»Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden. Oder negativ ausgedrückt: Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens.«
Wie seiner langjährigen Freundin Hannah Arendt war auch Hans Jonas klar, dass eine Ethik als Tugendlehre keine tragfähige Verantwortlichkeit hervorbringt. Die Suche nach den intrinsischen Quellen einer Verantwortung, die über die eigene Lebensspanne und Umgebung hinausgeht, ist nie so unternommen worden wie mit diesem Buch. Die Fülle der Gedanken und Anregungen von Jonas zu diesem für unsere Zeit weiterhin offenen Thema, werden durch die Lesung von Axel Grube auf besondere Weise verständlich.
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»Jonas' Grundgedanke, dass Ethik mehr leisten müsse, als das Verhältnis zum Nächsten zu organisieren, ist angesichts der Klimakatastrophe zeitgemäßer denn je.« Christoph David Piorkowski Der Tagesspiegel 20200924
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2009Wer soll dem denn gewachsen sein?
Dass die Verheißung der modernen Technik in Drohung umgeschlagen sei, ist nicht unbedingt eine neue und überraschende Feststellung. Sie ist der Ausgangspunkt des Buches "Das Prinzip Verantwortung", das der bedeutende Gnosisforscher und ins Exil getriebene Heideggerschüler Hans Jonas 1979 schrieb und das in Deutschland sofort ein für ein akademisches Buch erstaunliches Echo fand. Der Titel allein schon machte Epoche, denn kein anderer Begriff spielt in den Debatten über ethische Zukunftsaufgaben seither eine vergleichbar große Rolle. Das "Prinzip Verantwortung" wurde rasch zum Schlagwort, auf das sich die Anti-Atombewegung, die wachsende Sensibilität für Umweltgefährdungen, das Waldsterben, Gentechnik und Klimawandel beriefen.
Mehr konnte dieser philosophische Autor nicht zu erreichen hoffen, als ein Stichwort und einen Gedanken zu lancieren, an denen sich das Nachdenken über die Gefährdung des Menschen und der Welt durch menschliche Technik orientieren konnten. Er hatte ein "Neuland kollektiver Praxis" erschließen wollen, und überall wuchsen menschliche Kollektive heran, die sich auf nichts als ihre Verantwortung für das Ganze, die Zukunft von Natur, Menschheit und Welt beriefen.
Wenn der Autor sich fragte, was denn als Kompass dienen könne, so war seine Antwort: "die vorausgedachte Gefahr selber", genau das, was die auf die Weltgefahren blickenden Aktivisten hören wollten. Sie mussten "die entfernte Zukunft in die Voraussicht und gar den Erdkreis in das Bewußtsein der eigenen Kausalität einbeziehen". Das Wissen musste mit den Kausalketten der modernen Technik und ihrer Folgen Schritt halten, um den neuen Handlungsraum einer unbestimmten Zukunft zu erschließen. Dies sollte der Horizont der Verantwortung sein.
Ließ sich diese Verantwortung, die die Menschheit, ihren Fortbestand auf der Erde und die Bewahrung der Welt zum Ziel gesetzt hatte, tatsächlich als eine Ethik formulieren, mit neuen Geboten für eine neue Lage extremer Gefährdung? Der Adressat, das Subjekt solcher Ethik bleibt vage. Es sollten nicht Individuen sein, wegen der begrenzten Reichweite ihrer Handlungen. Also Kollektive, die sich durch Verantwortung und ein Gefühl unbestimmter Verpflichtung gegenüber der fernen Zukunft konstituierten.
Sie sollten einem Imperativ folgen, der einem neuen Typus menschlichen Handelns entsprach: "Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden", oder negativ ausgedrückt: "Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlungen nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens." Die Bedingungen für den Fortbestand der Menschheit auf Erden, wenn sie denn noch vorhanden sind, sollen keinesfalls gefährdet werden.
Das sind vertraute ethische Formeln, die jedoch, wenn man sie auf die moderne Technik anwendet, als naiv erscheinen müssen, indem man verlangt, gerade jene unübersehbaren Folgen, die als gefährlich taxiert werden, bis in alle Verästelungen zu beherrschen. Das Handeln, das die fernste, unbestimmte Zukunft zur Richtschnur nimmt, muss ratlos vor der Wahl der Kausalreihen stehen, die es in Gang setzen möchte.
Die Philosophie von Hans Jonas unterließ es wohl wegen der überwältigenden Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, etwa zwischen Beeinflussung und Beherrschung zu unterscheiden. Die Rede von der Naturbeherrschung war seit je eine Hyperbel, aber mit wachsendem Einfluss auf die Natur und mit zunehmender Anwendung der Naturgesetze wird es nötig, zwischen Naturprozessen, die der Mensch beherrscht, und solchen zu unterscheiden, die er beeinflusst, ohne sie zu beherrschen. Die Folgen solcher Einwirkung beherrscht der Mensch nicht.
Gegenwärtig sind die Versuche, den Klimawandel aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen, ein zur Ernüchterung ratendes Beispiel. Was man unternimmt, mag aus gutgemeinter Verantwortung für den Bestand der Menschheit geschehen. Aber das Verantwortungsgefühl, das dazu antreibt, vermag nicht zu entscheiden, welches Klima, das gegenwärtige oder ein zukünftiges, gewollt werden soll. Über eine solche Frage kann nicht abgestimmt und das Ergebnis könnte nicht umgesetzt werden. So setzen sich am ehesten die Interessen der Gegenwart und der jetzt lebenden Menschen durch. Die Verantwortung ihnen gegenüber dürfte der rationale Kern der Verantwortung sein.
Die Verantwortung für die Menschheit in ferner Zukunft dagegen kann immer nur eine zusätzliche Rücksicht sein, wie gewichtig sie im Einzelfall, etwa bei der Lagerung von Atommüll, auch sein mag. Wer die Verantwortung für die fernste Zukunft übernimmt, begibt sich in einen vagen Raum von unbestimmten Handlungsmöglichkeiten oder von Utopien. Das Handeln in der Gegenwart bleibt in erster Linie ein Gegenwartshandeln.
Die Gleichgültigkeit gegen die Frage, ob der Mensch den Belastungen überhaupt gewachsen ist, die er sich mit der Übernahme der Verantwortung für die Zukunft aufbürdete, ist der fragwürdigste Zug der Ethik von Hans Jonas. Sobald man als ethische Verpflichtung deklariert, was bestenfalls eine gute Gesinnung ist, die sich den Problemen der Zukunft stellen will, hat man die Leistungskraft der Ethik erschöpft. Ethik, die für mögliche Räume und Zeiten gebietet, begründet nur unbestimmte, nur mögliche Verbindlichkeiten.
Die Gefahren können allerdings als so groß erscheinen, dass sie die Grenze der Gegenwart zur Zukunft gleichsam überschwemmen. Wenn ich das Unheil in der Ferne intensiv genug erlebe, wird es zum Unheil in der Gegenwart. Es ist die Katastrophenerfahrung des zwanzigsten Jahrhunderts, von Holocaust und Hiroshima, durch die das Denken von Hans Jonas geprägt wurde. Der Satz: "Wir wissen erst, was auf dem Spiel steht, wenn wir wissen, daß es auf dem Spiel steht", wird überhaupt erst verständlich, wenn man ihn auf jene Katastrophen bezieht. Nur nicht noch einmal eine solche Katastrophe übersehen.
HENNING RITTER
Hans Jonas: "Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation". Suhrkamp, 10 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dass die Verheißung der modernen Technik in Drohung umgeschlagen sei, ist nicht unbedingt eine neue und überraschende Feststellung. Sie ist der Ausgangspunkt des Buches "Das Prinzip Verantwortung", das der bedeutende Gnosisforscher und ins Exil getriebene Heideggerschüler Hans Jonas 1979 schrieb und das in Deutschland sofort ein für ein akademisches Buch erstaunliches Echo fand. Der Titel allein schon machte Epoche, denn kein anderer Begriff spielt in den Debatten über ethische Zukunftsaufgaben seither eine vergleichbar große Rolle. Das "Prinzip Verantwortung" wurde rasch zum Schlagwort, auf das sich die Anti-Atombewegung, die wachsende Sensibilität für Umweltgefährdungen, das Waldsterben, Gentechnik und Klimawandel beriefen.
Mehr konnte dieser philosophische Autor nicht zu erreichen hoffen, als ein Stichwort und einen Gedanken zu lancieren, an denen sich das Nachdenken über die Gefährdung des Menschen und der Welt durch menschliche Technik orientieren konnten. Er hatte ein "Neuland kollektiver Praxis" erschließen wollen, und überall wuchsen menschliche Kollektive heran, die sich auf nichts als ihre Verantwortung für das Ganze, die Zukunft von Natur, Menschheit und Welt beriefen.
Wenn der Autor sich fragte, was denn als Kompass dienen könne, so war seine Antwort: "die vorausgedachte Gefahr selber", genau das, was die auf die Weltgefahren blickenden Aktivisten hören wollten. Sie mussten "die entfernte Zukunft in die Voraussicht und gar den Erdkreis in das Bewußtsein der eigenen Kausalität einbeziehen". Das Wissen musste mit den Kausalketten der modernen Technik und ihrer Folgen Schritt halten, um den neuen Handlungsraum einer unbestimmten Zukunft zu erschließen. Dies sollte der Horizont der Verantwortung sein.
Ließ sich diese Verantwortung, die die Menschheit, ihren Fortbestand auf der Erde und die Bewahrung der Welt zum Ziel gesetzt hatte, tatsächlich als eine Ethik formulieren, mit neuen Geboten für eine neue Lage extremer Gefährdung? Der Adressat, das Subjekt solcher Ethik bleibt vage. Es sollten nicht Individuen sein, wegen der begrenzten Reichweite ihrer Handlungen. Also Kollektive, die sich durch Verantwortung und ein Gefühl unbestimmter Verpflichtung gegenüber der fernen Zukunft konstituierten.
Sie sollten einem Imperativ folgen, der einem neuen Typus menschlichen Handelns entsprach: "Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden", oder negativ ausgedrückt: "Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlungen nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens." Die Bedingungen für den Fortbestand der Menschheit auf Erden, wenn sie denn noch vorhanden sind, sollen keinesfalls gefährdet werden.
Das sind vertraute ethische Formeln, die jedoch, wenn man sie auf die moderne Technik anwendet, als naiv erscheinen müssen, indem man verlangt, gerade jene unübersehbaren Folgen, die als gefährlich taxiert werden, bis in alle Verästelungen zu beherrschen. Das Handeln, das die fernste, unbestimmte Zukunft zur Richtschnur nimmt, muss ratlos vor der Wahl der Kausalreihen stehen, die es in Gang setzen möchte.
Die Philosophie von Hans Jonas unterließ es wohl wegen der überwältigenden Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, etwa zwischen Beeinflussung und Beherrschung zu unterscheiden. Die Rede von der Naturbeherrschung war seit je eine Hyperbel, aber mit wachsendem Einfluss auf die Natur und mit zunehmender Anwendung der Naturgesetze wird es nötig, zwischen Naturprozessen, die der Mensch beherrscht, und solchen zu unterscheiden, die er beeinflusst, ohne sie zu beherrschen. Die Folgen solcher Einwirkung beherrscht der Mensch nicht.
Gegenwärtig sind die Versuche, den Klimawandel aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen, ein zur Ernüchterung ratendes Beispiel. Was man unternimmt, mag aus gutgemeinter Verantwortung für den Bestand der Menschheit geschehen. Aber das Verantwortungsgefühl, das dazu antreibt, vermag nicht zu entscheiden, welches Klima, das gegenwärtige oder ein zukünftiges, gewollt werden soll. Über eine solche Frage kann nicht abgestimmt und das Ergebnis könnte nicht umgesetzt werden. So setzen sich am ehesten die Interessen der Gegenwart und der jetzt lebenden Menschen durch. Die Verantwortung ihnen gegenüber dürfte der rationale Kern der Verantwortung sein.
Die Verantwortung für die Menschheit in ferner Zukunft dagegen kann immer nur eine zusätzliche Rücksicht sein, wie gewichtig sie im Einzelfall, etwa bei der Lagerung von Atommüll, auch sein mag. Wer die Verantwortung für die fernste Zukunft übernimmt, begibt sich in einen vagen Raum von unbestimmten Handlungsmöglichkeiten oder von Utopien. Das Handeln in der Gegenwart bleibt in erster Linie ein Gegenwartshandeln.
Die Gleichgültigkeit gegen die Frage, ob der Mensch den Belastungen überhaupt gewachsen ist, die er sich mit der Übernahme der Verantwortung für die Zukunft aufbürdete, ist der fragwürdigste Zug der Ethik von Hans Jonas. Sobald man als ethische Verpflichtung deklariert, was bestenfalls eine gute Gesinnung ist, die sich den Problemen der Zukunft stellen will, hat man die Leistungskraft der Ethik erschöpft. Ethik, die für mögliche Räume und Zeiten gebietet, begründet nur unbestimmte, nur mögliche Verbindlichkeiten.
Die Gefahren können allerdings als so groß erscheinen, dass sie die Grenze der Gegenwart zur Zukunft gleichsam überschwemmen. Wenn ich das Unheil in der Ferne intensiv genug erlebe, wird es zum Unheil in der Gegenwart. Es ist die Katastrophenerfahrung des zwanzigsten Jahrhunderts, von Holocaust und Hiroshima, durch die das Denken von Hans Jonas geprägt wurde. Der Satz: "Wir wissen erst, was auf dem Spiel steht, wenn wir wissen, daß es auf dem Spiel steht", wird überhaupt erst verständlich, wenn man ihn auf jene Katastrophen bezieht. Nur nicht noch einmal eine solche Katastrophe übersehen.
HENNING RITTER
Hans Jonas: "Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation". Suhrkamp, 10 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main