, versteckt. Bloß kein Aufsehen erregen, ist seine Devise, denn allen ist bekannt, dass er eine große Enttäuschung für seinen Vater ist. Statt ihn zu akzeptieren, bewundert sein Vater Achill, der als Kind zu Wettkämpfen am Hof erscheint.
Auch an Patroklos geht der erste Anblick von Achill nicht spurlos vorüber, er ist zerrissen zwischen Neid und Bewunderung. Diese Einführung legt den Grundton der Geschichte, sie macht deutlich, wie das Leben die zwei jungen Griechen geprägt hat: Patroklos, der treue Freund von Achill, der immer in seinem Schatten zu steht, still und unscheinbar, und daneben Achill, der stets von allen bewundert wird und es nicht erträgt, wenn ihm Unrecht widerfährt und er in seiner Ehre verletzt wird.
Es ist wundervoll, wie einfühlsam und greifbar die Figuren zum Leben erweckt werden. Insbesondere liebe ich den Blick der Autorin auf ihre Figuren, die in „Das Lied des Achill“ viel weniger als Helden der griechischen Mythologie dargestellt werden, sondern vielmehr als Menschen, die versuchen, ihrem Schicksal zu entkommen und sich letztendlich doch widerwillig fügen müssen. So ist Achill zwar ein strahlend schöner Halbgott und ein begnadeter Kämpfer, doch wünscht er sich nichts sehnlicher, als ein friedliches Leben gemeinsam mit Patroklos. Letztendlich wird er aber doch von Odysseus und Diomedes überlistet und in den Kampf involviert – der Rest ist sozusagen „Geschichte“, aber eben auch eine große, tragische Liebesgeschichte.
„Das Lied des Achill“ erinnert mich in seiner Leidenschaftlichkeit an „Romeo und Julia“. Und ebenso wie Romeo und Julia, können auch Achill und Patroklos ihrem Schicksal nicht entgehen. Wo in der einen Geschichte die Familien an der Tragödie Schuld sind, mischen in der Mythologie die Götter mit. So oder so, mich hat die Autorin emotional vollkommen gepackt. Das gelingt ihr so gut, weil ihr Schreibstil herrlich illustrativ ist. Man fühlt die griechische Hitze, man riecht die Düfte von Ölen und den Geruch des Meeres, den Schweiß der Männer, den Gestank des Lagers nach Opfergaben. Ebenso spürt man die tiefe Verbundenheit zwischen den beiden jungen Männern, die sich fortwährend weiterentwickelt. Da sind die anfängliche Unsicherheit und die rauschhaften ersten Wochen, später kommen Zweifel und Ängste hinzu, bis die beiden während des Krieges eine reife und kompromisslose Liebe verbindet.
Der Rhythmus der Erzählung ist ebenfalls großartig. Die Spannung wird konstant aufrechterhalten, aber immer wieder durchbrochen mit zahlreichen ruhigen und intimen Momenten zwischen Patroklos und Achill. Diese Momente sind das Herz von „Das Lied des Achill“, sie lassen diesen Teil der griechischen Mythologie lebendig werden.