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Die Alten tragen schwer an ihren Bedenken. "Tz-tz-tz", sagen sie und wiegen sorgenvoll die Köpfe, und "Ei, ei, ei" und "Auwei, auwei, auwei", wenn sie betrachten, was Charlotte wieder angestellt hat. Dabei treibt Charlotte gar keinen Unsinn. Sie ist einfach nur anders als die anderen Schafe, und das nicht nur, weil sie kleiner, flinker und mutiger ist. Charlotte hat ihren eigenen Kopf - und viel mehr Temperament und Energie als der Rest der Herde. Während die anderen Tag für Tag am Gras nuckeln und in Grüppchen herumstehen, steigt Charlotte auf Bäume, geht schwimmen, erklimmt Gipfel und wagt sich ganz nah an die große Straße. Und wenn die anderen nachts fest schlafen, schaut Charlotte in den Mond.
Doch es kommt der Tag, an dem Charlottes für die anderen Schafe so beunruhigenden Eigenschaften überlebenswichtig werden. Der liebe alte Schäfer stürzt; sein Hund Charly, ebenfalls schon in die Jahre gekommen, ist zu schwach, um den weiten Weg ins Tal zum Bauern zu gehen. Während die Alten wieder mal bedenklich die Köpfe wiegen und damit in der Frage, wer Hilfe holen soll, kein Stück weiterkommen, sagt Charlotte nur: "Ich gehe."
Sie geht nicht, sie rennt. Und springt. Und hüpft. Über Stock und Stein, Bäche und Felsen. Per Anhalter kommt sie schließlich zum Bauern, der beim beharrlichen Pochen an der Fensterscheibe gleich weiß, wen er vor sich hat: "Charlotte. Ganz allein. Das hat etwas zu bedeuten." Und auch wenn kein Arzt dem freundlichen alten Schäfer seine Jugend wiedergeben kann, ist die geruhsame Schafwelt am Ende dank Charlotte erst einmal gerettet.
Anu Stohner und Henrike Wilson, die uns bereits den "Kleinen Weihnachtsmann" bescherten, haben mit dem Schaf Charlotte eine Heldin geschaffen, die man sofort ins Herz schließt. Henrike Wilson hat großzügige, weich konturierte Bilder in naturwarmen Farben zu Anu Stohners reizendem kleinen Abenteuer gemalt. Charlotte erscheint darin als kompakte, wollweiße Wolke auf vier kräftigen Beinen und mit fröhlichem, aufmunterndem Blick. Ihr Markenzeichen ist die Nase, die nicht trüb nach unten hängt wie bei den anderen, sondern sich neugierig nach oben reckt und den Leser anzustupsen scheint: Los, sei kein Schaf! Denn Charlottes Geschichte zeigt, daß manchmal der eigensinnigste Außenseiter das größte Herz für die Gemeinschaft hat.
FELICITAS VON LOVENBERG.
Anu Stohner, Henrike Wilson: "Das Schaf Charlotte". Hanser Verlag, München 2005. 30 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 3 J.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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"Die großartigen Illustrationen stehen im Vordergrund, der Text ist eher klein gedruckt am unteren Rand, geeignet zum Vorlesen für die Jüngsten. Lustig ist, wie das Schaf aus der Reihe tanzt und alle anderen über seine Kapriolen nur erstaunt sind. Als es aber darum geht, Hilfe zu holen, traut sich Charlotte, beweist Mut und Können." Susanne Wyss, querlesen. Neue Kinder- und Jugendmedien, 1/2024