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Sibylle Lewitscharoff
Sie fühlt sich am Fuße des Läuterungsberges. "Wir sind so Zwischensünder", vermutete Sibylle Lewitscharoff, als sie ihren Dante-Roman "Das Pfingstwunder" im Frankfurter Literaturhaus vorstellte. Vor einer kleinen Gemeinde im Großen Saal sprach die Büchnerpreisträgerin mit ihrer Lektorin Julia Ketterer vom Suhrkamp Verlag über den "Transit" vom Manuskript zum Buch. Dabei erfuhr man, dass etwa 50 Komplett- und 28 Teilübersetzungen von Dantes "Göttlicher Komödie" auf dem Schreibtisch der Autorin gelegen hatten, als sie ans Werk ging. Vor allem aber erlebte man eine Sprachvirtuosin und unterhaltsame Gesprächspartnerin, die so redete, wie ihr der Schnabel gewachsen war, und aus ihrem Herzen keine Mördergrube machte.
Etwa wenn sie sich über ihre Gewährsmänner ausließ: die Übersetzer. Prosaübersetzungen findet sie langweilig. Bei der bloßen Erwähnung des Namens Kurt Flasch zuckten ihre Augenbrauen angriffslustig: "Prosa-Übersetzungen - das ist eine Macke von Leuten, die nicht dichten können und das mit großem Bohei begründen." Lewitscharoff bedauerte, dass nur noch Rapper reimen. Noch aber gebe es immerhin sechs bis sieben hochpoetische Übersetzungen der "Commedia" ins Deutsche, darunter jene Johanns von Sachsen alias Philaletes und die extravagante von Rudolf Borchardt, von der sie denn auch "angefixt" worden sei. Die Autorin schwärmte von Romano Guardinis Dante-Exegesen und dankte nochmals Karlheinz Stierle, der ihr Manuskript durchgesehen habe.
Jedes Buch habe auch sein "Schmutzrändchen". Damit waren die vier Fehler gemeint, die sie nach Rat des Romanisten eliminierte. Im Literaturhaus waren besonders geglückte Passagen zu hören. Zuerst über Dantes zahlenmystische Spielereien, denen der einzige Dante-Experte nachsinnt, der die Entrückung seiner Kollegen bei einer Tagung in Rom überlebt hat und sich nun in seiner Wohnung im Frankfurter Westend betrinkt - was die Autorin zu einer fachsimpelnden Stammelsuada anregte. Dantes burleske Teufelchen hatten die deutschen Übersetzer zu schmuddeligen Sprachphantasien verführt: "Tückeschwanz, Übelkatz, Sudelbart, Schwinghupf". Die romanischen und anglophonen Übersetzer seien eher um Abstraktion bemüht, wo es um Körperliches geht, hat Lewitscharoff herausgefunden.
Mit dem "Pfingstwunder" zu Rom hat die Autorin ein phonetisches Wunder geschaffen - zwischen babylonischer Sprachverwirrung und apostolischer Glossolalie. Am Ende steht das Aleph, erster Buchstabe des hebräischen Alphabets.
c.s.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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